Von Roland Stimpel
Es geht um das Bild des Architekten in der Öffentlichkeit. Bild ist nah dran an Klischee, also will ich Ihnen jetzt einige Klischees präsentieren – in Worten und im Bild. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich schildere Ihnen nicht mein Bild von Architekten. Ich habe das große berufliche Glück, immer wieder neue Architekten kennenzulernen und dabei zu merken, dass kein Klischee zutrifft. Es geht nicht um mein Bild, sondern um verbreitete Bilder bei Menschen, die nicht alle paar Tage weitere Architekten kennenlernen dürfen. Letzte Vorbemerkung: Wenn ich „Architekten“ sage, meine ich den Begriff natürlich geschlechtsübergreifend und meine nicht nur Männer.
Ich fange mit sechs Negativklischees von Architekten an. Das Positive kommt danach.
Negativklischee Nummer 1: Der Weltbaumeister
„Kaum eine Berufsgruppe prägt die Lebenswirklichkeit der Menschen so wie Architekten, Städtebauer und Designer – und sie entwerfen die Welt von morgen“, schrieb der „Spiegel“, und zwar erst vor zwei Jahren. In diesem Bild haben Architekten Macht, wenn nicht gar Allmacht. Die Idee ist als; schon Claude-Nicolas Ledoux bezeichnete um 1800 Architekten als „Titanen der Erde“. Einen kräftigen Schub erhielt die Idee im großen politischen und kulturellen Umbruch nach dem ersten Weltkrieg. 1919 entstand ein sogenanntes „Architektur-Schauspiel für symphonische Musik“ mit dem Titel „Der Weltbaumeister“. Autor war Bruno Taut, und darum gibt es vom Weltbaumeister auch kein Textmanuskript, sondern 29 Handskizzen. Als Weltbaumeister fühlten und inszenierten sich auch andere große Architekten jener Zeit, von Corbusier bis Gropius. Architektur war in der Zeit der großen Wohnungsnot Kern vieler Anläufe zur Lebens- und Sozialreform; Architekten fühlten sich für weit mehr zuständig als für gebaute Hüllen. Das Bauhaus versuchte die ganze von Menschen gemachte Dingwelt neu zu definieren. Architekten wie Taut und Ernst May in Frankfurt versuchten den Bewohnern strenge Vorschriften zur Gestaltung, zu Möbeln und Gardinen bis hin zu einzelnen Bewegungsabläufen in der Küche aufzuerlegen. In Ernst Mays Frankfurter Siedlungen erhielten Bewohner regelmäßig Besuch von einer Art Wohnpolizei, die das korrekte Leben überwachte. Le Corbusier entwarf Tabula-Rasa-Pläne für den Abriss eines Gutteils von Paris; Ludwig Hilberseimer erdachte für Berlin eine Reihe von Hochhausscheiben im gesamten Gebiet rund um Friedrichstraße, Gendarmenmarkt und Unter den Linden. Junge Männer mit einem Hang zur Macht träumten vom Architektenberuf, böse Männer wie Hitler und gute Männer wie Helmut Schmidt.
Aber das Bild vom architektonischen Herrscher über wenigstens einen kleinen Teil der Welt war damals mehr Idee als Wirklichkeit. Durchschlagskraft bekam dieses Bild erst in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, als so viel gebaut wurde wie nie zuvor, als viele Städte und Gebäudeformen ganz neu erfunden oder erstmals massenhaft realisiert wurden. Das ging gut und wurde weithin akzeptiert, solange das Versprechen einer besseren Welt glaubhaft war. Also etwa bis in die frühen 1970er Jahre, den quantitativen Höhepunkt architektonischen Schaffens in der Bundesrepublik. Da schien die 50 Jahre alte architektonische Utopie annähernd erreicht: die Wohnungsnot behoben, Licht, Luft und Sonne vor jedermanns Neubaufenster, die Funktionen gründlich getrennt, die Städte auf geradem Weg zur Autogerechtigkeit und weite Teile ihrer Kerne kahlschlag-saniert. Da aber wurde plötzlich deutlich, welche Verarmung in Urbanität und Alltagskultur dies mit sich brachte. Und das Image des Weltbaumeisters schlug ziemlich rasch um: Wer so auftrat, galt eben noch als Heilsbringer und jetzt als größenwahnsinnig. Von diesem Bild ist bis heute Misstrauen gegenüber Architekten geblieben. Wo Sündenböcke gesucht werden, da werden Architekten werden für alles verantwortlich gemacht, was heute als Verirrung der Nachkriegszeit gilt. Zwar gab es da noch viele andere Verantwortlichkeiten: die Wohnungsnot und den allgemeinen Zeitgeist, Baugesellschaften, Politik, Handel, Autofahrer und so weiter und so weiter. Aber Architekten hatten all deren Ideen am lautesten propagiert – und sie haben sie schließlich umgesetzt.
