Ein leer stehendes historisches Fabrikgebäude in einer ruhigen Seitenstraße, verkehrsgünstig gelegen unweit des Berliner Hauptbahnhofs – man ahnt schon, was daraus wird. Wahrscheinlich teure Lofts, vielleicht auch ein Hostel oder Designbüros? Auf all diese Ideen hätte Michael Kloos natürlich auch kommen können, als er sich vor einigen Jahren über die zukünftige Nutzung einer ehemaligen Porzellanmanufaktur im Stadtteil Moabit den Kopf zerbrach.
Doch dem Architekten schwebte etwas anderes für das gründerzeitliche Gemäuer vor, das er günstig vom landeseigenen Liegenschaftsfond erworben hatte. Es ging ihm dabei nicht so sehr um das gute Geld, das sich mit solchen Immobilien verdienen lässt, und auch nicht um gestalterische Extravaganz oder das gewagte Experiment. Kloos wollte mit seinem Projekt Raum schaffen für etwas Neues. Und das Neue, so fand er, war die zunehmende Bereitschaft von Einzelnen, sich zur Nutzung von Infrastruktur zusammenzuschließen, für eine bestimmte Zeit an einer gemeinsamen Aufgabe zu arbeiten und sich für neue Herausforderungen auch immer wieder neu zu vernetzen.
Das könnte Sie auch interessieren
Architektur mit sozialem Gewissen
Der fetzige Begriff „Co-Working“ war zu diesem Zeitpunkt zwar noch nicht in aller Munde, doch genau das hatte Architekt Kloos im Sinn: Aus dem baufälligen Backsteingebäude sollte ein offener Ort werden, an dem Leute, egal ob Einzelkämpfer oder kleine Teams, unter einem Dach arbeiten, Ideen entwickeln und verwirklichen können. Der Name: raumstation. Der in die Jahre gekommene Bau erwies sich mit seinen großzügig bemessenen Geschossen dafür als ideales Passepartout.
„Natürlich waren am Anfang die Schäden unübersehbar“, gibt Kloos zu. „Doch bei einem Backsteingebäude mit Kappendecken, in dem es außer im Dachstuhl kein Holz gibt, war klar, dass es sich um robuste Substanz handelt.“ Aus dieser Dauerhaftigkeit leitete er auch sein architektonisches Vorgehen ab: geradlinige Strukturen, solide, strapazierfähige Materialien und alles so geplant, dass Räume und Möblierung der zu erwartenden Vielfalt an Nutzern einen ruhigen, kohärenten Rahmen geben.
Die Modernisierungsarbeiten erfolgten Schritt für Schritt von unten nach oben. Sobald ein Bereich fertig war, zogen die Nutzer ein. Und während die ersten Mieter noch auf einer Baustelle arbeiteten, erlebten diejenigen, die erst nach der Fertigstellung im Jahr 2008 kamen, ein Gebäude, das mit seinen unverputzten Ziegelwänden, den hölzernen Einbauten und großen Fenstern zum ruhigen Hof mehr von einem konzentrierten Rückzugsort hat und weniger von einem trendigen Co-Working-Taubenschlag. Die Stille ist durchaus gewünscht. Denn im Gegensatz zu den etwas lauteren Angeboten wie dem betahaus (siehe auch DAB 7/2011) gibt es in der raumstation nicht die Möglichkeit, für einzelne Tage oder Wochen einen Arbeitsplatz zu mieten, sondern es gibt nur Verträge mit zweimonatiger Kündigungsfrist. Wer hier arbeitet, hat einen festen Schreibtisch auf einer der vier Etagen und muss sich sogar seinen Kaffee selbst kochen, weil Kloos auch auf die ansonsten übliche Hauscafeteria verzichtet hat.
„Ich wollte schließlich kein Co-Working-Manager werden“, begründet er sein eigenwilliges Konzept. Anstatt sich ausschließlich um die Verwaltung von immerhin 40 Arbeitsplätzen zu kümmern, kann er weiterhin als Architekt arbeiten – in seinem Büro namens raumstar im vierten Stock der raumstation. Dass Kloos‘ Projekt doch etwas anders ist als die vielen mittlerweile aus dem Boden schießenden Gemeinschaftsbüros für Freiberufler, hat auch mit dem Anspruch zu tun, den der Architekt grundsätzlich mit seiner Arbeit verbindet und den man altmodisch als „soziales Gewissen“ bezeichnen könnte. Denn in der raumstation gibt es zwei sogenannte „Non-Profit-Plätze“, die Leute mit einer guten Idee für ein halbes Jahr kostenlos nutzen können – vorausgesetzt, es handelt sich um Ideen, die von Geschäftssinn und sozialem Engagement gleichermaßen getrieben sind.
