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[ Sicherheit als Architekturthema ]

Angst vor der Sicherheit

Schutz und Sicherheit sind eher unbeliebte Themen bei Architekten und Planern. Dabei wäre hier viel zu tun.

Angstsymbol Kamera: Was ist gefährlicher – Überwachung oder unsichere Räume?

Roland Stimpel
Das Bergen, Schützen und Behüten sind die Urmotive der Architektur, alle anderen kamen später. Für die meisten Architekturkonsumenten sind es auch heute zentrale Anliegen. In einer Umfrage des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung nannten 89 Prozent der Interviewten „Schutz vor Kriminalität“ als ihre wichtigste Anforderung an den Wohnort. Im krassen Widerspruch zum Wunsch der Konsumenten steht die Gleichgültigkeit, oft gar Abneigung der Architekturproduzenten gegenüber Sicherheitsfragen. Das Thema gilt weitgehend als uncool, spießig, gestaltungsfeindlich. Ein Feld mehr, das Architekten überwiegend anderen überlassen – Handwerkern und Elektronikmärkten, Zaun­fabrikanten und Kamerainstallateuren. Danach sehen die auf Sicherheit getrimmten Häuser und Stadträume oft aus.

Beispielhaft für das verbreitete Standesdenken ist ein kürzlich veröffentlichter Text des Berliner Stadtplaners Jürgen Thesing. Er zitiert eine Aufforderung des britischen Innenministeriums an die dortigen Architekten, „Gebäude zu entwerfen, die sicher sind, aber die Menschen nicht davon abhalten, die schönen neuen Orte zu besuchen und sich dort zu vergnügen“. Der Gedanke ist ihm gar nicht recht – seine Maßstäbe sind ganz andere: „Öffentliche Gebäude müssen von außen einsehbar, im Inneren durchschaubar und vor allem für den Bürger frei zugänglich sein.“ Schöne Ziele – aber nicht der Hauch eines Gedankens, wie man sie mit Schutzbedürfnissen übereinbringt. Für die hat Thesing den Begriff „Sicherheitswahn“.

Das Wort kommt auch im Titel eines Buchs der Züricher Architektin Elisabeth Blum vor, das in der Reihe „Bauwelt Fundamente“ erschienen ist: „Schöne neue Stadt. Wie der Sicherheitswahn die urbane Welt diszipliniert“. Es dokumentiert seinerseits Angst – nicht vor Verbrechen, sondern vor Überwachung. Zitate aus dem Buch, alle aus demselben Absatz: „Immer mehr Schritte des Menschen (überhaupt) werden überwacht.“ „Selbst im kleinsten Raum zwischen zwei Menschen werden weitere Augen und Ohren installiert.“ „Zeiten und Orte des Unter-vier-Augen-Redens sind nirgends mehr garantiert; Geheimdienstpraktiken erobern den Alltag.“ „Kein Detail ist unwichtig genug, als dass es nicht wert wäre, unter technischen Zeugen verhandelt zu werden.“

Die Angst vor zu viel Sicherheit hat mit einem bei Architekten verbreiteten Selbstverständnis zu tun: Der Blick ist mutig in die offene, zu gestaltende Zukunft gerichtet. Möglichst unbegrenzt, fließend, transparent und frei gestaltbar soll auch der zu formende Raum sein. Unsicherheit und Ungewissheit sind Chance und nicht Bedrohung. Sicherheitswünsche des Publikums liegen dazu quer. Sie schränken Freiheiten bei Entwurf und Gestaltung ein; sie drohen ganze Entwurfsphilosophien zu vermasseln – ein Auslöser berufsspezifischer Angst.

