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Gropius und das Satteldach

Als 50-er-Jahre-Bau präsentiert sich heute das Dessauer Wohnhaus von Walter Gropius. Soll man den Ursprungszustand rekonstruieren?

Andreas Schwarting

Bei dem Luftangriff auf Dessau am 7. März 1945 wurde auch eine Ikone der Klassischen Moderne getroffen, das ehemalige Direktorenhaus des Bauhauses. Das kaum zwanzig Jahre alte Gebäude wurde dabei so weit zerstört, dass es aus Gründen der Standsicherheit bis auf das Sockelgeschoss abgetragen werden musste. Erst 1956 entstand darauf ein Neubau in traditionellen Formen mit Satteldach. Nachdem in den vergangenen Jahren die benachbarten Meisterhäuser aufwändig saniert wurden, stellt sich nun die Frage nach dem Umgang mit diesem unscheinbaren Stück DDR-Architektur, das geradezu eine Antithese zur avantgardistischen Formensprache des Hauses Gropius zu sein scheint.

Die Stadt Dessau und der rege Literaturhistoriker und Kulturpolitiker Paul Raabe wollen das Direktorenhaus der 1920er Jahre neu errichten, um das unter dem Schutz des UNESCO-Weltkulturerbes stehende Ensemble der Meisterhäuser wieder zu komplettieren. Der Wiederaufbau sei als Reparatur eines homogen konzipierten Ensembles zu verstehen, nicht als Rekonstruktion eines solitären Gebäudes. Sie stellen die architektonische Idee und künstlerische Qualität des Entwurfs über die Historizität des Ortes. Gegner der Rekonstruktion – etwa der Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau, Omar Akbar – verweisen dagegen auf den Mangel an wissenschaftlichen Grundlagen für eine Rekonstruktion. Außerdem würde diese den falschen Eindruck hervorrufen, es habe nie eine Zerstörung gegeben und darüber hinaus die an der historischen Substanz orientierten Sanierungsmaßnahmen an den anderen Meisterhäusern entwerten.

Neben diesen Standpunkten, die in ähnlicher Form bei jedem prominenten Rekonstruktionsvorhaben zum Ausdruck kommen, gibt es auch eine weitere Ebene der Diskussion, handelt es sich doch um einen Bau der Klassischen Moderne. Hatten deren Protagonisten sich nicht immer wieder gegen die reine Fortführung des Bestehenden oder gar die Wiederherstellung verloren gegangener Traditionen gewendet? So wie Gropius sicherlich kein achtzig Jahre altes Gebäude wiederaufgebaut hätte, müsse der Ort auch heute wieder zukunftsweisenden baulichen Experimenten gewidmet sein – ganz im Sinne des Bauhauses von 1926.

Das bestehende Haus ist jedoch nur auf den ersten Blick ein Stück banaler Nachkriegsarchitektur. Mit einer der Gartenstadttradition verpflichteten Formensprache spiegelt es die ostdeutsche Architekturdiskussion der 1950er Jahre nach dem Höhepunkt der Formalismus-Debatte wieder. Neben dem Souterrain mit der Hausmeisterwohnung und der Garage mit zwei Oberlichtern aus Prismengläsern wurden zahlreiche Bauteile von 1926 in die Neubaukonzeption mit einbezogen. Darüber hinaus wurden die meisten Wände an ursprünglicher Stelle wieder aufgebaut und die gesamte Grundrissdisposition beinahe bis ins Detail vom Vorgängerbau übernommen.

Erst gegen Ende der 1950er Jahre konnte in der DDR eine öffentliche Auseinandersetzung mit den Ideen und der Architektur des Bauhauses stattfinden, einige Jahre nach dem Tod Stalins und der Neuorientierung der Baupolitik. Dieser Wandel führte bald zu ersten konkreten Überlegungen, sowohl das ehemalige Direktorenhaus als auch das Bauhausgebäude im ursprünglichen Erscheinungsbild wiederherzustellen. Während dieses 1976 umfassend saniert wurde, verblieb das Direktorenhaus bis heute im Zustand von 1956.

Die besondere „Aura“ des ursprünglichen Hauses – im Sinne Walter Benjamins – lag nicht nur in seiner physischen Struktur. Sein Bild ist stärker durch die vieltausendfach reproduzierten Fotografien von Lucia Moholy geprägt als durch das einst materiell existente Haus. Inzwischen ist das abgebildete Objekt „unnahbar“ geworden, nicht nur aufgrund des ihm zugestandenen Kultstatus, sondern auch im Verschwinden seiner materiellen Substanz. Ein äußerlich wiederhergestelltes Haus von 1926 könnte daher nicht mehr sein als eine Visualisierung im Maßstab 1:1, eine mehr oder weniger werkgetreue Reproduktion. Ästhetisch wäre dies möglicherweise ein Gewinn. Dem stünde aber nicht nur der Verlust an Authentizität der baulichen Substanz entgegen, sondern auch der Verlust einer sinnlich erfahrbaren Informationsdichte über strukturelle Kontinuitäten und gestalterische Brüche der deutschen Architekturgeschichte, wie sie in dieser Eindringlichkeit wohl singulär sein dürfte.

Dipl.-Ing. Andreas Schwarting arbeitet am Lehrstuhl für Baugeschichte der TU Dresden.


Ausführlicher Beitrag des Autors zum Thema in : Bruno Klein, Paul Sigel (Hrsg.): Konstruktionen urbaner Identität. Zitat und Rekonstruktion in Architektur und Städtebau der Gegenwart, Berlin 2006.

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