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[ Deutscher Architekturpreis 2013 ]

Leiser Sieger

Das Kunstmuseum Ravensburg mit seinem simplen Grundriss, seiner besonderen Fassade und den präzise geplanten Details hat den Deutschen Architekturpreis 2013 gewonnen

Eigenständig und integriert: Das Kunstmuseum Ravensburg behauptet sich in der Altstadt, ohne aus dem Rahmen zu fallen.

Text: Simone Hübener

Wenn Arno Lederer mit Schwarzstift und Skizzenrolle das Entwurfskonzept des Kunstmuseums Ravensburg erklärt, scheint alles ganz einfach zu sein. Um auf dem kleinen Grundstück möglichst viel Ausstellungsfläche zu schaffen, schrieben ihm die Architekten das größtmögliche Rechteck ein und stapelten dieses dreimal übereinander. Im Erdgeschoss fehlt eine kleine Ecke, was der realen Form des Grundstücks geschuldet ist. Vor Ort wirkt das Gebäude dagegen überhaupt nicht simpel. Es ist schön und robust und fügt sich perfekt in seine Umgebung ein.

Gründe genug, um den Deutschen Architekturpreis 2013 an das Stuttgarter Büro Lederer + Ragnarsdóttir + Oei (LRO) zu verleihen, das das Museum entworfen hat. Den Preis haben das Bundes-Bauministerium und die Bundesarchitektenkammer (BAK) gemeinsam ausgelobt. BAK-Präsident Sigurd Trommer lobt an dem Museum die erfüllten „Ansprüche an Qualität, Nachhaltigkeit und Energieeffizienz“ und stellt fest: „Es fügt sich wunderbar in das schöne, historisch gewachsene Stadtbild von Ravensburg.“ Bundesbauminister Peter Ramsauer charakterisiert das Haus als „großartiges Plädoyer für die behutsame Fortentwicklung der europäischen Stadt“.

Preisgekrönt: Blick ins Innere des ausgezeichneten Museumsgebäudes.

Anlass für den Bau war die Sammlung von Peter und Gudrun Selinka, die rund 230 Werke umfasst. Mehr als zwei Drittel der Druckgrafiken, Zeichnungen und Gemälde sind dem deutschen Expressionismus zuzuordnen – unter anderem Werke von Ernst Ludwig Kirchner, Gabriele Münter und Wassily Kandinsky. Die Stadt Ravensburg hatte an diesem Schatz zwar Interesse, aber kein Geld, um dafür ein Museum zu bauen. Deshalb trat das Bauunternehmen Georg Reisch auf den Plan, finanzierte das Haus und vermietet es nun für 30 Jahre an die Stadt. Ein Glücksfall für Sammlung, Stadt und Architekten. Arno Lederer: „Dieser Investor stellt alle Vorurteile auf den Kopf.“ Es habe nicht die sonst üblichen Diskussionen gegeben, ob sich dies oder jenes günstiger realisieren lasse. Sondern stattdessen gemeinsame Überlegungen, ob es nicht noch einen Tick besser gehe.

 

 

Erst die Stadt, dann das Haus

Die komplette Fassade des Museums besteht aus wiederverwerteten Ziegeln. Damit setzte das Büro LRO eines seiner Herzensanliegen bei diesem Projekt in großem Stil um. „Weg von einer Produktions- hin zu einer Verwertungsgesellschaft“ lautet das Motto von LRO. Diese Herangehensweise ist wahrlich nachhaltig, der Weg bis zum fertigen Projekt allerdings oftmals steinig. Denn Normen und Vorschriften gibt es dafür nicht. So müssen Einzelzulassungen beantragt und muss viel experimentiert werden. Günstiger als neue Steine ist das Wiederverwerten vorhandener damit nicht. Trotzdem ist die komplette Fassade mit Ziegeln bekleidet, die ihr erstes, 200 Jahre dauerndes „Leben“ in einem Kloster in Belgien nahe der deutschen Grenze verbracht haben. Sie hielten Wind und Wetter stand und bescheren deshalb auch den Ravensburgern eine wartungsarme Fassade – eine einwandfreie Verarbeitung vorausgesetzt.

