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[ Gefängnisbauten ]

Kleine Freiheiten

Josef Hohensinn baut humanere, der Resozialisierung dienende Gefängnisse.

Couch hinter Gittern: Auch im Gefängnistrakt sollen die Möbel nicht nach Vollzugsanstalt riechen, sondern den unbeschwerten Eindruck von Ikea versprühen.

Wojciech Czaja
Schauderhaft, was Michel Foucault in seinem Buch „Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses“ zu Papier bringt. Über eine am 2. März 1757 vollstreckte Hinrichtung in Paris schreibt er: „Auf dem Grève-Platz sollte er dann (…) an den Brustwarzen, Armen, Oberschenkeln und Waden mit glühenden Zangen gezwickt werden; (…) auf die mit Zangen gezwickten Stellen sollte geschmolzenes Blei, siedendes Öl, brennendes Pechharz und mit Schwefel geschmolzenes Wachs gegossen werden; dann sollte sein Körper von vier Pferden auseinandergezogen und zergliedert werden.

“Nicht selten war das Ausmaß der Strafe zu dieser Zeit größer und erschreckender als das eigentliche Werk, für das man die Vatermörder, Ketzer und Delinquenten zur Verantwortung zog. Erst Jahrzehnte später zivilisierte sich die Kultur der Rache und wurde von jenem Modell verdrängt, das sich im Wesentlichen bis zum heutigen Tage erhalten hat. Gesetzeswidrige werden seitdem aus der Gesellschaft ausgeschlossen, hinter Gitter gebracht und weggesperrt. Zwischen 1769 und 1810 wurden in ganz Europa die Verfassungen modernisiert, für die Strafjustiz brach damit ein neues Zeitalter an. „Zu Beginn des 19. Jahrhunderts“, schreibt Foucault, „ist das düstere Fest der Strafe, trotz einigen großen Aufflackerns, im Begriff erloschen.“

Gebaut wie anno 1800

Nicht ganz, meint der Grazer Architekt Josef Hohensinn. „Denn was das Bestrafen betrifft, bewegen wir uns immer noch relativ nahe am Mittelalter. Es ist gerade mal dreißig Jahre her, dass es in Österreich nicht mehr gestattet ist, physisch zu strafen, also beispielsweise durch Nahrungsentzug oder Dunkelhaft.“ Hohensinn beklagt, dass trotz diverser Reformen im Justizbereich die Bauweise der Gefängnisse immer noch dem traditionellen Kerker entspricht. Viele Haftanstalten werden nach altem Vorbild gebaut. Die bekannteste Vorlage bis zum heutigen Tag ist dabei Jeremy Benthams Panopticon, entstanden um 1800. Der kreisrunde Bau, in dessen Mitte sich ein Aussichtsturm für das Personal befindet, ermöglicht die Überwachung aller Zellen von einem einzigen Punkt aus.

Das gläserne Gerichtsgebäude im Justizzentrum Loeben von Josef Hohensinn symbolisiert das „neue, offene Selbstverständnis der Justiz“.

Im deutschsprachigen Raum sind bis heute Zeugen längst veralteten Gewahrsams zu finden. Als das deutsche Architekturmuseum in Frankfurt (DAM) im Frühjahr 2007 wegen Renovierung kurzzeitig schließen musste, entschied man sich zu einer Ausstellung der besonderen Art: Statt ins DAM lud man die Besucher in die leer stehenden Gefangenenhäuser und Ausnüchterungsanstalten in der Umgebung ein.

Über den Polizeigewahrsam Klapperfeld – auch hier wurden die Pforten geöffnet – schreibt DAM-Direktor Peter Cachola Schmal: „Die karge, fest angebrachte Möblierung besteht aus einem mit gusseisernen Bändern gefügten Bettgestell, das sich zur Wand hochklappen lässt, und einem ebenso konstruierten Stuhl, einem Waschbecken und einer Toilette. (…) Dieser Ort war die letzte Herberge illegaler Asylanten in Deutschland – eine irritierende Außendarstellung. Am unfassbarsten ist allerdings das Datum der Einstellung seiner Nutzung: November 2001. Wie ist es möglich gewesen, so lange eine solche Nichtqualität in Betrieb zu halten?“

Gefangene, Asylbewerber, Abschiebe- und Untersuchungshäftlinge werden oft wie die Tiere gehalten. Viele Haftanstalten scheinen den düsteren Kerkerdarstellungen Giovanni Battista Piranesis von 1749 zu entsprechen und funktionieren mehr wie Guantánamo denn nach den Vorsätzen der UN-Menschenrechtskonvention, in der es heißt: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“

