DABonline | Deutsches Architektenblatt
Menü schließen

Mehr Inhalt

Services

DABonline | Deutsches Architektenblatt
Zurück Solar Decathlon-Wettbewerb

Solarer Zehnkampf

Der Solar Decathlon-Wettbewerb spornt Hochschulteams zu Höchstleistungen bei Energie und Gestaltung an

26.05.20108 Min. Kommentar schreiben

Von Jan Cremers und Sebastian Fiedler

Wie kann Wohnungsbau aussehen, der die Gewinnung von Solarenergie mit hohen gestalterischen Ansprüchen verbindet? Das ist das Thema des internationalen Hochschulwettbewerbs „Solar Decathlon Europe“. Er läuft im Juni in Madrid mit weltweiter Beteiligung; es ist der erste auf unserem Kontinent nach zwei Wettbewerben in den USA. Gefordert sind von den teilnehmenden Studententeams aus aller Welt prototypische, voll funktionsfähige Häuser, die in der Jahresbilanz mehr Energie regenerativ bereitstellen, als sie selbst benötigen. Der Wettbewerb will bei Studenten und in der Öffentlichkeit das Bewusstsein für das Thema und die Markteinführung von innovativen Technologien fördern sowie zeigen, wie Energieeffizienz, Wohnkomfort und architektonische Qualität vereinbar sind.

Besprechung im Studententeam an der Hochschule in Stuttgart (rechts: Prof. Dr. Cremers)

Es geht dabei aber nicht nur um den Energieverbrauch, sondern um einen ausgewachsenen „Zehnkampf“ in einem komplexen, breiten Themenfeld – altgriechisch „Decathlon“ (Disziplinen und Gewichtung siehe Kasten) – solares Bauen wird damit als komplexes Themenfeld großer Breite ernst genommen. Der Wettbewerb hat zwanzig Teilnehmer, darunter vier deutsche Hochschulteams aus Berlin, Rosenheim, Stuttgart und Wuppertal. Alle vier werden aufgrund eines Bundestagsbeschlusses vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie gefördert. Die Häuser aller zwanzig Teams werden im Juni eine Woche lang im Zentrum von Madrid als „Solar Village“ einer breiten Öffentlichkeit präsentiert. Neben den Disziplinen des Zehnkampfs sind auch die Geldbeschaffung, der Transport und die mit neun Tagen äußerst kurze Aufbauzeit große Herausforderungen.

Die Wettbewerbsbedingungen „Rules and Regulations“ sind mit 155 Seiten sehr umfangreich. Eine der wichtigsten Disziplinen ist der Komfort: Die Lufttemperatur muss in einem Bereich von 23 bis 25 Grad Celsius gehalten werden, die relative Luftfeuchte in einem Bereich von 40 bis 55 Prozent. Die Kühlung der Gebäude spielt daher während der Wettbewerbsphase in Madrid eine wichtige Rolle. Sie sollte möglichst keine Primärenergie erfordern, da auch die elektrische Energiebilanz des Gebäudes bewertet wird. Für die Gebäudekühlung sind bisher kaum regenerative Lösungen verfügbar, daher sind innovative Ansätze gefordert. Alle deutschen Teams setzen hier zwar auf reversible Wärmepumpen, allerdings unterscheiden sich die Konzepte im Detail erheblich.

Die vier deutschen Beiträge zeigen: Auch in den eng gesteckten Begrenzungen des Wettbewerbs lassen sich äußerst unterschiedliche Lösungen finden. Bereits die Form der Baukörper zeigt eine große Bandbreite, von einem reduzierten Quader bis hin zu einer Neuinterpretation des klassischen Satteldaches. Auch die eingesetzte Aktivtechnik bietet einen guten Überblick über die derzeit verfügbaren Solarsysteme. Darüber hinaus werden sogar einige neue Ansätze erprobt, wie zum Beispiel die Stuttgarter PVT-Kollektoren.

Sehr bemerkenswert ist auch die große Varianz an unterschiedlichen Team-Zusammensetzungen und -kulturen. Die Stuttgarter Teilnehmer verstehen sich als interdisziplinäres Hochschulteam; dagegen speist sich das Berliner Team aus drei Hochschulen und war von Anfang an eine Studenteninitiative. Aus Brasilien kommt ein Konsortium aus sechs Hochschulen, die mehr als 2000 Kilometer auseinander liegen. Für alle aber gilt das klassische opympische Motto: Man muss nicht Gewinner sein – Dabeisein ist alles.