Heute weiß zwar jeder, dass es keine architektonische Allmacht und auch keinen Versuch mehr dazu gibt, zumindest in Europa. Aber zwei Allmachtssymptome von damals stehen noch heute in geringem Ansehen: erstens der Baustoff Beton, zumindest soweit er am fertigen Haus sichtbar ist. Zweitens ein Großteil der Nachkriegsmoderne und den Denkmalschutz für sie. Dieser ist Laien nicht zuletzt deshalb so schwer zu vermitteln, weil in ihrer Erinnerung diese Nachkriegsmoderne ja einen Großteil von dem zerstört hat, was nach dem Krieg an Denkmalen noch übrig war.
Negativklischee 2:Der eigenwillige Ästhet
Vielleicht erinnern Sie sich noch an den Werbespot, der vor einigen Jahren lief. Architekt führt junges Paar durch das neue Haus. In einem von oben bis unten weiß gefliesten, ansonsten leeren Raum meint die Frau schüchtern, das wirke doch etwas kühl. Darauf der Werbesport-Architekt: „Wenn Sie was Warmes wollen, gehen Sie doch zu McDonalds“. Den Werbern geht es wie vielen Laien: Sie wissen oder glauben zu wissen, dass Architekten einen anderen Geschmack haben als sie selbst. Architekten mögen es nach diesem Klischee reduziert statt verziert, cool statt warm, steril statt belebt, offen statt umhüllt. Das Klischee ist nicht neu; Robert Musil beschrieb es schon in seinem erschienenen Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“, der 1913 spielt: „Der moderne Mensch wird in der Klinik geboren und stirbt in der Klinik: Also soll er auch wie in einer Klinik wohnen! – Diese Forderung hatte soeben ein führender Baukünstler aufgestellt.“
Und oft genug bestätigen Architekten dieses Klischee. Ausbildung und Austausch mit Kollegen verfeinern und schulen nicht nur den Geschmack, sondern ändern ihn oft auch in der oben beschriebenen Richtung. Auch in Fachkreisen gelobte Bauten, etwa Siegerentwürfe aus Wettbewerben, tragen zu diesem Bild bei. Ein Großteil des im Alltag wahrgenommenen jüngeren Bauschaffens tut es ohnehin, ebenso ihre Kommentierung durch seine Baumeister. Zum Beispiel der legendäre Satz des kürzlich verstorbenen Günter Behnisch „Wenn jemand Gemütlichkeit braucht, soll er sich doch eine Katze anschaffen.“ „Gemütlich“ ist das Wort, das wie kein anderes den Unterschied zwischen den gängigen Geschmäckern von Laien und dem verbreiteten Geschmack unter Architekten zeigt. Was den einen der Wunschtraum, ist den anderen Muff und Spießigkeit.
Dabei sprechen Laien oft den Architekten mehr Gestaltungsmacht zu, als diese haben. Auch die banale Gewerbekiste oder die kühlere Version des Fertighauses wird als Architektenwerk wahrgenommen, selbst wenn knickrige Bauherren und Bauträger an allem schuld sind und die Architektenleistung nur in der Unterschrift unter dem Bauantrag bestehen durfte. Zu allem Unglück lieben ja viele Architekten auch Kisten. Das sind dann zwar coole, raffiniert-reduziert gestaltete Kisten. Aber in den Augen vieler Laien unterscheiden diese sich nicht von banalen Kisten. Wer die einen Kisten baut und propagiert, wird leider auch für die anderen verantwortlich gemacht.
