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[ Bauausstellungen ]

Berg und Bunker

Die ehrgeizigen Energieprojekte der IBA

Text: Sven Bardua

Zum „Energiebunker“ umgebauter Flakbunker aus dem 2. Weltkrieg – ein Projekt von Hegger Hegger Schleiff HHS Planer + Architekten AG aus Kassel. Landschaftsarchitektur: EGL, Hamburg. Foto:  IBA Hamburg GmbH / HHS Planer + Architekten AG

Ein gewaltiger Hochbunker und ein Müllberg gehören zu den sperrigsten Landmarken, die Hamburg zu bieten hat. Doch die IBA hat dieses ungeliebte Erbe zu Symbolen einer neuen Stadt entwickelt: als wichtige Bestandteile moderner Energieversorgungssysteme. Das Ziel der IBA: Bis 2050 sollen alle Gebäude in Wilhelmsburg vollständig mit regenerativer und lokal erzeugter Energie versorgt werden. Dabei geht es vor allem darum, die Emission klimaschädlicher Treibhausgase deutlich zu reduzieren. Den Weg dahin markiert eine Reihe von IBA-Projekten, die das genaue Hinschauen lohnen.

Die „Stadt im Klimawandel“ ist eines der drei Leitthemen der IBA. Doch wie kann Hamburg das Klima mit seiner Energiewirtschaft schonen? Zu Beginn der Bauausstellung wurde diese Frage nur zaghaft gestellt. „Es sind am Anfang ganz kleine Brötchen gebacken worden“, erinnert sich der Koordinator des Projektes, Karsten Wessel. Doch dann habe sich das Projekt schnell weiterentwickelt und die Energie sei als großes Thema nachgeschoben worden, freut er sich über den Erfolg. Attraktiv sei es unter anderem wegen der Quartiers-Struktur, denn das von den Flussarmen der Elbe umschlungene Wilhelmsburg ist ein relativ abgeschlossener Raum. Außerdem wurde die Marschinsel schon immer durch Hochwasser bedroht und belastet, musste mit Deichen geschützt werden und hat deshalb ein eminentes Interesse am Klimaschutz.

Von der Deponie zum Energieberg

Der heutige „Energieberg“ im Nordosten von Wilhelmsburg ist im Kern die 1979 geschlossene Mülldeponie Georgswerder. Aus den Abfällen sickerte damals Gift in das Grundwasser und brachte einen handfesten Umweltskandal. Anschließend wurde die Deponie aufwendig abgedichtet und dauerhaft gesichert. „Auch wenn das Image des Stadtteils bis heute von den damaligen Geschehnissen geprägt ist – technisch gesehen ist die Müllkippe heute unter Kontrolle“, so die IBA. Die 45 Hektar Fläche und die knapp 40 Meter Höhe der Deponie bieten auch handfeste Vorteile. Der längst begrünte Berg schirmt den Stadtteil zur Autobahn und zur Industrie auf der Peute ab. Und er bietet sich als Basis der neuen Solar- und Windenergieanlagen sowie eines Höhenrundweges förmlich an, gestaltet von den Berliner Landschaftsarchitekten Häfner/Jiménez. Mit den Pfaden zur Bergkuppe wird knapp die Hälfte dieses „technischen Bauwerkes“ für Bürger geöffnet, die so neue Ausblicke auf ihre Stadt bekommen. Daneben erzeugen zwei Windkraft- und eine Photovoltaikanlage auf dem Berg etwa 12,2 Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr für rund 4.000 Haushalte. Schon seit 1986 wird das bei der Abfallvergärung entstehende Deponiegas von der benachbarten Kupferhütte thermisch genutzt. Selbst die Wärme des gereinigten Sickerwassers aus der Deponie wird verwendet: Eine Wärmepumpe nutzt sie zum Heizen des neuen Informations- und Betriebsgebäudes von Konermann Siegmund Architekten aus Hamburg. Und wie an vielen anderen Stellen der IBA, kommt der Strom dafür von einer Photovoltaikanlage.

