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[ Baurecht ]

Mastställe, Dachterrassen und alte Baunutzungsverordnungen

Unsere Übersicht zeigt, welche aktuellen Urteile zum Bauplanungsrecht für Architekten relevant sind

Foto: Fotolia
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TEIL 2

Text: Hubertus Schulte Beerbühl

Kindergarten unabhängig vom Wohnort der Kinder zulässig

Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 25. Februar 2017, Az.: 3 B 107/11

Gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 2 Baunutzungsverordnung (BauNVO) sind in einem reinen Wohngebiet Anlagen zur Kinderbetreuung zulässig, die den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dienen. Aber wer ist in diesem Sinne „Bewohner“ und was ist das „Gebiet“? Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat entschieden, dass bei der Definition des Begriffs „Bewohner“ nicht die gegenwärtige persönliche Lebenssituation der in diesem Gebiet ansässigen Grundstückseigentümer zu betrachten ist, sondern die objektive Bewohnbarkeit der Grundstücke. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob die gegenwärtigen Mieter oder Eigentümer der umliegenden Wohnungen und Häuser Kinder haben. Das Baurecht ist nämlich grundstücksbezogen, weshalb subjektive persönliche Umstände bei der Beurteilung der Zulässigkeit baurechtlicher Vorhaben grundsätzlich außer Betracht bleiben. In Wohngebieten sind Einrichtungen zur Kinderbetreuung baurechtlich objektiv notwendig. Das „Gebiet“ muss sich nicht mit dem konkret festgesetzten oder faktischen Baugebiet decken. Das hat das Gericht daraus abgeleitet, dass gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 3 BauNVO bei der Aufstellung von Bauleitplänen insbesondere „die sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung, insbesondere die Bedürfnisse der Familien, der jungen, alten und behinderten Menschen“ zu berücksichtigen sind. Zu diesen Bedürfnissen gehört der Rechtsanspruch des Kindes auf einen Betreuungsplatze. Gerade wegen der danach gebotenen wohnortnahen Versorgung mit Betreuungsplätzen und den damit verbundenen finanziellen Belastungen der Kommunen sei es vielfach nicht möglich, in jedem Wohngebiet eine Kinderbetreuungseinrichtung einzurichten. Deshalb sei ihr baurechtlich zulässiger Einzugsbereich nicht auf das konkrete Wohngebiet, in dem sie liegen, beschränkt. Die Klage eines Nachbarn dagegen, dass in seinem Baugebiet eine Nutzung erlaubt worden sei, die der Gebietsfestsetzung zuwider liefe, wurde abgewiesen.

Alte Baunutzungsverordnung verhindert Wohngruppe

Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20. Dezember 2016, Az.: 4 B 49/16

Eine psychotherapeutische Wohngruppe, in der minderjährige Mädchen untergebracht sind, um sie auf eine Integration in ihre Familien oder die Überleitung in eine andere geeignete Hilfsform vorzubereiten, ist eine „Einrichtung für soziale Zwecke“ und stellt sich nicht als „Wohnen“ im planungsrechtlichen Sinne dar. Denn der Begriff des Wohnens ist gekennzeichnet durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie Freiwilligkeit des Aufenthalts. Das war in dem entschiedenen Fall nicht zu bejahen, da für die Mädchen stets eine Hauswirtschafterin oder eine Betreuungskraft anwesend war und die Mädchen sich nicht selbst verpflegten. Allerdings sind nach der heutigen Rechtslage Anlagen für soziale Zwecke in reinen Wohngebieten ausnahmsweise zulässig (§ 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO); deshalb hätte, ein Nachbar kein Abwehrrecht. Anders ist es aber, wenn die BauNVO in den Fassungen von 1968 oder 1977 anzuwenden ist. Denn nach den damaligen Fassungen waren solche Anlagen nicht, auch nicht ausnahmsweise zulässig. In dem vorliegenden Fall war die Fassung von 1968 zu betrachten, weil diese galt, als der Gemeinderat den Bebauungsplan beschloss. Dieser so genannte Grundsatz der statischen Verweisung hat seine Rechtfertigung darin, dass eine Festsetzung nur die Bedeutung haben kann, die der damaligen Vorstellung des Gemeindeparlaments entsprechen konnte. Bestimmungen, die damals noch nicht existierten, konnten nicht von dessen Wille umfasst sein. Dieser Grundsatz zwang auch dazu, die Bestimmung in § 3 Abs. 4 BauNVO auszublenden, nach der zu den Wohngebäuden auch solche zählen, die ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege ihrer Bewohner dienen. Denn auch diese wurde erst 1990 in die BauNVO aufgenommen.

