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[ Architekten als Designer ]

Ästhetisch und brauchbar

Schirme, Tische, Stühle – architekturnahe Produkte lassen Planer gern zu Designern werden.

Michael Schmid

Was bringt einen Architekten dazu, statt Häusern Möbel oder Produkte zu entwerfen? „Universelles Interesse“, antwortet Till Behrens, Architekturprofessor und Erfinder des „Kreuzschwinger“-Stuhls. „Und die Besessenheit, eine bessere Welt zu schaffen.“ So formuliert es einer, dem es vor fünfzig Jahren gelang, mit der Konstruktion des nach vorne und hinten schwingenden Stahlrohrstuhls die Welt des Sitzens zu bereichern. Auch heute begeben sich junge Architekten auf das Feld des Produktdesigns.

Und erzielen so manchen kommerziellen Erfolg. Ihnen gemeinsam ist die Tatsache, dass ihre Entwürfe das erfüllen, was Till Behrens „ästhetische Brauchbarkeit“ nennt: formale Qualität, die aus Reduktion entsteht – auf das funktional Neue, das konstruktiv Notwendige und das produk tionstechnisch Sinnvolle.

Schirmherren: Der Reflexions- und Akustikschirm S1 brachte die Düsseldorfer Architekten von Structurelab (von links: Jürgen Gendriesch, Jürgen Schubert, Alaxander Prang) gut ins Geschäft.

Der Schirm

„Was kann jeder von uns, womit können wir Geld verdienen?“ Das fragten sich die Düsseldorfer Architekten Alexander Prang, Jürgen Schubert und Jürgen Gendriesch, als sie 2002 das Büro Ingenhoven, Overdieck und Partner verließen und sich selbstständig machten. Bauaufträge gab es keine, dafür aber eine Menge Ideen.

Ideen, die mit leichten, technisch durchdachten und meist textilen Konstruktionen zu tun hatten. Weswegen sie sich Structurelab nannten. In einem ihrer Experimente kombinierten sie die Eleganz und Flächigkeit eines Sonnensegels mit der Flexibilität eines Schirms. Daraus entstand der Reflexions- und Akustikschirm S1, dessen Klappgestänge nicht unter-, sondern oberhalb der Bespannung zu finden ist. Zwei Jahre dauerte die Entwicklung, bis die „doppelsinnig gekrümmten“ Segelflächen belastbar stabilisiert waren. Und wieder zwei Jahre später waren ein „red dot award“ und ein if-Preis gewonnen, zwei international anerkannte Designauszeichnungen. 2007 folgte noch eine Nominierung zum Designpreis der Bundesrepublik Deutschland. Und der Absatz zog an.

Was macht den Erfolg aus? „Idee, Gebrauchswert und Konstruktion“, meint Prang. Dafür sind bei Structurelab unterschiedliche Talente versammelt: Schubert ist für die Geis tesblitze zuständig. Für Produkte, aber auch in der Architektur, liefert er meist die erste Idee. Gendriesch, der nicht nur Architekt, sondern auch Physiker ist, übernimmt den Part des Ingenieurs. Ihm obliegen die Machbarkeitsprüfung und die statische Seite der Projekte. Und Prang ist für die Ausarbeitung der Ideen, inzwischen auch für Marketing und Vertrieb des Büros verantwortlich.

Besonders Gendrieschs Fähigkeiten veranlassten sie, sich mit Optimierungsstudien für Generalunternehmer ein drittes Standbein aufzubauen. Realisiert wurde zwar noch keine, trotz möglicher Millioneneinsparungen in einigen Fällen. Aber die Kontakte führten zur Teilnahme an einem Einladungswettbewerb um ein Bürohochhaus auf dem Stuttgarter Pragsattel, den sie jetzt gewonnen haben.

„Wir wollten von Anfang an nicht unter einer bestimmten Projektgröße arbeiten“, gibt Prang zu. Was mit ein Grund ist, warum ihre Architektur mit Anlaufschwierigkei-ten zu kämpfen hatte. Der Erfolgsgeschichte des Schirms S1 jedenfalls hat das gutgetan – zusammen mit einer Freiheit von Berührungsängsten: „Wir besitzen eine klassische Architektenausbildung und wussten nicht einmal, wie man eine Auftragsbestätigung schreibt“, erinnert sich Prang an die Anfänge. Der Kauf eines Marketinghandbuchs war der erste Schritt, offensives Akquirieren mit Durststrecken und Rückschlägen der nächste.

Heute sind sie in der Lage, vom Entwurf bis hin zu Marketing und Vertrieb alle Prozesse selbst zu steuern. „Für uns schließt sich ein Kreis“, überlegt Prang. „Den Perfektionsgedanken der Architektur und unsere Vorliebe für leichte Konstruktionen trugen wir in unsere Objektideen. Und von den im Zuge der Produktvermarktung erlernten Fähigkeiten profitiert jetzt un sere Architektur.“

Dreierkombination: Zwei Sessel und ein Tisch ergeben eine Liege. Für ahoch4 Architekten aus Falkenstein/Zwickau (von links: Stephanie Grimm, Jens Knobloch, André Leischner) eine Auftragsarbeit.

