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[ Mehrgeschossiger Holzbau ]

Gutes Standvermögen

Erdbebensicherheit ist gerade bei mehrgeschossigen Gebäuden ein großes Thema. Holz gilt als prädestiniert dafür, doch als anisotropes Material ist es nicht von „Haus aus“ ein erdbebengerechter Baustoff. Einfache Entwurfsregeln helfen aber weiter

Text: Susanne Jacob-Freitag

Das Bewusstsein um die Bedeutung der Naturgewalt „Erdbeben“ für den Entwurf und die Konstruktion von Bauwerken hat weltweit erheblich zugenommen. In Mitteleuropa wurde das Erdbebenrisiko noch bis vor einigen Jahren stark unterschätzt. Die neuen länderspezifischen Normen, aber auch eine spezielle Euronorm, widmen sich daher verstärkt diesem Thema. Generell ist die Erdbebengefährdung in Mitteleuropa zwar im weltweiten Vergleich nicht besonders hoch, was aber nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass es auch hierzulande Erdbeben mit deutlichem Zerstörungspotenzial gibt.

Erdbeben auch in Deutschland

In Deutschland ist besonders im Südwesten, von Aachen bis zum Bodensee, und in Ostdeutschland, vom Großraum Gera bis an die Tschechische Grenze, mit Erdstößen zu rechnen. Laut Statistik finden in Deutschland im Durchschnitt sechs Beben mit einer Magnitude (Richterskala) von drei bis vier pro Jahr statt. Zahlen von zwei größeren Beben aus den letzten 30 Jahren belegen, welcher volkswirtschaftliche Schaden dabei entstanden ist: Albstadt hatte 1978 Sach- und Gebäudeschäden von 75 Millionen Euro zu verbuchen, Waldkirch 2004 von 3 Millionen Euro. Würde sich das Erdbeben von 1978 (Magnitude: 5,7) auf der Schwäbischen Alb heute wiederholen, ergäbe sich bereits ein volkswirtschaftlicher Schaden von etwa 500 Millionen Euro.

Aufgrund der zunehmenden Bevölkerungsdichte und Technisierung wird das Ausmaß der durch Erdbeben verursachten Personen- und Sachschäden weiter zunehmen. Es lohnt sich also im Vorfeld über erdbebengerechte Baukonstruktionen nachzudenken und in sie zu investieren.

Gebäude mit Knautschzone

Als anisotropes Material ist Holz nicht von vornherein ein erdbebengerechter Baustoff. Mehrgeschossige Gebäude in Holzbauweise lassen sich aber mit einer Handvoll einfacher Entwurfsgrundsätze erdbebensicher konstruieren. Sie zielen alle auf ein möglichst regelmäßiges Bauwerk in Grundriss und Aufriss ab.

Beim erdbebengerechten Bauen mit Holz stellt sich die Frage, in welcher Stärke ein Erdbeben auftreten kann und wie eine mehrgeschossige Holzkonstruktion ausgebildet werden muss, damit sie ihm standhält. Eine wesentliche Rolle bei erdbebensicheren Holzbauten spielen auch Art und Anzahl der Verbindungsmittel.

In erster Linie geht es darum, ein Gebäude so zu bauen, dass es Erdbeben abfangen kann ohne dabei einzustürzen. Im besten Fall kommt es auch nicht zu irreparablen Schäden am Tragwerk. Damit dies gelingt, muss das Tragwerk die dynamische Bewegungsenergie des Bebens aufnehmen (Energiedissipation), was in hohem Maße die stählernen Verbindungsmittel leisten, zum Beispiel indem sie sich verformen, ohne dabei zu brechen. Man spricht hier von der Duktilität der Verbindungsmittel. Sie entspricht im Prinzip der Knautschzone von Fahrzeugen. Die Summe aller duktilen Verbindungsmittel in einem mehrgeschossigen Holzbau könnte man bildhaft gesprochen als Knautschzone des Gebäudes bezeichnen. Solange die äußeren Krafteinwirkungen kleiner sind als die Fähigkeit dieser Knautschzone, sie durch Verformung zu kompensieren, bleibt das Gebäude stehen. Vorteilhaft ist auch, dass sich stählerne Verbindungsmittel leicht in Holzbauteile einbringen lassen.

Es wäre allerdings nur die halbe Wahrheit, zu behaupten, die Duktilität der Verbindungsmittel mache den Löwenanteil aus, damit ein Gebäude einem Beben standhält. Auch Bauteile und ganze Tragstrukturen haben ein bestimmtes Verformungsvermögen (Duktilität), das im Zusammenspiel mit den Verbindungsmitteln einem Einsturz entgegenwirkt. Trag- und Verformungsverhalten der Holzbauteile und deren Verbindungen müssen jedoch genau aufeinander abgestimmt werden, damit sich das Gesamtsystem bei Erdbeben optimal verhält.

