Text: Nils Hille
Eigentlich war alles einfach richtig gut – und irgendwie wie in einem Bilderbuch. Gabriele Sauerland lebte mit ihrem Mann in der kleinen, beschaulichen Gemeinde Kranenburg nahe der niederländischen Grenze. Sie hatte sich mit ihrem Architekturbüro schnell etablieren können – vor allem bei denen, die den Traum vom eigenen Haus verwirklichen wollten. Ihre Art, nicht einfach etwas zu entwerfen und darauf zu beharren, sondern gemeinsam mit den Bauherren zu planen, hatte sich in Kranenburg bald herumgesprochen. So bekam sie einen Auftrag nach dem nächsten. Auch die Handwerker liebten Sauerland. Immer wenn sie zur Baustelle kam, brachte sie ihnen etwas mit: Mal war es ein Eis, mal hatte sie ihnen Brötchen geschmiert. Und dann sprachen sie in Ruhe auf Augenhöhe miteinander. So konnten sie auch Probleme auf dem Bau immer gut gemeinsam lösen.
Zu schön, zu gut, zu viel Bilderbuchgeschichte? Leider ja. Denn der Wind drehte sich und schob Sauerland nicht immer weiter voran, sondern blies ihr heftig ins Gesicht. Die Planerin erlebte eine „neue Generation Handwerker“, wie sie sagt, die keine Zeit und Lust mehr hatte, mit ihr lange zu sprechen. Deren Arbeit sei geprägt durch Desinteresse und Teamunfähigkeit. „Termindruck, mehr Konkurrenz und damit ein höherer finanzieller Druck und schlechtere Qualität bei ihnen sorgte bei mir schließlich für eine hohe Architekturverdrossenheit, obwohl ich diese Arbeit eigentlich so liebe“, erinnert sie sich. Und dann der Schicksalsschlag. Sauerlands Mann nimmt sich das Leben. Dabei war sie doch eigentlich voller Begeisterung gerade mitten in dem Großauftrag, ein altes Bürgerhaus im historischen Kern von Kranenburg zum ersten Hotel der Stadt umzubauen. Nach langer Investorensuche und zähen Überzeugungsprozessen bei der örtlichen Politik lag zwar endlich die Bodenplatte im Hotel, aber auch das Leben wie Scherben vor ihr.
Gastfreundschaft und Gestaltung
Sechs Jahre ist das nun her – seitdem ist Sauerland Doppel-Jobberin. Neben der Arbeit als Architektin übernahm sie auch die Leitung des Hotels „Zur Kranengasse“. „Ich brauchte eine Dauerbeschäftigung, um nicht ständig über meine Situation nachzudenken“, sagt sie rückblickend. Sieben Tage in der Woche sprang sie morgens vor den Gästen aus dem Bett, um ihnen das Frühstück zuzubereiten. Dann standen Aufräumen, Rechnungserstellung und eine persönliche Verabschiedung der Nächtigenden an. Bevor die neuen Gäste kamen, arbeitete sie zwar als Planerin, blieb aber direkt auf ihrem Platz sitzen: Die Rezeption war nun gleichzeitig das Architekturbüro. So ersparte sich Sauerland zumindest lange Wege, doch sie war auch ständig für alle und jeden erreichbar. Lange Zeit störte sie das nicht. „Ich leide unter der Qual, immer neue Dinge machen zu müssen“, sagt Gabriele Sauerland – und klingt dabei gar nicht leidend, sondern, ganz im Gegenteil, heute sehr fröhlich. Denn diese „Qual“ hat der Architektin schließlich über ihren Schicksalsschlag hinweggeholfen – und hat ihr auch Schnittstellen beschert: „Ich empfing meine potenziellen Bauherren direkt im Hotel. Da konnten die gleich sehen, was ich als Architektin kann und mache – die perfekte Ausgangsbasis für ihre Entscheidung, ob wir zusammenarbeiten.“ Und auch das Hotel etablierte sich. Ihre persönliche, herzliche Art ließ aus vielen Gästen Stammgäste werden. Vom Ruhesuchenden bis zum Geschäftsreisenden – ganz unterschiedliche Typen von Menschen nächtigen in der Kranengasse. Viele konnte sie für ihre Gestaltung und die „Mischung aus alten Möbeln und frechen neuen Farben“ begeistern. Fast jeder verewigte sich freiwillig mit lieben Worten im Gästebuch.
Schnitt und neue Szene
Doch 100 Arbeitsstunden pro Woche hielt selbst die engagierte Powerfrau Sauerland auf Dauer nicht durch. „Irgendwann konnte ich meinem eigenen Tempo nicht mehr standhalten. Die Architektur rückte immer mehr in den Hintergrund“, sagt sie. Zum Jahreswechsel machte die 57-Jährige nun einen Schnitt und ging damit auf „volles Risiko“, wie sie das nennt. Denn Sauerland gab nicht nur die Leitung des Hotels ab, sondern auch ihr Architekturbüro in Kranenburg auf. Zurzeit gönnt sie sich nach Jahren mal wieder einen Urlaub, bald zieht sie nach Berlin, „denn da brodelt doch die Kunst“. Ihre schwer pflegebedürftige 92-jährige Mutter, um die sie sich kümmert, nimmt sie mit. In der Hauptstadt will sie dann Pflege, Wohnen und Atelier verknüpfen, als Architektin arbeiten, aber wieder auch noch etwas zusätzlich machen: Möbel entwerfen. Ein Hersteller zeigt schon länger großes Interesse an einer Zusammenarbeit mit Sauerland. Jetzt wird sie sich auch dieser Aufgabe widmen. Viele würden ihr ständiges Tun wohl als „Mehrfachbelastung“ bezeichnen, für Sauerland ist es „Vielfalt, denn Einseitigkeit ist der Tod“.
