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[ Konzerthausbau in Polen ]

Polnisch philharmonisch

Wie man schöne Konzerthäuser kosten- und termingerecht baut, zeigt Polen gleich im halben Dutzend.

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Philharmonie in Stettin: Weiße Giebel reflektieren die Struktur der Altstadt.

Text: Falk Jaeger

Bemerkenswerte Kunde über die Architektur kommt aus unserem östlichen Nachbarland. Der Mies-van-der-Rohe-Preis der EU ging im vergangenen Jahr an die Philharmonie in Stettin. Ambitionierte Konzerthäuser entstanden in den letzten vier Jahren auch in Kattowitz, Breslau, Thorn, Küstrin und Allenstein, außerdem in Białystok die Podlachische Oper und Philharmonie.

Hinter dieser erstaunlichen Entwicklung steckt kein Regierungsprogramm. Es gab in allen Städten Nachholbedarf, denn die Orchester hatten sich mit überalterten, meist unspezifischen Spielstätten zu begnügen. Die Initiative ging jeweils von der Bürgerschaft und/oder von der Wojewodschaft (Regierungsbezirk) aus. Die Förderung der regionalen Kultur spielte im Rahmen des Strukturwandels – zum Beispiel in der ehemaligen Bergbaustadt Kattowitz – ebenso eine Rolle wie die allgemeine positive wirtschaftliche Entwicklung und vielleicht auch ein wenig die Konkurrenz unter den Städten. Der entscheidende Beitrag kam jeweils von der EU, deren Fördermittel zum Teil die Hälfte der Bausumme ausmachten.

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Durchs Foyer winden sich skulpturale Treppen.

Der vorpommerschen, baulich noch immer deutsch geprägten Hafenstadt Stettin an der Odermündung war im Krieg übel mitgespielt worden. Altstadt und Hafen waren weitgehend zerstört worden. Der Wiederaufbau in den 1950er-Jahren hatte ein Übriges getan und hinterließ ein zerrissenes Bild. Inzwischen setzt sich bei der Stadtplanung stadträumliches Denken durch und die Wunden des Kriegs und des Wiederaufbaus werden langsam geheilt.

Den internationalen Architektenwettbewerb für die neue Philharmonie am nördlichen Rand der Altstadt haben die katalanischen Architekten Fabrizio Barozzi und Alberto Veiga 2007 für sich entscheiden können. Zusammen mit Jacek Lenart vom örtlichen Studio A4 realisierten sie das 35-Millionen-Projekt. Es ist ein Leuchtturmprojekt im Wortsinn. Neben dem düster dräuenden neogotischen Polizeipräsidium präsentiert sich der expressionistische Neubau als strahlende Stadtkrone, vor allem, wenn seine transluzente Außenhaut bei Dunkelheit von innen leuchtet. Durch das blendend-monochrome Weiß hebt er sich von der umgebenden Stadt ab, spielt aber mit den Elementen in seinem städtebaulichen Kontext. Er fügt sich in die Blockstruktur, beherzigt die nachbarlichen Traufhöhen und reflektiert durch seine Baugliederung die Struktur der nahe gelegenen Altstadt. Wie eine Herde drängen sich seine weißen Giebel eng aneinander.

Dennoch ist er kein angepasster Bau, sondern hat eine auratische Erscheinung, die damit zu tun hat, dass der verheißungsvoll schimmernde Bau jegliche räumliche Beziehung zwischen innen und außen verweigert. Kein Fenster und keine Schaufensterfront gewähren Einblick. Die Neugier auf das Innenleben steigt, und wer durch den fast beiläufig gestalteten Eingang tritt, sieht sich von der Aufweitung der haushohen Foyerhalle mit den skulpturalen Treppen überrascht, die den Blick nach oben lenkt. Der nur über die Glasdächer mit Zenitlicht geflutete weiße Allraum wird zum beeindruckenden Architekturerlebnis vor dem eigentlichen Musikgenuss.

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Der „Sonnensaal“ strahlt Feststimmung aus.

Die beiden Säle, der Kammermusiksaal mit 240 Plätzen und der große Saal mit knapp 1.000 Plätzen, zeichnen sich nach außen nicht ab. Beide sind als rechteckige „Schuhschachteln“ mit geraden Sitzreihen nach dem Vorbild des Wiener Musikvereins konzipiert. Mit schwarzem Gestühl und goldenen Wänden und Decken bietet der große „Sonnensaal“ ein festliches Ambiente für sinfonische Orchester. Expressiv gefaltete Paneele an Wänden und Decken sorgen für den inzwischen viel gelobten Raumklang. Dunkel anthrazitfarben fokussiert der kleinere „Mondsaal“ alle Konzentration auf die Musiker. Für den Sprung in die erste Liga der europäischen Konzertsäle zeichnet der Akustiker Higini Arau aus Barcelona verantwortlich.

