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[ Gartenschau ]

Klare Kanten

Zwischen Deutschlands größten Plattenbau-Siedlungen hat eine großzügige Gartenschau eröffnet.

Wolkenhain: Das 25 Meter hohe Aussichtsgerüst auf dem Kienberg bietet Rundblicke weit über die umgebenden Plattenbau-Stadtteile hinaus.

Text: Roland Stimpel

Der Kienberg ist eine für Berlin sehr typische Erhebung. Die Eiszeit modellierte ihn gut 15 Meter höher als das umgebende Gelände. Zur Zeit der DDR kamen weitere 50 Höhenmeter Müll, Bauschutt und Bodenaushub hinzu. Vor allem Aushub gab es mehr als genug: Rings um den Berg entstand in Marzahn und Hellersdorf Deutschlands größtes Plattenbau-Konglomerat mit rund 100.000 Wohnungen, in denen heute 180.000 Menschen leben – nicht wenige davon in oberen Hochhaus-Etagen auf Augenhöhe mit der künstlichen Erhebung.

Der Kienberg und seine Umgebung sind jetzt auch der gestalterische Höhepunkt im Stadtteil. Knapp 60 Hektar sind aus Anlass der Internationalen Gartenschau kultiviert, qualifiziert und neu erschlossen worden; 43 Hektar existierende „Gärten der Welt“ wurden integriert. All das geschah aber nicht nur für das 185-Tage-Ereignis, das Ostern begonnen hat, sondern zum dauerhaften Gewinn für den Stadtteil, der baulich wie sozial streckenweise ziemlich herbe war und ist.

Krisenintervention per Gartenschau ist eine Spezialität der Berliner Landschaftsarchitekten Christof Geskes und Kristina Hack. Sie waren schon an zwei Bundes- und fünf Landesgartenschauen maßgeblich beteiligt, mit besonderem Erfolg an schwierigen Standorten. Etwa im fränkischen Tirschenreuth, wo viel Industrie verschwunden war. Oder im westfälischen Hemer, dem nach der Schließung von Kasernen ein wirtschaftliches Standbein fehlte. „Diese Städte sind durch ihre Gartenschauen ein Stück selbstbewusster geworden“, sagt Christof Geskes stolz. In Marzahn und Hellersdorf kommt die Gartenschau – das ist Zufall – gerade zu einer Zeit, in der sich die Stadtteile ohnehin sozial stärker mischen und heben. Wegen der stadtweiten Wohnungsknappheit ziehen jetzt auch Bürger her, die die Gebiete bisher gemieden haben. Gentrifizierungsbedingt entstehen nicht etwa Gettos für Ausgestoßene, sondern im Gegenteil buntere, selbstbewusstere Nachbarschaften. Neue Infrastruktur und Identitätszeichen unterstützen den Aufschwung am östlichen Berliner Stadtrand. Geskes Hack und ihre Mitstreiter in der Arge, Kolb Ripke Architekten aus Berlin und VIC Ingenieure aus Potsdam, strebten dabei keine idyllisierte, gar abgeschottete Gegenwelt zur umgebenden Einfach-Moderne an. „Hier braucht es deutliche Gesten“, erkannten sie nach den Worten von Christof Geskes schon im Wettbewerb, den die Arge 2013 gewann. „Man muss konzeptionell und räumlich groß denken und darf diesen Maßstab nicht verlassen.“ Am prägnantesten ist die Infrastruktur am Berg. Auf dem Plateau (von Gipfel mag man nicht reden) steht der „Wolkenhain“, ein 25 Meter hohes Aussichtsgerüst mit 170 Stahlknoten. Die Blicke reichen über die nahen Hochhaus-Gebirge bis ins Berliner Zentrum und weit ins Brandenburger Umland, wo Solarfelder auf den ersten Blick schimmern wie blaugraue märkische Seen.

Wer sich den 50-Meter-Aufstieg nicht zumuten mag oder einfach nur luftigen Spaß haben will, kommt mit der Gondel-Seilbahn – Berlins erster seit der legendären Interbau im Hansaviertel von 1957. Die Tal- und Endstationen der eineinhalb Kilometer langen Strecke liegen in Hellersdorf an der U-Bahn und in Marzahn vor Hochhäusern am Blumberger Damm. Die Kabinen sollen nach der Schau erst mal weiter schweben. Vielleicht werden sie zum alltäglichen Nahverkehrsmittel, das die beiden Siedlungsgebiete über Park und Berg hinweg verbindet.

Große Gesten mit Cortenstahl

Große, Plattenbau-adäquate Gesten zeigen auf der Gartenschau auch die beiden Brücken mit Cortenstahl-Geländern – die eine führt 150 Meter über einenEinschnitt am Berghang, die andere 280 Meter über einen See am östlichen Rand. Hier ist der Park mit einem der längsten, doch außerhalb des Stadtteil s auch unbekanntesten Berliner Grünzüge verknüpft: dem Tal des Flüsschens Wuhle, das etwa 15 Kilometer südwärts zur Spree in Köpenick plätschert – über weite Strecken begleitet von Fernheizrohren und Plattenbauten, aber gerade wegen dieses Kontrasts umso reizvoller. Ein paar Hundert Meter sind jetzt in die IGA einbezogen.