Michael Kloos unterstützt solche Vorhaben schon deshalb, weil er sich seit Jahren für Non-Profit-Projekte engagiert und weiß, wie wichtig ein Netzwerk und Ansprechpartner sind. So gehörte zu seinen ersten Aufträgen als Architekt auch die Herrichtung von einfachen Unterkünften für das Straßenfußball-Fest 2006, das damals parallel zur Fifa-WM in Berlin ausgetragen wurde. Daraus erwuchs eine längerfristige Zusammenarbeit mit „architects for humanity“, einer Organisation, die sich für gemeinnützige Bau- und Architekturprojekte in Entwicklungs- und Krisenregionen auf der ganzen Welt einsetzt und zusammen mit raumstar in mehreren Ländern Afrikas sogenannte „Football for hope“-Zentren realisiert.
Es wäre allerdings kurzsichtig, in Michael Kloos nur den selbstlosen Idealisten zu sehen. Der 1969 geborene Rheinländer ist vor allem Architekt. Zum Beruf fand er über den Umweg einer Konditorausbildung, was nicht mehr überrascht, wenn man sich von ihm den Aufbau einer guten Torte erklären lässt. „Man hat es hier wie da mit einer tragfähigen Komposition zu tun“, so Kloos ganz vergnügt. „Die schweren Sachen müssen unten sein und die leichten oben.“ Und ob das Ganze am Ende ausgewogen und harmonisch ist, erkennt der Fachmann sowohl bei der Torte als auch beim Haus am Schnitt.
Mit brachenbelebendem Geist
Zum Studium ging er nach Cottbus, wo er zum ersten Mal erkannte, welches Gestaltungspotenzial in aufgegebenen, undefinierten Räumen steckt – einfach, weil es in den 1990er-Jahren dort so viele davon gab. Mit dem brachenbelebenden Geist dieser Zeit startete er auch ins Berufsleben – und wagte sich mit seiner raumstation gleich an ein Projekt, für das er wirtschaftlich auch als Bauherr einstand.
Neben den Non-Profit-Bauvorhaben bearbeitet Kloos zusammen mit zwei angestellten Mitarbeitern und einem Praktikanten auch Aufträge für ganz normale Bauherren: Büro- und Dachgeschossausbauten, Sanierungen, Umbau – das klassische Portfolio kleiner Büros. Schließlich muss sich das Team um Kloos das soziale Engagement und die Projekte jenseits des Mainstreams auch leisten können. Und es läuft gut für raumstar.
Zuletzt konnte die Errichtung der „kochstation“ in Berlin-Wedding abgeschlossen werden: eine Art Saison-Küche, die zum Stadtteilgarten „Himmelbeet“ gehört und mit ihrer Einrichtung sowohl den Stadtteilgärtnern zur Verfügung steht als auch von Hobbyköchen oder Cateringfirmen gemietet werden kann. Dafür entwickelte raumstar aus herkömmlichen, mit Stampflehm ausgefachten Europaletten eine Konstruktion, die sich nun wie ein archaischer Bungalow in den großen Nutzgarten fügt.
Auch mit seinem neuen Vorhaben will Michael Kloos Altbekanntes mit der Idee von gemeinsam zu nutzenden Räumen verbinden. Weil es stadtmüde Berliner hin und wieder in die ländliche Abgeschiedenheit Brandenburgs zieht, hat er nun den Plan, eine der vielen leerstehenden Liegenschaften auf dem flachen Land zu einem Ort umzubauen, an dem man allein oder mit anderen für kürzer oder länger leben und arbeiten kann. Co-Working, Co-Living, Natur – es klingt wie eine gute Idee, auf die einfach nur jemand kommen musste.
Wir nutzen die von Ihnen angegebenen Daten sowie Ihre E-Mail Adresse, um Ihnen die von Ihnen ausgewählten Newsletter zuzusenden. Dies setzt Ihre Einwilligung voraus, die wir über eine Bestätigungs-E-Mail noch einmal abfragen. Sie können den Bezug des Newsletters jederzeit unter dem Abmeldelink im Newsletter kostenfrei abbestellen. Nähere Angaben zum Umgang mit Ihren personenbezogenen Daten und zu Ihren Rechten finden Sie hier.
Sie müssen den Inhalt von reCAPTCHA laden, um das Formular abzuschicken. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten mit Drittanbietern ausgetauscht werden.