Die Frau, die mit dem Feuer spielt
Das Zitat hätte auch von Judith Mann aus Köln stammen können. Zunächst studierte sie Architektur in Berlin und arbeitete anschließend in zwei Büros. Doch auch ihr fehlte irgendetwas, wie sie sich zurückerinnert. „Ich fand meine Arbeit als Architektin spannend, aber da floss viel zu viel meiner Energie in die Absicherung, falls es mal Konflikte geben sollte. Da wünschte ich mir gefühlt für jedes Schreiben einen Anwalt, der neben mir saß und kontrollierte, was ich geschrieben hatte. Aber das war nicht das, was ich wollte“, sagt Mann. Selbst planen, entwerfen, basteln, werken, schrauben und auch schnell Erfolge ihrer Arbeit sehen – das waren ihre Wünsche. Doch das reichte zunächst nicht zum Broterwerb. Dafür begann sie eine Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an einer Hochschule und nutzte sie, wenn auch indirekt: „Da hatte ich keine volle Stelle und Zeit, noch etwas anderes kennenzulernen.“ Und das gelang ihr auch. In der Kita ihrer Töchter unterhielt sie sich mit einer anderen Mutter und erfuhr, dass diese als Pyrotechnikerin arbeitet. Mann war neugierig und fragte, ob sie mal bei einem Projekt des Unternehmens mitgehen dürfe. Sie durfte. Seitdem ist Judith Mann sprichwörtlich Feuer und Flamme für alle physikalischen und chemischen Effekte, die sich selbst erzeugen lassen. Sie wurde Mitarbeiterin der Firma und war bald bei großen Popmusik-Veranstaltungen für Teenager, wie „The Dome“ und „Bravo-Supershow“, dafür zuständig, dass genau im richtigen Moment Feuersäulen aus dem Bühnenboden schossen oder ein Funkenregen von der Hallendecke sprühte. Sie war fasziniert davon, was diese Effekte bei einer Menschenmenge von 18.000 Jugendlichen auslösen können – von Gänsehaut und Totenstille bis zu lautem Gekreische vor Freude.
Im Nebel stapfen
Judith Mann zog vor acht Jahren nach Köln, arbeitete dort erst noch für das Unternehmen und wagte zwei Jahre später den Schritt in die Selbstständigkeit als „Architektin und Künstlerin“, wie sie sich bezeichnet. Sie setzte von dort an nicht mehr nur auf die besonderen Augenblicke: „Bei Feuerwerken und Bühnenshows war es eine zielgerichtete Teamarbeit für ein paar Minuten voller besonderer Momente. Bei meinen jetzigen Arbeiten habe ich den Anspruch, Lösungen zu finden, die lange stehen bleiben und sich im Lauf der Zeit verändern und anpassen, wachsen und mit dem Ort verwachsen können.“ So installiert sie zwar über einem Schwimmbecken eine Nebelwand, auf die sie dann Formen in 3-D projizieren kann. Aber sie baut in Gärten auch dauerhafte Nebelinstallationen oder Feuereffekte in Wasserschalen ein, die sonst einfach nur eine gewöhnliche, wenn auch stilvolle Form eines Springbrunnens wären. Und im vergangenen Jahr hat sie zur Nacht der Museen in Belgrad aus Weidenzweigen und Nebel einen Gang geschaffen, für den Tausende Besucher anstanden – nur um kurz für ein paar Minuten dort hindurchzugehen und das Gefühl der Orientierungslosigkeit zu erleben.
„Alle meine Projekte haben einen sehr starken räumlichen Aspekt. Es ist wie in der Architektur: Wir schaffen Achsenbezüge und stellen Situationen ins ‚Rampenlicht‘“, sagt Mann und zeigt damit die Parallelen zu ihrem ursprünglichen Hauptberuf auf. Mittlerweile plant sie als klassische Hochbauarchitektin nur noch „Leidenschaftsprojekte“, ansonsten hat sie sich völlig ihrer „Effektschmiede“ verschrieben. Dabei musste sie auch lernen, dass die Selbstständigkeit in einem so speziellen Bereich nicht sofort eine Goldgrube ist. Es machte ihr den Start nicht einfach, dass ihre Produkte und Projekte von niemandem wirklich zum Leben gebraucht, sondern nur dann gekauft werden, wenn Menschen sich etwas Besonderes gönnen wollen. Doch sie hielt durch. Und sie lernte auch, dass sie sich als Chefin daran gewöhnen muss, dass sie kaum Lob bekommt. Wenn eine Aktion gut gelaufen ist, zählt es zu ihren Aufgaben, ihr Team aus freien Mitarbeitern zu loben. Ist ein Projekt nicht perfekt gelungen, bekommt sie die Kritik vom Auftraggeber zu hören und muss damit umgehen. Doch das wäre mit einem Architekturbüro genauso – und mittlerweile kann sie darüber lachen. Und sie entwickelt immer wieder neue Ideen und Träume, wo sie gerne mal ihre besondere Gestaltung erlebbar machen würde: „Die gesamte Domplatte in Köln für mehrere Tage mit Nebel zu fluten oder in die Bäume an der Rheinpromenade Nebelquellen zu setzen und zu beleuchten, würde mich reizen.“
Die Effekte der Feuer-, Blitz- und Nebel-Projekte von Judith Mann: