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Illustration: Dipl.-Ing. Sylvia Heilmann

Bild 7: Denkmalgeschützte Schule, bei der wegen des „Fassadenschutzes“ keinesfalls Außentreppen, sondern neue Wendeltreppen in den beiden Innenhöfen zugelassen wurde. So konnte der 2. RW nach Kompromissfindung und Abwägung aller Belange, auch des Unfallschutzes, nachgewiesen werden. Im Rahmen eines Abweichungsantrages kann nachgewiesen werden, dass deren Benutzung ausschließlich dem Brandfall vorbehalten bleibt und dass keine konkreten Gefahren bestehen. Illustration: Dipl.-Ing. Sylvia Heilmann

[ Brandschutz ]

Die Not mit dem zweiten Rettungsweg

Der zum Brandschutz geforderte zweite Rettungsweg stellt Planer vor technische und architektonische Herausforderungen.

Fluchttreppe aus Stahl am Altbau
Bild 1: Neue Außentreppe aus Stahl, bewusst vom Gebäude abgesetzt

Von Sylvia Heilmann

Unbestritten führt die Notwendigkeit, aus einem Aufenthaltsbereich zwei Rettungswege ins Freie nachzuweisen, immer wieder zu Konflikten. Insbesondere in Bestandsgebäuden erfordert diese im § 33 (1) MBO eindeutig formulierte Gesetzmäßigkeit ein interdisziplinäres Zusammenwirken aller am Bau Beteiligten. Belange der Ästhetik, meist auch des Denkmalschutzes, der Konstruktion, der Grundrissgestaltung, der Nutzungsspezifik, der Benutzbarkeit, der Gebäudesicherheit und nicht zuletzt der Kosten spielen hierbei eine maßgebende Rolle.

Prinzipiell bestehen seitens des Gesetzgebers zwei Möglichkeiten, den zweiten Rettungsweg nachzuweisen:

  • eine weitere notwendige Treppe nach § 34 MBO  (siehe 1.),
  • eine mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle, wobei die Feuerwehr über die hierfür erforderlichen Rettungsgeräte auch verfügen muss und bei Sonderbauten wegen der Personenrettung keine Bedenken haben darf (siehe 2.).

Aus diesem Grundsatz lässt sich Zweierlei schnell erkennen:

  1.  Auch die so genannte „Nottreppe“ (häufig als Außentreppe geplant) ist eine notwendige Treppe, für die § 34 MBO uneingeschränkt gilt und für die eine allgemein anerkannte Regel der Technik als Entwurfsnorm zu berücksichtigen ist (DIN 18065)
  2. Regelmäßig ergeben sich die Bedenken beim Einsatz der Rettungsgeräte in Sonderbauten dann, wenn
    • einerseits die Rettungsgeräte, die benötigt werden, nicht verfügbar sind und
    • anderseits die zur Verfügung stehende Zeit für die Personenrettung nicht ausreicht, um alle Personen sicher aus dem Gebäude zu evakuieren.
Fluchttreppe aus Stahl am Altbau
Bild 2: Neue Außentreppe aus Stahl, eingefügt zwischen zwei Gebäudeteilen

Rettungszeit

Die zur Verfügung stehende Zeit ergibt sich dabei immer im Einzelfall z. B. aus dem Feuerwiderstand raumabschließender oder tragender Bauteile, welche die Personen solange schützen oder tragen sollen, bis die Feuerwehr vor Ort ist, die Rettungsgeräte einsatzbereit (Hilfsfrist) sind und zudem die Evakuierung erfolgreich abgeschlossen wurde. Bei einer durchschnittlichen Rettungsrate von drei Minuten pro Person können mit einfachen und logischen Ableitungen ganz schnell die tatsächlichen Bedenken begründet (siehe Bild 3) oder die Machbarkeit des Einsatzes der Rettungsgeräte nachgewiesen werden.

Grundriss einer Schule mit Rettungswegen
Bild 3: Etagengrundriss einer Schule mit Rettungswegen. Illustration: Dipl.-Ing. Sylvia Heilmann

Rettung von vielen Personen

Zu Bild 3: Der Einsatz der Rettungsgeräte der Feuerwehr ist bei 140 Kindern pro Geschoss ausgeschlossen! T 90+RS-Türen auf F 30-B-Decken ist kein zielführender Nachweis! Die bauordnungsrechtliche Zulässigkeit ist nicht gegeben. Grundsätzlich ist eine Evakuierung von Kindern, hilfsbedürftigen Personen, alten oder kranken Menschen über tragbare Rettungsgeräte der Feuerwehr ausgeschlossen. Das liegt zum einen an der zur Verfügung stehenden Zeit (Rettungsrate kontra Bauteilqualität) sowie der meist großen Personenanzahl (hohe Belegungsdichte), hängt zum anderen aber auch mit der besonderen physischen und /oder psychischen Konstitution der zu evakuierenden Personen zusammen.

