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[ 1930er – Brahms Kontor ]

Gediegener Wandel

Hamburgs Brahms Kontor zeigt die Faszination eines mehrfach umgestalteten Bürobaus.

Hamburgs Brahms Kontor im Luft-Rendering.
Hamburgs Brahms Kontor im Luft-Rendering.

Claas Gefroi
Die Veränderung von Bauten durch modernisierte oder gleich ganz neu installierte Fassaden und Inneneinrichtungen gilt als Zug unserer schnelllebigen, ahistorischen Zeit. Wie falsch diese Einschätzung ist, zeigt die Geschichte des Hamburger Bürohauses mit dem heutigen Namen Brahms Kontor. Es entstand 1904 für den Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband (DHV). Dieser hatte eine radikal nationalistische, antisozialistischex und antisemitische Gesinnung. Er entwickelte sich in der Weimarer Republik zur größten deutschen Angestelltengewerkschaft mit über 400 000 Mitgliedern.

Die Vereinigung ließ sich den eigenen Machtanspruch und die konservative Grundhaltung von den Architekten Werner Lundt und Georg Kallmorgen in Stein hauen: Die DHV-Zentrale von 1904 in bester Lage am Holstenwall war ein eigenartiger Hybrid aus modernem Kontorhaus-Inneren und „deplatzierter Ritterburg mit Flügelbauten, Zinnen, Wehrtürmen und schweren Portalen“, wie Ulrich Höhns 1992 schrieb. Bald schon platzte das Gebäude aus allen Nähten. Die jungen Architekten Ferdinand Sckopp und Wilhelm Vortmann modernisierten und erhöhten den Ursprungsbau zwischen 1919 und 1921 radikal. Die nicht einmal zwanzig Jahre alte neuromanische Fassade wurde durch reduzierte, monumentale, von kräftigen Stützen gegliederte Klinkerwände ersetzt. Es hatte schon etwas von einem Exempel, wie hier das neue Bauen die Gespenster einer vermeintlich reaktionären Architekturauffassung austrieb.

Der modernisierte Innenhof des Kontors.

Nazi-Lob für „entartete“ Baukunst

Mitte der Zwanzigerjahre wurden dann Pläne für eine großmaßstäbliche Erweiterung gefasst. 1931 war der riesige Gebäudekomplex fertiggestellt – inklusive eines 16-geschossigen Hochhauses, einer der ersten Stahlskelettbauten Deutschlands. Die stützenfreien Innenräume konnten frei eingeteilt werden und ermöglichten eine bis dahin unbekannte Grundriss- und Nutzungsvielfalt. Freilich führte die Lastabtragung über die Pfeiler in der Fassade zu starker Wuchtigkeit und Monumentalität. Sie und weitere Details, wie die kräftigen gemauerten Pilaster oder Arkadenpfeiler, waren wohl auch der Grund, weshalb etwa der NS-Chefideologe Alfred Rosenberg das moderne Bauwerk als Beispiel für eine „echte Baukunst der Zukunft“ lobte. Er muss das Innere übersehen haben: Foyer und Treppenhäuser sind wunderbare Beispiele für eine norddeutsche Variante des Art déco, der bei den Nazis als „entartet“ galt.

Späte Entdeckung eines Denkmals

Nach dem Zweiten Weltkrieg verbauten wechselnde Nutzer das Innere immer mehr, bis kaum noch etwas von der ursprünglichen Gestaltung zu erkennen war. Die Pretiose stand bis 2003 nicht unter Denkmalschutz – eine für Hamburg typische Unterlassungssünde. Anfang der Neunzigerjahre wünschte die seinerzeitige Eigentümerin, die Deutsche Angestellten Gewerkschaft (DAG), eine Modernisierung von Büros und Haustechnik. Der beauftragte Architekt Ernst-Günther Voges überzeugte den Bauherrn, zumindest teilweise die alte Bausubstanz aufzuarbeiten und zu ergänzen. Er förderte Vergessenes zutage und ergänzte behutsam: Prismenleuchten, geätzte Gläser, Keramikplatten an den Wänden, Mosaikdeckenfriese und mehr. Nicht nur Eingangshalle und Treppenhäuser wurden wiederhergestellt, so gut es angesichts neuer Brandschutz- und Nutzungsanforderungen ging, auch in den Büroflächen versuchte Voges eine Synthese aus Altem und Neuem.