Die Geschmacksdifferenz bringt in das Verhältnis von Bauherren und Architekten eine bizarre Note: Bauherren suchen nicht den Rat des geschulten Ästheten, sondern meiden ihn. Oder sie gehen gar von vornherein dagegen in Opposition – vielleicht sogar ohne zu wissen, wie der Architekt vermutlich denkt. In der Praxis kann man nur hoffen, dass er nicht denkt wie Mies van der Rohe. Der schrieb einmal in sein Tagebuch: „Bauherren sind wie Kinder. Man darf sie nicht ernst nehmen.“ Und der Bauherr seiner legendären Villa Tugendhat notierte seinerseits mit leiser Ironie: „Ich habe Angst vor Mies. Gestern habe ich den Flügel anders aufstellen lassen als vorgesehen. Was, wenn ER es bemerkt?“
Negativklischee 3: Der Dogmatiker
Der Ästhet baut seltsame Dinge oder will sie bauen, der Dogmatiker begründet das mit Argumenten, die sich der breiteren Öffentlichkeit oft nur schwer erschließen – häufig schon den Sachpreisrichtern in Wettbewerbsjurys nicht. Warum ist ein Neubau besser, wenn er aus dem Rahmen seiner Umgebung fällt, als wenn er sich dezent einpasst? Was bitteschön haben niedliche Ornamente mit Verbrechen zu tun? Warum muss es um jeden Preis zeitgenössisch sein, auch und gerade um den Preis eines zerstörten Bildes von Historie und Heimeligkeit? Warum soll man zerstörte Schlösser, Kirchen und Fachwerkgassen nicht wieder aufbauen dürfen?
Der Architekt als Dogmatiker wird von Laien mit Vorliebe als Betonkopf bezeichnet – Beton hatten wir ja oben schon beim ersten Klischee. Dazu ein paar Zitate. Sie sind allesamt aus Beiträgen auf der Internetseite www.architekturforum.net. Hier tauschen sich Laien über Architektur aus. Die Lektüre ist oft ziemlich schmerzhaft. Aber sie ist eine gute Gelegenheit, dem architekturkritischen Volk aufs virtuelle Maul zu schauen.
„Das Denken in Modernistenkisten sind sie in ihren Betonköpfen seit langem gewöhnt.“
„Vielleicht kann ein wenig entwickelter Betonkopf nur in Klotzen & Kuben denken.“
„Wie kann man die Betonkopf-Generation endlich zu einem Umdenken in der Städtebaupolitik bewegen, wie lassen sich ihre alteingesessenen Dogmen sprengen?“
„Dann wird auch endlich der letzte “Betonkopf” unter den Stadtplanern und Architekten erkennen, in welche Sackgasse uns die “Moderne” geführt hat:“
„Gerade D. (den vollen Namen lassen wir hier) soll ein ziemlicher Betonkopf sein.“
„Die Dresdner haben einen verbohrten Betonkopf zum. Baubürgermeister gemacht, der der Architektenmafia hörig ist.“
„Ach Gottchen, diese Betonkopf-Dogmatik der offiziellen Denkmalpflege ist langsam nur noch peinlich.“
Negativklischee 4: Der Alltagsverächter
Der Alltagsverächter ist mit dem eigenwilligen Ästheten eng verwandt, oft ist er mit ihm identisch. Ihm ist nicht nur die Gemütlichkeit egal, sondern auch das Praktische: Wie man sich in einem Haus zurechtfindet, wie man ernsthaft in ihm lebt statt es – typisches Architektenwort! – bespielt, wie es altert und wie man es putzt. Einen Alltagsverächter sah zum Beispiel die damalige Bauministerin Irmgard Schwaetzer am Werk, als sie erstmals Günter Behnischs Plenarsaal in Bonn betrat. Sie stellte sich dann vor die Fernsehkamera und sagte in spitzem Tonfall: „Mit einem Hausfrauenblick entdeckt man hier so einiges, was an dem Bau nicht stimmt.“ Oder der neue Berliner Hauptbahnhof: Gerkan Marg und Partner vom Feinsten. Aber wenn Sie dort mit den großen Fahrstühlen hindurchschweben, dann fährt fast immer jemand mit, der nicht genau weiß, wo er hin muss, und der bald über die schwierige Orientierung flucht. Kein Wunder: Wer von Gleis 8 nach Gleis 11 will, braucht nacheinander vier Rolltreppen und muss auf dem Weg bis zu neunmal die Laufrichtung ändern. Und da der Bau auf der West-, und Ost- wie auf der Nord- und Südseite symmetrisch ist, weiß bald kein Fremder mehr, wo er ist und wo er hin will. Ums Bahnhofsdach und die Deckenbeleuchtung haben sich seinerzeit Gerkan und der beliebte Bahnchef Mehdorn heftig gestritten. Dass so ein Bahnhof zum Großteil von Fremden besucht wird und die Orientierung für sie schwer ist, war offenbar beiden nicht so wichtig. Gut hätte der Orientierung ein Farbsystem, getan, das die einander gegenüber liegenden Bahnhofsseiten auf einen Blick unterscheidbar macht. Aber das hätte natürlich der Coolness des Bahnhofs geschadet und außerdem der optischen Dominanz der hinterleuchteten Ladenschilder.
