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[ Schwerpunkt: Städtebau ]

Land-Leben

Wer nach zukunftsweisenden baulichen Entwicklungen sucht, guckt fast automatisch zuerst in große Städte. Doch Innovationen gibt es auch in Weyarn, Luckenwalde oder Biberach

Text: Cornelia Dörries

Schon das Wort: Provinz. Es klingt nach überdimensionierten Gewerbegebieten und öden Einfamilien­haussiedlungen, nach Rückständigkeit, Überalterung und abnehmender Lebensqualität. Wer dort wohnt, so der naheliegende Kurzschluss, der hat es einfach nicht rechtzeitig in die Stadt geschafft. Doch dieses triste Vorurteil täuscht darüber hinweg, dass nach wie vor gut die Hälfte der bundesdeutschen Wohnbevölkerung auf dem gering geschätzten „Land“ lebt; in Dörfern, Gemeinden, Klein- und Mittelstädten, die den negativ besetzten Sammelbegriff von der stagnierenden Provinz auf vielfältige Weise unterlaufen. Das jedenfalls ist eine Erkenntnis, die man auf dem Symposium gewinnen konnte, das sich Ende Mai im thüringischen Volkenroda der „Baukultur in ländlichen Räumen“ widmete. Vorgestellt wurden dort die Ergebnisse eines Forschungsprojektes, das im Auftrag des Bundesbauministeriums seit November 2011 „das baukulturelle Potenzial in Deutschlands ländlichen Regionen“ untersuchte. Mit der Studie sollten Gemeinden ermittelt werden, die durch ihre engagierten Strategien im Bereich Planen und Bauen zur Erhaltung und Weiterentwicklung von Qualitäten ihres jeweiligen Ortes und ihrer Region beigetragen haben. Die beauftragten Wissenschaftler haben nun vier sogenannte „Baukulturgemeinden“ auserkoren, die außer dem wolkigen Titel zwar recht wenig gemeinsam haben, doch auf sehr nachdrückliche Weise belegen, dass Baukultur immer nur das sein kann, was vor Ort geschieht. Und das ist so individuell wie die jeweiligen Strategien und die handelnden Personen.

Neue Dreifaltigkeit: In Volkenroda verbindet ein Architekt Leben, Ort und Arbeit

Was unterscheidet Volkenroda von den vielen anderen Gemeinden, die nach dem Ende der DDR in ähnlich desolatem Zustand waren und trotz Wiederaufbauhilfe und Förder­geldern nicht so erfolgreich zum Leben wiedererweckt werden konnten wie das 180-Seelen-Dorf in Thüringen? Zur ­Erklärung muss man weit ausholen: Volkenroda geht auf eine mittelalterliche Klosteranlage zurück, die im 12. Jahrhundert von den Zisterziensern gegründet wurde und über die Jahrhunderte in ihrer baulichen Substanz weitgehend erhalten blieb, doch in den Jahren der DDR dem Verfall preisgegeben wurde.

Foto: Gerhard Aumer
Von wegen weltabgeschieden: Mit dem Wiederaufbau des Klosters in Volkenroda begann auch die Revitalisierung des Dorfes – ein Erfolg, der vor allem dem persönlichen Engagement der beteiligten Akteure zu verdanken ist. Foto: Gerhard Aumer

Die erste Bestandsaufnahme nach der Wende fiel verheerend aus: In dem moribunden Ort lebten noch gerade 30 Menschen; die historische Klosteranlage war eine einsturzgefährdete Ruine und musste zunächst notdürftig gesichert werden. Der Wiederaufbau begann 1991 mit der Rettung der Klosterkirche, oder besser gesagt, dessen, was davon noch zu retten war. 1994 übernahm schließlich die ökumenische Jesus-Bruderschaft die weitläufige Liegenschaft und verpflichtete für die Sanierung der Bauten und Anlagen den Architekten Günther Hornschuh (Planungsgruppe Stieldorf). Seine zeitgenössischen Ergänzungen in Stahl und Glas am ehemaligen Konventgebäude haben, wenn man so will, die Tonart vorgegeben, in der die alten Mauern nun nach und nach saniert, repariert und erneuert werden; freilich auf eine sehr zurückhaltende und respektvolle Art. Und so passt sich in das allmählich zusammenwachsende Gefüge auch der mächtige Christus-Pavillon von gmp ein, der auf der Expo 2000 in Hannover stand und dann nach Volkenroda versetzt wurde.

