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[ Barrierefreiheit ]

Orientierungshilfe. Leserbrief von Nadine Metlitzky, Lutz Engelhardt, Susanne Trabandt

Das Thema Barrierefreiheit bietet Spielräume für unterschiedliche Interpretationen und sorgt für Diskussionsstoff

Ein Leserbrief zu unserem Beitrag Orientierungshilfe aus Heft 02.2018, Seite 36

Von Nadine Metlitzky, Lutz Engelhardt und Susanne Trabandt

Mit Freude nehmen wir zur Kenntnis, dass sich die Redaktion des Deutschen Architektenblatts immer wieder dem Thema Barrierefreies Bauen widmet. Im Beitrag von Wolfgang Frey „Orientierungshilfe“ entsprechen jedoch die aufgezeigten Lösungsansätze und ‐vorschläge weder den rechtlichen und normativen Rahmenbedingungen, noch den allgemein anerkannten Regeln der Technik und den bautechnischen sowie praktischen Erfordernissen beim Barrierefreien Bauen.

Beispielweise nimmt der Autor beim Thema „Welche Türbreite ist die richtige?“ Bezug auf eine lichte Durchgangsbreite von 100 oder 120 cm und ‐höhe von 210 cm. Diese Maße entsprechen weder der aktuellen Normierung DIN 18040‐1 und 2, noch den allgemein anerkannten Regeln der Technik. Entgegen den Vorgaben der Vorgängernormen DIN 18024‐2 und 18025‐1 sowie 2 (zurückgezogen 2010 und 2011), die vom Autor offensichtlich in Frage gestellt werden, stellt die aktuelle Normierung auf lichte Türhöhen von ≥ 205 cm und ‐breiten von ≥ 90 cm ab.

Ferner nimmt der Autor sich der „Krux mit den Wenderadien“ an und ist der Meinung, dass für Menschen mit Behinderungen – insbesondere Rollstuhlnutzer – Wenderadien mit einem Durchmesser von 1,5 Metern erforderlich wären. Dies entspricht ebenfalls weder der aktuellen Normierung, noch den allgemein anerkannten Regeln der Technik und auch nicht den praktischen Erfordernissen für eine Rollstuhlnutzung. In der aktuellen Normierung DIN 18040‐1 und 2 – die im Übrigen auch in die Liste der technischen Baubestimmungen im Land Baden‐Württemberg (Bürostandort des Autors) eingeführt wurde – muss für die bauliche Barrierefreiheit während der Planung und Ausführung eine Bewegungsfläche von 150 cm (Breite) und 150 cm (Tiefe) berücksichtigt werden. Unter geometrischen Gesichtspunkten handelt es sich hierbei um ein Quadrat – nicht um einen Kreis. Diese quadratische Fläche ist auch unbedingt erforderlich, da für eine Richtungsänderung von einem Rollstuhlnutzer – und nur davon geht die Normierung aus – aufgrund der Geometrie seines Hilfsmittels die „Ecken“ der quadratischen Bewegungsfläche zwingend erforderlich sind, weil zum Beispiel das Wenden auf dieser Fläche in mehren Zügen stattfindet. Mitnichten ist es für den in der Norm zugrunde gelegten (Standard)Rollstuhlnutzer möglich, in einer kreisrunden Fläche mit Ø 1,50 m eine Richtungsänderung, geschweige denn, eine Wendung vorzunehmen. Die nach Auffassung des Autors erforderlichen „Wenderadien“ stellt der Autor auch in seinem gleichnamig untertitelten Grundrissausschnitt dar und suggeriert damit eine uneingeschränkte Rollstuhlnutzung (R‐Standard) im dargestellten Wohnungsgrundriss. Es sei hier auch drauf verwiesen, dass manche Menschen mit Behinderung durch die Nutzung größerer, als der DIN 18040 zugrunde liegenden, Rollstühle mehr Bewegungsfläche als 1,50 m x 1,50 m benötigen.