Die Liege

Diesen Schritt haben die Architekten von ahoch4 noch vor sich. Seit 2004 führen André Leischner, Jens Knobloch und Stephanie Grimm ihr Büro in Falkenstein bei Zwickau. Mit Objektdesign hatten sie bereits an der Fachhochschule Zwickau zu tun. „Es gehörte im Studium zum Pflichtprogramm“, berichtet André Leischner. In Kurzprojekten wurde binnen zwei Tagen ein Möbel oder ein anderes Objekt entworfen. Über daraus entstandene Studienkontakte wurden sie 2005 angesprochen, den Ständer für ein Apple-Notebook zu entwerfen. „Der Kunde wollte einen Architektenstil.“ Was muss das Objekt können, in welcher Umgebung wird es eingesetzt? „Aus der Frage nach der Funktion ergab sich die Form“, sagt Leischner. Und diese überzeugte.

Als Architekten sind sie mit Sanierung, Um- und Ausbauten beschäftigt. Auch gelingen Wettbewerbsteilnahmen, wie jüngst mit der Ankauf-Prämierung im Xella-Realisierungswettbewerb „Zurück in die Stadt“. Generell akquieren sie durch direkte Ansprache und Pflege des Netzwerks, beides probate Mittel in ihrer Region. Davon profitiert auch das Objektdesign. Vor Kurzem bat eine Dresdner Agentur um den Entwurf eines Möbels, auf dem Models für die Vermittlungskartei fotografiert werden können.

„Wir experimentierten mit der Form eines überdimensionalen Blatts“, sagt Leischner. Zum einen sollte es skulpturalen Charakter haben und in das Ambiente der Agentur passen, zum anderen unterschiedliche Funktionen in sich vereinen. „Fotografiert wird nicht dauernd“, bemerkt Leischner, und damit das Möbel nicht nutzlos dasteht, konzipierten sie es dreigliedrig: Seine Teile funktionieren als zwei Sessel und ein Tisch, zusammengeschoben ergeben sie das Fotomöbel. Auf Basis eines Tonmodells entstand aus Styropor, glasfaserarmiertem Kunstharz und schwarzem Lack ein ebenso leichter wie stabiler Prototyp. Jetzt wird produziert.

„Unser Designbereich soll Bestand haben“, blickt Leischner in die Zukunft. Weitere Projekte sind im Entstehen, wie etwa ein Möbelsystem aus geschlitzten Brettern oder Sideboards im Bauhausstil. „Wir verstehen Architektur gesamtheitlich. Das heißt, wir wollen bei Bedarf auch passende Einrichtungsobjekte liefern können.“ Das muss jetzt breiter bekannt werden. Marketing steht an da passt es, dass das Büro auch im Bereich Werbegrafik tätig ist.

Start-up: Erst das Einzelstück, dann der Großauftrag – mit der Schreibtischkombination Kinzo Air hatte das Berliner Büro Kinzo architecture (von links: Martin Jacobs, Karim El-Ishmawi, Christopher Middleton) quasi über Nacht Erfolg.

Der Schreibtisch

Auf einen ausgeprägten Stil, eine individuelle Handschrift als Erfolgsrezept pocht Karim El-Ishmawi, Kreativdirektor im Berliner Büro Kinzo architecture. „Wir neigen zu dynamischer Linienführung, zu Schrägen und futuristischen Elementen“, eine Formensprache, mit der sie sich bei Innenausbauten einen Namen machten. Doch dass diese sie quasi über Nacht auch zu preiswürdigen Möbeldesignern werden ließ, hätte er nicht erwartet. Mit Kinzo Air, einer Schreibtischkombination, haben er und seine Kompagnons Christopher Middleton und Martin Jacobs in diesem Jahr einen „red dot“ gewonnen und sind jetzt ebenfalls für den Designpreis der Bundesrepublik Deutschland nominiert.

Dabei war die Motivation, die Möbel zu entwerfen, erstmal eine rein architektonische. „Sie entsprang dem Wunsch nach Stimmigkeit“, erinnert sich El-Ishmawi an den Bürogeschossausbau für eine Tochtergesellschaft des Axel-Springer-Verlags im letzten Jahr. „Den Gesamteindruck eines Raums prägen Tische oder Regale doch so dominierend, dass man sich als Architekt geradezu darum kümmern muss.“ Einem Einzelbüro fehlte ein Schreibtisch. Und weil der Markt aus ihrer Sicht kein geeignetes Produkt hergab, entwarfen und bauten sie ihn selbst.