Zurück zu Josef Hohensinn. Aus einem EU-weiten Wettbewerb ging der Grazer Architekt in diesem Jahr als Sieger für den Neubau der Justizvollzugsanstalt Heidering in Großbeeren bei Berlin hervor. In dreigeschossigen Wohngebäuden werden insgesamt 650 Häftlinge ihr unfreiwilliges Zuhause finden. Statt in Einzelzellen eingesperrt, können sie sich in Wohngruppen von jeweils 18 Personen frei bewegen. Es gibt Gemeinschaftsräume, aber auch Privatzimmer, in die sie sich zurückziehen können. Ende 2009 wird mit dem 118 Millionen teuren Bau begonnen werden, 2012 soll Berlins modernstes Gefängnis kurz hinter der Landesgrenze zu Brandenburg dann bezogen werden.

Klare Aufteilung: Im Zentrum der künftigen JVA Heidering bei Berlin steht die „Vollzugsmagistrale“ – ein überdachter Glasgang, der alle Teile miteinander verbindet. Daran sind die Arbeitsstätten in Form von flexibel nutzbaren Hallenmodulen untergebracht. Rechts schließen sich drei x-förmige „Teilanstalten“ an, in denen die Insassen in Wohngruppen untergebracht sind.

Schöner Sitzen im Architektenknast

Die Idee des „behandlungsorientierten“ Strafvollzugs ist nicht neu. Hohensinn hatte das Modell bereits in Öster­reich erprobt. Als im Frühjahr 2004 das Justizzentrum ­Leoben mit integrierter Strafvollzugsanstalt in Betrieb ging, meldeten sich in den Zeitungen, in diversen Lifestylemagazinen und im Fernsehen zahlreiche Kritiker zu Wort. Die Rede war von „Designerhäfen“, „Architektenknast“ und „Fünfsternehotel“. Doch was ist wirklich dran am „Schöner Sitzen“ – wie ein Bericht in der Wochenzeitung „profil“ betitelt wurde?

„Durch den Freiheitsentzug fügt man den Menschen ohnehin schon die größtmögliche Strafe zu“, erklärt Hohensinn. „Wie kann man sich als Außenstehender erdreis­ten, diese Situation auch noch zu erschweren? Es ist die Aufgabe von uns Planern, die Belastung der Freiheitsstrafe ein bisschen einzugrenzen und zu beschwichtigen.“ Wie sich diese leider ungewöhnliche Meinung bildete, ist rasch geklärt: Bereits im Vorfeld des Wettbewerbs besuchte Hohensinn diverse Gefängnisse in Österreich. „Wir haben festgestellt, dass seit gut 150 Jahren auf dem Gebiet des Gefängnisbaus keine wirkliche Weiterentwicklung stattgefunden hat.“

Hohensinn führte unter anderem Gespräche mit Exhäftlingen, die darüber berichteten, wie lange sie nach ihrer Entlastung gebraucht hatten, um wieder ins normale Leben zurückzufinden. „Für dermaßen Entmündigte, aus dem Leben Herausgerissene ist nach der Haft eine Resozialisierung erforderlich. Ich wollte daher – natürlich unter der Vorkehrung sämtlicher Sicherheitsvorschriften – einen Mikrokosmos schaffen, der den Häftlingen ein annähernd normales Weiterleben ermöglicht.“

„Schöner sitzen“ in Leoben – dazu gehört reichlich Kunst am Bau, vor allem aber gehören helle und luftige Räume dazu mit einem eigenen WC und einer Dusche innerhalb der Zelle sowie Möbel, die nicht nach Justizanstalt riechen, sondern den unbeschwerten Eindruck von Ikea versprühen. Letzteres ist übrigens ein Beitrag der Künstlerin Flora Neuwirth. Sie wollte Standardmöbel eingesetzt wissen, die man womöglich auch von zu Hause kennt. Zwar sind Ikea-Möbel beileibe nicht so robust wie das teure Konfektionsmobiliar, das in Österreichs Bundesgefangenenanstalten sonst verwendet wird, aber dafür billiger. Langfristig betrachtet, pendeln sich die Anschaffungskosten auf gleichem Level ein – hinzu kommt der Vorteil des regelmäßigen Tapetenwechsels.

