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[ Hartz_IV-Möbel ]

Der sanfte Vermöbler

Hartz-IV-Sessel im Bauhaus-Design für 24 Euro, ein Hocker mit mehr als zehn Funktionen und ein Dreizimmerhaus auf einem Quadratmeter: Wie Le Van Bo die Wohnwelt gegen den Strich bürstet

Weder Breuer noch teuer, doch klassisch-modern ­inspiriert sind die Sessel von Le Van Bo. Das Kiefernholzbrett dazu gibt es im Baumarkt für rund 20 Euro; den Bauplan schickt der ­Entwerfer ­kostenfrei ­jedem, der ihm ­hinterher seine Selbstbau-­Geschichte mailt.

Von Roland Stimpel

Le Van Bo hat immer wieder neue Welten betreten und erschaffen: als Flüchtlingskind aus Laos im bayerischen Kulmbach, als Graffiti-Sprayer, Rap-Tanzer und Architekturstudent in Berlin. Jetzt will der 35-jährige anderen Menschen unbekannte Welten erschließen: Er erdenkt Möbel in klassisch-modernem Stil, die jedermann mit Mini-Budget zusammenbasteln kann, und verschenkt die Baupläne übers Internet. „Hartz-IV-Möbel“ heißen sie, aber das ist für ihn Versprechen und nicht Drohung.

Le Van Bo wollte laut seiner Gründungslegende „meiner Verlobten mit Tischlerkenntnissen imponieren“ und belegte Volkshochschulkurse: erst Möbelreparatur, dann Möbel-Selbstbau. Daraus wurde die Idee eines Standard-Bauplans für einen Sessel. Aber ein Sessel ist für ihn nicht einfach ein Stück zum Draufsitzen, sondern ein „soziales Phänomen: Wenn du einen Sessel hast, kannst du dich trauen, Leute einzuladen, weil sie nicht mehr auf dem Boden sitzen müssen. Möbel prägen das soziale Leben. Und wenn es die Möbel für dein Leben nicht gibt, dann erfinde sie.“

Seriell zum Selbermachen: Hartz-IV-Sessel im besten Bauhaus-Sinne.

Gedacht, gemacht. Da es Le Van Bo auch mit Zahlen hat, lautet das Prinzip für den Sessel: baubar in 24 Stunden, mit Material für 24 Euro. Sein „Berliner Hocker“ braucht für zehn Euro Holz und zehn Schrauben und ist in zehn Minuten ­montiert. Dafür bietet er zehn Aufstell-Optionen und weit über zehn Verwendungsmöglichkeiten: als Kinder- und ­Erwachsenensitz, Tischchen, Fußbank, Regalelement und ­einiges mehr. Außerdem gibt es das Sofa-Sitzbank-Bett ­namens „SiWo“ für die Single-Wohnung, den nach einer historischen Postleitzahl benannten Stuhl „Kreuzberg 36“ (Material für 36 Euro, 36 Arbeitsschritte), die 100 Sekunden-Lampe (Bauzeit, nicht Leuchtzeit), und ständig kommt noch etwas dazu.

Fan von Eames, Jacobsen und Ikea

All das ist für Le Van Bo Ernst und Spiel zugleich. „Ich biete immer erst mal Lösungen an, und dann gucke ich nach den Problemen, die sie vielleicht beheben.“ Die Baupläne aller Möbel verschickt er per Mail und kostenlos. Aber für eine Gegenleistung: Jeder soll in Text und Bild seine eigene Baugeschichte erzählen. Er kann längst nicht mehr alle nachlesen, nachdem er schon Tausende von Plänen verschickt hat, aber es geht vor allem um die Nachricht selbst: Ja, jemand hat Le Van Bos Pläne genutzt, um sich ein eigenes Stück Welt zu erschaffen.