Wer Sicherheit baut, hat in einschlägigen Debatten schnell den Schwarzen Peter. Ein aktuelles Beispiel gibt das Berliner Projekt „Prenzlauer Gärten“ – 107 Stadthäuser und Wohnungen auf einem früheren Brauereigelände, erschlossen durch eine gemeinschaftliche Sackgasse. Am Anfang aber ist ein Tor, das abends ab neun abgeschlossen wird. Das ist in dieser Gegend nicht ganz unverständlich. Die weiß verputzten Häuser sollen unbesprüht bleiben; Kinderfahrräder und Spielsachen vor der Tür möchte man am nächsten Morgen wiederfinden. Das Szenemagazin „Zitty“ hatte schon unwirsch gegrüßt: „Mit dem Respekt gegenüber anderer Leute Eigentum ist es in dieser Stadt ja bekanntlich nicht weit her. In solchen Momenten werden die Townhouse-Bewohner wohl ein bisschen tapfer sein müssen.“

Eingezäunter Brunnen

In der Tat ist im öffentlichen Raum dieser Gegend Leidensbereitschaft gefragt. Direkt gegenüber dem Quartier steht im Volkspark Friedrichshain der „Märchenbrunnen“ von 1913, entworfen vom damaligen Berliner Stadtbaurat Ludwig Hoffmann. Seit den 90er-Jahren waren die Sandsteinfiguren immer wieder ein bevorzugtes Angriffsziel – mal mit Spraydosen, mal mit Hämmern. Jetzt ist das Denkmal für 1,3 Millionen Euro saniert und umzäunt – nachts ist das Tor zu. Dies vor Augen, planten auch die Entwickler der Prenzlauer Gärten ihr Tor.

Doch schon ehe es da war, brach eine Lawine öffentlicher Kritik über die Siedlung und ihre Planer herein. Kern jedes publizistischen Lawinenbrockens war die „Gated Community“. Der Sündenfall des Sicherheitsstädtebaus schlechthin, eine abgesperrte Privatsiedlung. „Da wurde so getan, als würde den Berlinern eine Straße gestohlen“, erinnert sich der „Prenzlauer Gärten“-Architekt Stephan Höhne. „Als säße den ganzen Tag der Wachschutz vorn und niemand käme ohne Kontrolle hinein.“ Da ist zwar nichts dran. Der Autor dieser Zeilen radelte unkontrolliert durchs offene Tor hinein und ebenso ungehemmt wieder heraus. Aber ungeachtet dieser Offenheit muss das Quartier als Muster-Sündenfall für unerwünschte Verbürgerlichung und Verbarrikadierung am Prenzlauer Berg herhalten. In der hiesigen Atmosphäre wäre es wenig überraschend, wenn als Nächstes der eingezäunte Märchenbrunnen als „Gated Fountain“ ins abwertende Gerede käme.

Die Angstparole, Deutschland und speziell Berlin werde demnächst straßenweise abgeriegelt wie Bagdad, ist nicht ganz neu. 1998 kündigte die „taz“ an: „Wohnsicherheitstrakte auch in Berlin im Kommen“. 2001 meldete die „Frankfurter Rundschau“ Vollzug: „Auch Berlin hat seine ‚Gated Communitys‘ “. Im Text kamen aber nur Apartmenthäuser mit Pförtnern und ein Straßenblock mit Park im Inneren vor, zu dem die Tore nachts abgeschlossen werden. Auf eine richtige Gated Community, ein Quartier mit bewachten, abgeriegelten Straßen, warten Berlins Stadtapokalyptiker heute immer noch. Zwar gibt es die Potsdamer Siedlung „Arkadia“, aber das ist eine Gruppe von Vorstadtvillen, nicht geschlossener als jedes andere Eigenheimgebiet auch.