Der rechteckige Grundriss nimmt im Erdgeschoss Garderobe, Kasse, eine erste Ausstellungsfläche und einen Raum für die Museumspädagogik auf. Dem Rechteck sind die beiden Treppenhäuser an die Seite gestellt. Das nordwestliche, in dem der Aufzug untergebracht ist, dient auch als Fluchttreppenhaus und wird – entgegen den Planungen der Architekten – nur als solches genutzt. Der Besucher kann sich also nicht spiralfömig vom Erdgeschoss ins zweite Obergeschoss bewegen, sondern muss die im Südosten gelegene Haupttreppe benutzen. Doch das tut man gerne, denn die Planer inszenierten den Weg nach oben. Kleine hochformatige Fenster durchbrechen die dicke Wand und bekommen auf der gegenüberliegenden Innenwand exakt gleich große Gegenspieler in Form von Einbauleuchten. Nachts bleibt das Wechselspiel der beidseitigen Beleuchtung erhalten. Dafür sorgen LED-Leuchten, die in Lichtfugen direkt hinter dem Blendrahmen eingebaut wurden.

Von außen betrachtet, ordneten die Architekten die Fensteröffnungen regelmäßig an. Von innen jedoch ergibt sich wegen der ansteigenden Treppe jedoch ein zufällig erscheinendes Muster von hoch- und tiefliegenden Fenstern. Einige bieten wunderschöne Ausblicke auf den direkt ans Museum angrenzenden Veitshügel und den Wehrturm „Mehlsack“, einem Wahrzeichen Ravensburgs. Es sind die einzigen Fenster des ganzen Baus – neben dem großen, in neun Teile gegliederten Fenster des Museumspädagogik-Raums. Um den Kuratoren möglichst viele Freiheiten für die Gestaltung der Ausstellungen zu lassen und die Kunstwerke vor einfallender UV-Strahlung zu schützen, verzichteten LRO in den Ausstellungsbereichen auf Fenster. Diese zurückhaltende Museumsarchitektur tut gut nach all den lauten, sich selbst zum Kunstwerk erhebenden Bauten, die in den letzten Jahren anderswo entstanden sind.

Handwerk und Hightech

Ein kunstvolles Element findet sich allerdings auch in diesem Museum. So schlicht und einfach sich der Ausstellungsraum im ersten Obergeschoss zeigt (hellgrauer geschliffener Estrich und dunkelgraue Wände und Decken), so besonders ist die sichtbare Dachkonstruktion über der zweiten Etage. Sieben konische, verschränkt angeordnete preußische Kappen aus naturbelassenen Ziegeln überspannen stützenfrei den kompletten Raum und erzeugen eine beeindruckende Atmosphäre.

Wirklich nachhaltig ist bei diesem Museum nicht nur die Fassade. Für die Besucher unsichtbar, schlummert allerlei Technik im Innern des Gebäudes – teils ohnehin nötig für die empfindlichen Kunstwerke, teils zusätzlich für Energie-Effizienz und Raumklima. Die Lüftungsanlage ermöglicht je nach Bedarf Umluft- wie Zuluftbetrieb, wodurch die Lüftungswärmeverluste reduziert werden. Die Gas-Absorptionswärmepumpe liefert in Kombination mit acht je 100 Meter tiefen Erdsonden im Winter Wärme und im Sommer Kälte, die mittels Betonkernaktivierung den Räumen zugeführt werden. Außerdem sorgt die Körperwärme der erwarteten 25.000 Besucher pro Jahr für interne Gewinne.

Ungewöhnlich für ein Passivhaus sind die wenigen Fenster – es gibt also kaum solare Gewinne. Deshalb entschieden sich Bauherr, Architekt und die Fachplaner des Büros Herz & Lang für eine hochwärmegedämmte Fassade und eine möglichst wärmebrückenfreie Konstruktion, damit der maximal mögliche Wert für den Heizwärmebedarf von 15 kWh/(m²a) eingehalten werden konnte. Dafür wurden, sofern nötig, neue Bauteile entwickelt, etwa der stabförmig aufgelöste Anker für die vorgehängte Fassade und die Drehtür am Eingang. Deren Flügel sind isolierverglast, die Seitenwände wärmegedämmt und die Bürstendichtungen doppelt vorhanden, weshalb zum Öffnen der Tür etwas Kraft erforderlich ist.

Dass das Museum als Passivhaus realisiert wurde, bringt auch der Stadt zwei Vorteile. Zum einen lässt sich mit dem Titel „erster Museumsbau im Passivhaus-Standard“ vorzüglich werben, zum andern konnten die Betriebskosten auf 240.000 Euro pro Jahr reduziert werden, was für die Stadtkasse allerdings noch immer viel Geld ist. Viel wichtiger ist aber der doppelte ästhetische Gewinn. Inzwischen hat die Kunst ihren Platz im Haus eingenommen. Und dieses zeigt auf seine zurückhaltende Art jetzt noch deutlicher, wie schön leise Museumsarchitektur sein kann.

Simone Hübener ist Fachjournalistin für Architektur und Bauen in Stuttgart.


Alle Auszeichnungen und Anerkennungen zum Deutschen Architekturpreis 2013 hier.

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