Von Cornelia Dörries
Die Freunde von Einfamilienhaus und motorisiertem Individualverkehr dürfen aufatmen. Das mit den sich erschöpfenden Energiequellen, dem Klimawandel und den ganzen, damit verbundenen Einschränkungen wird wohl doch nicht so schlimm. Es war ja dauernd von Verzicht die Rede, einem sparsameren Lebensstil mit weniger Platz und noch weniger PS, von Enger-Zusammenrücken und Ressourcen-Schonung. Man konnte es fast mit der Angst zu tun kriegen. Doch jetzt scheint es tatsächlich eine Lösung zu geben, mit der man um größere Einschnitte herumkommt, ja, vielleicht sogar nicht mal merkt, dass man seine verschwenderische Lebensführung auf Umweltfreundlichkeit und Nachhaltigkeit umgestellt hat. Die Rede ist vom Effizienzhaus Plus, das seit Anfang Dezember 2011 in Berlin steht. Dieses Leuchtturmprojekt des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) soll einer breiten Öffentlichkeit zeigen, was modernste Technologien der Energiegewinnung und des Energiemanagements leisten können, wenn es um die Bewahrung der gewohnten materiellen Annehmlichkeiten bei gleichzeitiger Bewahrung der Schöpfung geht.
Die Botschaft lautet: Weiter so!
Zu den Fakten: Das hoch wärmegedämmte Effizienzhaus Plus, konzipiert für eine vierköpfige Familie, bietet 136 Quadratmeter Wohnfläche auf zwei Ebenen und produziert durch den innovativen Einsatz von Photovoltaik und Wärmepumpe mehr Strom, als für Heizung, Warmwasserbereitung und Elektrogeräte der Bewohner verbraucht wird. Der Überschuss könnte nun ins Netz eingespeist werden, um den Betrieb von Kohle- und Atomkraftwerken ein wenig zu reduzieren. Aber nein: Er soll dazu genutzt werden, zwei Elektroautos sowie Elektrofahrräder zu speisen. Zur Entwicklung dieses Modellgebäudes wurde vom BMVBS im Rahmen der Forschungsinitiative Zukunft Bau ein Wettbewerb ausgeschrieben, den der gemeinsame Entwurf von Architekt Werner Sobek und dem Stuttgarter Institut für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren (ILEK) für sich entschied.
Wie es sich im Effizienzhaus Plus – Motto: Mein Haus, meine Tankstelle! – tatsächlich wohnen lässt, wird ab März 2012 von einer Berliner Familie getestet. Das Elternpaar mit zwei Kindern wird seine Wohnung in einem gründerzeitlichen Altbauviertel verlassen, um für 15 Monate in die City West zu ziehen. Denn dort, nur ein paar Schritte vom Bahnhof Zoo entfernt, befindet sich das Effizienzhaus. Auf dem Abstandsgrün vor dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) simuliert es mitten in Berlin die Stadtrand-Normalität der bundesdeutschen Provinz: ein Haus zum Drumherumlaufen, davor der übliche Mittelschichtsfuhrpark aus Familienauto und Zweitwagen. Die Botschaft dieser Modelladresse ist eindeutig: Dank modernster Technik müssen wir auch in Zeiten knapper werdender Ressourcen auf keinen lieb gewordenen Komfort verzichten; wir können unsere Träume vom Häuschen im Grünen CO2-neutral und umweltfreundlich verwirklichen und würden beim täglichen Pendeln zur Arbeit auch keine Abgase in die Luft pusten.
