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Unverträgliche Verträge

Die Entscheidung des Kartellamts zeigt auch die Grenzen, die das Vergaberecht einem öffentlichen Auftraggeber setzt.

01.11.20097 Min. Kommentar schreiben

Axel Plankemann

„Eine gewisse Macht des Faktischen macht das Vergaberecht nicht disponibel.“ Mit diesem Satz charakterisiert die dritte Vergabekammer des Bundes beim Bundeskartellamt ihren eigenen Beschluss vom 11.09.2009 (VK 3-157/09), in dem sie den mit dem ersten Preisträger Franco Stella geschlossenen Architektenvertrag für nichtig erklärte. Im Jahre 2007 war der Architektenwettbewerb zum Neubau des Berliner Stadtschlosses europaweit ausgelobt worden. Als „Mindestanforderung“ an die Teilnehmer wurde für die Jahre 2004 bis 2006 entweder ein durchschnittlicher Honorarumsatz von 300 000 Euro, alternativ eine Bürogröße von mindestens vier Büroinhabern oder fest angestellten Architekten verlangt. Stella erklärte zwar niedrigere Honorarumsätze, versah aber die alternative Rubrik „Umsatz/Anzahl der Architekten im Büro“ mit Kreuz und Häkchen. Nach dem Wettbewerbsgewinn beabsichtigte er, zwei große deutsche Büros hinzuzuziehen.

Projektpartner und Projektorganisation waren wiederholt Gegenstand von Gesprächen. Unklar blieb bis zuletzt, ob und auf welche Weise der erste Preisträger selbst als Auftragnehmer die weitere Bearbeitung übernehmen und gewährleisten wollte. Nachdem er erklärte, ihm sei in architektonischen und gestalterischen Fragen die Federführung eingeräumt worden, wurde am 17./18. Juni 2009 der Architektenvertrag unterzeichnet.

Kurz darauf gab es Presseberichte, wonach Stella weder den erforderlichen Mindestumsatz erzielt habe noch die in der Bekanntmachung des Architektenwettbewerbs geforderte Mindestanzahl von Mitarbeitern nachweisen könne. Unter Bezugnahme auf die Presseberichterstattung rügte einer der nachrangigen Preisträger die Nichteinhaltung der formellen Vorgaben. Daraufhin wurde ihm mitgeteilt, mit Abschluss des Vertrages sei das Vergabeverfahren abgeschlossen und seine Rüge daher verfristet. Seinen Nachprüfungsantrag beurteilte die Vergabekammer allerdings als zulässig und begründet.
Die Zulässigkeit der Rüge
Für die Frage der Zulässigkeit war maßgeblich, dass noch keine wirksame Auftragsvergabe stattgefunden hatte (§ 102 GWB). In der Entscheidung des Preisgerichts liege noch keine Entscheidung über die Auftragsvergabe. Zwar lege das Preisgericht nach § 25 VOF den Kreis der potenziellen Auftragnehmer für die ­Planungsleistungen grundsätzlich fest und ermögliche es auch, auf ein gesondertes VOF-Vergabeverfahren für die Auftragsvergabe zu verzichten, wenn einer der Preisträger des Wettbewerbs zum Zuge kommen solle.
Allerdings sei weder in der Auslobung die zwingende Beauftragung des ersten Preisträgers festgeschrieben noch ergebe sich dies aus § 25 VOF i.V.m. Ziff. 7.1 der seinerzeit noch anwendbaren GRW 1995.

Die Entscheidung des Preisgerichts lege damit nicht automatisch fest, wer Vertragspartner wird, und lasse sogar die Möglichkeit offen, keinen der Preisträger zu beauftragen. Deshalb könne die Mitteilung über die Preisgerichtsentscheidung die nach §13 VgV notwendige Information über die beabsichtigte Auftragsvergabe nicht ersetzen.

Entscheidend kommt es nach Auffassung der Vergabekammer somit auf den nach Durchführung des Wettbewerbs abgeschlossenen Architektenvertrag an. Erst nach Feststellung der Eignung eines Preisträgers und Durchführung der Vertragsverhandlungen mit positivem Abschluss stehe fest, wer aus Sicht des Auftraggebers den Durchführungsauftrag erhalten soll. Eine solche beabsichtigte Beauftragung hätte aber den anderen Preisträgern spätestens 14 Kalendertage vor Vertragsschluss mitgeteilt werden müssen. Der unter Verstoß gegen diese Vorschrift abgeschlossene Vertrag sei daher nichtig.
Inhaltlich begründet
Der Nachprüfungsantrag ist aus Sicht der Vergabekammer aber auch inhaltlich begründet, da keine ordnungsgemäße Eignungsprüfung durchgeführt und damit gegen § 97 Abs. 4 GWB verstoßen wurde. Danach dürfen öffentliche Aufträge nur an Auftragnehmer erteilt werden, deren Eignung positiv festgestellt wurde. Durch den Prüfungsmangel wurden die anderen Preisträger, die eine realistische Option auf Beteiligung an Verhandlungen und damit auf Erhalt des Auftrages hatten, in ihren Rechten verletzt (§ 114 Abs. 1 Satz GWB).