Bauhöhen in Umgebung ab Geländehöhe zu betrachten

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 8. Dezember 2016, Az.: 4 C 7.15 und
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 8. März 2017, Az.: 8 A 10695/16

Die Frage nach dem Einfügen in die nähere Umgebung ist mit Blick auf das Maß der baulichen Nutzung besonders schwer zu beantworten. Denn sie verlangt  Wertungen und die Kenntnis der Maßstäbe, die die Rechtsprechung für die wenig aussagekräftigen gesetzlichen Begriffe herausgearbeitet hat. Dazu hat das Bundesverwaltungsgericht die in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsätze bezogen auf das Maß der baulichen Nutzung wie folgt zusammengefasst: Bedeutsam seien solche Maße, die nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten und anhand derer sich die vorhandenen Gebäude in der näheren Umgebung leicht in Beziehung zueinander setzen ließen. Ihre absolute Größe nach Grundfläche, Geschosszahl und Höhe, bei offener Bebauung zusätzlich auch ihr Verhältnis zur Freifläche, prägten das Bild der Umgebung und böten sich deshalb vorrangig als Bezugsgrößen zur Ermittlung des Maßes der baulichen Nutzung an. Gebäude prägen ihre Umgebung nicht durch einzelne Maßbestimmungsfaktoren im Sinne des § 16 Abs. 2 BauNVO, sondern erzielen ihre optische maßstabsbildende Wirkung durch ihr gesamtes Erscheinungsbild. Deshalb sei kumulierend auf die genannten Maßfaktoren abzustellen; die Übereinstimmung von Vorhaben und Referenzobjekten nur in einem Faktor genüge nicht.

Diese Grundätze wandte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz an und entschied, dass das von dem Kläger in einem Wohngebiet geplante Mehrfamilienwohnhaus mit einer Grundfläche von 320 Quadratmetern, einer Traufhöhe von 7,20 Meter und einer Firsthöhe von 13 Metern dem in der näheren Umgebung vorhandenen Maß der baulichen Nutzung nicht entspreche. Dabei nahm das Gericht entsprechend der üblichen Praxis der Gerichte als Bereich gegenseitiger Prägung grundsätzlich das Straßengeviert und die dem Baugrundstück gegenüberliegende Straßenseite an. Ferner entschied das Gericht, dass die Höhe der umliegenden Häuser auf die Geländehöhe der jeweiligen Grundstücke bezogen wird. Dies ist insbesondere bei Hanglagen entscheidend. Liegt die zur Bebauung anstehende Grundstücksfläche tiefer als die Flächen der bereits bebauten Grundstücke in der näheren Umgebung, wäre es also verfehlt, für das zulässige Höhenmaß die Höhe der Nachbarbebauung bezogen auf das – tiefer liegende – Niveau des Baugrundstücks zu betrachten. Hinsichtlich der Firsthöhe bemisst sich daher das in der Umgebungsbebauung vorhandene Maß nach dem Abstand des Firstes zu der im Lot darunter befindlichen Geländeoberfläche. Will man darüber hinaus die Traufseite beurteilen, würde das Hinausragen der Bestandshäuser über die Geländeoberfläche bei einer Hangbebauung nicht korrekt erfasst, wenn man lediglich die talseitig erfassbare Höhe berücksichtigte.. Um das Höhenmaß einer Hangbebauung (wie zum Beispiel eine bergseitig eingeschossige und talseitig zweigeschossene Bebauung) zutreffend zu erfassen, ist es vielmehr sachgerecht, eine Mittelung der unterschiedlich hohen Traufseiten vorzunehmen. Als Vorbild kann  die Höhenbegrenzung beim Grenzgaragenprivileg im Abstandsflächenrecht dienen (zum Beispiel „mittlere Wandhöhe“). Bei dieser Methode ergab sich, dass die als Vergleichsobjekte zu betrachtenden Gebäude eine deutlich niedrigere Höhe auswiesen, und zwar sowohl für den zur Straße orientierten als auch für den zum Hang orientierten Wandteil. Wenn auch ein Gebäude sich der Höhe des geplanten Gebäudes näherte, schied dieses als Referenzobjekt aus, weil es eine deutlich kleinere Grundfläche hatte. Die auf Genehmigung gerichtete Klage blieb erfolglos.

