Interview: Roland Stimpel
Soll eher der Staat oder eher der Markt für neue Wohnungen sorgen? Ein liberaler Ökonom und ein Experte für Non-Profit-Projekte diskutieren. Und beide sind sich einig: Gruppen ohne Gewinnabsicht sollen mehr Gewicht bekommen.
Warum fehlen in Deutschland preisgünstige Wohnungen?
Stefan Rost: Früher wurden sie vor allem von kommunalen Gesellschaften gebaut und angeboten, aber sie wurden vielfach verkauft. Die es noch gibt, haben den Auftrag von der Stadt, Gewinn abzuführen, und das ist wichtiger als Neubau. Lange gab es zum Beispiel in Baden-Württemberg auch keine Förderung für sozial gebundene Mietwohnungen. In der Summe hat all das den sozial gebundenen Wohnungsbau fast auf null gebracht.
Michael Voigtländer: Kommunale Unternehmen sind oft überfordert: Sie sollen günstige Mieten verlangen und Bedürftige versorgen, sie sollen Geld verdienen, ihre Quartiere entwickeln und jetzt auch noch neu bauen. Nach Studien von uns sind kommunale Unternehmen heute oft nicht mehr günstiger als private. Nur noch Genossenschaften setzen sich mit niedrigen Mieten ab.
Aber auch sie bauen nicht viel.
Michael Voigtländer: Ja, der Neubau ist insgesamt zu gering. Große und attraktive Städte wachsen seit Jahren auch ohne Flüchtlinge. Die Bautätigkeit kommt nicht hinterher – das ist der Kern des Problems. Dazu kommt der Zuwachs an Arbeitsplätzen und Einkommen; es können sich heute mehr Menschen bessere und größere Wohnungen leisten als vor einigen Jahren.
Öffentliche und private Bauherren verschlafen all das?
Michael Voigtländer: Es fehlt nicht an potenziellen Investoren. Viele würden gern bauen. Aber es fehlt an Grundstücken und in vielen Städten an Personal in den Bauverwaltungen. Auch die Bürgerschaft ist nicht überall für Neubau offen. Zudem sind beim heutigen Druck die Nachverdichtungs-Potenziale bald ausgeschöpft. Städte müssen räumlich expandieren können, um den Bedarf zu decken. Wir untersuchen im IW gerade, wie wachsende und schrumpfende Städte sich hier mit dem Handel von Flächenzertifikaten helfen könnten. Das kann dazu beitragen, das vom Bund angestrebte Limit von maximal 30 Hektar täglich für neue Siedlungsflächen einzuhalten. Denn starkes Wachstum gibt es nicht überall, sondern es konzentriert sich auf 15 bis 20 Städte in Deutschland.
Stefan Rost: Entspannte Verhältnisse sehe ich nur in Gegenden wie dem nördlichen Ruhrgebiet oder Ostdeutschland. Überall sonst fehlen preisgünstige Wohnungen; es müssten mehr gebaut werden. Es fragt sich nur, von wem und für wen. In meinem Wohnort Freiburg sind seit den 1980er-Jahren zwei neue große Wohngebiete entstanden, Rieselfeld und Vauban. Die letzten Baufelder sind noch nicht entwickelt, da fallen am anderen Ende schon wieder die ersten Wohnungen aus der Sozialbindung, weil sie ihr nur für zehn bis fünfzehn Jahre unterlegen haben. Bei so kurzen Bindungen sind die Sozialmieter nur Zwischennutzer, bevor die Wohnungen auf den Markt kommen und sich drastisch verteuern. Kurze Sozialbindungen bedeuten auf längere Sicht eine Umverteilung von unten nach oben. Wir brauchen viele Wohnungen, die dauerhaft dem Markt entzogen sind.
Michael Voigtländer: Mehr und mehr Städte schreiben bei größeren Neubauvorhaben einen Anteil an Sozialwohnungen vor. Viele sprechen vom Münchener Modell; dort wurde es erfunden. Aber das hat fatale Nebenwirkungen: Manche Investoren verkleinern extra deshalb die Projekte, bauen also wegen der Vorschrift auf einem Grundstück weniger Wohnungen. Andere sind gezwungen, den Ertragsausfall bei den Sozialwohnungen dadurch zu kompensieren, dass sie ansonsten nur besonders teure Wohnungen bauen. Dritte werden ganz abgeschreckt, zum Beispiel Baugemeinschaften und Genossenschaften, die gerade mal ein Projekt für sich selbst stemmen, aber nicht noch für einen Teil der Kosten anderer Mieter aufkommen können.