Fragwürdige Versuchsanordnung
Das unterschwellig Verstörende an dieser Inszenierung ist ihr demonstratives Beharren auf einem Lebensstil, der zu einem nicht geringen Teil für die Energie- und Klimaprobleme der Gegenwart verantwortlich ist: Zersiedelung, Flächenfraß, Autoverkehr. Im kompakt bebauten Zentrum einer Großstadt wirkt das frei stehende Haus, gelinde gesagt, artfremd. Das hier nichts Größeres steht, mag man dem Experiment noch verzeihen. Dass eine Familie, die bisher das meiste per Fuß und Fahrrad erledigen konnte, nun gleich zwei Autos benutzen soll und ihr eine motorisierte „Fahrleistung“ von 30.000 Kilometern pro Jahr nahegelegt wird, führt das Modell freilich ad absurdum. Von den Initiatoren hört man, Papa könne ja jetzt die Kinder jeden Morgen zur Schule in ihren angestammten Kiez chauffieren. Da fährt zwar auch die S-Bahn hin, aber was soll’s, der Umwelt schadet‘s ja nicht mehr. Passend dazu gibt es vor dem Haus auch keine Ständer für gewöhnliche Fahrräder. Wohl aber High-Tech-Bikes mit Elektromotor.
Es ist selbstverständlich eine gute Sache, dass heute mithilfe technischer Innovationen Häuser gebaut werden können, die keine fossilen Energiequellen mehr anzapfen müssen, sondern selbst Energie produzieren. Dieser Plus-energiestandard hat für den Bautypus Einfamilienhaus inzwischen Serienreife erreicht. Fertighausanbieter wie Schwörer oder Weberhaus haben solche Modelle bereits im Portfolio, und im niedersächsischen Jesteburg entsteht mit den „Sonnenhäusern“ derzeit sogar schon eine kleine Plusenergiesiedlung in serieller Massivbauweise.
„Neubauten sind auch nicht das Problem“, sagt Heike Marcinek von der Deutschen Energie-Agentur (dena). „Wo wir wirklich ran müssen, ist der gewaltige unsanierte Altbaubestand in Deutschland.“ Denn schon heute liegt der Primärenergiebedarf von Neubauten allgemein etwa 30 Prozent unter den Anforderungen der letzten Energieeinsparverordnung. Doch von den derzeit insgesamt rund 18 Millionen Bestandsgebäuden stammen 13 Millionen aus der Zeit vor 1979, also vor der ersten Wärmeschutzverordnung, und sind zumeist nicht nur ohne moderne Wärmedämmung, sondern werden häufig mit technisch überalterten, ineffizienten Heizungsanlagen betrieben. Immerhin drei Viertel der Energie, die für Heizung und Warmwasser im Gesamtbestand nötig sind, entfallen auf diese sanierungsbedürftigen Altbauten. Sie sind auch aus den großen Fenstern des Effizienzhauses Plus gut zu sehen: dünnwandige Verwaltungsgebäude der Wirtschaftswunderzeit, wuchtige Gründerzeitpaläste, gläserne Pavillons. Das kleine Effizienzhaus Plus inmitten der erdrückenden Präsenz dieser energetischen Saurier – es ist ein Anblick mit Aussagekraft.
Energiewende als demographisches Problem
Kann dieses ehrgeizige Modellprojekt der Regierung die richtige Antwort auf die drängenden Fragen der Energiewende sein? „Das Effizienzhaus Plus hat durchaus seine Berechtigung“, so die dena-Expertin Heike Marcinek. „Hier kann eine breite Öffentlichkeit sehen, welche Einsparpotenziale technisch realisierbar sind. Es geht ja nicht nur um Neubauten, sondern auch um Erkenntnisgewinne für die Bestandssanierung und die Erforschung der Schnittstelle von Wohnen und Mobilität. Dafür sind solche Projekte wichtig.“
Denn vom Appellcharakter solcher Aktionen erhoffen sich die Initiatoren zudem motivierende Impulse für die vielen Bewohner unsanierter Altbauten. Hier steht die Politik freilich vor einem demographischen Dilemma: Während die nach 1990 errichteten, gut ausgestatteten Neubauten vorwiegend Menschen gehören, die jünger als 40 Jahre sind und Wert auf eine nachhaltige Ertüchtigung ihrer Immobilie legen, leben in den überholten, modernisierungsbedürftigen Wohngebäuden vor allem ältere Menschen, die vor langfristigen Investitionen in moderne Energie- und Haustechnik eher zurückschrecken. Wie lässt sich diese Gruppe zu einer Modernisierung ihres Wohneigentums bewegen? „Hier spielen eine ganze Reihe von Faktoren eine Rolle. Ein wichtiger Punkt ist die Finanzierung der Sanierungsmaßnahmen“, gibt Marcinek zu bedenken. „Bei der Gestaltung der Förderung sollten auch die Bedürfnisse und Möglichkeiten dieser Nutzergruppe mit bedacht werden.“ Dass sich Bestandsbauten durchaus zu Plusenergiehäusern umrüsten lassen, beweist das energy+ Home der Architekten Tichelmann & Barillas sowie Lang+Volkwein Architekten in Darmstadt-Dieburg: Hier wurde im Rahmen eines Forschungsprojektes ein Eigenheim aus den Siebzigerjahren zu einem Gebäude umgebaut, das seinen selbst produzierten Energieüberschuss zum Betrieb für ein Elektroauto nutzt.