Energiebunker statt Betonklotz

Gipfel statt Tiefpunkt: Dioxinfunde auf der Mülldeponie Georgswerder markierten einen ökologischen Tiefpunkt auf der Elbinsel. Wind- und Solaranlagen, Wärmegewinnung aus Deponiegas und Sickerwasser sowie ein Parkweg der Berliner Landschaftsarchitekten Häfner/Jiménez aus Berlin sollen einen symbolischen Höhepunkt bilden. Foto: Aufwind Luftbilder/ Visualisierung: bloomimages

Der Energiebunker an der Neuhöfer Straße in Wilhelmsburg stand dagegen zunächst sechs Jahrzehnte nahezu ungenutzt herum, denn Umnutzung oder Beseitigung galten als zu teuer. 1943 auf einer Grundfläche von 57 Metern im Quadrat und mit einer Höhe von 42 Metern errichtet, diente der Hochbunker im Krieg als Basis für Flugabwehrkanonen (Flak) und Tausenden von Menschen als Schutzraum. Seine einst von Friedrich Tamms gestaltete Festungsarchitektur sollte Sicherheit suggerieren. Wegen der Nähe zu Wohnhäusern wurde der gewaltige Betonklotz nach dem Krieg nicht beseitigt. Doch zerstörten die britischen Alliierten 1947 mit einer gezielten Sprengung sein Inneres. Dabei stürzten sechs Etagen ein, nur die äußere Hülle mit den bis zu drei Meter dicken Wänden und das Dach mit den vier Geschützstellungen blieben erhalten. Nunmehr investierte die IBA knapp 27 Millionen Euro in den Umbau des Energiebunkers durch Hegger Hegger Schleiff aus Kassel und die technische Ausrüstung. Schon die Sicherung des Bauwerkes war schwierig, weil einst bei der Sprengung auch die Wandvorlagen zerstört worden waren. Außerdem mussten 25.000 Tonnen Schutt aus dem Inneren entfernt werden. Um die maroden Außenwände zu sichern, wurden neun Zentimeter Spritzbeton aufgebracht. Entgegen den ursprünglichen Planungen konnten dabei nur sechs kleine Wandflächen im alten Zustand erhalten werden.

Heute bietet der denkmalgeschützte Bau außer der Energietechnik eine Ausstellung zur Geschichte des Bunkers sowie ein Café mit Dachterrasse. Auch im Inneren gibt es auf zehn Metern Höhe eine Plattform, von der aus Besucher den neu geschaffenen Raum mitsamt der Technik erleben können. Ein 2.000 Kubikmeter fassender Wärmespeicher ist hier Herz des Systems. Als Puffer gleicht er Lastspitzen bei der Produktion und dem Verbrauch von Energie aus. Den großen Stahlbehälter speisen die Wärme eines mit Biogas aus dem öffentlichen Netz belieferten Blockheizkraftwerkes, eines mit Holzhackschnitzeln befeuerten Heizkessels für die Spitzenlast, einer solarthermischen Anlage auf dem Dach sowie die Abwärme einer benachbarten Ölmühle. Sie versorgen so einen großen Teil des Reiherstiegviertels in Wilhelmsburg mit Fernwärme. Außerdem kann hier Windstrom in Wärme verwandelt werden, weil das Speichern von Wärme kostengünstiger ist als das von Strom. Das Konzept der Anlage sei in Deutschland ohne Vorbild, sagt Karsten Wessel. Im Betrieb will man Erkenntnisse über die Praxistauglichkeit sammeln und vor allem die für das Zusammenspiel der Erzeuger sowie die Wärmeströmungen im Speicher maßgebliche Regel- und Hydrauliktechnik beobachten. Strom wird von an der Südwand des Baus angebrachten Solarzellen sowie vom Blockheizkraftwerk produziert. Somit erzeugt der alte Bunker im Endausbau pro Jahr etwa 22.500 Megawattstunden Wärme (für etwa 3.000 Haushalte) und fast 3.000 Megawattstunden Strom (für etwa 1.000 Haushalte).