„Wenn man als Einwanderer nach Deutschland kommt, wird man ständig damit konfrontiert: Wo kommst du her? Wer sind deine Eltern? Und so beschäftigt man sich von klein auf mit der Frage nach Identität. Was bedeutet es, deutsch zu sein? Als ich irgendwann auf das Bauhaus-­Erbe gestoßen bin, habe ich viele Antworten auf diese Frage gefunden. Es bedeutet, offen und international, aber auch sehr diszipliniert und lösungsorientiert zu sein und immer nach vorne zu denken. Deutschsein ist also gar nicht so kompliziert.“ Van Bo Le

Er selbst lebt natürlich mit selbst entworfenen Möbeln, aber längst nicht nur damit. „Ich sammle Stühle, Sessel und Lampen – alles, was unter Moderne fällt.“ Darunter sind Klassiker von Eames, Jacobsen, aber auch ganz andere Sachen: „Mein Zugang zur Innenarchitektur war Ikea. Ich habe irgendwann verstanden, dass sie da eigentlich Geschichten verkaufen und nicht Möbel.“ Eine offene Schublade mit vier Gabeln in zwei Größen erzählt Familiengeschichten, zwei Männer auf dem Sofa von der Liebe. „An Ikea hab ich dann mal Fotos meiner Möbel geschickt.“ Die fanden sich im Kundenmagazin wieder – eines davon auf dem Titel mit der Botschaft: Lebe anders.

An Ikea schätzt er die Botschaft und die Basisnähe, aber seine eigene Utopie vom anderen Leben geht weit darüber hinaus. Beginnend mit der Möbelproduktion, will Le Van Bo die Arbeits- und Konsumwelt neu ordnen: Geht es nach ihm, konzentriert sich nicht mehr jeder nur auf einen winzigen Ausschnitt der Welt und kauft den Rest dazu, sondern jeder macht von allem ein bisschen. Unter dem Motto macht er jetzt auch was mit Medien: „Für Alte ohne Internet“ erstellt eine virtuelle Großgruppe, neudeutsch Web-Crowd, ein Buch mit seinen Möbelplänen. Jeder darf mitmachen; Redaktions- und Verlagsteams plaudern per Skype quer über Europa. 180 mehr oder minder aktive Unterstützer waren zuletzt registriert, von der Bahn-Managerin bis zum Hartz-IV-Empfänger. „Und am Ende werden die Leser die Inhalte ausgesucht haben, nicht irgendwelche Autoren oder Verlage.“

Sein Spektrum vom Bauhaus-Design über das Hartz-IV-Sägen und das Crowd-Buch ist so breit, dass Fremde ihm häufig Hintergedanken unterstellen und Etiketten ankleben. Er wird als Utopist und als Designer gehandelt oder als Architekt bezeichnet, auch wenn er sein Brot als „Stratege“ in einer Berliner Design- und Kommunikations-Agentur verdient, bevor er sich abends Möbel ausdenkt. Und er wird als heimlich kapitalistischer Zyniker angeprangert. „Glaubt Herr Van Bo ernsthaft, die kostenlose Abgabe von Bastelanleitungen würde die Lebensqualität verarmter Menschen so dramatisch verbessern, dass er die Hauptursache ihrer Nöte als Markenzeichen missbrauchen kann?“, fragt ein Armuts-Blogger aus Lörrach. „Sollen arme Menschen künftig auch noch dadurch gestraft werden, dass sie ihr Zuhause mit Armutsmöbeln im Einheits-Look dekorieren und ‚Hartz-IV‘ zum Lebensstil erklären?“

Über so etwas lächelt Le Van Bo leise, denn er hat hier sein Ziel erreicht: „Die Kombination des hässlichsten Wortes der Welt mit dem Thema Wohngemütlichkeit – das soll schon ein bisschen provozieren.“ Geschmacklos findet er es nicht, denn es sei ja gerade kein Armutsdesign: „Möbel im Bauhausstil sind sonst unverschämt teuer. Es soll sie sich aber jeder leisten können.“ Dessauer Möbel waren für die Industrieproduktion gedacht, „aber heute ist doch alles viel individueller“. Also sei es zeitgemäß, Entwürfe aus der Gropius-Schule für den Heimwerker von heute zu adaptieren: „Bauhaus meets Bauhaus, darum geht es doch!“

