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[ Schwerpunkt: Bewegung ]

Weltmeister im Stadionbau

An der Hälfte aller WM-Arenen in Brasilien planten deutsche Architekten und Ingenieure - im Niemeyer-Umfeld, in einer Stadt ohne Straßenverbindung und einem Fußball-Denkmal. So exotisch wie die Orte ist die Planungs- und Baukultur

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Auf heiligen Boden der Moderne: Das Nationalstadion in Brasilia wurde von gmp und schlaich bergermann und partner modernisiert

Text: Falk Jaeger

Wenn die Kameras beim ersten Spiel der deutschen Mannschaft durch das Stadionrund in Salvador da Bahia schwenken, werden sie Bilder eines der schöneren Stadien dieser Weltmeisterschaft zeigen. Eines Stadions, dessen Pläne in Deutschland entstanden sind. Einen Titel hat Deutschland schon errungen: Weltmeister im Stadionbau. Sechs der zwölf Stadien sind unter Beteiligung deutscher Architekten und Ingenieure entstanden. Die Berliner Partner des Büros von Gerkan, Marg und Partner (gmp) haben den Neubau in ­Manaus und die Umbauten in Belo ­Horizonte und Brasília gemacht, Schulitz Architekten aus Braunschweig agierten in Salvador. Die Ingenieure schlaich bergermann und partner aus Stuttgart/Berlin waren in Brasília, Manaus und vor ­allem am Maracanã-Stadtion in Rio tätig, während Werner Sobek aus Stuttgart das Tragwerk in São Paulo entwarf.

In Salvador da Bahia, der ersten Spielstätte der deutschen Mannschaft, hatte es 2008 einen Architektenwettbewerb ohne die üblichen Vorgaben und Randbedingungen gegeben. Schulitz und Partner überlegten sich einfach selbst, wie groß ein solches Stadion für Salvador sinnvollerweise sein müsste. So an die 55.000 wären angemessen, dachten sie, legten einen perfekten Entwurf vor und konnten die Konkurrenz für sich entscheiden (von den 55.000 Plätzen zog das Baukonsortium später kurzerhand zehn Prozent ab). Mit dem überzeugenden Wettbewerbsergebnis im Rücken gelang es der Stadt Salvador da Bahia im Jahr 2009, von der FIFA als WM-Austragungsort ausgewählt zu werden.

Doch damit war der Bauauftrag noch nicht in der Tasche. Dranbleiben, hieß es für die deutschen Architekten. Claas Schulitz zog für ein halbes Jahr nach Brasilien, um das Projekt voranzutreiben. Schon zum Confed Cup 2013 war die Arena Fonte Nova in Salvador einsatzbereit – keine geringe Leistung, wie Kenner des Landes betonen, angesichts der bürokratischen Hindernisse und der ziemlich undurchsichtigen Abläufe, die das Bauwesen im Land beherrschen. So hat zum Beispiel ein privates Baukonsortium, das Ausführungsplanung, Bau und Bauherrenfunktion in sich vereint, die absolute Kontrolle über das Bauvorhaben.

Das alte Stadion Fonte Nova am selben Platz war U-förmig und öffnete sich an einer Schmalseite zur Stadt hin. Der Ausblick auf einen benachbarten See schien den Architekten eine attraktive lokale Eigenheit zu sein, weshalb sie das Thema in ihren Entwurf übernahmen. Sie ließen also ebenfalls eine Schmalseite des Tribünenovals offen. Lediglich das Dach bildet ein geschlossenes Oval und überspannt diese Öffnung.

Von außen sieht die Arena mit ihren Lamellenfassaden aus wie ein Weidenkorb. Zur Sonnenseite hin sind die Lamellen geschlossen, in Windrichtung offen. Als Dach trägt ein ultraleichtes Seiltragwerk eine textile, lichtdurchlässige Dachhaut. Die Lücke in den Tribünen sorgt für bessere Durchlüftung und bietet Platz zum Aufbau einer Bühne für Konzertveranstaltungen. Für die WM wird die Lücke zur Kapazitätserweiterung durch eine provisorische Tribüne geschlossen. Dann können 56.000 statt 49.000 Zuschauer die Spiele verfolgen.

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Arena Fonte Nova, Salvador de Bahia: Die neue Spielstätte entstand nach einem Wettbewerbsentwurf von Schulitz und Partner.

Die steilen Ränge sorgen für größtmögliche Nähe aller Zuschauer zum Spielfeld und für entsprechend aufgeheizte Stimmung. Über allem schwebt das zeltartige Seiltragwerk mit dem auf äußeren Stützen lastenden Druckring und dem über dem Innenraum schwebenden Zugring. Technikfreunde haben in der Halbzeitpause Muße, die Schönheit der Konstruktion mit ihren Spanngliedern und Knoten zu mustern und darüber zu sinnieren, wie das alles mit den erstaunlich dünnen Seilen trägt und wie es tropischen Regenstürmen standhält. Während der Fußballweltmeisterschaft werden hier vier Gruppenbegegnungen und jeweils ein Achtel- und ein Viertelfinalspiel ausgetragen. In zwei Jahren finden Spiele im Rahmen der nach Rio de Janeiro vergebenen Olympischen Sommerspiele 2016 statt.

