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[ Einfamilienhäuser ]

Heimarbeiten

Eigenheime und ihre Quartiere wirken reizlos. Sie bieten aber Planern und Architekten immense Potenziale.

Das „Haus vom Nikolaus“ genießt europaweit Ansehen. Dieses hier ist von Knut Hjeltnes aus Oslo und steht im norwegischen Rykkinn.

Roland Stimpel

Einfamilienhäuser sind scheinbar ein Randthema: Sie stehen an den Rändern der Städte und Ballungsräume. Sie sind gestalterisch wie städtebaulich am Rand des Erträglichen, wenn nicht jenseits. Architekten stehen bei ihrer Entstehung meist am Rand – wenn sie denn überhaupt noch entstehen: In den vergangenen zwölf Jahren ist der deutsche Wohnungsbau um zwei Drittel eingebrochen; die Eigenheimzulage als wichtigste Subvention existiert nicht mehr. Aber wo viel Rand ist, da ist auch viel Masse. Ein- und Zweifamilienhäuser in Deutschland enthalten 18 Millionen Wohnungen. Das sind zwar nicht ganz so viele wie die 21 Millionen in Mehrfamilienhäusern. In den individuellen Heimen sind die Wohnungen aber deutlich größer, wodurch ihre Gesamtfläche um fast die Hälfte über der aller Mehrfamilienhäuser liegt.

Und in den Eigenheimen konzentrieren sich Familien, dagegen in Geschossbauten Alleinlebende und Paare. Also wohnt eine deutliche Mehrheit der Menschen in Deutschland in Ein- und Zweifamilienhäusern. Noch mehr würden es gern. Ein Viertel aller Mieter träumt vom Eigenheim, ermitteln einschlägige Umfragen, und zwar vor allem Familiengründer, mit Schwerpunkt im Süden und Südwesten. Urbanistisch und raumplanerisch wäre die Realisierung des Traums ein Horror: Ein Viertel der deutschen Mieter sind etwa fünf Millionen Haushalte. Bekämen sie alle eine Durchschnittsparzelle zum Bauen, dann bräuchten sie zusammengenommen nebst Erschließung und Infrastruktur ungefähr die dreifache Fläche Berlins. Und der Leerstand in den Geschossbauten wäre im ganzen Land höher als heute in ostdeutschen Krisenstädten.

Aber das wird nicht passieren. Den meisten Bauwilligen fehlen Geld, Grundstück und berufliche Stabilität. Trotzdem dominieren Eigenheime das, was vom Wohnungsbau noch geblieben ist: In neuen Einfamilienhäusern entstehen Jahr für Jahr doppelt so viele neue Wohnungen wie in Geschossbauten. 2007 waren es in Eigenheimen 124 000 – immer noch so viele, als würde sich jedes Jahr ganz Bonn oder halb Frankfurt neue Häuschen bauen. Und direkte und indirekte Staatshilfe gibt es neuerdings wieder mehr: die Pendlerpauschale und die neuen Riesterverträge für Hausbauer.

Julia Bergmann und Timm Kleyer von kleyer.koblitz.architekten realisierten den Haustyp in Berlin.

Heime weiter gesucht

Der Trend zum Haus mit Garten ist nach wie vor stärker als die viel diskutierte oder auch nur beschworene Renaissance der Innenstädte. Er ist auch nach wie vor stärker als der demografische Wandel. Der ist zwar auch in den Eigenheimsiedlungen angekommen; in manchen leben schon mehr Rentner als Familien. Aber auch wo Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft sinken, entleeren sich solche Siedlungen nicht, anders als ältere Mietshausviertel in schrumpfenden Städten. Auf den lokalen Wohnungsmärkten gehören die Einfamilienhäuser fast immer zu den begehrtesten und im Wert stabilsten Objekten. Zwar verlieren auch ihre Eigentümer in konjunkturellen und regionalen Krisen rechnerisch Vermögen. Aber diese individuellen Verluste werden nur selten zu politisch-sozialen Problemen. Schon deshalb nicht, weil Hauskäufer in Deutschland sich nie so überschulden dürften wie bis vor Kurzem in den USA, England oder Spanien.

