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[ Technik ]

Oberflächen erleben

Bei der Innenarchitektur wird wieder mehr Wert auf eine sinnliche, weniger puristische Gestaltung gelegt

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INK Hotel Amsterdam: Passend zur dunklen Inneneinrichtung wurde eine schwarze Tapete gewählt, die wie mit Kreide geschriebene, künstlerisch gestaltete Stadtpläne von Amsterdam zeigt. Der Tapetenhersteller Vescom hat das Motiv in einem Stück produziert, was eine Bahnbreite von 3,20 Meter erforderte. Architekturbüro: concrete architectural associates, Amsterdam

Text: Ulrike Meywald

Die Welt des Wohnens und der Hotels entwickelt sich zunehmend zu einer Gegenwelt zu den überbordenden digitalen Erlebnissen. Dieser Trend spiegelt sich besonders in einer raueren, naturnäheren oder ornamentaleren Wand- und Bodengestaltung wider. Nach Einschätzung von Kai Brehm vom Einrichtungshaus Scenario in Hanau wird das eigene Zuhause zunehmend als Rückzugsort begriffen, der behaglich sein sollte. Purismus wird dadurch nicht verdrängt, sondern um entsprechende Attribute ergänzt. So lösen haptisch erlebbare Oberflächen die bislang dominierenden glatten ab. Statt Glas, Stahl und Beton gibt es edle, raue Natursteine auf dem Boden und an der Wand, Fliesen mit ornamentalen Mustern und außergewöhnliche Teppiche. Kai Brehm: „Der geschliffene Estrich wird sicher noch bestehen bleiben, doch wir sehen, dass die Kunden nach großformatigen Fliesen fragen, die unterschiedliche Farbnuancen bieten.“ Auch Kombinationen mit Feinsteinzeug- oder Zementfliesen mit Designs nach historischen Vorbildern werden gewünscht. Teppiche darauf bilden Wohlfühlinseln. Jochen Ehresmann, Teppichspezialist beim Einrichtungshaus Böhmler in München und Juror des Carpet Design Awards 2016, sagt: „Schwarz und weiß liegen dabei seit einiger Zeit besonders stark im Trend.“

Die dreidimensionalen Strukturen und Muster auf dem Boden finden sich auch an den Wänden wieder. Sogenannte Highlight-Wände, bei denen lediglich ein Teilbereich hervorgehoben wird, lassen Ge­stalter beispielsweise mit opulent gemusterter Tapete versehen. Die Strenge der sonstigen Einrichtung hebt sich dadurch auf. In Hotelzimmern hat man das in den letzten Jahren gelegentlich schon gesehen. Stefanie Jaensch, Innenarchitektin bei Designer’s House in Frankfurt, meint: „Im Objektbereich findet meist früher ein Farb- und Einrichtungswechsel statt als im privaten Umfeld, sodass hier schneller und häufiger neue Kombinationen erprobt ­werden.“

Natürlichkeit für mehr Harmonie

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Derag Livinghotel am Viktualienmarkt in München: Die Wände der Gästezimmer wurden mit im Digitaldruck hergestellten Vinyltapeten dekoriert, die historische Ansichten des Marktes zeigen. Architekten: Werner Willfurth und Yves Baron, München