Ferner nahmen wir mit Verwunderung zur Kenntnis, dass der Autor beim Thema „Beispiele für kostensparende Ausführungen“ zur nachträglichen Montage von Haltegriffen „Holzbohlen auf die Innenseite der Ständerkonstruktion“ montiert. Von solch einer Bastellösung kann nur dringend abgeraten werden. Die Norm zum Barrierefreien Bauen – DIN 18040‐1 und 2 – stellt beispielweise auf eine Belastbarkeit vom 1 kN an der Vorderkante von Stützklappgriffen ab. Dabei muss nicht nur der Stützklappgriff an sich, sondern auch das gesamte Befestigungssystem – d. h. die Befestigung in der Vorwandkonstruktion, die Vorwandkonstruktion selbst und deren Befestigung an Wand, Boden und/oder Decke – die aufkommenden Kräfte verwindungsfrei aufnehmen und ableiten können. Ein bautechnischer Nachweis ist nur durch entsprechende Befestigungssysteme eines Herstellers möglich, nicht jedoch mit Holzbohlen auf der Innenseite von Ständerkonstruktionen. Besonders kritisch ist dies auch unter der Maßgabe zu sehen, dass es sich bei Stütz‐ und Haltegriffen häufig um medizinisch erforderliche Hilfsmittel handelt. Der mit einer solchen Bastellösung einhergehenden
Verletzungsgefahr kann nur widersprochen werden.

Die vielfachen Bemühungen, den barrierefreien Ausstattungs‐ und Qualitätsstandard in Geplantem und Gebautem weiter voranzubringen, die funktionalen Zusammenhänge der hilfsmittelbedingten Bewegungsabläufe zu erläutern und die Notwendigkeit, die bauliche Barrierefreiheit stärker in die Architekturlehre und ‐praxis zu integrieren, sind mit diesem Artikel bedauerlicherweise deutlich negiert. Diese Darstellung spiegelt erneut die sehr häufig anzutreffende Meinung von Planern wider, Barrierefreiheit wäre lediglich ein lästiges Beiwerk und die vorhandenen Regelwerke seien allesamt unnütz.

Uns stellt sich die Frage, warum im Deutschen Architektenblatt ein Artikel veröffentlicht wird, der weder die technischen Anforderungen zu einem Detail – hier bauliche Barrierefreiheit –, noch die fachliche Lösung zur Planung darstellt. Welchen Nutzen soll man aus diesem Artikel ziehen? Ein Architekt, der sich an die gemachten Vorschläge hält, begeht unter Umständen einen Planungsfehler und wird dafür haftbar gemacht. Hier wird eine Meinungsäußerung zu einem sehr relevanten Fachthema publiziert, in der weder eine Auseinandersetzung mit der Gesamtthematik, noch mit den Regelwerken stattfindet. Bei aller Kritik gegenüber Regelwerken und Baustandards wäre genau hier der Platz für eine fachlich fundierte Diskussion und Klarstellung. Selbst wenn es der – durchaus zulässigen – Meinung des Autors entspräche, dass die Regelwerke allesamt unnütz und falsch wären, wünschten wir uns an dieser Stelle – in der Fachzeitung des Berufsstandes der Architekten – einen konstruktiven Umgang mit solchen Fachthemen und deren Problemlösungen.

Insgesamt wird mit dem Beitrag dem Barrierefreien Bauen – wie man so schön sagt – ein Bärendienst erwiesen, und der sich mit der Materie neu befassende Architekt dazu verleitet, durch Nichtbeachtung einer DIN einen Planungsfehler zu begehen.

Nadine Metlitzky ist Architektin und Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige und Fachplanerin für Barrierefreies Bauen sowie Fachbuchautorin und Mitherausgeberin des „Atlas barrierefrei bauen“
Lutz Engelhardt ist Architekt, Fachbuchautor für Barrierefreies Bauen und Mitherausgeber des „Atlas barrierefrei bauen“
Susanne Trabandt ist Architektin und Vorsitzende des Arbeitskreises „Barrierefreies Planen und Bauen“ der Architektenkammer Sachsen


Weitere Leserbriefe zum Thema finden Sie hier

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