Teamarbeit am Pampulha-See

Eine Flugstunde weiter südlich liegt Belo Horizonte. Dort möchte die deutsche Mannschaft das Halbfinale bestreiten – wenn alles so läuft, wie sie sich das vorstellt. Nicht wie vorgesehen gelaufen ist der Bau des dortigen Stadions. Der malerisch am Pampulha-See gelegene, expressive Bau in béton brut aus den 1960er-Jahren sollte ertüchtigt werden. Unter anderem sollte das zuvor nur einen Teil der Sitze schützende Dach nach innen verlängert, also die Auskragung erhöht werden, ohne die Außenansicht der denkmalgeschützten Arena zu verändern. Die Ingenieure von schlaich bergermann und partner planten ein unter das Bestandsdach geschobenes, autonomes Seilnetztragwerk mit zwei im Tandem angeordneten, konzentrischen Druck- und Zugringsystemen, die vom Außenrand in den Stadionraum kragen. Polycarbonatplatten sollten die transluzenten Dachflächen bilden. Die Außenansicht wäre unverändert geblieben.

Doch Veränderungen innerhalb des Konsortiums brachten diese Pläne zu Fall. Man entschied sich für eine wesentlich unelegantere Lösung heimischer Ingenieure und Baufirmen mit Kragträgern aus Rohrfachwerk, deren Abspannungen von außen deutlich zu sehen sind. Die Architekten von gmp, die die Entwurfs- und Ausschreibungsplanungen für das Stadion im Team mit schlaich bergermann und partner und dem brasilianischen Architekten Gustavo Penna erarbeiteten, hatten nicht die Position, ihre Vorstellungen ungeschmälert durchzusetzen, auch weil die Ausführungsplanung in Händen des brasilianischen Architekturbüros BCMF lag.

Die Arena sollte auf eine Kapazität von 66.000 Plätzen mit optimaler Sichtgeometrie gebracht werden. Der Unterrang mit den Stehplätzen wurde neu gebaut und nach Wegfall der Laufbahnen nahe an das um 2,5 Meter abgesenkte Spielfeld herangeführt. Zwei neue Logengeschosse fanden zwischen Unter- und Oberrang Platz; der Oberrang selbst blieb bestehen und wurde saniert. Die Planungen von gmp sind bis auf die von Gustavo Penna geplante Plattform rings um das Stadion und die dort endenden Zugangstreppen weitgehend umgesetzt worden. Die Gesamturheberschaft wird indes von den brasilianischen Partnern in Anspruch genommen.

Das neue Stadion in Manaus steht nicht mitten im tropischen Regenwald, sondern an einer Magistrale der Zweimillionenstadt, wo vom Dschungel nichts zu spüren ist. Dennoch bot das Projekt für die im internationalen Stadionbau erfahrenen Architekten von gmp und die Ingenieure von schlaich bergermann und partner neue Herausforderungen. Erstens logistisch: Der Ort ist nur per Schiff oder Flugzeug erreichbar. Zweitens wegen der administrativen Verhältnisse: Während der Planungs- und Bauzeit wechselte die auftraggebende Provinzregierung. Schließlich wegen der beschränkten technischen Möglichkeiten und Fertigkeiten etwa der lokalen Stahlbauer.

Estádio Mineirão, Belo Horizonte, Brasilien
Estádio Mineirão, Belo Horizonte: Deutsche planten den Umbau des 50 Jahre alten Stadions, Brasilianer setzten ihn weitgehend um.

Die Planer entwarfen eine Stadionschüssel in Massivbauweise, eine perfekt gestaltete Form mit sanft ausgerundeten Rängen. Gedeckt und umhüllt wird das Stadionoval von einer korbartigen Großform, bei der Fassaden und Dach mit durchlaufenden Rippen ineinander übergehen. Die Fächer zwischen den Rippen sind mit PTFE-beschichteten, durchscheinenden Glasfasermembranen geschlossen, die tagsüber Licht einlassen und abends das Stadion von innen heraus zum Leuchten bringen. Entstanden ist das wohl schönste der zwölf WM-Stadien, aber auch eines der umstrittensten: Es wird als nutzloser „weißer Elefant“ bezeichnet, weil man nach der WM Mühe haben wird, das Bauwerk mit Leben zu füllen. Bleibt die Hoffnung, dass dort ein Erstligaclub seine Heimspiele austragen wird.

