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[ Schwerpunkt: Licht ]

Ganz schön durchsichtig

Seit der Moderne gilt Transparenz in der Architektur als Qualität an und für sich. Doch nicht immer sind ihre Versprechen – das Zusammenfließen von Licht und Raum, Entgrenzung und die Auflösung fixer Strukturen – ein Gewinn

Foto: Alice-Photo/shutterstock
Foto: Alice-Photo/shutterstock

Text: Cornelia Dörries

Was in der Welt von Politik und Finanzen vor noch nicht allzu langer Zeit zur konsensfähigen Handelsmaxime erhoben wurde, gilt in der Architektur seit mehr als 150 Jahren als weitgehend unhinterfragte Tugend: Transparenz. Mit Joseph Paxtons Kristallpalast begann 1851 die bislang ungebrochene Karriere des Bauens mit Glas – es ist das Material der Moderne schlechthin und so positiv aufgeladen wie kaum ein anderer Baustoff. Dank seiner Qualitäten – Offenheit! Licht! Durchblick! – lässt sich Glas symbolisch auch zur Trägersubstanz einer demokratischen Architektur adeln, insbesondere bei repräsentativen Bauten für Staat oder Wirtschaft. Die damit verbundene Botschaft lautet schlicht: Seht her, wir haben nichts zu verbergen und zeigen ganz offen, wer wir sind und was wir tun. So dekretierte Adolf Arndt in seiner Schrift „Demokratie als Bauherr“ von 1961 noch ganz feierlich: „… die Demokratie muss das Unsichtbare sehen lassen … Sollte es nicht einen Zusammenhang geben zwischen dem Öffentlichkeitsprinzip der Demokratie und einer äußeren wie inneren Durchsichtigkeit und Zugänglichkeit ihrer öffentlichen Bauwerke?“ Die Transparenz als Selbstbeschreibungsmerkmal der „offenen Gesellschaft“ manifestiert sich in gläsernen, mit Atrien und großzügigen Passagen bestückten Gebäuden. Doch seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 gibt sie den Blick frei auf ein verunsichertes und verängstigtes Gemeinwesen. Sichtbar wird nun, dass die Vorstellung einer offenen, liberalen und freien Gesellschaft nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch-ästhetisch mit einer unterschwelligen und dauerhaften Bedrohungslage kollidiert. Vor und in den Glasgebäuden machen sich Poller, Durchfahrsperren und Zäune breit; ironischerweise genau dort, wo sich die freie, demokratische Welt mit großer architektonischer Geste inszeniert: in Regierungsvierteln, an Verkehrsknotenpunkten, in Stadtzentren und den Headquarters politischer und wirtschaftlicher Institutionen. Und die großen Glasfronten und Lichthöfe, dank derer die Gebäude vordem so durchlässig, publik und zugänglich aussahen, geben nun den Blick frei auf Metalldetektoren, Röntgenapparate und Bewegungsmelder. Der Architektur gelingt es nur stellenweise, diesen Widerspruch zwischen Transparenz-Ideal und Schutzbedürfnis auf zufriedenstellende Art zu lösen; am besten dann, wenn die hohen Sicherheitsauflagen gleich von Beginn an in den Entwurf integriert werden können. So etwa beim Eingangsbau des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe von Harter + Kanzler Freie Architekten von 2012.Die nachträglich aufgerüsteten Bauten aus der Vor-Terror-Ära hingegen sehen oft so aus wie das Eingangsgebäude des Auswärtigen Amts in Berlin: Der dem Ministerium vorgelagerte Neubautrakt, geplant als ein der Stadt zugewandtes, luftiges Entree mit gläsernem Lichthof und eigenem Besucher-Café (Architekten: Müller Reimann, Berlin), versprüht mittlerweile den trostlosen Charme einer Sicherheitsschleuse am Flughafen.

Doch das pathetische Beharren auf Transparenz in der Architektur wirkt bisweilen seltsam unzeitgemäß bis lächerlich. Das gilt nicht nur für die diffus gefährdeten politischen und wirtschaftlichen Institutionen, die schon aus strategischen Gründen darauf angewiesen sind, dass den Augen der Öffentlichkeit vieles verborgen bleibt. In Zeiten zumal, in denen unerhörte Überwachungstechnologien eine nahezu unlimitierte Erfassung und Beobachtung ermöglichen und die Gesellschaft über die prekäre Balance zwischen privat und öffentlich diskutiert.