Die Philharmonie wurde für die hinüber nach Deutschland reichende Region zur Erfolgsgeschichte und das Musikleben der Stadt hat einen enormen Aufschwung genommen, denn das Konzerthaus ist permanent ausgebucht.

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NOSPR Kattowitz: Der Backstein-Monolith scheint innen zu glühen.

Sechs Autostunden weiter südlich, im schlesischen Kattowitz, steht man vor denselben Aufgaben, wie sie im Ruhrgebiet zu bewältigen sind. Aus einer rußigen Bergarbeiterstadt wird ein dynamisches Wirtschaftszentrum mit Zukunft, das dabei ist, das eine halbe Stunde weiter östlich gelegene renommierte Kulturzentrum Krakau in der Prosperität hinter sich zu lassen. Unmittelbar nördlich der Innenstadt, die noch viel von ihrer Prägung im 19. Jahrhundert bewahrt hat, galt es, das 20 Hektar große Gelände der Kohlenmine Kattowitz in einen Kulturdistrikt zu konvertieren. Fördertürme und alte Zechengebäude in Backsteinromantik blieben als Museumsstücke erhalten. Das Schlesische Museum erhielt einen von Riegler Riewe aus dem österreichischen Graz entworfenen Neubau, von dem nur Glasboxen zu sehen sind, die die unterirdischen Ausstellungsbereiche belichten. Eine Arena mit einem Fassungsvermögen von 11.500 Zuschauern entstand, wegen ihrer Form Spodek (Soßenschüssel) genannt, jüngst ergänzt um ein internationales Kongresszentrum. Zu diesem Kulturdistrikt gehört auch das neue Konzerthaus NOSPR Seat, der Sitz des Polnischen Nationalen Rundfunk-Sinfonieorchesters, das als das führende Orchester Polens gilt.

Der backsteinerne Monolith nimmt den großen Maßstab der Kongressbauten und der Ringstraße auf. Fenster und Eingänge liegen zurückgesetzt in Vertikalschlitzen, die in den Monolithen geschnitten sind, in unterschiedlich breiten und rhythmisierten Abständen, ähnlich den Strichen eines Barcodes. In den Nischen sind die Ziegel blutrot glasiert; das Haus scheint innen zu glühen.

Die äußere Hülle mit allen Funktionsräumen, Garderoben, Proberäumen, Aufnahmestudios, einer Kantine und neun Gästezimmern bildet eine akustische Schutzschicht für den 1.800 Besucher fassenden Saal und den Kammermusiksaal. Im von hellem schlesischem Marmor gestimmten Foyer kommt der Saal als mächtiger dunkel-anthrazit gefärbter Betonkörper zur Wirkung. Wo er aufgeschnitten ist, kommen warmbraunes Holz, lackierte und polierte Birkenholzfurnierplatten zum Vorschein, die auch die warme, festliche Atmosphäre des Saals im Inneren bestimmen. Die Wände der Ränge bestehen aus ondulierend profiliertem, anthrazitfarbenem Beton, der für eine diffuse Schallreflexion sorgt. Für die Akustik des konventionellen, mit drei umlaufenden Rängen ausgestatteten Saals zeichnet Yasishisa Toyota von Nagata Acoustics verantwortlich. Auch der flexibel zu bespielende Kammermusiksaal mit 300 Plätzen zeigt die wogenden Wände. Das in Kattowitz ansässige NOSPR, das nationale Rundfunk-Sinfonieorchester, verfügt nun auch über eine Spielstätte von internationalem Niveau.

Die Akustik des National Forum of Music in Breslau plante ein weiterer Japaner, Tateo Nakajima vom in der Arup Group aufgegangenen Büro Artec Consults. Architekten waren der 2011 tödlich verunglückte Stefan Kuryłowicz und seine Frau Ewa, die das Projekt vollendet hat. Auch dieses Gebäude mit einem der größten Säle Europas (1.800 Sitze) und drei weiteren Kammermusiksälen mit 250 bis 400 Sitzen ist nach dem typologischen Prinzip „egg in a box“ konzipiert, mit einer äußeren, schützenden Hülle aus Funktionsräumen und dem im umlaufenden Foyer als Körper präsenten Saal. Wie in Kattowitz ist der Saal annähernd rechteckig mit drei umlaufenden Balkonrängen konzipiert. In diesem Fall ist der Saal außen mit schwarzem Corian verkleidet, was an einen glänzend schwarz lackierten Flügel denken lässt. Mit schwarzen Wänden und vierfach gestapelten weißen Balkonen und Brüstungen setzt schon die Eingangshalle starke Akzente. „Wenn wir uns für besondere Anlässe kleiden, greifen wir auch zu Schwarz und Weiß“, sagt Ewa Kuryłowicz.