Mehr zum Wettbewerb: www.sdeurope.org

Außenansicht des Berliner Teams ‘living EQUIA’ – living ecological quality and integration of ambience
Grundriss des Berliner Teams ‘living EQUIA’

Berlin: Traditionell mitteleuropäisch

Das Berliner Team „living Equia“ der Hochschule für Technik und Wirtschaft, der Beuth-Hochschule sowie der Universität der Künste orientiert sich mit seinem architektonischen Konzept an der traditionellen mitteleuropäischen Gebäudetypologie eines Einfamilienhauses, und hat sich aus gestalterischen wie funktionalen Gründen für eine klare Formsprache und die bewährten Prinzipien solaren Bauens entschieden. Aufgebrochen durch zwei Lichtachsen in Nord-Süd und Ost-West Richtung und durch ein um rund 29 Grad geneigtes Satteldach soll das Gebäude eine individuelle Dynamik erhalten. Es wird optimal zur Sonne ausgerichtet. Der Grundriss ist durch die Achsen klar und offen definiert und erlaubt den flexiblen Einsatz des zum Teil selbst entworfenen Mobiliars. Die vorgehängte Fassade besteht aus quadratmetergroßen oberflächig abgeflammten Lärchenholzplatten. Auf dem Süddach des Hauses ist die 4,6-kWp-Aufdach-PV-Anlage integriert, die aus rahmenlosen, quadratischen Modulen besteht. Sie ist rein schwarz und fügt sich so harmonisch in das Gesamtbild des Hauses ein. Zusätzlich ist eine PV-Anlage in den Sonnenschutz integriert, die als Faltladensystem vor den Fenstertüren im Süden und Westen des Hauses angebracht ist. Die Anlage ist gemeinsam mit einer namhaften Firma entwickelt und mit maßgeschneiderten Kunststoffsolarmodulen bestückt.  Die Solarthermie-Kollektoren befinden sich auf der Südfassade des Gebäudes neben den Terrassentüren und wurden ebenfalls passend zum Gebäuderaster gefertigt. www.living-equia.com

Rosenheimer Solar Haus: Rendering Süd-Ost Ansicht des Hauses
Rosenheimer Solar Haus: Grundriss

Rosenheim: Zacken für heißes Klima

Das Team „ikaROS Bavaria“ der Hochschule Rosenheim hat ein Haus entworfen, dass sich besonders für südliche Breiten wie Madrid eignen soll. Leitideen des Energiekonzepts sind eine sehr gute Isolierung, ein Maximum an Luftdichtheit und ein effizienter Sonnenschutz. Mit einem völlig neu entwickelten Fassaden- und Sonnenschutz-Design namens „Zacken-Fassade“ erhält das Gebäude einen individuellen Charakter. Die Gestaltung der Außenhülle soll zu einem Sonnenschutz führen, der sich im Laufe des Tages und im Jahresverlauf verändert. Durch die verschiedenen Positionen der Sonne über den Tag spielt die Fassade mit Licht und Schatten und bekommt dadurch fortlaufend ein anderes Gesicht. Tagsüber dringt durch die Öffnungen zwischen den Zacken Sonnenlicht ins Innere des Gebäudes, wodurch sich ein spannendes Lichtspiel auf den Oberflächen abzeichnet.

Die Südfassade des Gebäudes ist mit einer Dreischeiben-Isolier-, Sonnenschutz- und Schallschutzverglasung (U-Wert = 0,5 Wm²/k, g-Wert = 0,3, RW,R = 40 dB (A)) ausgeführt. In den Mittagsstunden mit den größten solaren Lasten kann der im Boden versenkbare Sonnenschutz vom Boden bis zur Traufe hochgefahren werden. Selbst bei bedecktem Himmel und vollständig geschlossenem Sonnenschutz kann an der ungünstigsten Stelle im Raum noch ein Tageslichtquotient von über einem Prozent erzielt werden. Durch die stufenlose Positionierung des Sonnenschutzes und dem dadurch entstehendem Oberlichtstreifen kann die verfügbare Tageslichtmenge individuell eingestellt werden. www.solar-decathlon.fh-rosenheim.de

Rendering home+ Team HFT Stuttgart
home+ Schnitt und Grundriss

Stuttgart: Kompaktes Volumen und Energieturm

Die Hochschule für Technik Stuttgart bündelt für den Wettbewerb ihre umfassende Kompetenz, indem sie allen einschlägigen Studiengängen wie Architektur, Bauphysik, Konstruktiver Ingenieurbau, Infrastrukturmanagement und Sustainable Energy Competence auch das Institut für Gebäudeenergieforschung (zafh.net) einbringt. Dieses unterstützte schon beim Solar Decathlon 2007 das siegreiche Team Germany der TU Darmstadt bei der Durchführung der energetischen Gebäudesimulation und der Entwicklung eines innovativen Kühlkonzepts.