Das angebliche Randthema ist auch für Architekten und Innenarchitekten, Stadt- und Landschaftsplaner wichtiger, als es heute oft den Anschein hat. Stadt- und raumplanerisch geht es zunächst darum, den Neubau in halbwegs vernünftige Bahnen zu lenken. Ihn ganz aufzuhalten, wäre zwar ökologisch sinnvoll, würde aber politisch scheitern. Es ginge an den Wünschen vieler Menschen vorbei, würde sie gängeln und zudem eine neue Gerechtigkeitskluft aufreißen: auf der Sonnenseite die glücklichen Älteren, die schon ihr Heim haben, im Schatten die Jüngeren (meist mit Kindern), die kein neues bauen und wegen der Verknappung kein bestehendes bezahlen können. Und nicht zuletzt brächte es gefährlichen Überdruck auf den Mietmärkten.

Es wird also weiterhin neue Einfamilienhausgebiete geben. Die aber können und müssen besser geplant werden als viele bestehende: leichter ohne Auto erreichbar, kompakter, mit mehr Infrastruktur versehen, stärker durchmischt mit anderen Haustypen und Nutzungen und nicht zuletzt städtebaulich anspruchsvoller. Viel größere Aufgaben warten aber in den längst vorhandenen Eigenheimquartieren. Hier sollte möglichst viel von der chronischen Nachfrage nach Einzelhäusern befriedigt werden können, um neue Gebiete aufs unvermeidliche Maß zu beschränken. Dazu müssen die bestehenden qualifiziert werden: als Stadt- und Landschaftsräume, aber auch architektonisch und innenarchitektonisch in und an den einzelnen Gebäuden.

Chinesisch: Kai Dongus entwarf in Ludwigsburg ein „Feng-Shui-Haus“ mit überstandslosem Satteldach.

Drinnen zubauen oder draußen anstückeln?

Wie in den Neubaugebieten geht es um Infrastruktur und Nutzungskonzepte, um besser gestaltete Stadt- und Freiräume, um Ergänzungen und Abrundungen. Ein Kapitel für sich ist dabei die Nachverdichtung. Entweder mit zusätzlichen Bauten auf bisher freien Grundstücken (siehe Münchener Beispiel). Oder mit der Nachverdichtung bereits bebauter Parzellen.

Bei ihr gibt es klassische Zielkonflikte: Werden zum Beispiel die berühmt-berüchtigten Hammergrundstücke abgeteilt und bebaut, verliert die Stadt Grünraum, wenn auch keinen öffentlichen, und die Wohnqualität der Nachbarn sinkt. Andererseits hat das Zubauen Vorteile: Jedes zusätzliche Haus in einem bestehenden Quartier ist eins weniger draußen auf der Wiese. Infrastruktur und Erschließung kosten fast nichts; die Verkehrslast ist geringer, die Kernstadt stärker. Eine vordergründig grünfeindliche Politik ist oft unterm Strich ökologisch und ökonomisch fruchtbarer als ihre Alternative, der Neubau weiter draußen.

Das demonstriert die größte und stillste Nachverdichtung, die es je in Mitteleuropa gab – allerdings ohne bewusste Planungsentscheidung. Sie fand in den letzten 20 Jahren am östlichen Stadtrand Berlins statt, in ausgedehnten Siedlungsgebieten, die vor dem Krieg oder im Sozialismus mit kleinen Häusern bebaut waren, oft nur mit besseren Gartenhütten, manchmal überhaupt nicht. Seit 1990 erlebten diese Quartiere Grundstück für Grundstück einen stillen, doch heftigen Wandel. Zigtausende Eigentümer oder Käufer bauten ein größeres Haus. Wo vorher Provisorien und selbst gemauerte Miniaturhäuser dominiert hatten, entstanden jetzt Eigenheime in nicht bekannter, auf jeden Fall hoch fünfstelliger Zahl. Weit mehr jedenfalls, als zugleich in neu erschlossenen Gebieten hochgezogen wurden.

Das Ganze machte Bauherren und Behörden wenig rechtlichen Aufwand; fast alle Einzelprojekte wurden nach dem Paragrafen 34 des Baugesetzbuchs durchgewunken. Aber es gab darum auch fast keinen planerischen Einfluss. Die öffentliche Gestaltungsmacht beschränkte sich auf Goodwill-Broschüren mit Tipps zum manierlichen Hausbau, die nur begrenzt wirkten. Es entstand jenes kunterbunte Einerlei aus Fertig-, Bauträger- und Selbstbauhäusern, das längst deutschlandweit üblich ist. Aber es gefällt den Bewohnern, die hier kleinbürgerliche Freiheiten genießen. Und auch nach professionellen Maßstäben ist es oft besser als viele der überreglementiert-sterilen Gebiete. Jedoch hat die seit 1989 errungene Wohnfreiheit anderswo Verlierer erzeugt: entleerte Plattenbauten in Marzahn, Hellersdorf oder Hohenschönhausen, oft in Sichtweite der neuen Heime.

