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Shigeru Ban: Schweres Resümee eines Leichtbau-Architekten

Fast sieben Kilo Buch über einen Architekten, der gerade das Leichte und Temporäre kultiviert hat – Shigeru Ban schuf ein widersprüchliches Oeuvre, wie ein neuer Bildband deutlich macht.

Von Christoph Gunßer

Japan und der Westen, das war in der Architektur des vorigen Jahrhunderts ein überaus fruchtbarer Dialog. Vieles an der Moderne im Bauen wurde bekanntlich inspiriert von der Leichtigkeit und tektonischen Klarheit der traditionellen Baukunst, die sich in dem lange isolierten Inselstaat mit seiner eigenständigen Kultur bewahrt hatte. Doch auch in umgekehrter Richtung fanden wichtige Transfers statt.

Wie raffiniert solche Fusionen ablaufen, lässt sich gut an Shigeru Ban verfolgen. 1957 in Tokio geboren, bekam er als Oberschüler eine Architekturzeitschrift über John Hejduk in die Hände, einen eher verschrobenen US-Architekten, der an der Cooper Union in New York lehrte. Damals setzte Shigeru Ban sich in den Kopf, bei John Hejduk zu studieren. Das ging nur, wenn man zuvor eine andere US-Hochschule besucht hatte.

Shigeru Ban und die jungen Trendsetter

Also schrieb sich Shigeru Ban Ende der Siebzigerjahre am gerade gegründeten Southern California Institute of Architecture Sci-Arc in den Vereinigten Staaten ein, wo damals junge Trendsetter wie Thom Mayne und Frank Gehry den Ton beziehungsweise das Bild einer künftigen Architektur angaben. Drei Jahre später klappte es mit der Cooper Union, und Shigeru Ban sog bis 1984 die ungemein spannende Phase einer Baukunst zwischen Spät- und Postmoderne in sich auf.

„Papierarchitekten“ wie John Hejduk, der viel gezeichnet und philosophiert, aber kaum etwas gebaut hat, hinterließen ihre Spuren. Auch Shigeru Ban zeichnet bis heute mit Vorliebe von Hand, doch allzu tiefgründige Diskurse dazu sind nicht bekannt. Denn zurück in Tokio, wo er 1985 ein Büro gründete, begann Shigeru Ban bald zu bauen. Eine Ausstellung über Alvar Aalto gestaltete er in Tokio mit geringem Budget. Von einer vorherigen Schau waren große Pappröhren übrig, also verwendete er sie für ein fließendes, warmes Interieur, das dem finnischen Gestalter im Geiste sehr nah kam.

Shigeru Ban entdeckt die Pappröhren

Zu einer Zeit, in der Begriffe wie Recycling oder Low-Tech Design noch keine Rolle spielten, hatte Shigeru Ban damit ein Thema für sich entdeckt: „Obwohl man mich heute für einen umweltfreundlichen Architekten hält, kümmerte sich damals niemand um die Umwelt. Ich interessierte mich einfach für unbehandelte, kostengünstige Materialien.“

In den Folgejahren entwickelte er diese „Papierarchitektur“, die sich durchaus aus der Leichtbautradition seiner Heimat herleiten lässt, auf originelle Weise weiter. Metallknoten und -verstrebungen ermöglichten bald auch größere, tragende Strukturen: die Bibliothek eines Schriftstellers in Zushi oder ein Studio für Sänger in Setagaya, beide von 1991, wären da zu nennen.

Leider erfahren wir im Buch zwar, dass Shigeru Ban Frei Otto traf und verehrte (er widmet das Buch sogar ihm), doch gar nichts über die bautechnische Detaillierung (und Genehmigung, gerade im Hinblick auf den Brandschutz) dieser Röhrentragwerke. Allein am Ende der Einführungsseiten sehen wir ein paar seiner Skizzen. Ist die Konstruktion Betriebsgeheimnis? Fachleute hätte das sicher brennend interessiert.

Die zwei Seiten des Nomadischen

Ähnlich „findet“ Shigeru Ban auch Seecontainer als Readymades und verwendet sie für die Installation temporärer Ausstellungen. Nomadisch wie er selbst, der fast ständig Lehraufträge an US-Hochschulen innehat und zunehmend auch Aufträge im Westen annimmt, wirkt so auch seine Architektur. Heute unterhält er zusätzlich Büros in New York und Paris.

