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Auf goldenem Boden

Das Baugruppen-Modell taugt auch für Handwerksbetriebe, wie ein die Stadt belebendes Hamburger Projekt zeigt

Seit Jahrzehnten wandern Handwerks- und Gewerbebetriebe aus den Großstädten hinaus. Diesen geht eine wichtige Zutat für die so oft beschworene urbane Mischung verloren. Heikel ist die Entwicklung auch für die Betriebe selbst: Sie müssen an den Stadtrand oder noch weiter hinaus ziehen, haben nun weite Anfahrtswege und verlieren oftmals ihren städtischen Kundenstamm.

Dass es auch anders geht, zeigt ein wegweisendes Projekt im Hamburger Bezirk Altona, genauer gesagt im überaus beliebten Hipster- und Kreativenstadtteil Ottensen. In zentraler Lage nahe dem legendären Kulturzentrum „Fabrik“ lag viele Jahre ein 1.080 Quadratmeter großes städtisches Grundstück brach, genutzt nur von einem Autohändler. Es war politischer Wille, die Ottensen besonders prägende Tradition einer kleinteiligen Mischung von Wohnen und Arbeiten hier fortzuführen und auf dem Gelände Gewerbetreibende anzusiedeln. Da in der unmittelbaren Umgebung die Werkstätten des Thalia-Theaters sowie weitere Handwerksbetriebe und eine S-Bahn-Trasse liegen, wäre Wohnungsbau hier problematisch gewesen. Bald fand sich eine kleine Gruppe von Handwerkern aus dem Stadtteil zusammen, die sich wegen massiver Mieterhöhungen oder Abriss ihrer Werkstätten für profitablere Eigentumswohnungen neue Bleiben suchen mussten. Die Architektin Iris Bulla, damals noch Partnerin im Büro Neustadt Architekten und heute mit eigenem Büro, tat sich mit den Handwerkern zusammen, um das Grundstück von der Stadt zu erwerben und dort einen kompakten, innerstädtischen Gewerbehof zu errichten.

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Handwerklich sauber: Der Erdgeschoss-Grundriss zeigt die Orientierung zur Stadt. Viel Raum für 18 Autos ist bei einer solchen Nutzung nicht zu vermeiden, und sie stehen hier immerhin nicht an der Straße herum.

Das Besondere des Handwerkerhofs Ottensen ist sein von der Architektin erarbeitetes Konzept, das dem einer Baugemeinschaft ähnelt: Die Bauherren und Investoren sind auch selbst die Nutzer. Sie organisierten sich genossenschaftsähnlich und schlossen sich dem „Mietshäusersyndikat“, einer nicht kommerziellen Beteiligungsgesellschaft zum gemeinschaftlichen Erwerb von Häusern, an. Die Stadt vergab das Grundstück zu relativ günstigen Konditionen an die Baugruppe unter der Auflage, dass die Nutzung durch Handwerker mindestens zehn Jahre bestehen bleibt. Obwohl keine Investoren Gewinn und Mehrwert abschöpfen und bei der GLS Bank günstige Kreditkonditionen erreicht werden konnten, waren die Investitionskosten für die kleinen Handwerksbetriebe nicht leicht zu stemmen, weshalb sie mit spitzem Stift das Budget und die daraus resultierenden Kaltmieten kalkulierten. So zahlen die Handwerksbetriebe eine in dieser Lage überaus günstige Kaltmiete von sieben Euro pro Quadratmeter. Die Büroflächen in der obersten Etage werden hingegen mit ortsüblichen 13,50 Euro pro Quadratmeter veranschlagt und querfinanzieren so die preiswerten Gewerbemieten.

