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[ The Squaire ]

Die Mobilitäts-Immobilie

Das Airrail am Frankfurter Flughafen ist Deutschlands größtes privates Bauprojekt. Es liegt im Schnittpunkt aller Verkehrswege, bietet aber auch Ruhe

Statisch- dynamisch: Das 660 Meter lange Gebäude über dem ICE-Bahnhof steht für stabilen Raum und rasche Bewegung.

Von Roland Stimpel

U-Boot? Ufo? Wal? Insekt? Beim Frankfurter Airrail kommen Betrachter immer wieder auf Vergleiche mit etwas, das in der Luft und im Wasser rast, schwimmt oder fliegt. Das liegt zunächst an seiner Form: Das Airrail ist lang gestreckt, stromlinienförmig gerundet und auf 43 stramme Stelzen gesetzt. Es liegt aber auch an seiner Lage und Funktion: Es ist Immobilie und steht für deren Gegenteil, für Hyper-Mobilität. Das Airrail liegt am Frankfurter Flughafen auf dem Dach des ICE-Bahnhofs, der wiederum an den Längsseiten von Schnellstraßen gesäumt ist, die zu Deutschlands größtem Autobahnkreuz führen. Die Airrail-Erbauer vom Bonner Immobilienkonzern IVG werben damit, dass man per Jet, Zug oder Auto von überall her ganz schnell hinkommt – und ganz schnell wieder weg.

Die Form mit aerodynamischen Rundungen und flinken Beinen entspricht dieser Funktion. Das ist aber keine herbeigequälte Symbolik, sondern ergab sich aus dem vom Verkehr dominierten Ort. Die Stelzen mussten sein, weil nur so auf dem schma­len Streifen überhaupt ein Gebäude möglich wurde. Das Überkragen über die Platte entspringt dem Wunsch nach viel Nutzfläche auf begrenztem Grund. Und die Rundform ohne Kanten, Ausbuchtungen oder Aufbauten war eine Anforderung der Radar- und Funktechniker von Europas zweitgrößtem Flughafen.

Dort hatte einst das Hamburger Büro Bothe Richter Teherani (BRT) den 1999 fertiggestellten ICE-Bahnhof entworfen, darüber die 660 Meter lange, an den Schmalseiten gerundete Dachplatte sowie Ideen für den darauf zu errichtenden Bau. Diesem ersten Entwurf sieht das, was jetzt nach und nach realisiert und bezogen wird, recht ähnlich. Es ist aber nicht von Bothe Richter Teherani, sondern von JSK aus Frankfurt. BRT fand das nicht sehr originell; dagegen verweist JSK auf die räumlichen und funktionellen Vorgaben, die für jeden Entwerfer eine derartige Form erzwungen hätten.

Den Zuschlag hatte JSK-Gründer Helmut W. Joos in einem Investoren-Auswahlverfahren im Jahr 2000 erhalten; es ging um die Leistungsphasen 1 bis 5. Im Jahr 2006 begann dann der Bau – aber vier Jahre danach waren noch immer rund 15 JSK-Leute vor Ort, neben rund 1 800 weiteren Bau-, Planungs- und Sicherheitsleuten. Der Bedarf an baubegleitender Planung, an Änderungen, an Entwurfsdetails für Mieter geht so schnell nicht aus. Das Airrail steht nicht nur für Mobilität, sondern auch für eine Komplexität, die sich nach den Worten des JSK-Architekten Michael Felka „gar nicht mehr erhöhen lässt“: Seine 214 000 Quadratmeter nutzen Büromieter und Hotels, 250 Läden und Lokale, Arztpraxen, die Bahn und andere mehr. JSK-Projektleiter Felka ist seit 1998 mit dem Airrail beschäftigt.