Stefan Rost: Bei uns in Freiburg machen wir diese Erfahrung aktuell nicht. Im jüngsten Baugebiet Gutleutmatten sind im Investorensegment 50 Prozent Sozialwohnungen vorgeschrieben. Es haben sich bis zu zehnmal mehr Investoren beworben, als es Grundstücke gibt.
Michael Voigtländer: Das mag funktionieren, wenn in einer Stadt der Markt eng und das Mietniveau ansonsten hoch ist und es nur wenig Bauland gibt. Anderswo funktioniert es nicht, sondern verhindert Neubau für die, die ihn aus eigener Kraft finanzieren könnten.
Stefan Rost: Also nicht für die, die ihn am dringendsten brauchen.
Michael Voigtländer: Doch, jeder Neubau hilft indirekt Bedürftigen. Selbst neue Luxuswohnungen führen dazu, dass ältere Wohnungen frei werden oder dass hier eine Luxus-Modernisierung unterbleibt. Und das, ohne dass ein Cent Subventionen fließt. Günstiges Wohnen lässt sich vor allem im Bestand anbieten – in viel größerem Umfang und mit viel weniger Steuergeld als geförderter Neubau. Dessen sozialer Effekt sinkt auch dadurch, dass nach allen Erfahrungen bald die Einkommen vieler Mieter steigen. Dann wohnen Leute in geförderten Wohnungen, die das überhaupt nicht nötig haben. Zugleich bleiben wirklich Bedürftige draußen. Das sehe ich als ganz großes Problem des Sozialwohnungsbaus.
Aber was machen Ärmere, wo Wohnungen knapp sind und sie im Bestand nichts finden?
Michael Voigtländer: Die Kommunen müssen im Bestand mehr Belegungsrechte kaufen. Damit können sie Nachfragern zu Wohnungen verhelfen, die sonst von Vermietern teils abgelehnt werden – seien es Alleinerziehende mit mehreren Kindern, Arbeitslose oder Zuwanderer. Und ein gutes Instrument für Bezieher niedriger Einkommen ist das Wohngeld. Es wird präzise nach individueller Bedürftigkeit gezahlt und ermöglicht es den Beziehern, mit anderen Nachfragern auf dem Markt mitzuhalten.
Stefan Rost: Das alles wird nicht reichen, um allen zu bezahlbarem Wohnraum zu verhelfen, die ihn brauchen – prekär Beschäftigten und schlecht Bezahlten, Zuwanderern, jungen Leuten und von Altersarmut Betroffenen. Für sie alle brauchen wir mehr Wohnungen, die im weiteren Sinn sozial gebunden sind oder dem Gemeinwohl dienen. Dafür müssen kommunale Unternehmen, Genossenschaften und andere aktiviert werden.
Ist das eine dauerhafte Garantie fürs Soziale? Städte können privatisieren, Genossenschaften können verkaufen und Gewerkschaften ein gemeinnütziges Unternehmen wie die Neue Heimat ruinieren.
Stefan Rost: Kommunalpolitiker und Gewerkschafter sind keine besseren Menschen, Genossenschaftsmieter auch nicht. Bei allen ist es möglich und vielfach passiert, dass in vielen Jahrzehnten gebaute und bezahlte Bestände irgendwann an Finanzinvestoren fallen. Da setzt unser Mietshäuser-Syndikat an. Bei uns gibt es zwei Verfügungsberechtigte über jedes Haus: erstens die Gemeinschaften, die das Hausprojekt begründet haben, die darin leben und es selbst verwalten. Zweitens das Mietshäuser-Syndikat. Es unterhält für jedes Projekt eine eigene GmbH, die einen ideellen Anteil an dem Haus besitzt. Nur wenn beide Seiten zustimmen würden, könnte ein Haus verkauft oder von den Bewohnern privatisiert werden. Damit entziehen wir die Häuser für alle Zeiten dem Markt.
Herr Voigtländer, klingt Marktentzug für Sie bedrohlich?
Michael Voigtländer: Nein, ich sehe ein solches Modell als interessante Möglichkeit, um in begehrten Stadtquartieren ein preisgünstiges Segment einzuführen oder zu halten. Es muss natürlich frühzeitig geschehen, solange die Häuser noch so erschwinglich sind, dass die gemeinschaftlichen Erwerber sich mit mäßigen Mieten begnügen können. Und es ist wünschenswert, wenn diese Wohnungen dann auch tatsächlich Einkommensschwächeren zur Verfügung stehen. Es sollten sich nicht nur Angehörige gehobener Mittelschichten eine Insel der Seligen schaffen, auf der sie zu niedrigen Kosten auf großer Fläche wohnen.