Blicke auf Hochhäuser oder lange Zeilen, kantige Ensembles oder ganze Platten-Landschaften öffnen sich auf der Gartenschau immer wieder. Ihr Areal ist zu diesen Häusern hin optisch offener gehalten als zu einem quietschbunten Eigenheimgebiet der Nachwendezeit, vor das pflanzlicher Sichtschutz kam. Auf dem Areal selbst hält sich bis auf Ausguck, Brücken und Seilbahn die Hochbau-Architektur eher zurück, selbst bei großer Form. So ist das ausladende Bühnendach aus Beton der von Paul Böhm aus Köln entworfenen Freilicht-Arena Gartenschau-gemäß mit Gras bedeckt. Natürlich gibt es auch introvertierte Winkel. Da sind zunächst die „Gärten der Welt“ – Motivgärten nach Ländern, Kulturen und Epochen, die ab den 1990er-Jahren angelegt wurden, schon seit damals Eintritt kosten und in Marzahn erste landschaftskulturelle Ausrufezeichen setzten. Erweitert wurden sie jetzt durch kleine Anlagen, in denen Gestalter aus Australien, dem Libanon und Südafrika „ihre Gartenkulturen modern interpretieren“, wie Geskes sagt. Einen gewissen Rückzug ermöglichen auch stille Pfade am Kienberghang, der mit Robinien und Eschenahorn dicht überwachsen war und jetzt mit Wegen, Schneisen und lockerer gepflanzten Neu-Wäldern ausgelichtet ist.

Rückzug und Besinnung bieten nicht zuletzt die Wasserlandschaften – hoch ummauerte Areale, in denen Geskes Hack den Flaneuren Erlebnisse von Nebeln, wechselnden Fontänen, Wasserfällen und Lotosblütenteichen vermitteln. An Inklusion durch Blindenmarkierungen am Beckenrand ist ebenso gedacht wie an Frosch-Rettungswege über Steinbrocken in den Becken. An nicht wenigen anderen Stellen im Gelände bestimmen barrierefreie Wege das Bild, die mit ihren vielfachen Windungen manchmal ganze Hangpartien bedecken. Auch der „Wolkenhain“ hat natürlich einen Aufzug.

Nicht als abgeschottete Inseln, sondern ganz offen und offensiv im Gelände sind die Kinderspielplätze gestaltet. Die Motive sind von der fantastischen Weltreise in
Erich Kästners „35. Mai“ inspiriert. Nicht nur Innenarchitekten mögen sich aus ihrer Kindheit an den Kleiderschrank erinnern, durch dessen Rückwand der Held Konrad und sein Pferd Negro Kaballo in die Zauberwelt treten.

Aber in Marzahn lockt die reale Welt. Weitläufigkeit und Intimität zugleich bietet die Hangpartie am Süden des Kienbergs mit ihren Terrassenmauern aus blaugrau glänzendem Fruchtschiefer, einer Spezialität aus dem sächsischen Theuma. Hier kann man sitzen und auf den mäandrierenden Wassergraben gucken, auf Böschungen und Privatgärten dahinter oder weit übers Gelände hinweg auf die Rasterfassaden der Plattenbauten. Insgesamt erweckte das Areal beim Rundgang drei Wochen vor Eröffnung den Eindruck, dass den Planern das langfristige Wohl des Parks wichtiger war als das gartenbauliche Sechs-Monats-Spektakel. Das entspricht der Methodik des einschlägig erfahrenen Büros. „Gartenschauen müssen dauerhaft robust sein“, sagt Geskes. „Das ist buchstäblich die Grundlage, erst darüber kommt dann der Gartenschau-Layer.“

Kritik wird leiser

Im Vorfeld gab es in der Umgebung natürlich die Gartenschau-Standard-Kritik: unnötig, zu teuer, fies zu den Anwohnern wegen des Zauns, Eintrittsgelds und Hundeverbots. „Wir haben aber noch nie mit so viel Transparenz und Beteiligung gearbeitet“, erinnert sich Geskes, und er hat dabei „die ganz erhebliche ökologische Kompetenz“ vieler Menschen in den Hochhaus-Siedlungen kennengelernt. Dort wuchs die Zustimmung, als der dauerhafte Qualitätssprung deutlicher wurde – ab Herbst ohne Ticket genießbar, mit Ausnahme der „Gärten der Welt“. Sie waren unfreiwillig die Paten für das ganze Projekt: 2011 hatten Rehwaldt Landschaftsarchitekten aus Dresden einen Masterplan zur Erweiterung vorgelegt; an eine Gartenschau dachte damals noch keiner. Die war auf dem kurz zuvor geöffneten Areal des früheren Flughafens Tempelhof vorgesehen. Dort regte sich aber bald Berlins Innenstadt-üblicher Trotz gegen solche Eingriffe. Ein Jahr später topfte Berlin seine geplante Gartenschau einfach nach Marzahn-Hellersdorf um. Dorthin locken jetzt die großen grünen Gesten, während Tempelhof seit einem Volksentscheid von 2014 völlig erstarrt ist: Nicht mal der Asphalt, der das Gelände über weite Strecken bedeckt und im Sommer aufheizt, darf weg. Ein zuvor geplanter Nord-Süd-Radweg wurde vom Stimmvolk verboten, die Erweiterung des muslimischen Friedhofs auch.

Seltsames Berlin: Das Tempelhofer Areal zwischen Szene-Vierteln ist veränderungsängstlich eingefroren. Der angeblich tumbe Plattenbau-Stadtrand dagegen wertet sich durch zeitgemäße Freiraumgestaltung auf.

Mehr Informationen und Artikel zum Thema „Weitsicht“ finden Sie in unserem DABthema Weitsicht.

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