Der Doppelschreibtisch Kinzo Air entspricht dem Stil des Büros: Dynamik durch schräge und gekippte Flächen. Eine scheinbar schwebende Tischplatte, die eine Schattenfuge mit konisch zulaufenden Stahlkufen verbindet. Ergänzend entstand ein Einzelschreibtisch, dessen Seitenteile origamiähnlich gefaltet sind und so die Kombination zu einer Dreiergruppe erlauben. Welche funktionalen Anforderungen der Tisch erfüllen musste, hatte El-Ishmawi vorher in anderen Redaktionsräumen des Verlags untersucht.

Die Einzelstücke begeisterten Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner derart, dass er Kinzo mit einem Designkonzept für die Räume der neuen „Bild“-Redaktion in Berlin beauftragte. Der Damm war gebrochen.

2003 hatte sich Kinzo mit Fokus auf Innenausbau, Marken- und Eventdesign gegründet. „Schon nach dem Studium beschäftigten wir uns mit Interieurs, da wir uns nicht in Wettbewerben aufreiben wollten“, meint El-Ishmawi. Zudem versteht sich Kinzo als „multidisziplinäre Marke“. So machen sie auch Filme – „die szenografische Denke ähnelt der der Architektur“ – oder gestalten Bühnenbilder. „Wir suchen die Horizonterweiterung, indem wir Schnittstellen zur Architektur nutzen“, sagt El-Ishmawi.

Jetzt also Möbeldesign. „Wir hatten Glück, dass uns der Bauherr die Freiheit gab, über den Schreibtisch nachzudenken“, blickt El-Ishmawi zurück. Was aus seiner Sicht auch unerlässlich ist: „Objektdesign macht nur Sinn, wenn man die Möglichkeit hat, eine gute Idee bis ins Detail auszuarbeiten.“ Darin liegt für ihn der Unterschied, der architektonisches Gestalten gegenüber rein formalem Design letztendlich auszeichnet. Deshalb hofft er: „Es täte der Produktlandschaft gut, wenn Objekte generell komplett und nicht nur kompositorisch betrachtet würden.“

Was im Sinne Till Behrens’ die (Produkt-) Welt sicherlich ein Stück besser machen würde.

Insgesamt 101 Mal wurde der Kreuzschwinger-Stuhl in den vergangenen 20 Jahren kopiert.

Geistiges Eigentum

Objekte zu entwerfen, ist das eine. Damit kommerziellen Erfolg zu haben, das andere. Das Dritte ist dann, seinen Tisch oder Stuhl plötzlich im Sortiment eines anderen wiederzuentdecken, mit leichten Veränderungen zwar, aber doch unverkennbar – ein Plagiat. Und das trotz aller Patente und Schutzrechte. Jetzt beginnt der Gang vor die Gerichte, der meist nur mit erheblichem Aufwand und nur mit Glück in einem einigermaßen erträglichen Zeitraum gewonnen werden kann. Damit man bald, nach einer gewissen Karenzzeit, vor einer Variante des Plagiats steht …

Der Architekt Till Behrens kann ein Lied davon singen. Insgesamt 101 Mal wurde sein Kreuzschwinger-Stuhl in den letzten 20 Jahren kopiert. Mal besser, mal schlechter, und manchmal sogar mehrmals hintereinander von demselben Hersteller. In Deutschland genauso wie im Ausland. Für besonders frechen geistigen Diebstahl verleiht die Aktion Plagiarius seit 1977 den Negativpreis „Plagia rius“ – sieben Mal haben ihn seit 1990 Kreuzschwinger-Nachahmungen erhalten, drei Mal in der Sonderform ­„Wiederholungstäter“. Mehr als 20 Prozesse und elf Unterlassungserklärungsverfahren begleiteten Till Behrens in dieser Zeit.

Erst als 2000 das Oberlandesgericht Frankfurt/M. ihm in einem Berufungsverfahren den in der Produktgeschichte seltenen und weitreichenden Urheberrechtsschutz „Angewandte Kunst“ und zusätzlichen Teil elementeschutz zusprach, kehrte relative Ruhe ein.

Den außergewöhnlichen Vorgang dokumentiert die Aktion Plagiarius jetzt mit dem Buch „Kreuzschwinger – Dynamisches Sitzen“. In seinem juris­tischen Teil rekapituliert es den Plagiatskrimi und verdeutlicht die Dreistigkeit der Nachahmer des Kreuzschwingers. Was den Stuhl so bedeutend und deshalb für Produkt piraten so verlockend machte, beschreiben elf weitere Beiträge aus ergonomischer, medizinischer, kulturhistorischer und technischer Sicht.

Aktion Plagiarius (Herausgeber)
Kreuzschwinger – Dynamisches Sitzen
Gebr. Mann Verlag, Berlin 2008
29,90 Euro, 176 Seiten

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