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[ DABthema Raumluft ]

„Die Ausgaben lohnen sich“

Christine Overath über ihre Spezialisierung auf gesundes Bauen und die Ergebnisse des Modellprojekts „Gesunder Lebensraum Schule“.

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Klassenraum mit gezielt ausgewählten Baustoffen.

Interview: Nils Hille

Die eigene Gesundheit liegt wohl jedem am Herzen, trotzdem ist das konsequent gesunde Bauen nicht weit verbreitet. Wie kamen Sie dazu, jedes Ihrer Projekte auch unter diesem Aspekt zu betrachten?

Ich musste am eigenen Leib erfahren, wie Lösungsmittel den menschlichen Organismus beeinflussen. Als ich früher in einer Fabrik gearbeitet habe, lösten Klebstoffe eine sehr starke allergische Reaktion bei mir aus. Nach Aufgabe des Jobs gingen auch die gesundheitlichen Probleme schnell zurück. Das hat mich sehr beschäftigt. Zudem hatte ich damals schon Kontakt zu Peter Bachmann, dem Gründer und Geschäftsführer des Sentinel Haus Instituts (SHI). Durch ihn wurde mir klar, dass es nur bei Arbeitsstätten klare Regelungen zum Wohle der Menschen gibt. Bei privaten Räumen, Wohnungen und vielem mehr gibt es so etwas in dieser präzisen Form aber nicht. All das hat mich sensibel für das Thema „Gesunde Lebensräume“ gemacht.

Was heißt das konkret?

Ich habe gelernt, dass sich Emissionen aus Lösungsmitteln und andere Schadstoffe nicht einfach weglüften lassen – gerade wenn man sehr luftdicht und damit energieeffizient gebaut hat. Und dass ökologische Baustoffe leider nicht immer dem Menschen guttun. Es gab beispielsweise ökologische Farben, in denen selbst kein Formaldehyd enthalten war. Aber wenn diese gern gekauften Umweltsiegel-Produkte verarbeitet wurden, konnte der giftige Stoff in der Raumluft nachgewiesen werden. Das ist dann alles andere als gesunder Lebensraum. Und oft lässt sich bei gesundheitlichen Problemen die Quelle gar nicht so leicht finden.

Wie gehen Sie bei Ihren Projekten vor, um diese Probleme von Anfang an zu vermeiden?

Um eine bessere Raumluftqualität zu erreichen, setzen wir auf eine sehr sorgfältige Auswahl von Baustoffen, eine Sensibilisierung und Schulung der Handwerker für den Umgang damit sowie auf häufige Baustellenkontrollen. Das haben wir dann auch bei der Erweiterung eines Kindergartens in Solingen erfolgreich umsetzen können – unserem ersten Bildungsbau. Die Betreiber wollten einen ökologischen Anbau, und ich konnte sie davon überzeugen, auch eine hohe Raumluftqualität als Ziel zu definieren. Nach vier Monaten waren wir fertig und die durch ein unabhängiges Institut gemessenen Werte waren sensationell niedrig. Das hat alle begeistert und es hat sich natürlich herumgesprochen.

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Gesundheits-Expertin: Christine Overath stammt aus Aachen. 2007 zog sie mit ihrem Büro co-architekten nach Solingen, in dem auch ihr Mann und zwei Angestellte beschäftigt sind. Ihre ersten Aufträge waren die Planungen von Einfamilienhäusern in Holzbauweise. Overath beschäftigt sich aber immer häufiger auch mit größeren Projekten wie Schul- und Kita-Bauten. Dabei entwickelte sich ihr ökologischer Gedanke weiter zu ihrem Fokus auf Wohngesundheit.

Und durch den gesunden Kindergarten kamen Sie dann zum Projekt „Gesunder Lebensraum Schule“?

Ja, die Initiative von TÜV Rheinland und SHI interessierte mich, weil das Thema vielerorts große Wellen schlägt. Unzählige Schulen in Deutschland müssen saniert werden, und wenn anschließend die Raumluftwerte nicht gut sind, geht die Elternschaft auf die Barrikaden. Auf der anderen Seite stehen finanzschwache Kommunen, deren Trägern außerdem für die Sanierung oft nur wenig Zeit zur Verfügung steht, zum Beispiel die sechs Ferienwochen im Sommer.

Aber eigentlich wussten Sie doch schon durch Ihre Erfahrungen, welche Baustoffe man verwenden kann und wie man mit ihnen umgehen muss. Wofür dann der Vergleich von zwei Klassenzimmern – eines mit der Standard-Materialwahl, eines mit Ihrer Auswahl?

In der Regel werden ja von uns Architekten eine technische Qualität und eine Materialmenge ausgeschrieben. Gerade bei öffentlichen Bauherren habe ich aber selten die Möglichkeit, produktspezifisch auszuschreiben, obwohl das, wenn es gewünscht wird, sachlich zulässig wäre. Durch die ganzen technischen Herausforderungen an einen Klassenraum wird oft seine Nutzerqualität und somit auch die Raumluftqualität vergessen. Um zu zeigen, was passiert, wenn ich die Baustoffe nicht sorgfältig auswähle, war der Versuch mehr als hilfreich.