Zurück zum Effizienzhaus Plus in der Berliner Fasanenstraße. Dort versammelt sich an einem grauen Winternachmittag eine Gruppe von 15 Besuchern zu einer der täglichen kostenlosen Führungen durch das Gebäude. Ein junges Paar mit Säugling und Großeltern ist dabei, drei Architekturstudentinnen aus der nahe gelegenen TU sowie eine Familie mit zwei halbwüchsigen Kindern. Man fragt, öffnet Türen und Schränke, lässt sich die Dämmung erklären – rein natürlich, aus Zellulose und Hanf –, hebt vor dem digitalen Bedienungspaneel zur Steuerung von Licht, Raumtemperatur und Sonnenschutz leicht skeptisch die Augenbrauen und möchte auch in den Maschinenraum mit Wasserspeicher und Wärmepumpe gucken. Erst am Schluss stellt die Mutter des Säuglings schüchtern die Frage, die alle interessiert: „Und was kostet so ein Haus?“ „2,2 Millionen.“ „Oh.“ Die nette Dame vom Besucherservice lächelt nachsichtig und ergänzt, dass es sich um ein Modellhaus handele und in der Summe natürlich auch die Kosten für die Entwicklung aller Messgeräte steckten, mit denen nun präzise alle Daten ermittelt werden sollen, die aus einem Wohnhaus ein selbstgenügsames Kraftwerk machen. Der Ehemann fotografiert derweil die ganzen Rohre und macht sich Notizen. Ob die Familie überlegt, selbst in so ein Plusenergiehaus zu ziehen? „Ach“, sagt der Mann, „der Stand der Technik ist schon beeindruckend. Aber eigentlich würden wir lieber in der Stadt bleiben.“ Er weiß auch nicht, was seine Familie mit den zwei Autos anfangen soll, die hier vor der Tür stehen. Denn sie kommt bestens ohne Pkw aus.
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Versuchen Sie doch mal, das aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Die schwarz-gelbe Bundesregierung propagiert ein Modellprojekt der dezentralen Energieerzeugung, demonstriert an einem durchaus aufsehenerregenden Beispiel.
Hallo?
Dieselbe Regierung, in der manche den Ausbau der Photovoltaik am liebsten stoppen würden, die als Vision sonst vor allem Desertec und Offshore-Wind hat. Aus der zu hören ist, bei uns scheine eh zu wenig Sonne um PV-Anlagen wirtschaftlich betreiben zu können – und genügend Wind habe es ja nur auf dem Meer. Milliardenschwere, alternativlose Großinvestitionen und dazu mächtige Stromtrassen seien notwendig, um die Energie von der Nordsee und aus Nordafrika zu uns zu bringen.
Und jetzt steht als Gegenentwurf hier in Berlin ein solches Ding. Dezentrale Erzeugung dort, wo die Energie auch verbraucht wird. Und es wird zusätzlich in Forschung am Objekt investiert um die Probleme, die so etwas eben auch mit sich bringt, zu lösen.