Heißes Wasser aus der Tiefe

Ein zweites Wärmenetz entsteht im Südwesten von Wilhelmsburg auf der Basis von Geothermie. Die Bohrungen dafür beginnen im Sommer 2013 an der Georg-Wilhelm-Straße: Ab Mitte 2014 soll aus einer Tiefe von etwa 3.000 Metern heißes Wasser mit einer Temperatur von 130 Grad Celsius gefördert werden, um Fernwärme und Strom zu produzieren. Die Leistung wird auf 10,5 Megawatt geschätzt. Viele der dort ansässigen Gewerbebetriebe hätten ein Interesse an dem Projekt, das nach Angaben von Karsten Wessel auch wirtschaftlich zu betreiben ist. Erstmals werde damit das Potenzial der Geothermie im Zentrum einer europäischen Großstadt in großem Maßstab genutzt.

Das dritte Wärmenetz der IBA entsteht zusammen mit den IBA-Neubauten an der S-Bahn-Station in Wilhelmsburg-Mitte. Jedes dieser Häuser zeigt auf eigene Art und Weise, wie vorbildliches Bauen in Zeiten des Klimawandels aussehen könnte. Die Energiezentrale befindet sich unter dem Vorplatz des Neubaus der Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU). Hier übernimmt ein ebenfalls mit Biogas betriebenes Blockheizkraftwerk den größten Anteil an der Wärmeversorgung. Das Wärmenetz ist zudem offen für weitere Energieversorger: Viele der neuen Gebäude verfügen über eigene Anlagen zur regenerativen Energieerzeugung. Und sie dürfen nicht nur Strom-, sondern auch Wärmeüberschüsse in die Netze einspeisen. So entsteht im Verbund aus vielen kleinen Anlagen ein großes virtuelles Kraftwerk.

Größter Nutzer dieses Wärmenetzes sind ein Schwimmbad und der BSU-Neubau. Dieser soll auch beim Energiesparen punkten. Die in einem Wettbewerb siegreiche Arbeitsgemeinschaft der Architekten Sauberbruch Hutton (Berlin) und die Ingenieurgesellschaft Innius RR (Rosbach) setzten dort ihren Entwurf um. Er beweist, dass „eine ökologisch und funktional höchst anspruchsvolle Architektur zugleich auch originell, emotional und schön sein kann“, schreibt der städtische Oberbaudirektor Jörn Walter. Der ambitionierte Bau profitiere von einem kompakten Baukörper mit gutem Wärmeschutz und angemessenen Glasflächen sowie außen liegendem Sonnenschutz in Verbindung mit natürlichen Ressourcen, wie Tageslicht, Querlüftung, Geothermie und freier Nachtkühlung.

Die interessanteste Technik der IBA-Neubauten bietet aber das sogenannte Algenhaus mit seiner „Bioreaktorfassade“ – siehe Beitrag Wände mit Wasserwesen. Dank der wachsenden Algen und der Wasserströmung scheint die Fassade ständig in Bewegung zu sein. Ebenfalls dynamisch ist die Fassade des Soft House der Architekten Kennedy & Violich aus Boston und 360 Grad plus aus Hamburg. Hier richten sich die auf der Südseite aufgespannten Textilmembranen auf das Tageslicht aus. So können die Bewohner dieser Reihenhäuser Lichteinfall, Aussicht und Schatten regulieren – und damit bis zu einem gewissen Maß den Energiehaushalt des Gebäudes steuern. Auf die Membranstreifen applizierte, sehr dünne Photovoltaikzellen erzeugen zudem Strom.

Das Ernten und Speichern von Energie bestimmt die Gestaltung des Hauses „Smart ist grün“ von Zillerplus Architekten aus München: Im Mittelpunkt steht der Einsatz von Latentwärmespeichern aus Phasenwechselmaterial (PCM). Auf der Südseite öffnet sich die Hausfassade in gestaffelten Schichten: So schützen Module mit raumhohen vertikalen Gärten aus Rankpflanzen im Wechsel mit Photovoltaikflächen an den Balkonbrüstungen vor Sommerhitze. Dahinter schafft eine Front aus Isolierglas Schutz vor Kälte und Wärme. Als letzte Schicht wird im Inneren ein PCM-Vorhang als Kurzzeit-Wärmespeicher eingesetzt. Außerdem gibt es Solarthermie-Flächen auf dem Dach. Überschüssige Wärmeenergie wird zentral im Haus in einem PCM-Tank gespeichert und von einer Wärmepumpe als Warmwasser in die Wohnungen oder in das Nahwärmenetz eingespeist.

