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[ Innenministerium ]

Verinnerlicht

Der Wettbewerb um das neue Bundesinnenministerium zeigt das wachsende Gewicht von Nachhaltigkeitsfragen in der Praxis.

Hof-Haus: Zwei Höfe sieht der Siegerentwurf von Müller Reimann Architekten für das neue Innenministerium vor.

Andreas Wosnik, Dr. Günter Löhnert

Wer sich politisch für nachhaltiges Bauen einsetzt, wird bei eigenen Projekten besonders streng an den selbst gestellten Anforderungen gemessen. Deshalb waren die Ansprüche beim jüngsten Großprojekt des Bundes besonders hoch – dem Neubau des Innenministeriums auf einer 31 000 Quadratmeter großen Brachfläche zwischen Kanzleramtsgarten, Stadtbahnviadukt und dem künftigen Baugelände am Berliner Hauptbahnhof. Hier flossen Nach­haltigkeitskriterien bereits in den Architektenwettbewerb stark ein; die Anforderungen gingen teils deutlich über die gesetzlichen Vorgaben hinaus. Und es gewann ein Entwurf, der diese Kriterien besonders ausgewogen mit anderen Anforderungen vereinte.

Als Richtschnur diente dabei der Leitfaden Nachhaltiges Bauen des Bundesministeriums für Verkehr, Bauen und Stadtentwicklung (Internet-Quelle siehe unten). Die dort ausgesprochenen Empfehlungen wurden für die erste Stufe der Auslobung im Hinblick auf ihre Umsetzbarkeit und die Rahmenbedingungen vor Ort gefiltert und konkretisiert. Daraus ergaben sich klare Planungsvorgaben: Städtebauliche Randbedingungen beeinflussen die geforderte Gebäudekonzeption, sich wandelnde Nutzungsanforderungen die Flexibilität des Gebäudes, Komfort- und Energieanforderungen prägen die Voraussetzung zur Optimierung der Tageslichtkonzeption.

In der zweiten Stufe des Wettbewerbes wurden die bereits vereinbarten Ziele übernommen und blieben im Wesentlichen erhalten.

Die Wettbewerbsteilnehmer mussten hier auf einen zusätzlichen Fragenkatalog Antworten geben, wodurch die Einhaltung der genannten Anforderungen in ihren Entwürfen überprüfbar wurde. Beispielsweise sollten hier die Fensterflächen unter Angabe der jeweiligen Orientierung nach Himmelsrichtungen ausgewiesen werden.

Übergreifende Themen waren das Energiekonzept, die Kosteneffizienz und die Nutzungsqualitäten. Insgesamt konnte mit dem Fragenkatalog das ganzheitliche Verständnis der Entwurfsverfasser in Bezug auf komplexe Zusammenhänge und Wirkungen eingeschätzt werden.

An die Prüfung wiederum war eine eigene wesentliche Anforderung gestellt: Ihr Ablauf sollte nachvollziehbar sein. Hierzu wurde vor der Einsicht der Wettbewerbsarbeiten ein Set von Prüfkriterien entwickelt. In einem iterativen Prozess wurde dann zunächst die Anwendbarkeit dieses Kriterienkataloges geprüft und die hinterlegte Wertungsmatrix angepasst. Die Bewertung selbst erfolgte ­anhand der eingereichten Planunterlagen und der Ant­worten auf den Fragenkatalog. Die Wettbewerbsarbeiten wurden wie üblich qualitativ nach Ermessen der Jury und der Sachverständigen ausgewertet und quantitativ nach messbaren Größen. Die Schlussfolgerungen wurden für jede Wettbewerbsarbeit einzeln formuliert, zunächst in ein Stärken-Schwächen-Profil und dann in ein Rankingprofil übertragen.

Auf die Kriterien des Gebäudemanagements kann hier aus Platzgründen nicht näher eingegangen werden; die Schwerpunkte im Bereich Energie und Nachhaltigkeit waren die folgenden:

Gebäudehülle

Die Qualität der Gebäudehülle bestimmt entscheidend die energetische Gebäudeperformance, da sie die Aufgabe einer Energiemembran übernimmt, die die Energieströme von innen nach außen und von außen nach innen reguliert. Bewertungskriterien sind thermische Standards verglaster und opaker Bauteile, die Hauptorientierung der Fassaden sowie die technischen und konstruktiven Qualitäten damit verbundener Systeme und Bauteile.