Den radikalsten Eingriff ins österreichische Justizsystem heckte Hohensinn mit jenen Wohngruppen aus, die auch bei Berlin zum Einsatz kommen werden. Als Ergänzung zum Normalvollzug gibt es zusätzlich einen Wohngruppenvollzug, in dessen Rahmen sich die Häftlinge innerhalb ihrer Gruppe mit einigen anderen Wohnkollegen frei bewegen können  – eine Art Wohngemeinschaft also. Zu den Gemeinschaftsbereichen innerhalb einer solchen Riesenzelle gehören Wohnküche, Wohnzimmer und eine Loggia, die es ermöglicht, selbst im Knast an die frische Luft zu treten. Dass die Loggia, wie alles andere auch, vollends vergittert ist, versteht sich von selbst. „Diese Freiräume durchzusetzen war eines der langwierigsten Details“, erinnert sich der Architekt, „allein dafür haben wir ein halbes Jahr gebraucht.“

Ein überdachter Glasgang in der künftigen JVA Heidering bei Berlin verbindet alle Gebäudeteile miteinander.

Umgestaltung greift

Gefängnisdirektoren aus ganz Europa kommen nach Leoben, um sich vom neuartigen Gefängnis ein Bild zu machen. Nicht wenige echauffieren sich über die vorgefundene Lockerheit. Ein Gefängnis sei schließlich immer noch ein Gefängnis, nicht wahr? So solle es doch bitteschön sein.

Man kann zum Leobener Modell stehen, wie man will, doch die dafür sprechenden Fakten lassen sich nicht von der Hand weisen: „Im Rückblick überrascht uns sehr, dass es innerhalb der gesamten Zeit in den Wohngruppen keine Streitereien und Eskalationen gegeben hat“, erklärt Anstaltsleiter Manfred Gießauf. Eine professionelle soziologische Studie ist momentan in Bearbeitung. Festgestellt ist bereits, dass sich die Krankenstände deutlich reduziert haben – beim Personal wie bei den Insassen. Hohensinn: „Die räumlichen Gegebenheiten haben also auch Auswirkung auf die Gesundheit. Es wird gern vergessen, dass in einem Gefängnis nicht nur die Insassen lebenslänglich haben, sondern eigentlich auch die Beamten.“

Argumente für den gelockerten Strafvollzug inmitten moderner Architektur liefert eine Studie des Institutes für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien im Auftrag des Justizministeriums. Ireen Friedrich, wissenschaftliche Assis­tentin in der Abteilung Kriminologie: „Zunächst einmal haben wir eine Erhebung im alten Standort, im Dominikanerkloster aus dem 14. Jahrhundert, gemacht. Nach fünf Monaten haben wir mit den Insassen und Justizwachbediensteten die gleiche Prozedur im Neubau wiederholt.“ Das Ergebnis: „Die präventiven Maßnahmen im ge­lockerten Strafvollzug haben gegriffen, zwischen Insassen und Personal hat sich im Verhältnis zum alten Gefangenenhaus ein überaus entspanntes Verhältnis eingestellt und die Vandalismusrate ist drastisch gesunken.“

Wie früher: Jeremy Benthams Panopticon, entstanden um 1800, dient bis heute oft als Vorlage für den Gefängnisbau.

„Die Außenmauern und Sicherheitsvorkehrungen lassen sich bei einem Gefängnis nicht wegdiskutieren“, sagt Josef Hohensinn, „der Gefangene bleibt ein Gefangener.“ Doch innerhalb der Anlage könne man durch bauliche Qualitäten bewirken, dass der Mensch den Freiheitsentzug mit Würde und Anstand ertragen kann. So heißt es denn auch im „Internationalen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte“ aus dem Jahre 1966: „Jeder, dem seine Freiheit entzogen ist, muss menschlich und mit Achtung vor der dem Menschen innewohnenden Würde behandelt werden.“Endlich ist die Zeit gekommen, die Kultur des Bestrafens und Einkerkerns neu zu überdenken und die baulichen Gegebenheiten den späthumanistischen Erkenntnissen anzupassen. Viele innovative Vorzeigebeispiele sind wünschenswert, denn leicht wird das Umsatteln auf den flächendeckenden gelockerten Strafvollzug in Europa nicht werden. Michel Foucault: „Eines ist charakteristisch: Wenn es um die Änderung des Haftsystems geht, kommt der Widerstand nicht bloß vonseiten der Haftjustiz. Widerstand leistet nicht das Gefängnis als gesetzliche Strafe, sondern das Gefängnis mit all seinen außerrechtlichen Bestimmungen, Verbindungen und Wirkungen: das Gefängnis als Relaisstation in einem allgemeinen Netz der Disziplinen und Überwachungen, das Gefängnis als Maschine in einem panoptischen System.“

Dipl.-Ing. Wojciech Czaja ist freier Architekturjournalist in Wien.

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