Und wie in Kattowitz ist der stereometrische Baublock des Gebäudes braun verkleidet, allerdings nicht mit Ziegeln, sondern mit Faserzementplatten. Die Fenster bilden hier horizontale Schlitze und Bänder. Wenn das Gebäude auf Fotografien perspektivisch verzerrt erscheint, so hat das seine Richtigkeit, denn die Außenwände sind geneigt und zum Teil konkav gebogen, was dem Gebäude eine gewisse Spannung verleiht. Der blockhafte, angeböschte Bau lässt ein wenig an Festungsarchitektur denken, vielleicht auch, weil er im Bereich der ehemaligen barocken Stadtbefestigung steht. Ansonsten macht er in Maßstab und Gestaltung keinerlei Anstalten, sich in die historische Stadt einzupassen, sondern beansprucht eine solitäre Dominanz.

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Konzert- und Kongresszentrum Thorn: Der felsen-artige Baukörper…

Als jüngster Bau eröffnete in Thorn nordwestlich von Warschau das Konzert- und Kongresszentrum Jordanki am Nordrand des historischen Stadtkerns, der ohne Zerstörungen durch den Krieg gekommen ist und zum Unesco-Weltkulturerbe zählt. Daher war die Höhe des Konzert- und Kongressbaus begrenzt. 60 Prozent der Baumasse stecken im Untergrund der ehemaligen Wallanlagen.

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…birgt höhlenartige Multifunktionsräume mit polygonal geformten Wänden und Decken.

Doch wie er aus der Erde drängt! Als zerklüfteten Felsen in der Landschaft hat sich der spanische Architekt Fernando Menis das Gebäude vorgestellt und einen ungemein skulptural wirkenden Bau aus kraftvollen Volumina geschaffen. Aus den mit diagonalen, sägerauen Brettern geschalten Betonblöcken sind drusenartig Höhlungen ausgeschnitten, die warmrot hervorleuchten. Der Effekt kommt von dem gebrochenen Ziegelstein, in Beton vergossen und in handwerklicher Arbeit mit Millionen von Hammerschlägen herausgearbeitet. Im Foyer ist es ebenso verarbeiteter Tuffstein, wie ihn Menis aus seiner Heimat Teneriffa kennt. „Picado“ nennt der Architekt diese Technik. Die höhlenartigen, scharounesk polygonal gefalteten Wände bilden archaische Räume, die sich von der „Eingangshöhle“ bis in die Säle hineinziehen. Effektvoll beleuchtet, haben diese Räume etwas Märchenhaftes, das sich auf die Veranstaltungen übertragen mag.

Die Säle der beiden mittleren Baukörper können durch Wegschieben der doppelten Trennwand zusammengeschaltet, die Parkettreihen samt Unterkonstruktion komplett abgebaut werden, sodass ein ebener Raum entsteht. Es handelt sich um ein multifunktionales Kultur- und Kongresszentrum, ausgerüstet mit (zu) viel technischem Aufwand für Musik und darstellende Künste, mit vollkommen abbaubarem Gestühl, mit erstaunlichen Hebebühnen und allerlei Beleuchtungstechnik. Die Bauherrschaft, insbesondere der Präsident der Wojewodschaft, wünschte sich diese Multifunktionalität und Flexibilität. Im täglichen Betrieb sind die Umrüstungen jedoch meist zu zeitraubend und zu personalaufwendig.

Von außen zeichnen sich die beiden Säle als Baukörper ab, getrennt durch eine gläserne Klamm. Rechter Hand schließt sich als schmalerer Baukörper ein Techniktrakt an, linker Hand die Verwaltung mit dem Restaurant Picado im Erdgeschoss. Warum die Mitarbeiter von ihren Büros aus in den engen Zwischenraum gleich einer venezianischen Gasse schauen müssen, während der Erschließungsgang zur anderen Seite schönste Aussicht nach Westen bietet, bleibt rätselhaft. Immerhin sitzen sie nicht in weißen Gipskartonbüros. Terrazzoböden und Sichtbetonwände in Verbindung mit Naturholz haben Atmosphäre, und eine Deckengestaltung mit untergehängten, ziegelbruchgefüllten Gabionen hat man so noch nicht gesehen. Das Haus ist deshalb so überzeugend, weil die organische Architektur in der Nachfolge von Rudolf Steiner, der Gläsernen Kette und ein wenig auch Antoni Gaudí nicht aufgesetzt formalistisch wirkt, sondern dem Zweck und dem Ort angemessen erscheint. Es bietet ein Architekturerlebnis, das sich mit dem Geschehen auf der Bühne zu einem atmosphärisch dichten Gesamtkunstwerk verbindet.

Thorn ist nicht nur auf die Landkarte der Musikfreunde in Polen gerückt, sondern auch auf die der Architekturfans überregional, und lohnt auf jeden Fall den Zwischenhalt auf dem Weg von Warschau nach Danzig oder Stettin.
Prof. Dr. Falk Jaeger ist Bauhistoriker, ­Architekturkritiker und Publizist in Berlin.

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