Das Gated-Community-Thema wird gern mit einem zweiten gemischt: „New Urbanism zwischen Agoraphobie und künstlichem Paradies“ heißt ein Aufsatz des Wiener Architekturtheoretikers Michael Zinganel. Unterzeile: „Auf dem Weg zur Gated Community.“ Da ist es völlig egal, dass der Ansatz des New Urbanism ein ganz anderer, klassischer ist: Sicherheit nicht durch Zäune, sondern durch soziale Kontrolle im öffentlichen Raum, der aus klar strukturierten Straßen und Plätzen besteht. Der Mainzer Geograf Georg Glasze analysierte die Entstehung von Gated Communitys weltweit – was für ihn einen Boom in Europa „als unwahrscheinlich erscheinen“ lässt. Sie seien ein typisches Phänomen rasch wachsender Metropolen vom Typ Johannesburg oder San­tiago de Chile. Dort lebt zum Beispiel Margot Honecker in der umzäunten „Comunidad Andalue“. Vorher hatte sie 30 Jahre im Gated Communism von Wandlitz verbracht.

Fürs heutige Mitteleuropa sieht Georg Glasze auch einen Faktor, der die Neigung zum Abschließen verstärkt: ein Anwachsen sozialer und materieller Unsicherheit und ein entsprechendes Anwachsen von Angst. Damit das nicht zum anti-urbanen Festungsbau führt, ist ein Gleichgewicht zwischen Offenheit und Sicherheit gefragt. Die Oldenburger Stadtforscher Walter Siebel und Jan Wehrheim schreiben: „Sowohl ein Zuviel an Überwachung als auch ein Zuwenig an Sicherheit scheinen den Öffentlichkeitscharakter europäischer und US-amerikanischer Großstädte zu unterminieren.“

Auch bei den Freunden der Zäune, Bewegungsmelder und Kameras gibt es ja einige Hysterie. Die von Bürgern gefühlte Unsicherheit ist viel stärker als die tatsächliche. Umfragen und Kriminalstatistiken klaffen auseinander. Siebel und Wehrheim erklären das unter anderem mit der Alterung der Gesellschaft, mit dem Schwund sozialer Sicherheit, mit wachsendem Alarmismus in den Massenmedien und mit der wirklichen, nicht nur gefühlten Zunahme von Schmutz und Vandalismus. Die beiden Stadtforscher warnen: „Solche symbolischen Verletzungen der öffentlichen Ordnung können als Signale interpretiert werden für eine gefährliche Lockerung der Selbstkontrollen einer zivilisierten, urbanen Lebensweise.“

Verzerrte Perspektiven: Kriminalstatistiken zeigen, dass die von Bürgern gefühlte Unsicherheit viel stärker als die tatsächliche ist.

Gefühlter Angstraum

Unsicherheit hemmt, macht unfrei, beeinträchtigt das Sozialleben und schafft unnötige Barrieren. Also muss man sie ernst nehmen und abbauen. Da wiederum ist mit architektonischen und planerischen Mitteln eine Menge zu machen. „Angsträume“ heißt das Stichwort: Orte, die das hässliche, für die Stadtgesellschaft tückische Gefühl von Unsicherheit schaffen. In früheren Zeiten waren das meist dunkle Gassen der alten Stadt, heute sind es vor allem die diffusen Zwischenräume und die technokratischen Erschließungen des aufgelockerten Nachkriegsstädtebaus, selbst in den besten Quartieren. So erscheint zum Beispiel Berlins Hansaviertel, obwohl objektiv nicht unsicher, vielen Besuchern und Bewohnern als schwer zu erfassender, bedrohlich unüberblickbarer, diffuser Nichtraum.

Wer als Architekt, Stadt- oder Landschaftsplaner an Unterführungen, dunklen Pfaden und uneinsehbaren Wegen ansetzt, erntet wenig gestalterischen Ruhm, aber umso mehr Ehre für die Steigerung der Lebensqualität im Quartier. Etwa der Kieler Stadtplaner Wulf Dau-Schmidt, der in Problemvierteln schleswig-holsteinischer Städte arbeitet und im Landesinnenministerium eine Arbeitsgruppe zur „Prävention in Stadtteilen“ geleitet hat. Als freiberuflicher Stadtteilmanager kümmert sich Dau-Schmidt in Flensburg oder Elmshorn um angstmindernde Sozialbausanierungen, die Standorte kleiner Polizeiwachen, gefälligere Müllplätze und leicht überquerbare Straßen.