Als Tapeten vor einigen Jahren wieder in den Fokus der Innenarchitektur rückten, sollte die tapezierte Wand vor allem auffallen. Eine pinkfarbene Wand im Wohnzimmer provozierte. Carsten Malz von der Tapetenagentur: „Inzwischen geht es vielmehr darum, die Farben und Muster der Möbel, der Wand und des Bodens aufeinander abzustimmen und die Natur ins Haus zu holen.“ Auch dieser Trend basiert auf gesellschaftlichen Strömungen, hier dem Urban Gardening. Ist aus dem breiten Angebot verfügbarer Tapeten keine zur Einrichtung passende zu finden, hilft der Digitaldruck, die Tapete für den Nutzer zu individualisieren. Angenehm fühlbare Erlebnisse bieten Kork- oder Seidentapeten. Im Vergleich zu früheren Korktapeten kommen die neuen Interpretationen heute zum Beispiel in goldfarben hinterlegtem Weiß daher. Ein Trend, der das Naturthema überspitzt darstellt, ist das Dschungelmotiv. So geht man bei einer Restaurantkette buchstäblich „in den Wald“, weil Birkenstämme wie Stützen im Raum verteilt sind und dazu passend eine stilisierte Waldlandschaft als Tapete die Wände ziert. Bis ins Detail wurde das Thema hier verfolgt und trägt maßgeblich zum Erfolg bei. Carsten Malz: „Die Waldtapete ist ein klassisches Motiv aus dem Jahr 1959 von Cole & Son, die wir seit etwa 13 Jahren in unserem Sortiment führen. Doch erst in den letzten zwei bis drei Jahren ist der Verkauf deutlich gestiegen.“

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Hotel Reichshof in Hamburg: Das fein geschwungene Schleifenmotiv, das sich in allen Zimmern auf Tapeten und Teppichen wiederfindet, strahlt die Eleganz und Feinheit der 1920er-Jahre aus und schlägt so die Brücke zur Art-déco-Interior-Design- Thematik, die im gesamten Konzept verankert ist. Innenarchitekten: JOI-Design, Hamburg

Authentischer für mehr Individualität

Innenarchitekten nutzen die neuen Tapetenkreationen auch gern, um die Corporate Identity eines Unternehmens zu transportieren. Eine starke Bindung an den Ort zeigt beispielsweise das Derag Livinghotel am Viktualienmarkt in München, bei dem historische Ansichten des Marktes großflächig die Wände der Gästezimmer dekorieren. Ähnlich auffallend ist das INK Hotel in Amsterdam, gestaltet vom Architekturbüro concrete, dessen Inneneinrichtung dunkel gehalten ist, wodurch die schwarze Tapete, auf der wie mit Kreide geschriebene, künstlerisch gestaltete Stadtpläne von Amsterdam aufgebracht sind, hervorsticht. Im jüngst mit dem German Design Award Special 2016 ausgezeichneten Hotel Reichshof in Hamburg, gestaltet von JOI- Design, wirken Wand und Boden wie aus einem Guss. Corinna Kretschmar-Joehnk von JOI-Design, erklärt: „Das fein geschwungene Schleifenmotiv, das sich in allen Zimmern auf Tapeten und Teppichen wiederfindet, strahlt die Eleganz und Feinheit der 1920er-Jahre aus und schlägt damit die Brücke zur Art-déco-Interior-Design-Thematik, die im gesamten Konzept verankert ist.“

Indikatoren für Trends

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Steigenberger Hotel Bad Homburg : Eine Highlight-Wand vermittelt die Weite einer abstrakten Landschaft und bricht so die Gradlinigkeit der sonstigen Einrichtung. Innenarchitektur: Designer’s House, Frankfurt

Wie entsteht überhaupt ein Trend und wann beeinflusst er die Raumgestaltung? Dazu recherchiert zum Beispiel die Hochschule Hildesheim gemeinsam mit dem Caparol FarbDesignStudio auf europäischen Messen sowie in diversen Publikationen. Wird ein Wandel bemerkt, dokumentieren sie ihn, sodass andere darauf zugreifen können. Farben und Muster verändern sich zum Teil aber auch ohne unser Zutun. Ulrike Kerber, Innenarchitektur-Professorin in Detmold, sagt: „Der Mensch will mit neuen Reizen versorgt werden, die ihn lebendig halten.“ Wann solche Veränderungen in der Praxis greifen, hängt davon ab, wie schnell sich die Industrie ihnen anpasst. So reagieren Farbenhersteller schneller als Stoffproduzenten, Grafikdesigner schneller als Innenarchitekten. Zum nachhaltigen Trend wird ein Muster oder ein Farbton jedoch erst dann, wenn Käufer und Bauherren das Neue annehmen.

Ulrike Meywald ist freiberufliche Baufachjournalistin in Münster

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