Geruchsimmission darf trotz Gegenmaßnahmen über Richtwerten liegen

Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 7. April 2016, Az.: 4 B 37/15

Kann einem Landwirt ein weiterer Maststall genehmigt werden, wenn zwar einerseits wegen gleichzeitig vorzunehmender Maßnahmen zur Immissionsminderung an seinen vorhandenen, legalen Ställen insgesamt die Belastung in dem benachbarten Dorfgebiet gleich bleibt oder sogar abnimmt, aber andererseits die Richtwerte zur Geruchsimmission heute und in Zukunft überschritten werden? In dem entschiedenen Fall betrug nach einem im Genehmigungsverfahren eingeholten Gutachten die Geruchsfracht nach der Geruchsimmissionsrichtlinie bereits in gegenwärtigen Zustand 34,7 Prozent der Jahresstunden und würde nach Verwirklichung des Bauvorhabens bei 33,7 Prozent liegen. Dem gegenüber sieht die Richtlinie für Dorfgebiete eine Geruchshäufigkeit von lediglich 15 Prozent der Jahresstunden als zumutbar an. Das OVG Niedersachsen hatte auf die Klage eines Nachbarn hin die gestellte Frage verneint. Eine solche so genannte Verbesserungsgenehmigung verletze den Nachbarn in seinem Anspruch auf Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen, weil der Richtwert immer noch überschritten werde. Das Bundesverwaltungsgericht widersprach dem und ließ die Revision gegen das Urteil zu. Es wies darauf hin, dass zwar im Außenbereich ansässige Betriebe auf die benachbarte Wohnbebauung Rücksicht nehmen müssten, welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme stelle, hänge aber wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Dabei dürften bestehende Vorbelastungen nicht außer Betracht bleiben. Was von einem genehmigten Betrieb bislang legal an Belastungen verursacht werde und sich auf eine vorhandene Wohnbebauung auswirke, könne deren Schutzwürdigkeit mindern. Deshalb sei bei der Erweiterung eines legalen Betriebes nur zu prüfen , ob eine Verschlechterung der Immissionslage zu erwarten sei. Das sei hier nicht der Fall und deshalb sei die Genehmigung rechtmäßig und nicht rücksichtslos.

Anbau legal, Dachterrasse darauf nicht

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1. August 2016, Az.: 7 A 937/14

Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Dabei umfasst das Merkmal der überbaubaren Grundstücksfläche neben der konkreten Grundfläche des Bauwerks auch den Standort des Projekts innerhalb der vorhandenen Bebauung. In dem entschiedenen Fall ging es um die Legalität einer Dachterrasse auf einem vor Jahren genehmigten Anbau an ein Wohngebäude und einen darüber zu errichtenden Austritt im Dachgeschoss des fünfgeschossigen Hauses. Das Gericht entschied, dass der als „Abstellraum“ genehmigte Anbau selbst bezüglich des Merkmals der überbaubaren Grundstücksfläche als Vorbild ausscheide und deshalb die faktische hintere Baugrenze nicht verschiebe. Es handele sich um eine die rückwärtige Bebauung nicht prägende Nebenanlage zum Wohnhaus als Hauptanlage. Solche baulichen Anlagen, die von ihrem quantitativen Erscheinungsbild (Ausdehnung, Höhe, Zahl usw.) nicht die Kraft haben, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen – und die der Betrachter also nicht oder nur am Rande wahrnimmt – sind nach der Rechtsprechung bei der Betrachtung auszusondern. Außerdem sind jene Anlagen auszublenden, die zwar quantitativ die Erheblichkeitsschwelle überschreiten, aber nach ihrer Qualität völlig aus dem Rahmen der sonst anzutreffenden Bebauung herausfallen und wegen ihrer Andersartigkeit beziehungsweise Einzigartigkeit den Charakter der Umgebung nicht beeinflussen. Das Gericht sah den nicht unterkellerten Anbau also nicht als Teil des Wohnhauses, Er wurde vielmehr, ähnlich wie eine Garage, als Anhängsel zum Wohnhaus wahrgenommen. Auch eine vom Kläger angesprochene Stützmauer und eine Abgrabung auf einem benachbarten Grundstück schieden als prägende bauliche Anlagen aus. Die faktische hintere Baugrenze versprang deshalb nicht in den rückwärtigen Bereich, so dass die streitige Dachterrasse und der Austritt außerhalb der Baugrenze lagen und planungsrechtlich unzulässig waren.

Dr. Hubertus Schulte Beerbühl ist Richter am Verwaltungsgericht Münster und Autor eines Lehrbuchs zum Öffentlichen Baunachbarrecht und zum Baurecht NRW


MEHR URTEILE:

In Teil 1 unserer Übersicht geht es um:
– die landschaftsprägenden Eigenschaften eines Gebäudes
– zu viel Einsichtnahme trotz genügend Abstand
– realitätsfern gewordene Bebauungspläne
– zu viel Lärm durch nicht notwendige Stellplätze
– unzulässige Befreiungen von Bebauungsplänen

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