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[ Stadtumbau Ost 2 ]

Orange statt Grau

Hoyerswerda in Sachsen ist Abrissavantgarde. Eine Architektin geht das Ganze kreativ-konstruktiv an.

Ziele und Perspektiven: „Orange ist da schon richtig“.

Roland Stimpel
Hat der Stadtumbau Ost eine Farbe? „Ich würde sagen, Orange“, meint die Architektin Dorit Baumeister. „Schließlich braucht man bei dem Thema viel Lebensmut und Lebensfreude.“ Gerade in Baumeisters Wohnort Hoyerswerda. Da hat die zu DDR-Zeiten entstandene Neustadt statt wie einst 60 000 Einwohner nur noch 30000, und in zwölf Jahren sollen es bloß noch 15000 sein. Keine Stadt in Deutschland altert so schnell: Der Durchschnitt ist von 28 auf knapp 50 Jahre gestiegen.

Und nirgendwo sonst ist der Abriss so sehr Programm wie in Hoyerswerda: Ganze Quartiere, hier traditionell Wohnkomplexe genannt, sind im Flächennutzungsplan wieder grün. Dorit Baumeister sieht darin eine Lebensaufgabe: ihrer Stadt das Unvermeidliche so human wie möglich zu gestalten. Und inmitten des Abbruchs Hoffnungszeichen zu setzen, um von dem vermeintlich Unrettbaren doch noch etwas zu bewahren.

Baumeister wohnte schon als Kind in den 70er-Jahren hier. Da war gerade der denkwürdige „Franziska-Linkerhand“-Roman von Brigitte Reimann erschienen, in dem eine junge Architektin beim Aufbau von Hoyerswerda-Neustadt ihre Ideale und Illusionen verliert. „Häuser werden nicht mehr gebaut, sondern produziert wie eine beliebige Ware“, hieß es über den hektisch-billigen Plattenbau. „An die Stelle des Architekten ist der Ingenieur getreten. Wir sind Funktionäre der Bauindustrie geworden, für die Gestaltungswille und Baugesinnung Fremdwörter sind, von Ästhetik ganz zu schweigen.“

Rückbau-Werkstatt: Dorit Baumeister und ihre „Orange Box“

Auch Dorit Baumeister mochte in ihrer Jugend diese Stadt nicht. Sie ging nach der Schule weg, nach Berlin, Regensburg – aber 1992 nach Hoyerswerda zurück, wo ihr Vater ein Architekturbüro hatte. Damals wurde im Osten kräftig neu gebaut. Baumeister prophezeite baldige Zersiedlung und Überproduktion, doch das mochte in Hoyerswerda keiner hören. Als eintraf, wovor sie gewarnt hatte, verlegte man sich aufs Sanieren. Baumeister warnte jetzt vor Entvölkerung und massivem Plattenbau-Leerstand. Auch damit galt sie als Stimmungskiller.

44 Tage Superumbau

Aber bald rollten die ersten Abrissbagger. Und sie demontierten ziemlich willkürlich: nicht am Rand, sondern ausgerechnet in der Mitte der Neustadt, in der relativ günstigsten Lage. Baumeister bemerkte das Ziel- und Planlose: Hoyerswerda konnte kaum definieren, was weg sollte – und schon gar nicht, wo es hin wollte. „Aber das ist doch eine Planungsaufgabe! Eine viel schwierigere als Wachstum.“ Sie suchte nach Wegen, mit dem Abriss strategisch und produktiv umzugehen. Als Erstes initiierte sie 2003 mit Dutzenden Künstlern das Projekt mit dem offensiven Titel „Superumbau“.