Energiekonzept

Entscheidend ist die Plausibilität des gesamten Energiekon­zeptes in seiner Vollständigkeit und seinem Wirkungszusammenhang. Neben den konzeptionellen Aussagen zu den Strategien Heizen und Lüften im Winter, Kühlen und Lüften im Sommer sowie Tageslichtnutzung wurden sowohl bauliche als auch technische Systeme und Komponenten im Hinblick auf ihre Stimmigkeit beurteilt.

Tageslichtnutzung

Die Tageslichtnutzung ist bei Bürogebäuden eine entscheidende Größe für Nutzungs- und Arbeitsplatzqualität, Komfort, thermische Behaglichkeit, Leistungsfähigkeit der Nutzer einerseits sowie für Energieeinsatz und Betriebskosten andererseits. Konkurrierende beziehungsweise sich teilweise widersprechende Anforderungen im Jahres- und ­Tagesgang sind durch Beachtung der Aspekte Disposition der Fensterflächen zur Minimierung der äußeren Kühllasten, Qualität der Verglasung, Sonnen- beziehungsweise Blendschutz und Regelstrategien zu optimieren.

Sonstige Aspekte der Nachhaltigkeit

Aussagen zu Baustoffen und Ressourceneinsatz, Kosteneffizienz und Reduktion beziehungsweise Verschiebungspotenzialen der Betriebskosten sowie zu den Grünflächen. Darüber hinaus wurden Aussagen beziehungsweise Angaben zur Flexibilität der Grundrisse geprüft, obwohl diese beim Rückfragenkolloquium als explizite beziehungsweise prioritäre Forderung zurückgenommen worden war.

Umzäunt: Sicherheitsabstand zur Straße.

Wettbewerbsgewinner ist das Büro Thomas Müller, Ivan Reimann, Berlin, in Arbeitsgemeinschaft mit Vogt Landschaftsarchitekten AG, Zürich. Die Gewinner kooperierten darüber hinaus mit Planungsbüros für Energie- und Haustechnik. Die Jury würdigt in ihrem Protokoll sowohl den architektonischen Entwurf als auch Nutzerfreundlichkeit und Energiekonzept. Das Haus „fügt sich bei genauerer Betrachtung wie selbstverständlich in das unregelmäßig zugeschnittene Grundstück ein“; es „besticht im Inneren durch eine elegante Wegeführung“ und weist eine „ruhige, aus einem durchgehenden Fenstermodul bestehende Travertinfassade“. Diese „erlaubt eine flexible Büronutzung und gewährleistet eine sehr gute Belichtung der dahinterliegenden Arbeitsplätze“. Und zur Nachhaltigkeit schreibt die Jury: „Die Qualität der Durcharbeitung zu den Themen Energiekonzept, Tageslichtnutzung und Nachhaltigkeit ist als sehr hoch einzustufen.“

Hof unter Glas: Der überdachte Lichthof soll als Treffpunkt und hausinterner Veranstaltungsort dienen. Die Freitreppe (hinten) nimmt das Gefälle des Areals auf.

Der Siegerentwurf zeichnet sich durch eine geradezu auffällige Ausgewogenheit in Bezug auf das abgeprüfte Kriterienset aus. Diese Ausgewogenheit sah die Jury fortgesetzt in architektonischer und städtebaulicher Qualität. Auch bei hochkomplexen Planungsaufgaben wie im vorliegenden Fall ist es im Wettbewerb also möglich, scheinbar weit auseinanderklaffende Anforderungen in Einklang zu bringen: einerseits die Anforderungen an Städtebau, Architektur, Gebäudeplanung und Nutzung, andererseits die Anforderungen an Nachhaltigkeit und Energieeffizienz sowie an den Gebäudebetrieb. Dafür muss aber der Auslober diese Qualitäten als erklärtes Ziel mit entsprechenden Anforderungen untersetzen, muss sie in der Ausschreibung einfordern, eine qualifizierte Vorprüfung durch Sachverständige veranlassen und sie bei der Beurteilung im Preisgericht entsprechend berücksichtigen. Dies ist leider noch nicht selbstverständlich.