Aus der High Culture sollte Shigeru Ban bald auch in die Niederungen der realen Welt hinabsteigen und sie zur Low Culture gestalten. Auf die eleganten spätmodernen, noch von den „New York Five“ um John Hejduk und Richard Meier beeinflussten und klassisch in Stahl, Beton und Glas konstruierten Villen im ländlichen Japan, die er bis in die späten Neunziger realisiert, folgen also deutlich experimentellere Strukturen. So großartige Räume wie das Wall-less House in Karuizawa, die über der Landschaft zu schweben scheinen – Shigeru Ban erlebt selbst, dass ihm die Bodenhaftung fehlt.

Geringes Ansehen der Architekten in Japan

„Als ich nach Japan zurückkam, stellte ich überrascht fest, dass Architekten hier nicht besonders respektiert wurden“, berichtet Shigeru Ban. „Viele Leute denken, dass Architekten viel Geld damit verdienen, für privilegierte Menschen zu arbeiten. Ich begann darüber nachzudenken, was ich für die Gesellschaft tun könnte. Damals (1994) schockierten mich die Bilder von den Unruhen in Ruanda, und ich sah, dass die Flüchtlingsunterkünfte, selbst jene der UN, von schlechter Qualität waren“, erzählt Shigeru Ban.

Also bewarb er sich beim UNHCR in Genf und wurde als Berater engagiert. Bereits im folgenden Jahr, 1995, gab es in Kobe in Japan das schwere Erdbeben, 1999 in der Türkei, bald darauf in Indien. Von Fukushima bis in die Ukraine reicht sein – honorarfreier – Einsatz mit eigens entwickelten, leicht zu errichtenden Bausystemen, die zumeist auf Pappröhren basieren.

Große Aufträge für Kulturbauten

Krass, wie in Shigeru Bans Oeuvre Emergency Shelters neben edlen Pavillons für die angesehensten Firmen und Institutionen der (überwiegend) westlichen Welt stehen. Spätestens seit er mit Frei Otto den japanischen Pavillon der Expo 2000 in Hannover aus Pappröhren entwarf, ist er ein ‚global player‘ der Architektur. 2003 gewinnt er den Wettbewerb für die Dépendance des Centre Pompidou in Metz – und muss mit dem Maßstabssprung auch die Schwere des dauerhaften Bauens in nördlicheren Klimazonen akzeptieren.

In Europa geht die Leichtigkeit verloren

Die japanisch leicht gedachten Tragstrukturen müssen durch aufwändige Folien- und Doppelfassaden umhüllt werden, eine filigran gedachte hölzerne Netzstruktur aus oktogonalen Bambuslatten gerät unter dem Diktat der hiesigen Lastannahmen dann doch recht grob.

Shigeru Ban hatte sich eigens ein Büro auf dem Dach des Pariser Centre Pompidou errichtet, um die Kontrolle über die gesamte Gestaltung zu behalten, wie es in Japan offenbar noch üblich ist. Doch weder die Konzerthalle auf der Seine-Insel bei Paris 2017 noch das Swatch Headquarter in Biel 2019 erreichen die frappierende Qualität seiner kleinen Bauten. Ähnlich ist es seinem Kollegen Kengo Kuma schon in Europa ergangen. Das Spielerische, Leichte der Vorbilder geht mit der Übertragung und Institutionalisierung verloren.

Einzigartige Fusion, inspirierender Überblick

Dessen ungeachtet bekam Shigeru Ban 2014 völlig zu Recht den Pritzker Prize und wird als Innovator weiter hoch gehandelt. So war er 2021 an der Initiative zum New European Bauhaus beteiligt.

„Eleganz trifft humanitäre Hilfe“ überschreibt der Verlag treffend die Pressemitteilung zu diesem überformatigen Opus magnum, dessen Titel die bunten Pavillons auf dem Dach des gerade fertiggestellten Museumskomplexes in Otake zieren. Eine lesenswerte, aber nicht allzu tiefschürfende Einleitung hat der routinierte US-Autor Philip Jodidio beigesteuert. Die doppelseitigen Farbfotos zeugen meist vom Zeitpunkt der Fertigstellung (die Alterung einiger Strukturen wäre interessant zu sehen). Dezent integrierte Pläne, leider nicht allzu detailliert, sowie ein illustriertes Werkverzeichnis runden den durchaus inspirierenden Überblick einer einzigartigen Ost-West-Fusion in der Architektur ab.

 

Philip Jodidio
Shigeru Ban. Complete Works 1985–Today.

Taschen, 2024.
696 Seiten, 200 Euro

Auch erhältlich als Art Edition,
limitiert auf 200 Exemplare
mit einem signierten Kunstdruck Shigeru Bans
und einem maßgefertigten 3D-Lasercut-Cover aus Holz.

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