Ein ganz anderer Fall ist das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasília, wo das marode Stadion von 1978 zu erneuern war. Daraus wurde schließlich ein kompletter Neubau. Wiederum bekamen von Gerkan, Marg und Partner sowie schlaich bergermann und Partner den Auftrag, Dach und umlaufende Erschließung zu planen, während der Sohn des ursprünglichen Erbauers, Eduardo Castro Mello, die Stadionschüssel erneuern sollte. Sie gingen mit ihrem Entwurf räumlich auf Abstand, sodass es faktisch zwei Baustellen gab, eine innere und eine der umgebenden „Esplanade“ mit Treppenanlagen, Rampen und dem Dach über allem. Das Bauwerk sollte mit den kraftvollen Regierungsbauten Oscar Niemeyers mithalten können. 288 in drei konzentrischen Ringen aufgestellte, von der Esplanade-Ebene aus 36 Meter aufragende Betonsäulen tragen den 22 Meter breiten Druckring der Dachkonstruktion. Dort ist das Seiltragwerk des Dachs abgehängt. Radiale Tragseile laufen nach innen bis zum Zugring, der über dem Stadioninneren schwebt. Auf den Radialseilen stehen Pfosten und Diagonalen, die einen Obergurt aus Stahlrohr tragen und insgesamt mit dem Seil als Zugglied einen Fachwerkträger bilden. Das Seildach ist beiderseits mit lichtdurchlässigen Membranen bespannt. Vor dem Zugring sind Fachwerkträger montiert, die nochmals 17,50 Meter nach innen auskragen und den innersten Dachring aus glasklaren Polyacrylplatten tragen. Das Stadion hat nun eine enorme Präsenz. Es verdankt sie der herausgehobenen städtebaulichen Situation, der eindrucksvollen Bauhöhe und der monumentalen Säulenhalle. Als Bautypus ist es weltweit ohne Beispiel.

Schließlich lohnt der Blick auf das legendäre Maracanã in Rio de Janeiro, in dem das Endspiel stattfinden wird. Natürlich steht das für die WM 1950 errichtete Stadion unter Denkmalschutz und sollte durch den von brasilianischen Architekten vorgenommenen Umbau zumindest in seiner äußeren Erscheinung möglichst nicht verändert werden. Die Ränge wurden aber erneuert, die Unterränge hingegen abgerissen und mit einer Stahlunterkonstruktion neu aufgebaut. Das Dachtragwerk wurde von schlaich bergermann und partner wiederum nach dem Speichenradprinzip entworfen: mit äußerem Druckring und innerem Zugring und Seiltragwerk, das auf den Bestandspfeilern aufliegt. Das extrem flache Dach fügt sich in den Bau so ein, dass es vom Straßenniveau aus nicht zu sehen ist. Mit einer Spannweite von 68 Metern wiegt das 260 mal 300 Meter große Dach nur 4.000 Tonnen. Mit einer schneeweißen Membran bespannt, wirkt es schwebend und filigran.

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Arena da Amazônia, Manaus: Über diesen Stadionneubau würde sich vermutlich auch Fitzcarraldo freuen.

Doch als deutscher Architekt in Brasilien zu arbeiten bedeutet, sich weitgehend umzustellen, was die eigene Position und die Kompetenzen im Planungs- und Bauprozess betrifft. Nur für Salvador gab es einen regulären Wettbewerb. Alle anderen Verfahren entwickelten sich aus unverbindlichen Studien, Teilbeauftragungen und Ähnlichem. Entwurfstätigkeit ist in Brasilien eine Dienstleistung ohne wesentliche Kompetenzen zur Durchsetzung. Baufirmen übernehmen den Entwurf und realisieren ihn eigenständig, wobei weitgehende Änderungen aus Pragmatismus üblich sind. Kosten, Schwierigkeiten bei der Beschaffung besonderer Baustoffe, Probleme bei den Firmen, die gewünschten Teile zu produzieren, und nicht zuletzt Korruption und Vetternwirtschaft führen zu Prozessverläufen, die mit deutschem Qualitätsstandard und Verständnis von Baukultur nicht vereinbar sind.

Heftigstes Auf und Ab der Prozesse

So sind die Architekten auf den informellen Weg angewiesen, um ihre Ideen möglichst durchzusetzen. Das heißt: Vertrauen gewinnen, spätabends und am Wochenende zur Verfügung stehen, zahllose (oft sinnlos erscheinende) Gespräche und Meetings durchstehen. Und nicht aufgeben. Die Architekten berichten von heftigstem Auf und Ab der Prozesse, von scheinbar ausweglosen Sackgassen und wundersamen Auflösungen von Konflikten.

Die brasilianischen Partner wiederum waren die Beratungsintensität nicht gewohnt, mit der sie von den deutschen Planern „behelligt“ wurden. Deutsche Gründlichkeit nicht als Arroganz erscheinen zu lassen, war eine Herausforderung, emotionale Heftigkeit auf der anderen Seite nicht falsch zu verstehen, eine andere. Diese kulturellen Gegensätze erfolgreich überbrückt zu haben, ist keine geringe Befriedigung für die deutschen Architekten. Neben den rechtzeitig fertiggestellten Stadien natürlich.

Prof. Dr. Falk Jaeger ist Autor, Architekturkritiker und -historiker in Berlin.

 

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