Zu jenem Zeitpunkt hatte – auf Empfehlung von Hornschuh – Bernward Paulick die Leitung des Wiederaufbaus übernommen. Der Architekt, Jahrgang 1961, schlüpfte hier nolens volens in die Rolle eines modernen Klosterbaumeisters, in dessen Person Leben, Ort und Arbeit auf fast vormoderne Weise in eins fallen. Er zog von Aachen nach Volkenroda, gründete sein Büro „bauhütte volkenroda“ und baute für sich und seine Familie am Dorfrand ein Haus. Neben der Arbeit an den Klosteranlagen plant er inzwischen auch für verschiedene Bauherren aus der Region, doch sein Lebensmittelpunkt ist Volkenroda. Schon deshalb ist es ihm ein Anliegen, mit dem Kloster, das inzwischen eine gut besuchte Pilger- und Tagungsstätte ist, auch das Dorf selbst voranzubringen – mit Ideen, Entwürfen sowie im Dialog mit seinen Nachbarn, dem Bürgermeister und der Bruderschaft.

Mit seinem Engagement in und für Volkenroda dürfte Paulick dem Ideal eines Baukultur-Protagonisten sehr nahe kommen, obwohl er auf jeden ideologischen Überbau verzichtet und stattdessen eine sehr pragmatische Haltung zu der ministerial gewürdigten Baukultur in seiner Gemeinde pflegt. Mit diesem Begriff dürfe man im Dorf niemandem kommen, bemerkt er in seinem Vortrag auf dem Symposium: „Baukultur bedeutet hier, gemeinsam ein Bier am Gartenzaun zu trinken.“

Baukultur als Verwaltungskunst: Die Bürgerkommune Weyarn in Bayern

In der Gemeinde Weyarn leben auf einer Fläche von 49 Quadratkilometern gut 3.400 Einwohner, verteilt auf 21 Dörfer, die zum Teil nicht mehr als eine Handvoll Häuser umfassen. „Etwa die Bevölkerungsdichte von Kasachstan“, scherzt Bürgermeister Michael Pelzer. Er hat gut lachen. Denn Weyarn liegt etwa 35 Kilometer südlich von München und damit in einer der attraktivsten und zugleich teuersten Regionen Deutschlands. Wer hier mit Architektur nicht nur den heiß laufenden Immobilienmarkt bedienen möchte, sondern den Ehrgeiz hat, das Baugeschehen mit Blick auf die zukünftige Entwicklung zu steuern, kann am Beispiel Weyarn studieren, wie eine selbstbewusste Landgemeinde unter dem Druck von Bodenknappheit und großer Nachfrage neue Strategien der Grundstückspolitik und der Bürgerbeteiligung entwickelt.

Foto: LandLuft
Weiß-Blau mit Grün: Weyarn ist ein bayerisches Dorf und will das auch bleiben. Dafür sorgt neben einer eigenwilligen Bodenpolitik auch die Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger bei Bauvorhaben. Foto: LandLuft