Der Bau mit der Länge zweier liegender Eiffeltürme ist in sechs Abschnitte gegliedert, die einerseits einzeln genutzt, real geteilt und verkauft werden können. Andererseits werden sie gemeinsam erschlossen, versorgt und technisch genutzt. Auch IVG-Geschäftsführer Gerhard Hilke erlebt hier „große Ausmaße, logistische Herausforderungen, eine Verschiedenartigkeit von Nutzungen und technischen Elementen wie noch bei keinem Projekt zuvor“. Dabei hat der Bauingenieur Hilke schon viel Großes in Frankfurt gemanagt, von Norman Fosters Commerzbank-Hochhaus über Nicholas Grimshaws Messehalle 3 bis zu Christoph Mäcklers Opernturm.

Im Auge des Taifuns: Links und rechts Schnellstraßen, unten die Eisenbahn, ein paar Meter weiter Startbahnen. ­Alles ist rasch erreichbar, aber nichts davon im Inneren allzu spürbar.

Bei aller Vielfalt drinnen wirkt das Airrail von außen homogen und monolithisch. Auch drinnen gibt es Gliederungs- und Gestaltungselemente, die sich durchs ganze Haus ziehen und nach der Erläuterung Felkas „optisch alles zusammenhalten“: einheitlicher Natursteinboden auf Hauptwegen und -flächen, aufeinander abgestimmte Vorhänge und Beschattungselemente an den Fenstern, die von einer der beiden Längszeilen am Gebäuderand nach innen zu den fünf glasgedeckten Atrien gehen. An diesen Innenfassaden dominieren wie außen Glas und Aluminium, deren Gestaltung Felka als „bewusst zurückhaltend“ beschreibt. Die Konstruktion wird nur an den Streben und Schraubverbindungen sichtbar, die das Dach und die Querbrücken zwischen den beiden lang gestreckten Zeilen tragen.

Sehr rasch dürften aber die Eigenheiten der einzelnen Gebäudeteile über das Verbindende dominieren. Das östlichste Atrium ist das Foyer zweier Hilton-Hotels der Drei- und Fünf­sterneklasse, gestaltet von JOI Design aus Hamburg. Das nächste Atrium ist schon seit 1999 von einem gewölbten Glasdach gedeckt, dient als Empfangshalle der ICE-Station und als Airrail-Zugang zur Fußweg- und Laufbandbrücke, die zum Hauptterminal des Flughafens führt. An den mittleren Atrien findet sich ein Potpourri an Nutzern: unten Läden und Lokale, wie die „360-Grad-Bar“, sowie Empfangszonen von Mietern, in den oberen Etagen vor allem Büros, aber auch Konferenzräume, Service verschiedenster Art und eine Jetset-Klinik namens „Metropolitan Medical Center“. Mit Airport-Englisch strengt man sich hier an. Anstelle von „Airrail“ versuchen Marketingleute neuerdings den in einem Namenslabor gebauten Begriff „Squaire“ zu verbreiten – eine Sprachblase aus „Square“ außen und „Air“ darin.

Im Haus wird es nach Westen hin einheitlicher und nüchterner. Hier richtet gerade die Prüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG ihre Europa-Zentrale auf 30 000 Quadratmetern ein. Sie ist eine prototypische Airrail-Nutzerin, deren hoch bezahlte und stets zeitknappe Angestellten immer wieder zu Kunden und Besprechungen unterwegs sind oder andere Vielreisende empfangen.

So dicht das Airrail mit ferneren Weltteilen verknüpft ist, so isoliert ist es von seiner nächsten Umgebung. Lärm, Abgase und Vibration erforderten Höchststandards bei Schallschutz, Klimatisierung, Lüftung und Dämpfung. Kein Außenfenster und keine Dachscheibe lässt sich öffnen. Ins Airrail kommt man vom Terminal auf Laufbändern, von Bahnsteigen und Parkdecks über Rampen, Rolltreppen und Lifts und später vom geplanten Parkhaus nebenan per Kabinenbahn. Nur zu Fuß von draußen und per Rad geht es nicht.

Drinnen herrscht die Stille im Auge des Verkehrstaifuns. An den Schmal- und Südseiten sieht man stumm auf den Trubel der Jets, Autos und Züge. Der Blick nach Norden führt scheinbar in eine andere Welt: vorn Wald, weit hinten der grüne Taunus, nur an den Horizonten hier und da Hochhäuser von Frankfurt und kleineren Rhein-Main-Städten. Zum Wald soll es immerhin eine Brücke über die hauseigene Erschließungs- und die Schnellstraße geben, gedacht für Jogger aus Hotels und Büros und die Kleinen im geplanten Kindergarten.