Stuft ein Laien-Bauherren einen Architekten als Alltagsverächter ein, dann geht er mit ihm so um wie mit einem eigenwilligen Ästheten: Auch hier fürchtet er seinen Rat mehr, als dass er ihn sucht. Ans Praktische muss man selber denken. Und dabei sollteman sich bloß nicht vom Architekten unterkriegen lassen.
Negativklischee 5: Der Teil der großen bösen Macht
Er ist vom Staat oder vom Konzern gekauft, mit bestimmt üppigen Honoraren oder als Gehaltsempfänger. Er tritt zwar noch als Baukünstler auf, ist aber nach dieser Klischeevorstellung längst korrumpiert. Es gibt ihn im Großen, gerade ist Christoph Ingenhoven wegen Stuttgart 21 mit diesem Klischee gebrandmarkt. Es gibt ihn natürlich auch im Kleinen, wenn der Architekt einen Bebauungsplan oder eine Turnhalle für die Gemeinde entworfen hat und nun selbst erklärt, warum er etwas macht, was nicht alle unterschiedlichen Bürgerwünsche zugleich erfüllen kann.
Negativklischee 6: Der Glamour-Star
Er oder sie reist durch die Welt und hinterlässt dort seit einigen Jahren meistens ziemlich schräge Kisten – vorzugsweise Museen, an deren Wänden man nur schwer ein Bild aufhängen kann. Baut ein Glamour-Architekt dagegen Häuser mit geraden Wänden, dann sind diese gern aus Glas und das Ganze High-tech. Beim Eigenheimprojekt oder dem Umbau der Ich-AG-Boutique bekommt man aber mit solchen Architekten ohnehin nicht zu tun. Deshalb will ich hier nicht länger auf sie eingehen. Ich lasse Ihnen nur das schöne Bild noch ein bisschen stehen, während ich weiterrede.
So weit die sechs Negativklischees. Es waren bisher sechs, aber es gibt bestimmt noch mehr. Die Frage ist nun: Wie gehen wir damit um? Was sollten und was können wir tun, um die negativen Bilder verblassen zu lassen und um positive Bilder von uns in der Öffentlichkeit zu verstärken?
Die Strategie kann nicht nur in Werbe- und PR-Kampagnen bestehen, wie das große Konzerne und Wirtschaftsverbände machen. Das wäre von Kammern und Architektenverbände zuviel verlang und erwartet. Sie tun ja schon heute ihr Möglichstes, um das Architektenbild in der Öffentlichkeit zu verbessern. Wobei manches Erfolg hat; den Tag der Architektur möchte ich da besonders hervorheben. Das Beispiel zeigt schon: Wir müssen selber ran. Was die Leute am stärksten überzeugt und am besten von ihren Vorurteilen wegbringt, ist das eigene Erleben und die eigene konkrete Anschauung. PR-Arbeit in beruflicher Sache ist Basisarbeit.
Wichtigste PR-Arbeit sind nicht Aktionen, die eigens für die Öffentlichkeit veranstaltet werden, sondern am wichtigsten ist natürlich die Berufsarbeit selbst. Da ist nun ohnehin jeder Architekt bemüht, nur das Beste abzuliefern. Und professionellen, erfahrenen Bauherren gehen auch nicht nach Klischees, sondern wissen oft sehr wohl, warum sie diesen oder jenen Architekt beauftragen. Aber ein Großteil der Bauherren sind ja nicht professionell und erfahren. Und sie brauchen schon in entscheidenden Frühphasen ein besseres, realistisches Bild vom Architektenstand insgesamt – ein Bild, das ihnen aber wie gesagt einzelne Architekten vermitteln müssen, die diese Bauherren direkt oder indirekt erreichen.
Das kann auf vielen Wegen geschehen. Hier in Rheinland-Pfalz werden erfreulich viele davon praktiziert. Ihr aktueller Auftritt auf der Bundesgartenschau ist das beste Beispiel, aber ich denke auch an Ihr Engagement für Weinbau-Architektur und an die Veranstaltungsreihe über Gotteshäuser in Mainz. Wenn Laien hier auf Architekten und Architektur stoßen, sehen sie sie meist in einem ganz anderen Licht, frei von fragwürdigen Klischees. Architekten treten hier lebensnah auf, den Architekturbenutzern freundlich zugewandt und in der Sache kompetent.
Sie erscheinen also genau so, wie sich wohl die meisten Bauherren ihren Architekten wünschen. Beziehungsweise so, wie ihre Vorstellung von Architekten sein muss, damit sie sich zu ihrer Wahl entscheiden – statt zum Bauträger fürs Eigenheim, zum Ingenieurbüro oder Handwerker für den lieblos zusammengeschusterten Gewerbebau oder zum amateurhaften Eigenbau bei der Hausrenovierung.
