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Zurück Büros für temporäre Projekte

Nur nicht altern

Junge Initiativen und Büros wie raumlabor und Raumtaktik machen Ausstellungen, Aktionen oder flüchtige Installationen statt dauerhafter Häuser. Was treibt sie, wie agieren sie?

01.03.20117 Min. Kommentar schreiben
Oper für Bahnfahrer: In einer trostlosen Mülheimer U-Bahn-Station warteten Gäste zeitweise nicht auf das Abfahrtssignal, sondern auf den Beginn von Operngesang.

Von Cornelia Dörries und Roland Stimpel

Im Durchschnitt sind wir genau 40,01 Jahre alt“, teilt Jan Liesegang augenzwinkernd mit. Also einen Hauch von reif, aber irgendwie auch noch jung. Unterschiede zu den mental Älteren sind ihm und seinen Kollegen wichtig. „das raumlabor berlin ist kein architekturbüro“, steht in traditioneller Avantgarde-Kleinschreibung auf einer gemeinsamen Website, „sondern eine interessengemeinschaft, die gemeinsame ziele und inhalte in der architektur verfolgt.“

Gängige Schlagworte dafür sind „temporär“, „räumliche Intervention“ oder „Transformation von Räumen“. Immer haben sie zwei Elemente: etwas auf Zeit Gebautes – oder zumindest Konstruiertes, pfiffig Gebasteltes. Und darin möglichst sinnenfreudige Aktionen. In raumlabor-Projekten kommen Operngesang, Festmähler, Seifenblasen oder Schlauchboote für geflutete Ruinen vor. Das ist so heiter wie ernst gemeint. Spaß soll es machen, aber nicht als oberflächlicher Selbstzweck, sondern mit aufklärerisch-pädagogischem Hintersinn: Wer mitmacht, soll den Raum anders erleben, soll in ihm neue Möglichkeiten entdecken.

Den feinen, entscheidenden Unterschied zu reinen Spaßprojekten erklärt Liesegangs Kollege Markus Bader mit einer einzigen Silbe. „Spielen finde ich großartig“, sagt der Vertreter der 40,01-Jährigen. „Aber ich hasse das Wort ,bespielen‘. Das ist total unverbindlich, so wie das Wort ,Event‘.“ Denn raumlabor will stets „Menschen aus dem lokalen Kontext einbeziehen. Und für die ist es kein Spiel.“

Zum Beispiel in Mülheim-Eichbaum, der wohl bizarrsten U-Bahn-Station des Ruhrgebiets. Vom roh betonierten Bahnhof erreicht man zivilisiertes Gelände nur durch verwinkelte Rampen und Tunnel mit 2,20 Metern lichter Höhe, unter Straßenarmen hindurch. Hier wurde geschmiert, uriniert, geraubt und vergewaltigt. Anwohner stiegen lieber einen Kilometer weiter aus und liefen zurück.

Die raumlabor-Leute hatten in einem anderen Projekt Theatermenschen aus dem Ruhrgebiet kennengelernt, waren von denen beauftragt worden, einen Ort der Hoffnung zu ­suchen, und wählten einen hoffnungslosen. Gerade drum. Und gerade an diesem laut Liesegang „absurdesten Ort für Hochkultur“ habe „nur die utopische Kraft der Oper“ Rettung bringen können, als „extremer Gegenentwurf zu dem verlorenen Ort“.

Als Erstes besorgte raumlabor hier Architektur – eine „Opernbauhütte“ aus Containern, die sehr temporär aussieht, aber dauerhaft bleiben soll. Ihre Ästhetik, nun ja, respektiert den lokalen Kontext. Die Oper selbst machten Theaterleute und raumlabor-Leute mit Eichbaum-Anwohnern. Keine Meistersinger natürlich, sondern Ortsangepasstes mit Episoden wie „Die Entgleisung“ und „15 Minuten Gedränge“.