Kleines Grundstück, große Flächen

Als spätere Nutzer formulierten die Handwerker klare Anforderungen: Sie benötigten eine gute Erschließung mit einem Hof zum Be- und Entladen und 18 Stellplätzen für PKWs und Kleinlaster. Das Gebäude sollte 1.400 Quadratmeter Nutzfläche umfassen, aufteilbar in Einheiten von 50 bis 300 Quadratmeter Größe sowie 200 Quadratmeter Lager. Um all das auf einem recht kleinen Grundstück unterzubringen, machten die Architekten aus der Platznot eine Tugend und stapelten die benötigten Flächen zu einem viergeschossigen Riegel, den sie an die südliche Grenze des Grundstücks an die Gaußstraße rückten und mit einem Viertelkreis um die Straßenecke zur Bahrenfelder Straße verlängerten, um die Kreuzungssituation zu betonen. Um die Baukosten zu senken und ihr Können in Szene zu setzen, erstellten die Handwerksbetriebe große Teile des Gebäudes selbst: Gemeinsam errichtete man die Lärchenholzfassade inklusive Dämmung; von den Glasern stammt die Treppenhausverglasung aus Glaspaneelen; die Tischler bauten die Holzfenster und der Klempner installierte die Sanitäranlagen. Auch ein Schaufenster am Eingang dient der Darstellung des Leistungsspektrums der Betriebe. Das Innere ist, der Nutzung und dem bescheidenen Etat entsprechend, rau und roh. Der nackte Beton der Wände wird offensiv zur Schau gestellt, ebenso die unverkleidet belassenen Installationen unter Decke. Um stützenfreie Gewerbeflächen zu ermöglichen, wählten die Architekten Spannbetondecken mit in der Fassaden-Ebene liegenden Unterzügen. Die funktionale Aufteilung ist einfach und schlüssig: Am Treppenhaus liegen Serviceräume: WCs, Umkleideräume und ein Aufenthaltsraum mit Küche. Die Gewerberäume im lang gestreckten Riegel werden über breite Laubengänge erschlossen, die zu einem Lastenaufzug im Treppenhaus führen. Die zehn Meter breiten Gewerberäume sind allesamt zweiseitig belichtet, wodurch nur an trüben Tragen zusätzliches Kunstlicht benötigt wird.

Zum Konzept gehörte es, dass sich Nutzer ihre Gewerbeflächen selbst ausbauen – vorhanden sind nur Estrich, Stromanschlüsse, Heizung und Wasseranschluss. Bei neun Handwerksbetrieben auf drei Etagen führt dies zu einem überaus bunten Bild mit ganz unterschiedlichen Innenraumgestaltungen – von einer nüchternen Arbeitsatmosphäre in Glaserei und Tischlerei zu den gemütlichen Ateliers der Polsterin und des Harfen- sowie des Gitarrenbauers mit Eichenparkett und historischen Vitrinen. Im Gespräch mit den Handwerkern wird klar, wie viel Herzblut in diesem Projekt steckt. Sie alle stammen, wie auch die meisten Büronutzer, aus dem Stadtteil und sind froh, mit ihrem Gewerbe nicht vor die Stadt ziehen zu müssen. Die Glaserei war bereits vor Jahren in einen Vorort gezogen und nutzte den Handwerkerhof Ottensen nun als Chance zur Rückkehr in den eigentlich unerschwinglich gewordenen Kiez. Als kleinere Betriebe sind sie stark lokal verwurzelt und darauf angewiesen, dass die zumeist private Kundschaft auf kurzem Wege zu ihnen findet. Der Hof bietet zudem die einzigartige Chance, sich zu einem Netzwerk zusammenzuschließen für gemeinsames Marketing, aber auch für Kooperationen und Zusammenarbeit. So zeigt dieses beispielhafte Projekt, dass lokale Ökonomien im Zeitalter von Globalisierung und Onlinehandel durchaus eine Chance haben. Und dass das Handwerk Teil einer vielfältigen, lebendigen Stadt bleiben kann.

Claas Gefroi ist freier Autor sowie Presse- und Öffentlichkeitsreferent der Hamburgischen ­Architektenkammer.


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