Schlankes Schiff: Ein Hafen ist die einizige Fernverkehrs-Infrastruktur, die das Airrail nicht bietet, auch wenn es in der Skizzen-Draufsicht an ein Schiff erinnert.

Ambitionierte Grünpläne hatte es auch für die Atrien gegeben, erdacht von den Hamburger Landschaftsplanern WES & Partner, die hier fast meditative Ruhepole als Kontrast zum Airport-Milieu entwarfen. Den Bauherren waren aber die halbrunden Großbeete und die Rankpflanzen über fünf Geschosse zu dominant und zu raumgreifend: Die Atriums-Flächen sollten disponibel bleiben für wechselnde Aufbauten und für Veranstaltungen. „Man wollte diese Flächen nicht belasten“, sagt IVG-Projektleiter Stephan Lösch. Die Atrien sind als Versammlungsräume für bis zu 2 000 Menschen konzipiert; als erstes Großmeeting fand im September ein Unternehmertag zu „Innovation und Nachhaltigkeit“ sein passendes Milieu.

In puncto Innovationskraft und Nachhaltigkeit bietet das Airrail Visionäres und Konventionelles zugleich: einerseits eine futuristisch-flüchtige Heimstatt der Globalisierungs-Avantgarde, die reisezeitoptimiert lebt. Hier kann der Bau indirekt Energie sparen helfen, da er viele Taxi- und Mietwagenkilometer erspart und direkt über Deutschlands von Zügen meistfrequentiertem ICE-Bahnhof liegt. Selbst unter einem Himmel voller Vulkanasche bliebe das Airrail Europas besterreichbarer Ort. Andererseits funktionieren Isolierung und Klimatisierung ganz konventionell mit viel Einsatz von Energie und Material. Das aber ist kein Hindernis für das angestrebte Green-Building-Zertifkat. An Nachhaltigkeit ist die IVG mehr interessiert als andere Projektentwickler, die ihre Häuser rasch verkaufen: Ein Teil des Bonner Konzerns zieht ins Airrail-Squaire um.

Manche Frankfurter Unternehmen aus Gastronomie, Handel und Bürovermietung mochten sich auf das Airrail lange gar nicht freuen, Verfechter der Urbanität auch nicht: In ihren Augen drohte der Stadt Konkurrenz durch die Airport-City. Aber die Angst dürfte nachlassen. Erstens gewinnt Gesamt-Frankfurt unterm Strich als Wirtschaftsstandort. Zweitens ist der Urbanitätsverlust nicht allzu groß. In der „New Work City“, wie die IVG das Airrail bezeichnet, kann man alles außer wohnen; da raubt es keinem anderen Ort Leben. Und wer künftig durchs Airrail spaziert, gehörte schon bisher kaum zu den Flaneuren am Römerberg und den Kneipengästen im Nordend. Konkurrenz entsteht nur zu Teilen der Stadt, die ohnehin rettungslos steril sind. Und das Airrail bietet private, aber doch teil- und zeitweise stark belebte Fußgängerstraßen und Plätze für die rund 10 000 Menschen, die sich hier tagsüber aufhalten sollen. „Der Außenraum findet innen statt“, sagt Architekt Michael Felka.

Das Airrail bringt wenig Urbanitätsverlust, aber auf der anderen Seite dem Flughafen einen auch sozialen Gewinn. Es ist einerseits eine Lage-optimierte, Zeit-minimierende und Tempo-maximierende Mobilitätsmaschine. Aber zugleich ist es – gemessen an den Terminals – ein Ort relativer Ruhe, des längeren Aufenthalts, der etwas gemächlicheren Kommunikation und des Rückzugs vom Trubel. Inmitten der Raserei dient die Mobilitäts-Immobilie auch als Ruhepunkt.

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