Modernisierte Klassik

Zehn Jahre später hatten sich Eigentümer und Umgang mit dem Bau wieder geändert: Die Grundstücksgesellschaft Karl-Muck-Platz GmbH der Gewerkschaft ver.di plante eine erneute, diesmal grundlegende und vollständige Sanierung. Das Konzept lautete „Klassik und Moderne im Einklang“, was zwar architekturhistorisch keinen Sinn ergibt, dennoch einen seltenen Glücksfall darstellt. Wann schon sieht ein Immobilienbesitzer einen solchen komplexen Altbau nicht als Ballast, sondern als Chance – nicht nur zur Wertsteigerung?

Die beauftragten Hamburger Architekten KPW Kleffel Papay Warncke erhielten so die äußerst widersprüchliche und komplizierte Aufgabe, die alte Atmosphäre zu bewahren oder aufwendig wiederherzustellen und zugleich modernste Büroflächen zu planen. Da der Bauherr sich des historischen und gestalterischen Wertes des Gebäudes und seiner Verantwortung im Umgang damit bewusst war, scheute er keine Mühen. Die Büroflächen sollten aber eine größtmögliche Flexibilität erhalten, damit eine Vermietung sowohl im Ganzen als auch etagen- und parzellenweise möglich wird.

Bauzustand und Eigentümerwünsche erforderten größere Modernisierungen: Die Tragstruktur aus Holz im älteren Gebäudeteil reichte nicht aus; die alten Fenster wurden ausgewechselt und im Souterrain, das zur Garage wurde, durch Mauerwerk ersetzt. Zwei zusätzliche Treppenhäuser wurden behutsam integriert. Das bestehende Treppenhaus musste oberhalb der zweiten Etage abgerissen werden, im historischen Teil wurden jedoch das expressive Holzgeländer und das bemerkenswerte Holzschnittwerk wiederhergestellt. Die neue gläserne Hoffassade des historischen Gebäudeteils setzt einen modernen Akzent; für einen Gebäudeteil an einer Hauptverkehrsstraße musste eine Be- und Entlüftungsanlage installiert werden.

Die Sanierung des älteren Teils wurde durch den notwendigen, fast vollständigen Abriss faktisch zu einem Neubauprojekt. Die jüngeren Gebäude am Johannes-Brahms-Platz und am Pilatuspool waren ungleich komplexere Herausforderungen: Ein zusätzlicher Rettungsweg und ein weiterer Eingang waren nötig; das zentrale Treppenhaus wurde auf Barrierefreiheit ausgelegt. Stahl an der Treppenhausfassade des Haupteingangs musste aufwendig entrostet und verstärkt werden. Auch Keramikfliesen mussten an der Hofseite durch Wärmedämmung und Kupferverkleidung ersetzt werden.

Kontorhaus für Konservative

Im Inneren wurde ebenfalls ein immenser Aufwand betrieben: Alte Böden, abgehängte Decken, Sanitärräume, Haustechnik, Trenn- und Flurwände wurden entfernt und durch zeitgemäße Konstruktionen ersetzt, neue Versorgungs- und Fahrstuhlschächte durch das Haus getrieben, Deckendurchbrüche geschaffen. Im Ergebnis entstanden Arbeitsflächen, die denen in Neubauten in nichts nachstehen.

Feiner aufsteigen: bakelit und linoleum auf den stufen, handläufer aus neusilber – im treppenhaus wurde an nichts gespart.

Doch den entscheidenden Unterschied zu modernen  Bürobauten macht die Atmosphäre aus, die erhalten und sogar verstärkt wurde. Wer das auf den Originalzustand zurückgeführte Entree des Haupttreppenhauses betritt, ist hingerissen von dieser kostbar schimmernden Schmuckschatulle. Die wiederhergestellte Decke mit ihren goldenen Mosaikfliesen, der rekonstruierte Fliesenboden, die eleganten halbrunden Säulen, die nach alten Fotos angefertigten Leuchten, die neuen polierten Messingtüren der Aufzüge – zusammen ergeben sie eine einzigartige Mischung aus französischem Art déco, amerikanischer Stromlinie und hamburgischer Gediegenheit.

Das setzt sich im Haupttreppenhaus fort: Mit großer Detailverliebtheit wurden die bunten Ziegelriemchen der Treppenpodeste wiederhergestellt, die mit Bakelit (Setzstufen) und Linoleum (Trittstufe) verkleideten Treppen erneuert, kunstvoll geschwungene Geländer mit Handläufen aus Neusilber aufgearbeitet. Wer hier tätig ist, weiß den Aufwand und die zurückhaltende Eleganz zu schätzen: Nicht die bunte laute Welt der Werbe- und Medienmenschen richtet sich in der Traditionsimmobilie mit ihren 24 000 Quadratmetern Büroflächen ein, sondern Handelsfirmen, Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer.

Claas Gefroi ist Presse- und Öffentlichkeitsreferent der Architektenkammer Hamburg und schreibt freiberuflich.

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