In Erfurt, fast im geografischen Zentrum Deutschlands steht der Bau von Helge Bucki aus derselben Stadt.

Ebenfalls in Berlin wurde in jüngster Zeit noch ein anderer Typ entdeckt: das bürgerlich-urbane individuelle Heim, neudeutsch „Townhouse“. Im Westen und Nordwesten Deutschlands gibt es das schon lange, besonders ausgeprägt in Bremen. Aber für andere Regionen ist es neu – hier wohnt das Stadtbürgertum großzügig auf der Etage (heute die Ausnahme) oder draußen im Einfamilienhaus (inzwischen die Regel). Im Reihenhausbau auf innerstädtischen Brachen hat auch Leipzig erste Erfolge. Weitere Städte werden Eigenheimsuchende in ihr Inneres locken.

Schleichen sich so die Vororte ins Zentrum ein? Atmosphärisch vielleicht ein wenig, bei der Bebauungsdichte aber nicht: Stadthausbauer begnügen sich mit viel kleineren Grundstücken und Wohnflächen als in den Vororten. Die Bau- und Bewohnerdichte kann sogar höher sein als in Geschossbauquartieren mit viel Abstandsgrün und Parkplatzödnis.

Als künftiges Arbeitsfeld sind aber die 15 Millionen längst  bestehenden Ein- und Zweifamilienhäuser noch viel wichtiger. Da sind die Bauaufgaben im Einzelnen viel kleiner, aber in ihrer Summe weit bedeutender. Ein Großteil ist in die Jahre gekommen, Grundsanierung und -modernisierung stehen an. Aktuell ist die Energietechnik das beherrschende Thema. Auf längere Sicht dürfte es der Umbau für neue Bedürfnisse sein: für Alte, für das Miteinanderleben von kleineren Haushalten oder mehreren Einzelpersonen, für verschiedenste Formen der Heimarbeit und für tausend andere Lebensstile, die auf herkömmlichen Familiengrundrissen nicht funktionieren. Die „Differenzierung von Wohnmilieus“ ist ein viel diskutiertes Thema unter Haus- und Wohnungsvermarktern. Warum nicht auch unter Architekten?

Aber wie erschließt man dieses Potenzial, wie erzeugt man das Bewusstsein für den Wert von Architektenleistungen? Auch da braucht es neue Wege der Werbung und Vermarktung. Warum nicht einen offenen Energietag im eigenen Büro oder eine Abendveranstaltung im Gemeindezentrum, auf dem man gute und schlechte Methoden der Wärmedämmung vorstellt? (Die guten sind natürlich die professionellen.) Oder eine kleine Ausstellung dazu, vielleicht gemeinsam mit einem Energieversorger, zu deren Eröffnung dann das Lokalblatt dem Architekten Profil gibt? Oder ein Faltblatt mit Planungsalternativen für den altengerechten Umbau von Reihenhäusern, das in einschlägigen Gebieten in alle Briefkästen flattert?

Das Potenzial bei den Einfamilienhäusern ist jedenfalls gewaltig. Würde jeder Eigentümer pro Jahr nur ein Tausendstel seines Hauswerts in architektonischen Verstand investieren, dann wären das hochgerechnet auf alle Eigenheime zwei Milliarden Euro: genug, um die Hälfte der deutschen Architekten zu ernähren. Allerdings keine Entwurfs- oder anderen Spezialisten, sondern nur Allroundberater und -planer, die für ihre Kundschaft individuelle Pakete schnüren, zum Beispiel mit Beratung über Subventionen und Kredite, mit Hilfen beim Finden einer Ersatzwohnung oder auch bei der Auswahl des Treppenlifttyps (oder besserer Alternativen dazu). Einzeln sind das alles kleine, teils banal wirkende Aufgaben. Aber in ihrer Ballung können sie aus dem wichtigsten Haustyp in Deutschland auch architektonisch und für Architekten mehr machen.

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