Womit ein weiteres Problem benannt wäre, das mit dem verschwenderischen Einsatz von Glas entsteht: Natürlich sind Räume und Häuser schön, die viel Licht und einen unverstellten Ausblick auf die Umgebung bieten und gleichzeitig dem urmenschlichen Bedürfnis nach geschützter Geborgenheit entsprechen. Doch leider hält sich der Irrglaube, dass die unbestrittenen Qualitäten der Case Study Houses der 1940er- bis 1960er-Jahre über den Hügeln von Los Angeles, von großzügig verglasten Dachgeschosswohnungen oder einsam frei stehenden Bungalows mit Panoramafenstern ohne Weiteres auch im städtischen Geschosswohnungsbau zu verwirklichen seien, sogar im Erdgeschoss. Und so kommt es, dass ausgerechnet im hoch verdichteten Kontext von Innenstädten – mithin einem Bereich, der seine Atmosphäre aus dem fein justierten Verhältnis zwischen frei zugänglichem, öffentlichem Raum und uneinsehbarer Intimität bezieht – seit einer Weile Wohnhäuser entstehen, die das Private nicht mehr abschirmen, sondern hinter riesigen Glasfronten zur Schau stellen. Besonders ärgerlich wirkt sich dieser unsensible Umgang im Bereich der für Wohnzwecke oder banale Büronutzungen ertüchtigten Sockelzone aus, die durch die Vollverglasung nicht etwa an Licht und Aufenthaltsqualität gewinnt, sondern sich entweder verschämt mit Sichtschutz der Einblicke von außen erwehrt oder nur als Abstellkammer genutzt werden kann. Auch vielfach preisgekrönter Architektur gelingt es nicht, die Schnittstelle von privat genutztem Erdgeschoss und öffentlichem Stadtraum besser und urbaner zu inszenieren, wie das Projekt BIGyard in der Berliner Zelterstraße zeigt, wo sich die Sockelzone über eine Länge von gut 100 Metern als blickdichte, abweisende Front präsentiert. Für den städtischen Raum sind solche Bauten ein ­Malus, denn sie bleiben ihm jedes Zugeständnis an die Öffentlichkeit schuldig, also jenes Bewusstsein von „Sehen und Gesehen-Werden“, das auch und gerade für durchsichtige Architektur nötig ist. So beschäftigt sich schon Otto Friedrich Bollnow in seinem Standardwerk „Mensch und Raum“ aus dem Jahr 1963 mit der Erweiterung des guckloch-artigen Fensters zur gläsernen Panoramafront und gibt zu bedenken: „Sehen, ohne gesehen werden, dies Grundprinzip vorsichtiger Lebenssicherung, ist am Fenster in seiner reinen Gestalt zu verwirklichen.“ Die Nutzer sollten stets in die Lage versetzt werden, über die von Fensterflächen regulierte Wechselbeziehung von innen und außen selbst bestimmen zu können. Konkret bedeutet das nichts anderes, als bei der Planung die paradoxen Bedürfnisse des Menschen sowohl nach Transparenz als auch nach Rückzug und Uneinsehbarkeit zu berücksichtigen. Doch geht die Vorstellung dieses zu moderierenden Verhältnisses zugunsten des reinen Ästhetizismus verloren, kann der hehre Anspruch der Transparenz auch schon mal ins Lächerliche kippen – so wie in Weil am Rhein, wo sich die Feuerwehrmänner weigern, die gläsernen Toiletten der von Zaha Hadid entworfenen Feuerwache zu benutzen.

Gerade weil Glas heute ein so vielfältig einsetzbares Material ist – unzerbrechlich, durchschusssicher und robust wie Steinwerkstoffe sowie technologisch angereichert mit intelligenten Funktionen –, sollte sich seine Verwendung doch vor allem nach dem jeweiligen Kontext und den Bedürfnissen der zukünftigen Nutzer richten. Anders gesagt: Wer mit Transparenz gestalten will, muss Einblick und Ausblick moderieren. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.

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