Aufwendig sanierte Altbauten

Mäander im Bau: Energetisch ambitioniert ist auch der ­Neubau der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt von Sauerbruch/Hutton aus Berlin. Foto: IBA Hamburg GmbH/Martin Kunze

Wenig spektakulär, für das Klima aber besonders effizient ist die Sanierung von Altbauten. „Hier steckt das größte Einsparpotenzial“, betont die IBA. Um auch private Eigentümer zur energetischen Sanierung ihrer Häuser zu motivieren, startete die Bauausstellung die Kampagne „Prima Klima-Anlage“. Der hierfür entwickelte Maßstab „IBA-Exzellenz“ setzt einen deutlich höheren Standard als die Klimaschutzverordnung der Stadt, wobei nicht alle sieben aufgestellten Kriterien umgesetzt werden müssen. Dabei geht es um das Dämmen von Außenwänden, Dach und Keller, um neue Fenster, eine kontrollierte Lüftung mit Wärmerückgewinnung, energieoptimierte Wärme- und Warmwasserversorgung mit erneuerbaren Energien sowie den Bau einer Photovoltaikanlage. Damit seien Energieeinsparungen von bis zu 90 Prozent realistisch und finanzierbar, heißt es.

In der Praxis sind in einem Fall sogar 95 Prozent erreicht worden: Saniert wurde die 1896 erbaute Doppelhaushälfte „Auf der Höhe 25“. Das Haus wurde vollständig gedämmt, erhielt neue Fenster, eine Lüftung mit Wärmerückgewinnung sowie einen von Solarthermie unterstützten Kessel mit Holzpelletfeuerung zum Heizen. Da die Putzfassade von außen gedämmt wurde, bekam das Haus nachgebildete Zierelemente für die Fassade und Fenster mit Sprossen. Damit blieb die alte Ansicht zumindest optisch einigermaßen erhalten.

Bei zwei 1926 erbauten Wohnblöcken in der Wilhelmsburger Straße auf der Veddel im Norden der Elbinsel wurde dagegen eine denkmalgerechte Sanierung umgesetzt. Hier prägen dunkelrote Klinkerfassaden der klassischen Moderne das Bild des Wohnquartiers. „Obwohl die Gebäude mit ihrer charakteristischen Straßenfassade aus Klinker unter Denkmalschutz stehen, erreichen sie nach Abschluss der Sanierungsarbeiten annähernd Neubaustandard“, schreibt die IBA stolz. Da die Straßenfassaden, außer mit Doppelglasfenstern, nicht von außen gedämmt werden sollten, wurden alle anderen Bauteile in einem sehr guten Standard saniert. Damit werden im Vergleich zum alten Zustand bis zu 76 Prozent der Primärenergie eingespart.

Unterdessen wandelt sich das Klima trotzdem. Damit ist das tief liegende Wilhelmsburg auf Dauer von Hochwasser bedroht. Ob das „IBA Dock“ dafür eine zukunftsweisende Lösung bietet, darf bezweifelt werden: Der mit drei ­Geschossen bebaute Ponton im Müggenburger Zollhafen ist mit einer Nutzfläche von knapp 1.900 Quadratmetern das größte schwimmende Büro- und Ausstellungsgebäude in Deutschland (entworfen von Han Slawik aus Hannover). Bei höheren Wasserständen schwimmt es auf und passt sich nach Angaben der IBA so der Natur und dem Klimawandel an. Doch was nützt eine schwimmende Anlage, wenn bei einer Flut die Zufahrten nicht mehr passierbar sind? Immerhin nutzt das Dock die Wasserfläche eines sonst weitgehend ungenutzten Hafenbeckens gewissermaßen als „Bauland“ – und das selbstverständlich mit Energietechnik gemäß IBA-Standard.

Sven Bardua ist Autor und Journalist in Hamburg

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