Oder Johanna Spalink-Sievers, Landschaftsarchitektin aus Hannover. Im Bremer Hochhausviertel Tenever mit seinen versteckten Hauseingängen, überwucherten Wegen und Tiefgaragendecks und schlecht einzusehenden Spielplätzen gewann sie den freiraumplanerischen Wettbewerb für die Neugestaltung: Ein zentraler Grünzug mit Rad- und Fußweg und begleitenden Spielangeboten verbindet alle wichtigen Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten, Spielplätze und das Einkaufszentrum. Es entstehen helle, freundliche, gut nutzbare und gepflegte Bereiche für Jung und Alt.

In Göttingen-Grone machte Spalink-Sievers aus einem 20 000 Quadratmeter großen, un­übersichtlich überwucherten Grünraum und einem halb zerstörten Bolzplatz einen offenen „Spielpark“ für alle Generationen, in dem jetzt auch Jugendprojekte ihre Kundschaft für organisierte Angebote wie Inlineskate und Hockey finden – ein weiterer indirekter Gewinn an empfundener Sicherheit. Grone hatte lange als für Göttinger Verhältnisse gefährliches Quartier gegolten. Objektiv hatte das nie gestimmt; es gab hier sogar weniger Kriminalität als anderswo in der Stadt. Unübersichtlichkeit und äußere Verwahrlosung in dem 60er- und 70er-Jahre-Quartier hatten aber anderes signalisiert. Grone ist Teil einer Wanderausstellung der Architektenkammer Niedersachsen zum Thema „Geplante Sicherheit – besser mit Architekten“. Kammerpräsident Wolfgang Schneider beklagt, dass das Thema bisher „ein Schattendasein innerhalb des Berufsstands fristet“. Um das zu ändern, ist die Kammer seit 2005 an der „Sicherheitspartnerschaft im Städtebau in Niedersachsen“ beteiligt, die sich für die Gestaltung öffentlicher Räume, für Nutzungsmischung und für funktionierende Nachbarschaften engagiert. Weitere Mitglieder sind Behörden, Eigentümer- und Mieterverbände, Bildungseinrichtungen und die Landschafts-  und Stadtplanerverbände BDLA und SRL.

Auch anderswo gibt es Architekten, die dem Thema nicht aus­weichen. Sechs Büros in und um Bielefeld sind zum Beispiel an der regionalen „Schutzgemeinschaft sicheres Haus“ beteiligt. „Das ist bei ­privaten wie gewerblichen Bauherren ein immer wichtigeres Thema“, ­berichtet Volker Weege vom Büro Feist und Weege in Schloss Holte-­Stuckenbrock. „Wir klopfen das bei jeder Beratung ab und die Reaktion ist immer wieder stark.“ Weege hat sich „inzwischen in das Thema stark reingefuchst“. Über die Schutzgemeinschaft hat er Kurse und Seminare bei Fachfirmen und der Polizei besucht und dort – man muss seine ­Gegner kennen – sogar selbst etwas über die Grundzüge des Einbrechens gelernt.

Inzwischen integriert er Sicherheitsthemen in den gesamten Planungsprozess. „Das fängt bei der Planung von Baugebieten an – Hecken, Beleuchtung und so weiter. Bei Einzelgebäuden kommt es darauf an, Sicherheit von Anfang an mitzuplanen. Das ist wirksamer und viel preisgünstiger, als sie erst am Ende noch draufzusetzen.“ Know-how und Referenzen bringen ihm immer mehr einschlägige Aufträge – zum Beispiel für das Rechenzentrum einer Bank. Eines aber realisiert er nicht: gewollt martialisch wirkende Bauten. „Sicherheit muss sein, aber dezent, sodass die Gebäude einen freundlichen Charakter behalten. Zum Beispiel Gitter vor den Fenstern – so etwas gibt es heute nicht mehr. Keiner will aus seinem Haus ein Fort Knox machen.“

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