Natürlich können Architekten ein solches Bild von sich und ihren Kollegen nur erzeugen und dauerhaft halten, wenn es der Wirklichkeit entspricht. Lügen und Halbwahrheiten fliegen irgendwann auf. Bilder, die von der Wirklichkeit nicht gedeckt sind, rufen dann umso größere Enttäuschung und sogar Misstrauen hervor. Auch darum verspricht es am meisten Erfolg, erst die eigenen Stärken zu definieren, die persönlichen oder die des ganzen Berufsstands. Und dann auf Basis dieser Stärken zu überlegen, was man den Leuten vermittelt und erzählt, damit sie ein möglichst wohlwollendes Bild von Architekten gewinnen.
Gut ist es natürlich, wenn bei den Leuten eine gewisse Vorstellung von einer architektonischen Stärke schon vorhanden ist und nur noch ausgebaut werden muss. Nach den Negativbildern von vorhin beschreibe ich jetzt drei Bilder von Architekten in der Öffentlichkeit, die eher positiv sind.
Positivklischee 1: Der pfiffige Kreative
Pfiffige Kreative sind ein einfallsreicher Bastler – Bastler an Häusern und an Ideen. Man setzt auf ihre Fantasie und ihre Ideenreichtum. Sie verpassen dem Haus eine neue Form – vielleicht keine schönere, aber eine, mit der man im besten Fall die lästigen Vorschriften des Bebauungsplans ein bisschen umgehen kann. Sie finden immer neue Grundriss-Varianten. Manche erscheinen verrückt, aber oft werden Räume tatsächlich schöner, praktischer, erlebnisreicher – manchmal aber auch das Gegenteil. Doch auch gegenüber dem pfiffigen Kreativen lassen Bauherrn gern Vorsicht walten. Weiß man, ob es ihm ums Praktische und Bezahlbare geht oder doch eher um Ästhetik und um Herrschaft über wenigstens ein winziges Stück Welt – und zwar ausgerechnet das des jeweiligen Bauherrn? Um hier als Architekt das Positivbild zu verstärken, braucht es also neben dem eigenen Einfallsreichtum auch Sensibilität und Selbstdisziplin. Die Ideen müssen zu den Bauherren passen, sie dürfen ihnen und ihrer Denkweise keineswegs widersprechen. Das Gleiche gilt natürlich für Diskussionen in der Öffentlichkeit. Auch wenn man hier zum Beispiel den Trend in einem Planungsprojekt gern in der öffentlichen Diskussion drehen würde, geht das kaum mit einem radikalen rhetorischen Kontra. Sondern man muss die Leute da abholen, wo sie geistig stehen, und kann sie dann nur behutsam dahin führen, wo man sie haben möchte.
Positivklischee 2: Der Lebenswelt-Kenner
Er kann nicht nur Häuser entwerfen und ihren Bau managen. Sondern er weiß auch etwas über ihre Lagequalität, über ihren materiellen Wert, über ihre Folgekosten und im Bestand über ihren Zustand und Reparaturbedarf. Er kennt sich im Baurecht und im Maklerrecht aus, ist natürlich immer auf dem neuesten Stand der Energietechnik, auf dem des Wasserhahn-Designs sowieso, und weiß alle KfW-Zinssätze auswendig. Man vertraut sich ihm an. Und manchmal überfordert man ihn damit auch. Manchmal aber auch nicht: Viele Architekten haben ein erstaunlich breite Spektrum an Kenntnissen und Fertigkeiten. Lebenswelt-Kenner sollten einerseits ihre Stärken hervorkehren. Sie sollten es aber auch zugeben, wenn sogar sie mit ihrem Baulatein irgendwann am Ende sind. Und sie sollten ihre Kompetenz nicht einschüchternd-autoritär äußern. Auch von einem noch so klugen Berater wollen Bauherren oder Ratsdamen keine Diktate, sondern Hilfen für die eigene Entscheidung.
Positivklischee 3: Der Macher vom Bau
Er hat schon beim Entwurf 13 Prozent der kalkulierten Kosten eingespart. Der Bau wird jetzt praktisch und billig. Er treibt die Handwerker an und kürzt ihre Rechnungen. Er ist Krisenfeuerwehr und hat ein zuverlässiges Adlerauge für Pfusch. Der Bau von Gewerbehallen geht mit ihm ganz wunderbar. Aber schon den Fahrradschuppen hinterm Eigenheim möchte man ihm kaum noch anvertrauen. Denn was er an Organisationskraft hat, das geht ihm an Fantasie und an Einfühlungsvermögen für das Schöne und Harmonische ab. So veranlagte Architekten müssen also auch ihren Effizienzdrang gelegentlich bremsen und zeigen, dass sie das inneffiziente Schöne mindestens zulassen – und sei es als Ausgleich für den Verzicht durch Einsparung an anderer Stelle.