Stefan Rost: Die Initiatoren der Projekte sind meist eher jüngere Leute mit nicht sehr hohe Einkommen. Es sind viele Alleinerziehende darunter. Und wenn Bewohner mehr verdienen, ziehen sie nicht selten aus, weil sie einen anderen Standard, mehr Raum oder individuelles Eigentum wollen. Da wird immer wieder günstiger Wohnraum für Leute frei, die ihn besonders dringend brauchen.
Michael Voigtländer: Es hat für mich großen Charme, dass Ihr Modell ohne Staat und Subventionen funktioniert. Ich frage mich nur: Bricht es nicht zusammen, wenn die Zinsen stark steigen?
Stefan Rost: Wir haben vor über 20 Jahren angefangen, als die Zinsen bei acht oder neun Prozent lagen. Schon damals hat es funktioniert, wenn auch mit viel Mühe. Und heute binden unsere Projekte in aller Regel die Zinsen für lange Zeit und tilgen dann so viel, dass dieses Problem auch später nicht droht.
Und wenn irgendwann der Kredit abbezahlt ist, profitieren die künftigen Mieter von den Leistungen der früheren?
Stefan Rost: Wir wollen dauerhaft günstige Mieten garantieren. Doch sollen keine noch unbekannten Bewohner der Zukunft niedrige Kosten haben, aber selbst nichts für andere leisten. Deshalb steigen auch in den meisten Projekten die Mieten, allerdings langsamer als am Markt. Der Überschuss aus den älteren Hausprojekten fließt zum Teil in unseren Solidarfonds, aus dem wir neue Projekte unterstützen. Wir sind keine geschlossene Gesellschaft, sondern wollen mit unserem System immer neuen Gruppen Hilfen und Anstöße geben. Berlins Stadtbaurat Martin Wagner hat schon in den 1920er-Jahren ein System vieler kleiner, selbstverantworteter Baugenossenschaften im Verbund mit Solidarfonds propagiert. Die Idee verfolgen wir heute mit dem Mietshaus-Syndikat.
Michael Voigtländer: Und die neuen Projekte brauchen kein Eigenkapital?
Stefan Rost: Manche haben welches, aber andere auch nicht. Wir wollen nicht, dass danach sortiert wird. Zum Geld aus dem Solidarfonds können auch noch Kredite oder Eigenkapital privater Geldgeber kommen, die ihr Vermögen sinnvoll einsetzen und das Projekt unterstützen wollen, auch wenn sie selbst nicht dort wohnen.
Michael Voigtländer: Mir gefällt an Ihrem Modell, dass Sie neue Wege zur Eigentumsbildung eröffnen. Viele Menschen wünschen sich das, und oft aus dem von Ihnen genannten Motiv: Sie wollen sicher sein vor künftigen Mieterhöhungen, vor Eigenbedarfs-Kündigungen und übertriebener Modernisierung. Und sie wollen vor allem im Alter günstig wohnen. Dafür erwirbt man gewöhnlich ein individuelles Haus oder eine Eigentumswohnung. Aber vielen fehlt das nötige Kapital dafür. Da finde ich Ihre Kollektivlösung sehr interessant: Interessenten ohne eigenes Geld schließen sich zusammen. Ihr Fonds unterstützt sie, und später werden die Eigentümergruppen selbst zu Unterstützern. Das muss man in mehr Köpfe bringen!
Stefan Rost: Es wird immer bekannter. Momentan sind mehr als 100 Häuser im Syndikat, mit einer Investitionssumme von rund 100 Millionen Euro. Es gibt Projekte mit sechs oder sieben Bewohnern und welche mit 250. Wir haben inzwischen 50 ehrenamtliche Berater, die neue Projekte beraten, wir haben Handbücher und jede Menge Erfahrung.
Michael Voigtländer: Weniger geeignet finde ich es für die Altersvorsorge. Man bildet kein individuelles Vermögen und wohnt niemals mietfrei. Das sehe ich als eine Schwäche Ihrer Konstruktion.
Stefan Rost: Ich nicht. Viele Projektmitglieder können keine individuelle Immobilie kaufen, viele wollen nicht. Es wäre ein aussichtsloses Projekt, das gesellschaftliche Problem der Altersarmut mit individuellem Wohneigentum lösen zu wollen.