Schon seit Anfang der 1990er-Jahre werden die in zahlreichen Vereinen und Arbeitskreisen organisierten Einwohner in die Entscheidungen der Gemeinde einbezogen, ganz gleich, ob es dabei um einzelne Bauprojekte, die Frage nach Baulanderweiterung, Verkehrsplanung oder architektonische Gestaltung geht. Um die Arbeit der verschiedenen Gruppen und Initiativen möglichst geschmeidig zu koordinieren, leistet sich Weyarn sogar einen eigenen Ansprechpartner im Rathaus. Auch die ungewöhnliche Strategie in Sachen Bodenpolitik ist das Ergebnis eines langwierigen Entscheidungsprozesses, der freilich nicht immer harmonisch ablief. Denn das begehrte Bauland wird in Weyarn streng bevorratet: Bei der Umwandlung von landwirtschaftlichem Grund aus Privatbesitz in Bauland sichert sich die Gemeinde zwei Drittel zum doppelten Landwirtschaftspreis und vergibt die Grundstücke dann im Erbbaurecht für 149 Jahre zum Beispiel an bauwillige junge Familien aus dem Ort, die sich ein Grundstück zu gängigen Marktpreisen sonst nicht leisten könnten. Das andere Drittel des Bodens verbleibt beim Eigentümer, der es entweder selbst nutzen oder zum Marktpreis verkaufen kann. Die Gemeinde beugt mit diesem Modell einer ungezügelten Bodenspekulation vor und kann zugleich Infrastruktureinrichtungen schaffen oder gezielt die standortspezifische Ansiedlung von Gewerbe begünstigen.

Aus einer Not viele Tugenden machen: Die Stadt Luckenwalde weiß, was sie will

Dass auch eine wirtschaftlich gebeutelte, schrumpfende Stadt im armen Brandenburg als Baukulturgemeinde reüssieren kann, macht Luckenwalde vor. Die Kreisstadt mit derzeit 20.000 Einwohnern, die auf eine lange Industriegeschichte zurückblickt, nahm ihr reiches bauhistorisches Erbe zum Ausgangspunkt der Stadtentwicklung unter den erschwerten Bedingungen der Nachwende-Zeit. Der beachtliche Nachlass stammt zum überwiegenden Teil aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und ist mit Namen wie Erich Mendelsohn, Richard Neutra und Hans Hertlein verknüpft, die hier Wohn-, Industrie- und öffentliche Bauten entwarfen.

Foto: LandLuft
Wertvolles Erbe: Die Hutfabrik von Erich Mendelsohn in Luckenwalde gehört zum architektonischen Vermächtnis der Moderne, das die Stadt als Unterpfand für ihre Entwicklung nutzt. Foto: LandLuft

Dieser Bestand wurde von Mitte der 1990er-Jahre an nach und nach saniert und durch qualitativ anspruchsvolle Neubauten ergänzt, nicht selten unter Rückgriff auf den historischen Generalbebauungsplan aus den Zwanzigerjahren, den die Stadt schon seinerzeit als Grundlage nutzte. Während es damals galt, das Wachstum zu lenken, geht es heute um die intelligente Verknüpfung und Integration des Bestands. Die Stadt setzt dabei konsequent auf Wettbewerbe, die Einbindung externer Fachleute und ein personell vorbildlich und kompetent ausgestattetes Planungsamt.

Zu den schönsten neuen Bauprojekten gehört sicher die „Bibliothek im Bahnhof“ (Architektengemeinschaft FF-Architekten und Raumbewegung, Berlin): Das von der Bahn nicht mehr genutzte Gebäude aus der Kaiserzeit wurde für die Stadtbibliothek umgebaut und um einen im Wortsinn schrägen, mit Goldschindeln verkleideten Anbau ergänzt. Hierfür gab es beim Deutschen Städtebaupreis 2010 den Sonderpreis „Orte des Wissens und der Bildung im städtebaulichen Kontext“. Das nächste Vorhaben der Stadt, die denkmalgerechte Sanierung der Fußgängerzone aus DDR-Zeiten, ist mit dem Ziel verbunden, die Innenstadt weiter aufzuwerten und über den Ausbau des Wegenetzes vom Autoverkehr zu befreien. Weil die Stadt auf Anregungen, Wünsche und Vorstellungen ihrer Bürger Wert legt, gibt es seit 2000 die Aktionen „Luckenwalde zeigt sich“ und „Luckenwalde stellt sich“, die im Zwei-Jahres-Rhythmus den Stand der Stadtentwicklung bilanzieren und zum Austausch auffordern. Dieses Angebot wird von der Einwohnerschaft rege genutzt. Ihre ehrgeizigen Pläne können die Verantwortlichen in Luckenwalde freilich nur mithilfe von Förderprogrammen realisieren – im Moment sind es allein 16 verschiedene Töpfe von Land, Bund und EU, aus denen die Stadt Mittel für ihre Bau- und Infrastrukturprojekte bezieht. Offenbar haben die Stadtverantwortlichen und die Fachleute nicht nur die Luckenwalder Bürger überzeugt.