Entscheidende Entwurfsgrundsätze

Bei der Planung haben folgende Punkte Einfluss auf die Erdbebensicherheit eines Gebäudes: die Grundrissgestaltung, das Aussteifungskonzept, die Bauwerkshöhe, die Tragwerksausbildung, die Wahl der Baumaterialien, die Verteilung der Massen und der Steifigkeiten sowie die Duktilität der Tragstruktur.

Die maßgebenden Kräfte für den Tragwerksentwurf sind die von einem Erdbeben hervorgerufenen Horizontalkräfte. Ihre Größe hängt von der bewegten Masse des Gebäudes ab. Das im Vergleich zur Massivbauweise niedrige Eigengewicht der Holzbauteile wirkt sich hier sehr günstig aus. Das Besondere an diesen Kräften ist, dass sie dynamisch sind und in schnellem Wechsel auftreten. So liegt dem erdbebengerechten Tragwerksentwurf die Erkenntnis zugrunde, dass vor allem diese dynamischen Horizontalkräfte abzutragen sind. Womit? Mit einem entsprechenden Aussteifungskonzept. Entscheidend dabei ist die Anordnung der aussteifenden Bauteile: Sie sollten nach dem Grundsatz der Regelmäßigkeit symmetrisch über den Grundriss und über die Höhe verteilt sein und ähnliche Steifigkeiten haben.

Gleichzeitig ist es wichtig, dass sie ohne Unterbrechung über die gesamte Gebäudehöhe wie ein vertikaler Kragarm – ähnlich einem Baum – durchlaufen, und zwar mit konstantem Querschnitt. So können die Horizontalkräfte aus den starren Deckenscheiben in den Stockwerksübergängen zuverlässig in den „Kragarm“ übertragen und ins Fundament eingeleitet werden.

Auch Grundrisse sollten regelmäßig sein. Prinzipiell sind kompakte, also rechteckige oder quadratische Grundrissformen vorteilhaft. Stark aufgelöste, wie zum Beispiel zusammenhängende L-förmige Grundrisse, sollte man vermeiden, da sie unter horizontaler Erdbebeneinwirkung unterschiedliche Steifigkeiten haben. Die beiden Flügel möchten unterschiedlich schwingen, behindern sich aber gegenseitig. Die Folge sind unberechenbare Zusatzbeanspruchungen. Die einfache Lösung: Die beiden Schenkel der L-Form durch eine Fuge voneinander trennen und zwei kompakte, eigenständige Tragwerke ausbilden. Damit lässt sich das Problem umgehen.

Erdbeben ohne Schaden überstehen

Die Erkenntnis, dass Holzbauten auch nach einem Beben weiter gebrauchstauglich sind, ist nicht neu. Die Erdbebensicherheit von Holzkonstruktionen belegen zahlreiche Gebäude in seismologisch aktiven Regionen wie beispielsweise Jahrhunderte alte Holzhäuser in Istanbul sowie Holzbauobjekte in Japan. Eine beeindruckende Versuchsreihe von Erdbebensimulationen im Maßstab 1:1 in Japan beweist, dass auch der mehrgeschossige moderne Holzbau eine nachhaltige konstruktive Lösung für gefährdete Regionen bietet (siehe Beitrag Siebengeschossiger Holzbau im Erdbebenversuch).

Dipl.-Ing. (FH) Susanne Jacob-Freitag ist freie Baufachjournalistin in Karlsruhe.


Normen
[1] DIN 4149:2005-04: Bauten in deutschen Erdbebengebieten- Lastannahmen, Bemessung und Ausführung üblicher Hochbauten, DIN Deutsches Institut für Normung e.V., Beuth Verlag, Berlin (2005)

[2] DIN EN 1998-1:2010-12 (D) Eurocode 8: Auslegung von Bauwerken gegen Erdbeben – Teil 1: Grundlagen, Erdbebeneinwirkungen und Regeln für Hochbauten, DIN Deutsches Institut für Normung e.V., Beuth Verlag, Berlin (2010)

[3] DIN EN 1995-1-1:2010-12 (D) Eurocode 5: Bemessung und Konstruktion von Holzbauten – Teil 1-1: Allgemeines – Allgemeine Regeln und Regeln für den Hochbau, Dezember 2010, DIN Deutsches Institut für Normung e.V., Beuth Verlag, Berlin (2010)

DABonline.de Spezial Mehrgeschossiger Holzbau
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