Regulierte Arbeitsatmosphäre: natür­liche Bürobelüftung (rechts oben). Tages- und Kunstlicht sind abgestimmt; die offene Decke speichert Kälte oder Wärme (Mitte/unten).

Die Wettbewerbs-teilnehmer mussten sich mit der Aufgabenstellung ganzheitlich auseinander-setzen und die interdis-ziplinäre Bearbeitung unter Beteiligung eines Energieplaners vornehmen, auch wenn dies beim Innenministerium nicht explizit gefordert war. Vor dem Hintergrund des Klimawandels sollten künftige Wettbewerbe nur noch unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeit und Energieeffizienz durchgeführt werden – schon allein deshalb, weil die Gebäude noch genutzt werden, wenn fossile Energieträger längst nicht mehr zur Verfügung stehen werden.

Dr.-Ing. Günter Löhnert ist Inhaber von sol°id°ar Berlin.

Andreas Wosnik ist bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben verantwortlich für das Facility-Management.


„Bauherren werden sensibler“

Architekt Ivan Reimann über Nachhaltigkeit im Ministeriumsentwurf | Interview: Roland Stimpel

Sie haben den Wettbewerb auch durch Erfüllung der Nachhaltigkeitskriterien gewonnen. War das Thema in dieser Intensität für Sie neu?

Grundsätzlich verfolgen wir das Thema schon ­lange. Aber der Bedarf und auch die Sensibilität von Bauherren sind spürbar gewachsen – durch die gestiegenen ­Energiepreise und natürlich auch durch die Klimadiskussion.

Entwerfen Sie deshalb anders als früher?

Nein, das bedeutet keine grundsätzlich andere Entwurfshaltung. Obenan steht nach wie vor die Synthese von Nutzungsanforderungen, Gestaltung und Eingehen auf die städtebauliche Situation.

Und das Energiethema kommt danach?

Das auch wieder nicht. Fragen der Nachhaltigkeit, der niedrigen ­Betriebskosten und der Effizienz in jeder Hinsicht müssen von vornherein einbezogen werden. Und nicht nur bei diesem Projekt hat sich erwiesen, dass sie gut miteinander harmonieren. Wir wollten ein Gebäude, das flächeneffizient ist, den Nutzern kurze Wege und ein angenehmes und produktives Arbeitsumfeld bietet und nicht zuletzt die Betriebskosten dämpft, also energetisch effizient sein muss. All das war mit einer relativ kompakten Gebäudeform am besten ­erreichbar. Da gab es keine grundsätzlichen Widersprüche.

Auch nicht zwischen Kompaktheit und angenehmes Arbeitsumfeld?

Wir glauben eine Form gefunden zu haben, die beides vereint. Das Gebäude hat zwei umbaute Höfe, von denen der eine als überdachtes Atrium genutzt wird. Bei dieser Gebäudeform gibt es einerseits genug Außenflächen für eine gute Belichtung, andererseits ist das Verhältnis von Gebäudehülle und Grundstücksfläche, Erschließungsflächen und Wegebeziehungen hier günstiger zu gestalten als etwa bei lang gestreckten Riegeln oder einer Gruppe von Solitären.

Was haben Sie speziell für die Energieeffizienz geplant?

Heizen, Kühlen, Lüften und Beleuchtung sind integral verknüpft. ­Genutzt werden auch Erdwärme und Erdkühlung, die Rückgewinnung von Büroabwärme an kalten Tagen und sogar die Temperaturdifferenz zwischen den Kreisläufen für Heizung und Kühlung und dem Kreislauf des Spülwassers für Toiletten.

Für Architekten ist das ein ziemlich spezielles Metier.

Wir arbeiten da schon seit Längerem mit dem Haustechnikbüro ­Alhäuser + König und dem Büro für Klimaplanung Transsolar zusammen. Wichtig ist, dass diese Experten von vornherein einbezogen werden. Schon beim Entwurf müssen wir zum Beispiel wissen, ­welche Anforderungen und welchen Platzbedarf die Haustechnik ­etwa haben wird. Nachträglich kann man das nicht mehr planen.

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