Michael Voigtländer: Wer das hat, steht am Ende meist am besten da. Aber ich habe auch nichts gegen gemeinschaftliches Eigentum. Ihre Kollektivlösung bietet Geringverdienern einen Weg dorthin. Da erinnert mich Ihr Vorgehen an die Ur-Idee der Bausparkassen: Gruppen legten ihr Geld zusammen, um einem Mitglied nach dem anderen zum Haus zu verhelfen. Sie wollen gerade nicht am Immobilienmarkt agieren, sondern möglichst marktfern leben. Wenn ein Eigentümer vor zehn Jahren gekauft hat, interessiert es ihn auch nicht mehr, wie die Mieten ringsum steigen.
Stefan Rost: Ja, auch bei uns ist so ein Zäunchen drumrum. Der entscheidende Unterschied ist, dass der Kollektiv-Eigentümer nie teuer verwerten kann und der Nächste es hoch bezahlen muss, sei es als Mieter oder Käufer. So gibt es keine leistungslosen Gewinne zu Lasten Dritter.
Michael Voigtländer: Auch das individuelle Investieren, Finanzieren und Riskieren ist eine Leistung, der eine Gewinnchance gegenüber stehen muss. Der Wohnungsökonom Johann Eekhoff hat zugespitzt gesagt: Genossenschaften betrügen ihre Mitglieder um den Gewinn, weil sie beim Auszug nichts von der Wertsteigerung ihrer Wohnungen haben. Davon profitiert die nächste Mietergeneration.
Stefan Rost: Das kann sie gerne tun, das ist doch nicht ungerecht.
Michael Voigtländer: Mir geht es hier nicht in erster Linie um Gerechtigkeit, sondern um ein ausreichendes Wohnungsangebot für alle. Und da sind Ihre Potenziale begrenzt. Wer eigenes Geld hat und auf Wertsteigerung hofft, investiert individuell und nicht bei Ihnen. Das gilt besonders für den Neubau. Sind hier nicht schlicht die Kosten zu hoch, als dass Mieter mit mäßigem Einkommen sie aufbringen könnten – auch mit Unterstützung aus Ihrem Fonds?
Stefan Rost: Es sind in jüngster Zeit zum Beispiel eine Wohngruppe in Berlin-Prenzlauer Berg und ein Handwerkerhof in Hamburg-Ottensen bei uns Mitglieder geworden. Beides sind natürlich keine Luxuswohn- oder Gewerbeprojekte. Dann klappt es. Und hier in Freiburg haben wir im Wohngebiet Gutleutmatten jetzt den Zuschlag für ein Viertel aller Flächen erhalten, die die Stadt an private Investoren vergeben hat. Wir bauen da in unserem Dreihäuserprojekt 50 Wohnungen, deren Miete bis zu 55 Jahre lang gebunden ist. 70 Prozent der Wohnungen erhalten öffentliche Förderung; sie kosten anfangs 6,50 Euro pro Quadratmeter.
Wie viel Förderung?
Stefan Rost: Zinslose Darlehen von 2.400 Euro pro Quadratmeter, die 25 Jahre lang laufen.
Das klingt ziemlich großzügig.
Stefan Rost: Bei den niedrigen Marktzinsen ist es das nicht; der Staat bekommt doch derzeit seine Darlehen beinahe zinsfrei. Und wir bauen so, dass auch die frei finanzierten Wohnungen für 7,50 Euro pro Quadratmeter vermietet werden können.
Michael Voigtländer: Das ist extrem günstig und wohl nur mit Selbsthilfe und auf Grundstücken zu erreichen, die die öffentliche Hand nicht zu Marktpreisen vergibt. Wo diese Bedingungen nicht herrschen, wird nur mit horrenden Subventionen für alle Schichten bezahlbarer Wohnraum neu gebaut werden können. Da dies den Staat zu überfordern droht, muss man auch Wohnstandorte außerhalb der Großstädte attraktiver machen. Wir brauchen dort bessere Infrastruktur und bessere Verkehrsanbindungen. Das kann günstiger sein und mehr Breitenwirkung haben als geförderter Neubau in den teuren Ballungszentren.
Stefan Rost: Darum sind wir ja für dauerhaft geschützten Bestand in den Städten. Wer in unseren Projekten wohnt, muss nicht täglich von weither pendeln.
Wollen Sie eine Massenbewegung werden, oder bleiben Sie in einer Nische?
Stefan Rost: Wir erreichen sicher nicht sogenannte breite Schichten, wenn man darunter bloße Konsumenten von Wohnraum versteht. Aber Nische? Das wird die Zukunft zeigen. Alle Umwelt- und sozialen Bewegungen haben in einer Nische angefangen.
Sehen Sie Ihre Mitglieder und Ihre Wohnform als etwas Besseres?
Stefan Rost: Ich möchte nicht über die Lebensstile anderer Menschen urteilen. Uns geht es um das Recht auf Wohnraum für alle.
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