Er will aber immer auch querdenken und infrage stellen. Das soll als nächstes das Ein-Quadratmeter-Haus tun, das er im Sommer auf den Markt des nicht zu Bezahlenden bringt. Es bekommt ein Eigenheim-gemäßes Satteldach.Drinnen sitzt man oder köchelt auf den beiden Platten neben der Spüle, aber man kann auch das zwei Meter hohe Haus quer und dann sich selbst hineinlegen. „Wenn ich es im Immobilienteil inserieren würde, dann als Dreizimmerwohnung mit Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küche.“ Nur das Klo fehlt – „das Problem habe ich nicht lösen können“.

Mit dem Haus will er „die Diskussion eröffnen, wie viel Raum man eigentlich braucht. Es geht dabei um die Frage: Ist das ideale Leben eher das im der Doppelhaushälfte oder ist es das in der Tonne, das ganz einfache, flexible?“ Bei Letzterem kann man schließlich sein Heim immer nach dem Sonnenstand drehen. Für den Prototypen hat Van Bo gerade eine strenge Budget-Grenze gezogen: Das Material darf nicht mehr als 200 Euro kosten. Wenn das Häuschen steht, dürfte es wieder einen Schwall von Artikeln und Sendungen über ihn geben, wie schon nach der Erfindung des Sessels. Aber vorher erwartet ihn noch der Lohn dafür, dass er damals mit dem Volkshochschulkurs seiner Verlobten tatsächlich imponiert hat: Ab dem 28. April lautet sein Nachname Le-Mentzel.

Sägen und Singen

Mehr über Le Van Bos Möbel gibt es auf seiner ­Website – und dazu den „24 Euro Chair Rap“: www.hartzivmoebel.de

1 Gedanke zu „Der sanfte Vermöbler

  1. ‚’der sanfte vermöbler’

    lieber herr stimpel,

    wir schätzen ihre beiträge sehr, besonders die ausgabe zur nachhaltigkeitsthematik fanden wir journalisch-kritisch hervorragend.

    und nun dies.

    es ist schon erstaunlich, mit welcher naivität und vehemenz zugleich
    der design-nachwuchs fragwürdige vermarktungskonzepte
    unserer gesellschaft fortführt.

    der sitz für 24 € – mit dem spektakulären, vermarktungsgerecht
    geschönten preis beginnt alles.
    das öffnet tür und tor von DAB bis hin zum deutschen fernsehen.
    ein einfaches rechenbeispiel: 24 arbeitsstunden zu nur 3o,oo €
    bedeuten für das sitzmöbel schon 744,oo €.
    die in der bauanleitung gezeigten und erforderlichen werkzeuge,
    oberflächenbehandlung, bänder, polster oder die nutzung öffentlicher einrichtungen wie VHS oder privaten tischlereien etc. mal nicht gerechnet.

    IKEA als vorbild für eine äußerst geschickte ausnutzung von käuferpotentialen durch ‚geschichten erzählen’ bis ‚erfolgserlebnis bei geglückter montage’ und ikea family,
    von transportleistung bis zum selbst scannen der eingekauften ware (und damit der einsparung weiterer arbeitsplätze) ?
    eigentlich eine (besonders infame) geschickte ausbeutung der käufer und benutzer.

    läuft da nicht was schief?

    und die zielgruppen? schlechtes bauhaus für alle?
    nicht mehr in erinnerung, wie der mann auf der straße auf die
    spektakulären werkbundsiedlungen mit einfacher architektursprache und
    schlichtem mobiliar reagiert hat?
    oder die bewohner der siedlung törten auf die arbeitergerechten,
    spartanischen strukturen und einrichtungen?

    ein blick in die deutschen wohnzimmer wäre vielleicht hilfreich,
    bevor man anfängt, sich mit mobiliar für otto normalverbraucher zu befassen.

    zumindest eines scheint mir positiv: es entsteht kein ökologischer schrott
    in mengen wie beim großen vorbild.

    freundliche grüße

    frank huster, architekt und designer, neckartenzlingen
    +++++

    Antworten

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