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Zurück Praxen werden schicker

Erlebnis auf Krankenschein

Praxen für zahlungswillige Patienten werden immer schicker. Aber geht man wegen der Räume oder wegen der Therapie hin?

01.03.20096 Min. Kommentar schreiben
Cooler bohren: In der Zahnarztpraxis Nart in Barcelona wollen Guillermo Bañares Architekten alle Sinne anregen. Das Schmerzgefühl soll untergehen.

Rosa Grewe

Der Wartende lauscht dem Rauschen des Wasserfalls, riecht die regennasse Luft, sieht das glitzernde Rinnsal des Bachlaufes, das sich entlang moosiger Steine windet. Er entschwindet in eine andere Welt – bis die Zahnarzthelferin ihn ruft. In der Zahnklinik Nart in Barcelona ist die Flucht in Bilder Teil eines Gestaltungskonzeptes für alle Sinne von Guillermo Bañares Architekten, die mit Duftdesignern, Klang- und Filmkünstlern Hand in Hand arbeiteten.

Die Architekten wählten wohlige Materialien und Farben, dunkles Holz und buntes Licht von steuerbaren LEDs hinter Glas. Von der erhöhten Wartegalerie blickt der Patient über eine gläserne Brüstung hinweg auf den tiefer gelegenen Therapieraum. Er überblickt aber nur deren oberen Teil – die Zahnarztstühle stehen hinter Wandschirmen aus Milchglas. Sie sind bunt hinterleuchtet und trennen die einzelnen Behandlungsbereiche voneinander. Es ist ein buntes Bild, das das Thema Wasser farblich durchdekliniert. Nichts erinnert auf den ersten Blick an eine Zahnarztpraxis. Deren Besuch soll nicht als unangenehme Notwendigkeit, sondern als Wohltat für den eigenen Körper empfunden werden.

Gesundheit als Lebenssinn

Der Zukunftsforscher Matthias Horx sieht einen Trend vom passiven zum aktiven Gesundheitsverständnis. Damit wächst der Bedarf an einer Vorsorgemedizin, im Gegensatz zur Behandlung als Reparatur. Die Krankenkassen appellieren an regelmäßige Vorsorge; Ärzte verkaufen erfolgreich Zusatzleistungen von Akupunktur bis Zahnaufhellung. Eine AOK-Studie zeigt, dass Patienten mehr und mehr Geld für ihre Gesundheit ausgeben. Aus der Freizeit- und Wellnesswelle mit Sauna und Massage ist ein ernst zu nehmender Gesundheitsmarkt geworden. Auf diesem emanzipiert sich der Patient als zahlender Kunde von den Krankenkassen und möchte dem Arzt auf gleicher Augenhöhe begegnen. Den weißen Kittel lassen viele Ärzte daher direkt im Schrank. Aber auch über die Architektur wollen sie Barrieren abbauen.

Cooler pochen: ­In der kardiologischen Gemeinschaftspraxis Levenson, Albrecht und Eisenhut setzt das Berliner Büro aPlex GmbH viel Rot ein – was bisher als Praxistabu galt.

Aus den letzten Jahren gibt es auch aus Deutschland viele Beispiele hochwertiger Praxisarchitektur. Eines davon ist die kardiologische Gemeinschaftspraxis Levenson, Albrecht und Eisenhut in Berlin, geplant vom Büro aPlex GmbH. Der Empfang erinnert an eine Hotelrezeption oder eine Bar. Auch der Warteraum zeigt sich im Loungedesign. Für die Wände entwarfen die Architekten eine abstrakte Struktur, die mit ihren Verzweigungen der Struktur menschlicher Gefäße ähnelt und auf die Fachrichtung der Ärzte hinweist.

Zwar warnen Farbpsychologen wegen möglicher Assoziationen mit Blut vor solchem Rot in Praxen und Kliniken. Aber hier lässt es eher an szeniges, quirliges Nachtleben denken. Mit dem Aufstieg des Patienten zum Kunden verändert sich auch die Kodierung von Farben, Material und Design in einer Arztpraxis, je nach dem erwarteten Publikum und dessen Geschmacksvorstellungen. Die Zahnklinik Nart in Barcelona wechselt sogar ihre Farben und leuchtet bei Kindersprechstunden in Rot, Gelb, Grün und Blau. Andere Szenerien kann der Arzt selbst über die rechnergesteuerten LEDs einstellen.

Schönheitspraxis: ­Die HNO-Ärzte und plastischen Chirurgen der Frankfurter Praxis „Goethe 10“ empfangen ihr Publikum mit Wellnessarchitektur – entworfen vom Kölner Büro pd raumplan.

