Text: Christoph Gunßer
Unter den Top Ten der attraktivsten Städte weltweit sind vier, die von Jan Gehl beraten wurden: Kopenhagen, Stockholm, Melbourne und Zürich. Als Urban Quality Consultant ist Gehl Experte für die begehrten „weichen“ Standortfaktoren. Seit er vor fünfzig Jahren die Verwaltung seiner Heimatstadt Kopenhagen überzeugen konnte, ein paar Straßen für den Autoverkehr zu sperren, also Fußgängern und Radfahrern mehr Platz einzuräumen, hat er mit dieser Methode Erfolg. Heute bewegen sich dort drei Viertel der Menschen ohne Auto fort, und die Straßen wuseln vor Menschen.
„Copenhagenize“ nennt man diese Art Stadtumbau denn auch, und weil sie mit wenig Aufwand die Menschen gesünder, die Städte lebendiger macht, wird sie allen Widerständen zum Trotz kopiert: London, New York, Tokio, Moskau, Bogota folgen inzwischen Gehls Modell der Entschleunigung; in New York hat er gerade ein Zweigbüro eröffnet. Nur hierzulande war der umtriebige Däne noch nie tätig.
Das könnte sich jetzt ändern, denn Gehls Planer-Fibel gibt es nun auch auf deutsch: Nach ´Life between Buildings´ war `Cities for People´ andernorts längst ein Standardwerk alternativer Planung, vergleichbar nur Christopher Alexanders `Pattern Language´ von 1977. In der umfangreicheren Neuausgabe zeigt Jan Gehl nun auch die vielen jüngeren Umgestaltungen, und er geht auf das Phänomen der rasch wachsenden Megastädte und auf die neuen Kommunikationsmedien ein, die einer Renaissance städtischen Lebens offenbar nicht im Wege stehen.
Die Methoden der Analyse, die Werkzeuge zur Umgestaltung bleiben indes dieselben. So werden Stadträume auf ihre Nutzungsintensität untersucht: Bei der „Abstimmung mit den Füßen“ schneiden zeitgenössische Bauten regelmäßig schlechter ab als überkommene Strukturen.
„Warum nur kümmern sich die Architekten so wenig um die Menschen?“, fragte Gehls Frau, eine Psychologin, ihren modern geschulten Mann seinerzeit und öffnete ihm damit die Augen: Fortan plädierte er für eine Planung, die Leben, Raum, Bauten in dieser Reihenfolge beachtet und nicht wie üblich umgekehrt.
Die „Stadt auf Augenhöhe“ entwerfen bedeutet für Gehl zum Beispiel, nicht höher als vier bis fünf Stockwerke zu bauen. Alles andere verstößt ihm zufolge „gegen das menschliche Navigationssystem“. Maßstäblichkeit ist im Buch ein Schlüsselbegriff.
„Um das Leben in einer Stadt zu ersticken, gibt es kein effizienteres Mittel als Autos und Hochhäuser.“ „Man sollte nicht Korridore, sondern Wohnzimmer planen.“ – Das Buch ist voll solcher simpler Regeln, die manchmal populistisch klingen, aber zumeist einfach wahr sind. Da es auf Pläne und Skizzen (leider) fast vollständig verzichtet, ist es mehr ein Kaleidoskop der Möglichkeiten als konkrete Anleitung. Gehl geht nur sehr selten auf seine Planungspraxis ein und vermeidet direkte Schuldzuweisungen. Viele seiner Fotos sprechen indes eine deutliche Sprache.
Erst formen wir die Stadt, dann formt sie uns, meint Gehl. Hat uns also ein halbes Jahrhundert verkehrter Planung schon unrettbar deformiert? Wer die vielen wuseligen Straßenszenen im Buch betrachtet, schöpft Hoffnung, dass dem nicht so ist.
Jan Gehl
Städte für Menschen
Jovis Verlag, Berlin, 2015, 304 Seiten, Hardcover, 32€
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