Weisen z. B. Holzbalkendecken nur einen Feuerwiderstand von F 30-B (REI 30) auf (siehe Bild 3) verbleiben bei einer Hilfsfrist der Feuerwehr von zwölf Minuten bis zum Versagenszustand der Geschossdecken (30 Minuten) insgesamt 18 Minuten. In dieser Zeit können bei Einsatz der Tragleitern sechs Personen evakuiert werden. Daher ist für die im Bild 3 dargestellte Situation keine sichere Evakuierung aller Personen nachweisbar.

Der zweite Rettungsweg ist neben der Sicherheitsstromversorgung und der Sicherheitsbeleuchtung die einzige bauordnungsrechtlich geforderte Redundanz, was darauf zurückzuführen ist, dass der „Ausfall der ersten Versorgungs- bzw. Erschließungsebene“ regelmäßig unterstellt wird bzw. dass der Ausfall des ersten Rettungsweges (vor allem durch Raucheintritt) nicht ausgeschlossen werden kann, ja sogar planmäßig einkalkuliert wird.

Sobald sich das Erfordernis eines zweiten baulichen Rettungsweges an oder in einem bestehenden mehrgeschossigen Gebäude ergibt, ist zunächst die Frage zu beantworten, in welcher Weise der Höhenunterschied überwunden werden kann. Hierfür bieten sich prinzipiell verschiedene Lösungsansätze, die in Anhängigkeit der spezifischen Gegebenheiten mehr oder weniger praktikabel sind.

Schemea mögliche Rettungswege
Bild 4: Möglichkeiten der Höhenüberwindung zur Evakuierung von Personen. Illustration: Dipl.-Ing. Sylvia Heilmann

Die Wahl des zweiten Rettungsweges ist abhängig von:

  • den Platzverhältnissen im Gebäude und auf dem Grundstück,
  • den Grundrissstrukturen (Zugänglichkeit des RW, Erschließung der Nutzungen),
  • den konstruktiven Gegebenheiten (Fundamentierung, Verankerung am und im Gebäude, Durchbruch im Gebäude, Lastableitung neuer / alter Bauteile),
  • den ästhetischen Ansprüchen (Fassadengestaltung, Denkmalschutz),
  • den nutzungsspezifischen Erfordernissen (hilfsbedürftige Personen, Belegungsdichte),
  • den monetären Bedingungen (Investitionen, Wartungskosten, steuerliche Abschreibung usw.),
  • den versicherungsrechtlichen Vorgaben (Einbruchschutz, Betriebsunterbrechung).

Feuerwehraufzug und Rampe

Die angenehmste, aber sicher auch kostenintensivste Art der Höhenüberwindung ist der Aufzug, wobei seine Benutzung im Brandfall nur möglich ist, wenn es sich um einen Feuerwehraufzug nach DIN EN 81-72 handelt.

Die einfachste und nur für flache Gebäude geeignete Art der Höhenüberwindung ist offensichtlich die Rampe (Wendel- oder Spiralrampe oder geneigte Ebene), wobei diese Lösung aufgrund der nur geringen Neigung einen erheblich größeren Platzbedarf für die Höhenüberwindung nach sich zieht, als eine Treppe. Der Vorteil ist, dass deren Benutzung auch für Menschen mit körperlichen Einschränkungen möglich ist.

Weitere notwendige Treppe

Die üblichste und vom Gesetzgeber vorgegebene Art der Höhenüberwindung (siehe 1.) ist eine weitere notwendige Treppe. Aufgrund der Vielfältigkeit der Treppen ist deren Einsatz nahezu uneingeschränkt möglich. Vorteile sind neben dem geringen Platzbedarf (je nach Treppenkonstruktion) vor allem der hohe Vorfertigungsgrad, die umfangreiche Materialauswahl und die freie Gestaltung der Treppe. Nachteil ist, dass Treppen in der Regel von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen ohne fremde Hilfe nicht benutzt werden können. Außentreppen sind meist leichter anzubauen, als Innentreppen im Gebäude zu integrieren, was letztlich auch mit dem Verlust von Nutzfläche im Gebäude zusammenhängt. Gleichfalls sind Außentreppen ohne Treppenraum in brandschutztechnisch ungeschützter Form nur zulässig, wenn deren Benutzung nicht durch Öffnungen in der Fassade beeinträchtigt wird (siehe Bild 5).