Soweit die starken Seiten von Architekten, die im öffentlichen Bild des Berufsstands oft schon vorhanden sind. Jetzt aber zu einigen, für die es nach meinem Bewusstsein in der Öffentlichkeit viel zu wenig Bewusstsein gibt. Und denen sich manchmal sogar Kollegen nicht voll bewusst sind, auch wenn sie diese Stärken tagtäglich ausspielen. Ob das nun gerade Stärken sind, die Sie hier im Saal an sich spüren, kann ich natürlich nicht beurteilen. Aber es sind relativ verborgene Kräfte, die ich in Gesprächen mit Architekten und in ihrer Beobachtung auffällig häufig entdecke.
Verborgene Stärke 1: Komplexdenker
Damit meine ich natürlich nicht Minderwertigkeitskomplexe, sondern die Fähigkeit, komplexe Themen zu durchdringen. Jedes Haus ist komplex; das muss ich Ihnen hier nicht erläutern. Und täglich lösen tausende von Architekten in Deutschland die meisterhafte Aufgabe, scheinbar weit weg liegende Dinge zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzudenken. Zum Beispiel so verschiedene Dinge wie Denkmalschutz, KfW-Förderung, Familienleben, Arbeitsabläufe in Büro oder Werkstatt, Energietechnik, Gestaltungssatzungen, Brandschutznormen und Barrierefreiheit. Ein jedes fast eine Wissenschaft für sich – und in seiner Gesamtheit ein fast unentwirrbares Knäuel.
Das komplexe Denken, dass man hier praktiziert, sollte man ruhig offenlegen und dokumentieren. Zum Beispiel in Gesprächen mit Bauherren, in Sitzungen mit Planungsgremien oder in öffentlichen Diskussionen um dieses oder jenes Haus oder Planungsthema. Da reicht oft ein freundlicher Hinweis darauf, dass auch dies und jenes bedacht werden müsse, wenn das Projekt zu einem sinnvollen Ganzen werden soll. Und zu jedem Hinweis ein zweiter, der eine Lösung andeutet – eine, die mit anderen Belangen vereinbar ist. Solche Hinweise auf nicht bedachte Probleme dürfen natürlich nicht allzu sehr erschrecken, und die Lösungsvorschläge sollten nicht zu detailliert sein. Es reicht, wenn bei den anderen der Eindruck zurückbleibt: Unser Architekt hat alle im Blick – und wo er ein Problem definiert, da ist auch er es, der zu einer vernünftigen Lösung kommt.
Verborgene Stärke 2: Kommunikator
So komplex wie das Thema Haus ist, so verschieden sind die Beteiligten an der Planung. Wo sonst sitzen an einem Tisch zum Beispiel Ausstellungsmacher und Feuerwehrleute, Juristen und Lichtplaner, Archivare und Tourismusförderer? Jeder denkt anders, jeder will etwas anderes, jeder spricht anders. Nur einer ist da, der mit all solchen Leuten schon geredet hat und ihre Denkweise kennt, der ihre Sprache zumindest ansatzweise versteht und der es gewohnt ist, derart unterschiedliche und teils widersprüchliche Ziele zusammenzudenken: der Architekt. Architekten sind natürliche Übersetzer, Vermittler, Moderatoren und Integrierer. Je nach Naturell und Situation machen sie im bescheidenen Fall Botschaften zwischen anderen verständlich, dolmetschen also. Besser ist es natürlich, wenn Kommunikationsmacht zu Gestaltungsmacht wird. Alle anderen wollen Teillösungen, nur Architekten können eine Gesamtlösung bieten. Wie erfolgreich das ist, hängt natürlich davon ab, wie die Teillösungen miteinander vereinbar sind und wie kompromissfähig die Beteiligten sind. Wo sie es nicht sind, ist der Architekt der Bote der schlechten Nachrichten von der jeweils anderen Seite, wird als ihr Urheber gesehen und nach alter Art geköpft. Im besseren Fall aber ist er der König der Situation, und sein Ansehen ist entsprechend hoch.