Sie sangen nur für einen kurzen Sommer, dann blieben zwar Container und Erinnerungen stehen, doch die raumlabor-Leute gingen wieder weg. Was bewirkt das Temporäre auf Dauer? „Der Ort ist bei vielen Menschen neu auf der Landkarte aufgetaucht“, resümiert Markus Bader. „Es ist da ein Möglichkeitsraum im Kopf aufgegangen.“ Niedergeschlagen hat sich das lokal vor allem im Box- und Rapfest „Eichbaumboxer“. Und dank des großen Medienechos ist Eichbaum jetzt politisch: Zum Umbau war kürzlich ein Gipfeltreffen mit Vertretern der Landesregierung, der Autobahnverwaltung und des Mülheimer Bürgermeisters mit Kulturarbeitern vor Ort angesetzt.

„Sozialskulptur“ zum Übernachten: Speziell für mehrtägige Veranstaltungen wie Festivals oder Kongresse entwickelte raumlabor das Hotel „Snuggle“, eine mobile Herberge.

Das Ruhrgebiet mit seinen vielen diffusen Räumen ist der eine Arbeitsschwerpunkt von raumlabor. Sie bereisten es mit einem „Küchenmonument“; ein anderer Beitrag zum Kulturjahr RUHR.2010 war die „Soap Opera“ aus weißen Ballons. Sie sollte das Duschen in der Bergmannswaschkaue und die zumindest physische Waschung des Ruhrgebiets „thematisieren“. Schwerpunkt zwei ist natürlich die Büroheimat Berlin. Sie sind geistige Kinder seiner 1990er-Jahre. Bader erinnert sich: „Wir haben hier studiert und daneben gemacht, was jeder damals gemacht hat, Spielkasinos in leeren Dachgeschossen und so etwas. Wir haben gesehen, was möglich ist, wenn Räume nicht so definiert sind.“ Favoritenort ist hier momentan das frühere Flughafengelände in Tempelhof. raumlabor organisierte hier für den Stadtentwicklungssenat eine Ideenwerkstatt, aus der die Idee von „Pionierfeldern“ für Erstnutzer des Areals entsprang. Jetzt berät Markus Bader die Planung einer IBA 2020, der es weniger auf ein gebautes Ziel ankommt als auf einen offenen Entwicklungsprozess. Hier sind die 1990er-Jahre noch nicht vorbei, freut sich Bader: „Ich bin jetzt sehr glücklich über die Pionierfelder, wo man sich ein Stück Stadtraum schnappen kann.“

Die Berliner Arbeit von raumlabor ist auch anhaltender Protest gegen eine andere Welt, von der sich die Laboranten stets fernhalten wollten. „Uns war immer klar, dass das Stimmann-Berlin nicht unsere Spielwiese sein würde“, stellt Bader fest. Nicht nur wegen der Steinfassaden, Traufhöhen und Blockränder, sondern vor allem wegen der allzu erwachsenen Festschreibung, die er und seine Kollegen als Einengung empfinden: Bauten mit vorgesehenen 100 Jahren Lebensdauer schließen einfach zu viel anderes aus. Allerdings sind sie sich bewusst, dass das Provisorische, Temporäre nicht unbedingt das Dauerhafte ist – weder für ihre Arbeit noch für ihre Orte.

„Vielleicht planen auch wir eines Tages Dauerzustände und bauen Häuser dafür“, überlegt Bader. Sonst tun es andere: Temporäres bereitet oft den Boden, auf dem später Langfrist-Projekte gedeihen. Eine Art Gentrifizierung unter Architekten – erst kommt raumlabor, später kommen Hans Kollhoff oder Christoph Mäckler.

Räume auf Zeit: Für das Festival Transmediale in Berlin errichteten die Raum¬taktiker ein Zeltlager – eine moderne Karawanserei als Brutstätte für neue Ideen.