Außen liegende Feuertreppe im Garten
Bild 5: Außentreppe, die durch Fenster unter dem Podest beeinträchtigt wird. Zudem fehlt ein Treppenzugang aus dem Obergeschoss. Foto: Dipl.-Ing. Sylvia Heilmann

Rettungsrutsche

Die kritischste und von Genehmigungsbehörden meist mit zusätzlichen Auflagen versehene Art der Höhenüberwindung ist die Rettungsrutsche. Sie ist nur im Einzelfall und nur dann genehmigungsfähig, wenn zusätzliche Bedingungen erfüllt werden (siehe Bild 6). Zusätzlich müssen die Gebäudeseiten für die Feuerwehrgeräte erreichbar sein (Außenangriff). Regelmäßige Übungen und ausreichend geschultes Personal sind weitere Bedingungen, die erfüllt sein müssen. Dieser Rettungsweg schließt sich allerdings für Kleinkinder bis 3 Jahre aus.

Kindergarten mit Rettungsrutsche
Bild 6: Rettungsrutsche vor geschlossener Wandscheibe zur Evakuierung aus dem Obergeschoss. Foto/Illustration: Dipl.-Ing. Sylvia Heilmann

Konflikte mit Nutzungen

Besonders anspruchsvoll werden die Konflikte, wenn mit dem Baunebenrecht (umfasst unter anderem das Umwelt- und Immissionsschutzrecht, das Gewerbe- und Arbeitsstättenrecht, das Fachplanungsrecht) ein scheinbares Übermaß an „Nebenforderungen“ die „Rechtsdisziplin“ empfindlich strapaziert. Beispielsweise seien hier die berufsgenossenschaftlichen Regeln (BGR) oder auch die Vorschriften der Unfallkassen benannt, deren Einhaltung in Deutschland hohe Priorität genießt. Eine autarke und rein formale Entscheidungsfindung widerspricht hier meist dem Erfordernis nach einer „interdisziplinären Gebäudeplanung“.

Das gilt im Besonderen für die Bewertung von bestehenden Gebäuden, die den modernen Vorschriften „von Natur aus“ nur selten gerecht werden können. Eine risikogerechte Herangehensweise, ein eigenverantwortliches Ermessen über zwingende Notwendigkeiten von materiell-rechtlichen Forderungen, über mögliche konstruktive Abschläge und über nutzungsspezifische Einschränkungen ist hier von allen Beteiligten, auch den Prüf- und Genehmigungsinstanzen, obligatorisch. Es kann und muss erwartet werden, dass die Grenzen eines Handlungs- und Ermessensspielraums im konkreten Einzelfall erkannt und in Hinsicht auf Zweck und Ziel der entsprechenden Vorschrift ausgenutzt werden. Dazu gehört, dass unverzichtbare Notwendigkeiten durchgesetzt werden. Dazu gehört auch, dass ggf. von einer undurchführbaren oder unzweckmäßigen bzw. nicht zielführenden Regel zugunsten einer Ersatzmaßnahme Abstand genommen wird.

Wendeltreppen

Sind beispielsweise die bestehenden Platzverhältnisse auf dem Grundstück so eingeschränkt, dass nur Wendeltreppen mit geringem Platzbedarf zum Einsatz kommen können, ist in Abwägung aller Befindlichkeiten zu überprüfen, ob diese im Einzelfall und ausnahmsweise nicht dem Ziel dennoch dienlich sein können, auch wenn die Vorschriften andere Lösungen bevorzugen. Wendeltreppen finden aber selten die Akzeptanz der Versicherungsträger. Es muss daher abgewogen werden, welche Maßnahmen dem Gebäude, den Nutzern, dem Investor, dem Versicherungsträger, der Öffentlichkeit, den Ausführenden zumutbar sind und damit letztlich auch nachhaltigen Bestand haben. Und manchmal ist eben auch die Wendeltreppe als einzige akzeptable Lösung ins Kalkül zu ziehen.

Bei einer denkmalgeschützen Schule (siehe Bild 7) etwa wurden der wegen des „Fassadenschutzes“ keinesfalls Außentreppen, sondern neue Wendeltreppen in den beiden Innenhöfen zugelassen. So konnte der zweite Rettungsweg nach Kompromissfindung und Abwägung aller Belange, auch des Unfallschutzes, nachgewiesen werden. Im Rahmen eines Abweichungsantrages kann nachgewiesen werden, dass deren Benutzung ausschließlich dem Brandfall vorbehalten bleibt und dass keine konkreten Gefahren bestehen.

Grundriss Schule mit Rettungswegen
Bild 7: Denkmalgeschützte Schule mit Wendeltreppen als Rettungswege. Illustration: Dipl.-Ing. Sylvia Heilmann

Dipl.-Ing Sylvia Heilmann ist Prüfingenieurin sowie öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für baulichen Brandschutz in Dresden und Fachautorin.

Einen Beitrag zum Thema Rettungswege im verdichteten, urbanen Kontext finden Sie hier

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