Ausgangspunkt des Entwurfs ist ein kompaktes und sehr gut gedämmtes Volumen, das in einzelne Module aufgeteilt wird, die mit etwas Abstand zueinander angeordnet werden. Die entstehenden Fugen dienen der Belichtung, der Belüftung, der Vorwärmung im Winter und der passiven Kühlung im Sommer. Eine besondere Rolle spielt dabei der gestalterisch und räumlich prägende „Energieturm“, der im Zusammenspiel von Wind, Verdunstungskälte und thermischem Auftrieb die Belüftung und Kühlung der Zuluft des Gebäudes übernimmt, ohne dabei Strom für den Lufttransport oder die Kühlung zu benötigen. Dabei bedient er sich der Grundprinzipien traditioneller lokaler Vorbilder wie der Windtürme im arabischen Raum und der in Spanien weitverbreiteten Patios.

Im Innenraum erhöhen Phasenwechselmaterialien (PCM) die thermisch wirksame Masse der aus Holz gefertigten Module. Um den niedrigen Restenergiebedarf zu decken, wird die gesamte Gebäudehülle solar aktiviert: Das Dach und die Ost- und Westfassaden werden mit einer zweiten Haut aus neuartigen Photovoltaik-Modulen zur Stromerzeugung versehen. Damit wird das Gebäude zum „Plusenergiehaus“. Die Energiehülle erzeugt tagsüber Strom und stellt zusätzlich nachts Kälte bereit. Dazu wird Wasser aus einem Rückkühlspeicher durch Rohre hinter den PV-Modulen auf dem Dach gepumpt. Durch die Abstrahlung gegen den Nachthimmel kühlen die PV-Module aus und entziehen dem dahinter vorbeifließenden Wasser Wärme. Das so gekühlte Wasser wird zur Regenerierung der PCM-Decke im Gebäudeinneren, zur direkten Kühlung des Fußbodens und zur Rückkühlung einer kleinen neu entwickelten reversiblen Wärmepumpe genutzt, die zur Abdeckung von Spitzenlasten vorgehalten wird. Diese neue Kombination aus PV-Modul und „Kälte-Kollektor“ sind eine Neuentwicklung der Hochschule für den Wettbewerb. Der modulare Aufbau des Gebäudes ermöglicht die Weiterentwicklung zu einem Bausystem. Darüber hinaus kann das Gebäude, insbesondere die Fugen, an das Klima anderer Standorte angepasst werden. www.sdeurope.de

Ein europäisches Haus aus Wuppertal: Solarwand als Pixelgrafik
Ein europäisches Haus: Energieflussdiagramm für den Standort Wuppertal

Wuppertal: Auch geeignet für kühle Orte

Leitidee des Teams der Bergischen Universität Wuppertal ist ein zukunftsfähiges „Europäisches Haus“. Das Gebäude ist nicht ausschließlich für den Sommerwettbewerb in Madrid konzipiert, sondern soll später auch in Wuppertal und anderswo den hohen Ansprüchen gerecht werden. Zwei solaraktive Wandscheiben definieren als Hauptmerkmal des Solarhauses einen funktional offenen Raum. Auf ihnen liegt über eine Länge von rund 13 Metern ein Tragwerk auf, das den Innenraum stützenfrei überspannt und den oberen Gebäudeabschluss sowie einen Dachpatio bildet. Die Fassade kann im unteren Bereich nach West und Ost über Glasschiebeelemente vollständig zum Außenraum geöffnet werden.

Ziel des Energiekonzepts ist eine ausgeglichene Jahresenergiebilanz: Über zwölf Monate soll mindestens so viel Energie bereitgestellt wie verbraucht werden. Über den eigenen Strombedarf hinaus wird je nach Standort ein mehr oder weniger hoher Überschuss an Solarstrom produziert, der mit der Zeit den Herstellungs-Energiebedarf des Gebäudes amortisiert. Realisiert wird dies durch den Einsatz energetisch bester Haushaltsgeräte, durch LED-Beleuchtung und die energetische Optimierung der Gebäudehülle und Gebäudetechnik. Das auffälligste Merkmal neben der Solarstromanlage auf dem Dach und den Solarkollektoren in der Fassade ist die Solarwand. Durch die Kombination von PV-Modulen unterschiedlicher Zelltypen entsteht ein individuelles Bild. www.sdeurope.uni-wuppertal.de

War dieser Artikel hilfreich?

Danke für Ihr Feedback!

Weitere Artikel zu:

Schreibe einen Kommentar

Sie wollen schon gehen?

Bleiben Sie informiert mit dem DABnewsletter und lesen Sie alle zwei Wochen das Wichtigste aus Architektur, Bautechnik und Baurecht.

Wir nutzen die von Ihnen angegebenen Daten sowie Ihre E-Mail Adresse, um Ihnen die von Ihnen ausgewählten Newsletter zuzusenden. Dies setzt Ihre Einwilligung voraus, die wir über eine Bestätigungs-E-Mail noch einmal abfragen. Sie können den Bezug des Newsletters jederzeit unter dem Abmeldelink im Newsletter kostenfrei abbestellen. Nähere Angaben zum Umgang mit Ihren personenbezogenen Daten und zu Ihren Rechten finden Sie hier.