Die Vergabekammer erklärte zu ihrer Entscheidung: „Unabhängig von der Frage, ob die Erfüllung der Mindestvoraussetzungen für die Teilnahme am Wettbewerb schon ausreichend sein kann, um gleichzeitig die Eignung für die Durchführung des Vorhabens zu bejahen …, steht jedenfalls fest, dass geeignet für die Ausführung des Auftrages nur sein kann, wer die Eignung zur Teilnahme am vorausgegangenen Wettbewerb besitzt.“ Die Mindestbedingungen für den Wettbewerb geben das Mindestmaß an Eignung zur Ausführung des Auftrages vor, und zwar sowohl bezüglich der Leistungsfähigkeit als auch der Zuverlässigkeit.

Daher war in Ziff. 6.2 GRW konsequent geregelt, dass der Auslober unmittelbar nach Bekanntgabe des Wettbewerbsergebnisses prüfen müsse, ob die Preisträger auch zur Wettbewerbsteilnahme berechtigt waren. Anderenfalls war der Preis abzuerkennen. Eine solche Prüfung sei jedoch nicht erfolgt. Vielmehr habe man sich bei der Prüfung darauf beschränkt zu kontrollieren, ob der Bewerbungsbogen vollständig und inhaltlich in Übereinstimmung mit den Vorgaben ausgefüllt gewesen sei.

Zwar ist nach Auffassung der Vergabekammer vertretbar, zur Reduzierung des Aufwandes für gewisse Nachweise eine Eigenerklärung zunächst genügen zu lassen und erst einmal nur eine formelle Prüfung durchzuführen, ob die fragliche Eigenerklärung auch vorliege. Für die Preisträger und einen Schritt weiter für den potenziellen Auftragnehmer kann es jedoch bei der formellen Prüfung nicht bleiben. Vielmehr müssen der materielle Inhalt der Eignungserklärung tatsächlich überprüft und die entsprechenden Nachweise gefordert und erbracht werden. Eine solche Verifizierung der Angaben hatte im vorliegenden Fall aber nicht stattgefunden.

Da die Vergabekammer entsprechende Feststellungen nicht selbst treffen konnte, ­ordnete sie eine Nachholung dieser Prüfung an. Als Nachweise über fest angestellte Mitarbeiter seien Belege über die Abführung von ­Sozialversicherungsbeiträgen geeignet. Das ­Ergebnis dieser Prüfung habe doppelte Wirkung: einmal für die Zuerkennung des Preises und zum anderen für die Frage der Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit zur Übernahme des Auftrages.

Trotz der Größenordnung des Projektes beanstandet die Vergabekammer nicht die Entscheidung, sehr niedrige Teilnahmevoraussetzungen für den Wettbewerb aufzustellen. Vielmehr sollen nach § 97 Abs. 3 GWB kleine und mittelständische Unternehmen ausdrücklich berücksichtigt werden. Verfüge ein Preisträger nicht in vollem Umfang über die erforderliche Leistungsfähigkeit, so könne er seine eigene Leistungsfähigkeit durch Subunternehmer herbeiführen.

Vergabewidrig sei aber, wenn tatsächlich nicht der Wettbewerbsgewinner, sondern faktisch ein Dritter Vertragspartner werde. Insbesondere reicht es nach Auffassung der Kammer nicht aus, wenn der Preisträger nur formal eine solche Position erlange. Vielmehr müsse er als Auftragnehmer selbst die Möglichkeit haben, seine Subunternehmer zu steuern, und nicht umgekehrt. Die unter Verstoß gegen diese Grundsätze gewählte Konstruktion habe daher nicht mit einem Vertragsschluss bestätigt werden dürfen. Zwar könne die Vergabekammer keine Aussage darüber treffen, ob der erste Preisträger tatsächlich nicht zur Durchführung des Auftrages geeignet sei. Tatsächlich aber werde nicht erkennbar, auf welcher Grundlage seine Eignung objektiv festgestellt wurde. Der Vertrag könne so den Charakter eines „Scheinvertrags“ erhalten.

Im Übrigen sei nicht nur die beabsichtigte Konstruktion der Projektgesellschaft als solche vergaberechtswidrig, sondern unter dem Aspekt einer Erfolg versprechenden Zusammenarbeit auch die Leistungsfähigkeit des Preisträgers problematisch. All dies hätte Zweifel an seiner Leistungsfähigkeit zur Durchführung des Auftrages wecken müssen. Im Übrigen werde auch die privilegierte Vergabe nach Durchführung eines Architektenwettbewerbes gemäß § 25 Abs. 9 VOF konterkariert, wenn nur formal einer der Preisträger beauftragt wird, in der Sache aber bei einer funktionalen Betrachtung tatsächlich Wettbewerbsteilnehmer die weiteren Planungen ausführen, die gerade keinen Preis erhalten haben, oder gar andere zum Zuge kommen, die nicht einmal teilgenommen haben. Dies widerspreche dem Wettbewerbsgedanken. Die Vergabekammer ordnete an, bei „Fortbestehen der Beschaffungsabsicht“ das Vergabeverfahren ab dem Zeitpunkt nach Preisgerichtsentscheidung zu wiederholen. Gegen den Beschluss ist Beschwerde eingelegt worden, über die das OLG Düsseldorf entscheiden wird.

Axel Plankemann ist Rechtsanwalt in Hannover.


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