Aus dem Vollen schöpfen: In Biberach geht die Stadt neue Wege

Im prosperierenden Süden der Republik liegt Biberach, eine Kreisstadt mit etwa 32.000 Einwohnern und einer intakten mittelständischen Wirtschaftsstruktur. Im Gewerbe- wie im Wohnungsbau herrscht laut Baubürgermeister Christian Kuhlmann „eine enorme Dynamik“. Dass diese Dynamik sich auch in einer hohen Qualität der Neubauten niederschlägt, ist nicht zuletzt das Verdienst von Kuhlmann und seinen Mitarbeitern. Er wollte dem gestalterisch weitgehend gewissenlosen Baugeschehen, das vor allem in den 1990er-Jahren an der Tagesordnung war, eine Qualitätsstrategie entgegensetzen: Wie ist eine bessere Architektur möglich? Und lässt sich auch mit Einfamilienhäusern ein städtebaulicher Mindestanspruch umsetzen? Diese Überlegungen flossen in eine differenzierte Strategie für den Umgang mit Bestand und Neubaugebieten ein. So wurde unter dem Motto „Qualitäts­offensive Innenstadt“ für das historische Zentrum eine Stadtbildanalyse durchgeführt. Die erfasste Vielfalt der Fassadendetails, Schmuckelemente, Fenster, Proportionen, Traufen und Giebel wurde in einer Art Gestaltungsfibel dokumentiert, die seitdem für neue Planungen zurate gezogen wird. Dieser starke Bezug auf regionale Traditionen hat dazu geführt, dass die Sanierungen und Ergänzungen im Bereich des Zentrums von außerordentlicher Qualität sind. Für die Entwicklung der Neubaugebiete beschritt die Stadt ganz neue Wege und rief im Jahr 2000 eine zweitägige „Architekturmesse“ ins Leben, für die Architekten aus der Region nach Vorgaben vonseiten der Stadt Vorentwürfe entwickelten. Entscheidet sich ein Bauherr für einen dieser Entwürfe, wird er bei der Baulandvergabe bevorzugt behandelt – freilich unter der Bedingung, das Projekt mit dem jeweiligen Architekten durchzuführen und dessen Planung konsequent umzusetzen. Auf diese Weise wurden beispielsweise im Neubaugebiet Talfeld seit 2007 schon 14 Entwürfe zum Thema „Atriumhaus“ realisiert. Begleitet werden diese Maßnahmen zum einen von dem seit 2011 installierten Gestaltungsbeirat, der die Bauverwaltung und den Gemeinderat berät. Zum anderen setzen die Verantwortlichen auf die Kommunikation mit allen Beteiligten. „Biberach weiter bauen“ lautet die Parole, mit der die Stadt in den Dialog mit den Bürgern tritt. Es gibt neben einem Online-Architekturführer, der Interessenten zu neuen Bauten und Projekten begleitet, auch sogenannte Schaubaustellen; außerdem finden regelmäßig ­Architekturspaziergänge und themenbezogene Veranstaltungen statt, oft in Kooperation mit den Bildungseinrichtungen vor Ort. Bei der geplanten Errichtung des Jugendhauses setzt die Stadt nun auf die Mitsprache der zukünftigen Nutzer und geht dafür auch dahin, wo diese sich meist aufhalten: zu Facebook.

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