Eine andere Form der Kodierung nutzt die Praxis für HNO und plastische Chirurgie „Goethe 10“ in Frankfurt, die das auf Praxisdesign spezialisierte Kölner Büro pd raumplan GmbH realisierte. In die Corian-Oberflächen ihrer Rezeption sind florale Ornamente eingelassen, die sich in dem Aufdruck der textilen Wandbespannung im Wartebereich wiederholen. Das Ornament wie die Wandbespannung erwecken den Eindruck von barockem Luxus und zeigen die medizinische Behandlung als Verwöhnung für den Körper. Das spricht vor allem gestalterisch anspruchsvolle Patienten an, die diese Formsprache aus diversen Spas kennen. So passt es auch ins Konzept, dass der Praxis eine „Medical Health and Beauty Lounge“ angeschlossen ist. Nicht nur hier bilden Gesundheit, Wohlbefinden und Schönheit eine so nachgefragte wie lukrative Symbiose. Ästhetik und

Hygiene

Neben der Kodierung sind es aber auch funktionale Gesichtspunkte wie verbesserte Hygienemethoden, die eine freie Gestaltung zulassen. Ausgedient haben zum Beispiel helle PVC-Fußböden, die früher die Sauberkeit einer Praxis beweisen sollten. Ob eine Praxis in Weiß leuchten soll, ist heute eher eine Frage der Gestaltung als der Hygiene.

Auch Materialien verändern sich und ermöglichen dank resistenter Oberflächen neue Formen, wie die Corianplatten in der Praxis Goethe 10 beweisen. Bei mehr Gestaltungsfreiheit gewinnt der Aspekt der Arbeitsatmosphäre für Mitarbeiter an Bedeutung. Die Zahnklinik Nart entstand in einem dunklen Souterrain, die Räume konnten nur mit künstlichem Licht ausgestattet werden. Um Klaustrophobie bei Ärzten und Arzthelfern zu verhindern, setzten die Architekten Glasplatten vor die fensterlosen Wände. Hellweiße LEDs beleuchten die Platten, sodass sich der Raum optisch weitet.

Auch Veränderungen in den Behandlungsmethoden und funktionalen Abläufen ermöglichen neue Gestaltungen. Die Architekten der Klinik Nart planten ein offenes Raumkonzept ohne Wände und Türen zwischen den einzelnen Therapiebereichen. Lediglich die leuchtenden Wandschirme trennen die Bereiche, sodass ein Minimum an Privatsphäre gegeben ist.  Schallschutzsegel dämpfen Geräusche. Das offene Konzept offenbart die Arbeitsweise der Ärzte, erleichtert die Kommunikation der Mitarbeiter und nimmt dem Patienten die Angst vor dem Unbekannten.

Bisher wählten Patienten ihre Praxis meist nach der Lage, der technischen Ausstattung, nach Empfehlungen von Bekannten und dem Ruf des Arztes. Nun können Aspekte wie Zusatzleistungen und Design hinzukommen. Da Gewinnmargen für Kassenleistungen immer kleiner werden, muss der Arzt die Praxis mehr und mehr durch privat anrechenbare Leistungen finanzieren. Gutes Design war oft privaten Schönheitskliniken vorbehalten, heute leisten es sich insbesondere Privatpraxen oder spezialisierte Fachärzte. Sie finden auch die Patienten, die für eine anspruchsvolle Innenarchitektur Weg, Zeit und Geld auf sich nehmen und die  Zusatzleistungen erwarten und zahlen können.

Aber für einen Großteil der Kassenärzte lohnt sich eine individuelle Innenarchitektur nicht. Hier sind günstige Lösungen gefordert, damit gute Gestaltung nicht nur bestimmten Patientengruppen vorbehalten bleibt. Sie steigert das Wohlbefinden und baut Ängste ab. Auch in der Schmerztherapie legen Ärzte großen Wert auf das Umfeld der Patienten – nicht nur auf das Visuelle und Haptische. In Extremfällen, wie bei der Klinik Nart, setzen die Ärzte auch auf Geräusche, Musik und Gerüche wie im Shopdesign. Das beeinflusst womöglich die Entscheidungen der Patienten für oder gegen Zusatzleistungen und medizinische Eingriffe.

Die Grenze zwischen wohltuenden Sinnesreizen und verblendenden Bildern ist fließend; auch hier droht Reizüberflutung. Ein Arzt berichtete in der FAZ begeistert vom Cappuccinogeruch in seinem Wartezimmer. Das mag zwar entspannen, stört aber die Orientierungssinne der Patienten. Nicht das Raumerlebnis sollte Höhepunkt des Arztbesuches sein, sondern Genesung oder Schmerzlinderung. Wo Bilder die Sinne des Patienten vernebeln, die Worte des Arztes verklären und medizinische Eingriffe verharmlosen, führt Design den Arztbesuch ad absurdum.

Die Autorin Rosa Grewe betreibt das ­Architektur-Fachpressebüro quer-streifen in Darmstadt.

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