Um hier Erfolg zu haben und ein entsprechendes Bild in der Öffentlichkeit zu erzeugen, braucht es zwei scheinbar widersprüchliche Fähigkeiten: Zuhören können und selbst gestalten wollen. Das Zuhören kommt in den Prozessen meist zuerst, das Gestalten eher später. In der lokalen Öffentlichkeit können sich Architekten als Moderatoren und Mediatoren anbieten, ob offiziell in größeren Konflikten oder informell im Alltag. Man kann sich damit hohes Ansehen erwerben – und nicht nur sich allein, sondern damit seinem ganzen Berufsstand.
Verborgene Stärke 3: Kümmerer
Jeder Bürger hat seinen alltäglichen Ärger mit einem Stück gebauter Umwelt. Das sind oft ganz banale Dinge. Ein verdreckendes Brachgrundstück, ein immer wieder zugeparkter Übergang auf dem Schulweg, ein vernachlässigtes Haus an einer sonst schönen Ecke. Der Ärger ist da, aber meist ist nicht so groß, dass man selbst an den Stadtbaurat schreiben oder gar eine Bürgerinitiative gründen würde. Dankbar ist man deshalb, wenn jemand anders den Ärger artikuliert, wenn dieser andere Sachkompetenz und damit Sachautorität genießt und wenn er womöglich gleich eine Lösung vorschlägt.
Wer wäre da berufener als Architekten? Sie haben ja ohnehin einen wachen Sinn und offene Augen für Alltagsärgernisse. Suchen Sie systematisch danach, sprechen Sie mit anderen Leuten darüber. Und machen Sie einen Vorschlag, den Sie dann meinem Kollegen von der Stadtteilzeitung erklären, den sie auf der Schulelternversammlung vorschlagen, den Sie auf Ihre Website stellen und ins Straßenfenster Ihres Büros hängen. Anfangs ist das vielleicht manchen lästig – womöglich gar dem Amtsleiter, mit dem Sie es sich eigentlich nicht verderben dürfen. Aber Sie verderben es sich mit ihm auch nicht, wenn Sie Ihre Kritik an einem Zustand sachlich und konstruktiv vorbringen, wenn Sie den Beamten nicht anschuldigen und bloßstellen, sondern ihm einen wohlwollenden Vorschlag machen. Vielleicht hat er selbst schon danach gesucht. Vielleicht ist er Ihnen auch dankbar, dass sich auf diese Weise ein Konflikt vermeiden lässt, der im sonst viel Ärger im Bauausschuss und mit dem Lokalblatt eingebracht hätte. Wenn Sie so etwas öfter tun, werden Sie mit Ihrer Kompetenz bekannter und angesehener. Und so ein Architekt wird dann auch gern beauftragt – privat, aber warum nicht auch vom Amt?
Kümmerer müssen sich natürlich nicht nur mit Problemen beschäftigen. Sie können auch da, wo bisher im allgemeinen Bewusstsein nichts war, positive Visionen produzieren. Ich erinnere mich da an ein Beispiel aus meiner Heimatstadt Göttingen in meiner Jugend. Da gab es hinter dem Bahnhof ein Ausbesserungswerk, ein riesiges umzäuntes Areal, das keiner kannte – quasi ein mentales Loch in der Stadt. Die Stilllegung stand an, doch das schien erstmal kaum jemanden in der Stadt zu kümmern. Bis auf einen, den Architekten Jochen Brandi. Der wies nämlich darauf hin, dass das Herzstück des Geländes eine gigantische Lokhalle aus der Gründerzeit war. Und wo immer er konnte, wies Brandi darauf hin, was man mit so einer Lokhalle alles machen könnte – Veranstaltungen, Ausstellungen, Künstlerateliers, Lofts, Handwerksbetriebe oder rustikale Büros, ein Hotel oder Restaurants.
Die Bahnplaner, soweit es welche gab, und die Stadtplaner schüttelten zuerst nur den Kopf. Aber im Göttinger Lokalblatt und in der öffentlichen Diskussion gewann Brandi immer größere Aufmerksamkeit. Bei manchen hieß er schon „Lokhallen-Brandi“, und das war bald ein ziemliches Kompliment. Seine Initiative machte ihn jedenfalls zu Göttingens bekanntestem Architekten, was ihm bestimmt bei anderen Projekten geholfen hat. Was das Image des Architektenstandes in der Stadt gehoben hat. Und womit er sich bleibende Verdienste erworben hat. Heute ist die Lokhalle längst der beliebteste Veranstaltungsort in Göttingen, in der alles läuft von der Thomas-Gottschalk-Sendung über den wissenschaftlichen Raumfahrt-Kongress bis zur Günter-Grass-Gala nach seinem Nobelpreisgewinn.