Wie lief der Vergleich konkret ab?

Es gab auf dem Gelände vom TÜV Rheinland zwei spiegelverkehrt baugleiche Klassenzimmer von jeweils 20 Quadratmetern. Bei dem einen Raum wurden die emissionsarmen Baustoffe dezidiert geplant, geprüft und vom SHI vorgegeben. Bei dem anderen Raum sind die Baustoffe nach der Standard-Qualität eingekauft worden, sodass sie den technischen Anforderungen entsprachen. Ob es dann bei den Arbeiten des Malers oder Bodenlegers in diesem zweiten Raum Kreuzreaktionen zwischen Kleber, Material und dem Untergrund gab, wurde – wie so häufig in der Praxis – vorab nicht berücksichtigt. Für den ersten Raum gab es dagegen eine klare Einweisung der Handwerker. Die Lieferungen und der Einsatz der Materialien wurden genau geprüft und kontrolliert.

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Bedeutete so ein Vorgehen für Sie als Architektin nicht viel mehr Arbeit als sonst?

In der Planung erfordert es keinen weiteren Aufwand als sonst, wenn ich einmal die möglichen Baustoffe kenne. Dabei muss ich mich fortlaufend informieren, da sich Baustoffe und ihre Rezepturen ständig weiterentwickeln. Hier wünsche ich mir eine Datenbank, die uns Architekten aktuelle Infos zu Emissionen und anderen Kennwerten bietet. Auf der Baustelle selbst müssen die Handwerker genauer eingewiesen und die Baustoffe dezidiert kontrolliert werden. Hier bespreche ich mit dem Bauherrn vorab, dass er diese zusätzlich investierte Zeit auch bezahlen muss. Ansonsten muss der Bauleiter ja eh die Baustelle regelmäßig kontrollieren. Ich empfehle zusätzlich einen unabhängigen Wohngesundheitskoordinator, der unangemeldet auf die Baustelle kommt und diese in Bezug auf Baustofftreue etc. überprüft. Er darf zwar keine Anweisungen geben, berichtet aber direkt an den Bauherrn, wodurch ihm meist mit sehr viel Respekt begegnet wird.

Gab es bei dem Modellprojekt ein gutes Zusammenspiel mit den am Bau Beteiligten?

Da wir mit motivierten Handwerkern arbeiten konnten und uns ein separates Baustofflager zur Verfügung stand, lief die Arbeit auf der Baustelle sehr geordnet ab. Die größere Herausforderung war, dass die Räume natürlich belüftet werden sollten, obwohl wir sie in einem anderen Raum in dem Institutsgebäude aufgebaut hatten. Doch auch das gelang uns mit dem Ausbau von Fenstern an der Außenfassade und mit der Einrichtung von Gängen von den Fenstern der beiden Räume aus nach außen.

Zu welchem Ergebnis führte der Versuch schlussendlich?

Einen Tag, sieben Tage und 28 Tage nach Fertigstellung führte der TÜV Rheinland Messungen durch. Der Raum mit den ­gezielt ausgewählten Baustoffen erreichte immer deutlich bessere Werte. Nach den ersten vier Wochen wurden die Räume möbliert, wiederum nach den beiden unterschiedlichen Vorgehensweisen. Nach dem gleichen Prinzip fand die Reinigung der Klassenzimmer statt. Auch hier zeigte sich jedes Mal durch die Messergebnisse, wie sinnvoll eine sorgfältige Auswahl der Materialien und ihrer Wechselwirkungen ist. Zum Beispiel waren schon nach sieben Tagen mit normaler Lüftung die Werte für flüchtige organische Stoffe und Formaldehyd in den sorgsam ausgestatteten Räumen besser, als vom Umweltbundesamt empfohlen. Im Gegenzug ist eine gute Raumluftqualität mit ungeprüften Baustoffen reiner Zufall. Das kann gut gehen, muss es aber nicht. In der Praxis bedeutet diese Konsequenz meist Ärger und Zusatzkosten für alle Beteiligten. Und am Ende stehen teilweise Schadenersatzforderungen an uns Architekten.

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Doch wie wirkt sich das alles auf die Baukosten aus?

In dem Versuch lagen die Mehrkosten bei zwei Prozent der Baukosten. In unseren Projekten waren es in der Praxis rund drei bis vier Prozent zusätzlich, was hauptsächlich an der hochwertigeren und zudem schadstoffarmen Baustoffauswahl und -verarbeitung lag. Doch die Auswahl und die höheren Ausgaben für diese „gesunden“ Materialien lohnen sich auch finanziell. Sie müssen aufgrund ihrer meist deutlich höheren Belastbarkeit erst nach viel längerer Zeit erneuert werden. Das sollte gerade für die Kommunen und ihre Schulen ein Thema sein. Viele achten aber weiterhin nur auf die Erstkosten und nicht auf die Nachhaltigkeit. Hier ist ein Umdenken dringend nötig.


Auf DABonline.de zeigen wir Ihnen in unserem DABthema „Gesunde Raumluft“ Probleme von und Lösungen für Innenraumhygiene auf: DABonline.de/thema/raumluft

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