Dass das Haus an einem Ort steht, wo es nicht hinpasst? Eigentlich ganz gut so. Noch besser wäre ein exponierterer Standort im Regierungsviertel zum Beispiel, wo es von noch mehr Leuten bemerkt werden würde. Auf dem Dorf, wo es sich besser einfügen würde – da bliebe es unbemerkt. Es ist auch ein Demonstrationsprojekt und braucht daher Publikum.
Und dass die Überschussenergie in diesem Fall an Autos verfüttert wird – geschenkt. Erwarten Sie nicht zu viel auf einmal. Das wird sich in den Innenstädten nicht durchsetzen und auf dem platten Land werden die Menschen noch lange so leben. Aber wirklich spannend sind die Forschungsthemen, die an diesem Haus bearbeitet werden, wie die Entwicklung neuer Energiespeicher, die Entlastung und aktive Stabilisierung der Stromnetze und anderes mehr.
Und dass der Gebäudebestand ein wichtiges Thema ist – da haben Sie recht. Vor kurzem wurde ein weiterer Wettbewerb gestartet. Effizienzhaus Plus im Altbau, also die Sanierung von innerstädtischen Mehrfamilienhäusern. Die werden dann auch besser ins Stadtbild passen.
Es geht hier nicht darum zu zeigen wie wir in Zukunft leben sollen. Oder etwa darum, dass wir uns jetzt alle zwei Autos anschaffen oder gar nach einem Dasein im Einfamilienhaus streben sollen. Genauso wenig kann und will dieses Projekt „ die richtige Antwort auf die drängenden Fragen der Energiewende sein“. Aber hier nähern Sie sich erstmals dem eigentlichen Thema. Es geht um Energieversorgung und -konzepte. Und da demonstriert und erforscht das Projekt Lösungsmöglichkeiten, die von diesem Auftraggeber nicht unbedingt zu erwarten waren.
Also betrachten wir das Ganze doch etwas wohlwollender. Dubios und fragwürdig kann das nur in den Augen von Leuten sein, die an unserer zentralisierten und monopolisierten Energiewirtschaft festhalten wollen.
Thomas Feldmann, Offenburg
Nach wie vor besteht anscheinend die Meinung, man könnte mit immer weiterer Technisierung die Umweltprobleme lösen, die, im Grunde genommen, eben diese Technisierung erzeugt.
Im High-Tech-Haus mit computergesteuertem Normklima, Winter wie Sommer möglichst gleich, mit kontrollierter Atemluft, frei von allen Umwelteinflüssen (negative und positive), mit intelligenter Fassade etc., verabschiedet sich der Mensch vollends von jeglichem Kontakt zu, und Bewusstsein für, Natur und Umwelt. Doch genau dieses gilt es doch zu bewahren bzw. zu stärken, als Grundvoraussetzung für eine entsprechende Lebensweise.
Hier ist die Kreativität der Planer gefragt. Wenn Häuser z. B. (wieder) räumliche Schichtungen zwischen innen und außen hätten, also vorgelagerte überdeckte Bereiche, (echte) Wintergärten, Wirtschaftsbereiche, etc., dann kann sich das Bewohnen im natürlichen Rhythmus der Jahreszeiten dahinein ausdehnen und wieder zurückziehen. Ganz nebenbei sind solche Pufferzonen „natürliche“ Wärmedämmung, und schaffen eine lebendige Wohnatmosphäre (im Gegensatz zur A/V-Optimierung). Die Möglichkeit, in einem regengeschützten Bereich an der Außenluft Wäsche im Wind zum Trocknen aufzuhängen, (in der Nähe der Waschmaschine – nicht vor dem Wohnzimmer), findet man selten. Dagegen gilt es heute als ökologisch vorbildlich, wenn der Wäschetrockner mit Gas betrieben wird anstelle mit Strom.
Nachhaltigkeit und Ökologie hat, m. E., seitens der Gebäude immer mit Einfachheit und Langlebigkeit zu tun, (und seitens der Menschen mit Demut vor der Schöpfung!)
Markus Pröhmer, Architekt, Stegen