Also: Wenn Sie Glück und Gespür haben, finden Sie eine Lokhalle! Es kann ja auch ein untergenutzter Platz sein, eine vernachlässigte alte Villa oder ein zugewucherter Grünzug. Oder eine renovierungsbedürftige Schule.
Jetzt noch etwas zum Bild des Architekten in den Medien. Da denken nun viele zuerst ans Feuilleton und an Fachblätter, meins eingeschlossen. Aber ich meine, das sind nicht die wichtigsten für das berufliche Fortkommen. Zwar träumt jeder von uns von der großen Architekturkritik und dem Widerhall, den sie unter Kollegen bringt. Aber den bringt sie eben vor allem unter Kollegen, kaum unter Bauherren. Und sowieso schafft es nur ein Bruchteil aller Projekte es hierhin. Ich schätze, der Anteil liegt im Promillebereich.
Damit will ich natürlich nicht sagen, dass wir Architekturjournalisten unnütz seien. Für die Baukulturdiskussion und die Fachdebatte schätze ich die Arbeit sehr, die meine Kollegen da leisten. Aber sie trägt wenig dazu bei, das Bild des Architekten in der breiten Öffentlichkeit zu verbessern. Hierfür sind andere Medientypen wichtiger. An erster Stelle sehe ich da nach wie vor Lokalblätter. Bauen ist ein lokales Thema; Zeitungen bringen neben all den Skandalen und Unglücken ausgesprochen gern Nachrichten, die ganz buchstäblich konstruktiv sind. Hier finden Sie für Ihre Projekte und Ihre Ideen den fruchtbarsten Boden. Hier wollen Sie schließlich auch am stärksten wahrgenommen werden. Denn hier können Sie für sich und auch für Ihre Kollegen bei potentiellen Bauherren die stärkste Werbung machen, ohne dass es sie viel kostet. Da tut fast alles gut, was mit dem Wort „Architekt“ verbunden ist und sich nicht zu sehr quer zu allgemein verbreiteten Meinungen stellt.
Wenn Sie bestimmte Bauaufgaben suchen, tut auch eine Veröffentlichung in entsprechenden Fachmedien gut. Versuchen Sie zum Beispiel, eine gelungene Gewerbehalle im IHK-Blatt zu präsentieren. Dabei sollte dann natürlich auch Ihr Name stehen, nicht nur der des Bauherrn. Oder wenn Sie ein Mietshaus energetisch saniert haben, suchen Sie die Medien des Haus- und Grundbesitzervereins und der Wohnungswirtschaft. Auch da freut man sich oft über Positivbeispiele.
Natürlich haben Sie in den meisten Medien nur begrenzten Einfluss darauf, was genau am Ende gedruckt wird. Aber als Journalist sage ich Ihnen: Begeben Sie sich vertrauensvoll in die Hände der Kollegen. Sie bringen wahrscheinlich nicht genau das in Text und Bild, was Sie sich wünschen. Aber sie sind – jedenfalls hoffe ich das – Profis in der Darstellung. Und am wichtigsten ist nicht, dass jedes für Sie wichtige Detail publiziert wird. Sondern am wichtigsten ist, dass ein guter Gesamteindruck entsteht. Und wie man den erzeugt, wissen mediale Profis.
Um sich und Ihre Arbeit so zu zeigen, wie SIE es wollen, gibt es schließlich ein eigenes Medium: das Internet. Immer mehr Bauherren suchen ihren Architekten bei Google; gucken bei Facebook oder in Blogs. Sehen Sie das nicht als Bedrohung, sondern als Chance. Im Internet können Sie Ihr Profil viel genauer, viel schneller und letztlich auch kostengünstiger pflegen als in allen anderen Medien. Aber auch hier müssen Sie natürlich an den klassischen Satz denken, dass beim Angeln der Wurm nicht dem Angler schmecken soll, sondern dem Fisch. Ich kenne viele Websites von Architekten, die grafisch und optisch extrem ehrgeizig sind, aber katastrophal in der Sachinformation, in der Benutzerführung und Handhabbarkeit. Halten Sie es optisch ruhig etwas schlichter, machen Sie es dem Besucher Ihrer Seite leicht, Projekte zu finden und etwas über sie zu erfahren. Und versuchen Sie möglichst seine Sprache zu sprechen, nicht die Sprache der Fachwelt oder der Feuilletons. Bei dieser Kommunikationsform gilt wie bei jeder: Gedankliche, sprachliche und am besten auch eine gewisse Nähe ist der Schlüssel zum Erfolg. Sie trägt am meisten dazu bei, ein positives Bild von Architekten in der Öffentlichkeit zu verstärken und negative Klischees abzubauen.