„Braucht ihr das Haus überhaupt?“

Nein, man hat sich nicht verguckt. Da steht: Office from a better future. Aha. Das also ist Raumtaktik aus Berlin, eine Art Agentur für neue Ideen in Sachen Raum, Stadt, Architektur. Im Büro aus einer besseren Zukunft sieht es allerdings noch ziemlich nach zeitloser Kreuzberger Gegenwart aus. In der Fabriketage wird zwischen Umzugskartons, Papierstapeln und Apple-Rechnern über „Utopien und Zukünfte“ nachgedacht. Die Raumtaktiker, gegründet 2003, sind bis auf eine Ausnahme gelernte Architekten und Planer und ziehen einer klassischen Berufslaufbahn die konzeptionelle, bisweilen auch experimentelle Arbeit an Projekten vor, die nicht unbedingt etwas mit Bauen zu tun haben müssen. Raumtaktiker sein heißt, heute ein Strandvölkerballturnier zu organisieren, morgen ein Buch über Räume in Computerspielen herauszugeben und dazwischen den deutschen Pavillon auf der XI. Architekturbiennale in Venedig zu betreuen. Nicht gerade die konventionelle Arbeitsplatzbeschreibung eines Architekten.

Für Matthias Böttger, den Mitbegründer von Raumtaktik, hat all das viel mit Architektur zu tun. „Wir verstehen Ausstellungen auch als eine Form von Architektur, da sie eine Veränderung des Raums und seiner Wahrnehmung bewirken“, sagt der 36-jährige Architekt, der das inzwischen sechsköpfige Team zusammen mit dem Kulturwissenschaftler Ludwig Engel und Stefan Carsten leitet. Sie verstehen sich als Vermittler neuer Strategien im Umgang mit Raum und sind der Überzeugung, „dass eine Veränderung  von Orten nicht zwingend über architektonische Eingriffe erfolgen muss“, so Ludwig Engel. „Einer räumlichen Intervention, ganz gleich welcher Art, muss eine Analyse der Gesamtsituation und der vorhandenen Ressourcen vorausgehen. Erst dann kann eine Strategie entwickelt werden.“

Zur Veranschaulichung klappt Matthias Böttger seinen Laptop auf. „Updating Dhaka“ im Herbst 2010 war ein typisches „Raumtaktik“-Projekt, bei dem es um die Zukunft der Hauptstadt Bangladeschs ging. Die Teilnehmer des Symposiums vor Ort wurden aufgefordert, sich die ­Millionenstadt im Jahr 2060 vorzustellen, wie sie selbst leben wollen und welchen eigenen Beitrag sie dafür leisten könnten. Es ging um Klimaschutz, Wasser, Mobilität, Grün, Arbeit und Kommunikation – kurz: um das große Ganze. Die Aufgabe von „Raumtaktik“ bestand darin, die Sache anzuschieben, Leute zusammenzubringen und mit etwas Glück einen Dialog in Gang zu setzen. „Wir wollten keine inhaltliche Idee mitbringen – sondern nur Ideen für den Prozess“, so Ludwig Engel. Und es ist wohl genau dieser Ansatz, mit dem sich die Raumtaktiker vom klassischen Architekten ­unterscheiden. „Bauen mit Stein, Stahl und Glas ist nur ­eine Option. Wenn nötig und sinnvoll, ständen wir dazu auch ­bereit. Wir würden aber immer erst fragen: Braucht ihr das Haus überhaupt? Oder gibt es für euer Anliegen eine ganz andere Lösung – vielleicht eine, bei der man gar nichts ­bauen muss?“

Allein von ihrer Arbeit als Raumtaktiker müssen Mat­thias Böttger und Ludwig Engel nicht leben. Das Büro hat sich auch mit Ausstellungsarchitektur für Veranstaltungen wie die Transmediale einen Namen gemacht. Böttger unterrichtet seit 2007 das Fach Kunst und Architektur an der ETH Zürich, und auch Ludwig Engel nimmt neben seiner Forschungsarbeit Lehraufträge an Hochschulen wahr. Außerdem beraten sie für gutes Geld auch Unternehmen und ­Institutionen, freilich „ohne ihre Seele zu verkaufen“, wie Engel sagt.

Ob auch sie, die Diskurs-Spezialisten, sich vorstellen könnten, richtige Architektur zu machen? „Natürlich“, nickt Matthias Böttger. „Das haben wir schließlich gelernt.“

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