Die 44-Tage-Aktion begleitete den Abriss eines typischen Fünfgeschossers und endete mit der Übergabe eines frisch gesäten Rasens. Künstler dokumentierten die Demontage, Theaterleute wie Christoph Schlingensief studierten mit Nachbarn Stücke aus der Aufbauzeit Hoyerswerdas ein. In einem stillgelegten Kindergarten liefen Filme, Foren und eine Ausstellung mit Planungsmodellen und Tagebüchern von Baubrigaden. Doch in der Stadt kam das zunächst nicht gut an. „Viele Leute hier fanden es peinlich, dass wir ausgerechnet mit diesem Thema überall auf Hoyerswerda aufmerksam machen.“

Aber durch „Superumbau“ merkten viele auch, was sie an Dorit Baumeister haben. „Es gibt vermutlich niemanden, der mehr für das Image der Stadt getan hat als Dorit Baumeister“, schrieb das Hamburger Magazin „Brandeins“. Auch als der 50. Gründungstag der Neustadt anstand, hatte sie den erquickendsten Beitrag. In der Aktion „Hier bin ich geboren“ sammelte sie Ideen und Meinungen von hundert Kindern und Jugendlichen – Objekte, Fotos, Gedichte, Videos und Hörinstallationen.

Ein Katalog mit der Leitfarbe Orange bewahrt alles auf. Im selben Ton ist die 2007 gebaute Orange Box gehalten: ein Würfelbau an der Nahtstelle von Neu- und Altstadt, von Firmen und Freiberuflern mit Geld und Arbeit gesponsert und ansonsten von der Stadt bezahlt. Drinnen ist er bisher leer, und perfekt-fertig soll er auch nie werden. „Das Ding soll Werkstattcharakter haben und alle zusammenbringen, die sich mit dem Thema bei uns beschäftigen.“ Kleine Versammlungen soll es geben, Ausstellungen, Gespräche, Feste. Allein dass die neue Box da steht, soll Hoffnungszeichen sein.

„Es gibt hier zwar mehr als genug leere Räume. Aber wir haben bewusst gesagt, wir leisten uns einen Neubau.“

Themen rund um den Stadtabriss gibt es reichlich. Nach welcher Strategie entfernt man Wohnhäuser und ­Infrastruktur, wie begleitet man den Rück- und Umzug der Bewohner – auch sozial und seelisch? Was macht man mit den Altenheimen, die damals in guter Absicht ausgerechnet hinten am Waldrand gebaut wurden? Überhaupt: Was wird aus den vielen leeren Häusern? Dorit Baumeister sieht da das nächste brisante Thema: „2009 läuft das Bundesprogramm Stadtumbau Ost aus. Wer finanziert dann den Abriss? Die Hauseigentümer jedenfalls nicht.“ Die Konsequenz spricht außer ihr noch kaum jemand aus: „Oft kann man wohl nur einen hohen Zaun drumziehen und warten, bis zwischen den Häusern wieder ein Kiefernwald steht.“ Klingt gruselig, aber auch diese Prophe­zeiung dürfte eintreffen.

Vision statt Depression

Aber noch lieber denkt Dorit Baumeister konstruktiv weiter. „Wenn es noch Geld gibt, ist das sowieso dort besser investiert, wo noch Menschen wohnen.“ Mitten im Abriss entwickelt sie eine Vision für die Stadt.

Gar nicht weit von Hoyerswerda liegen große, rationell arbeitende Betriebe – das BASF-Werk in Schwarzheide, das gigantische Kraftwerk Schwarze Pumpe, die Chip- und Biotechfabriken von Dresden. Da die Jungen und Qualifizierten massenhaft aus der Region abgewandert sind, suchen sie alle inzwischen händeringend nach Fachkräften. „Warum nicht Hoyerswerda als Wohnstandort profilieren?“, fragt Baumeister. „Man lebt hier günstig, hat viel Grün und findet ein erstaunliches Angebot an Kultur und Bildung. Ein Alleinstellungsmerkmal.“ Hoyerswerda wird zwar nie so begehrt sein, dass die Neustadt wieder voll wird. „Aber wir dürfen nicht in den Abgrund gucken, sondern wir brauchen Ziele und Perspektiven. Orange ist schon richtig.“

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