Text: Christoph Gunßer
Am Phoenix-See, dem schicken Entwicklungsgebiet im Dortmunder Süden, bleibt mancher Passant vor einem Gebäude ungläubig stehen. Wo sonst fast nur eitle Solitäre für Neureiche aus dem Baugrund wachsen, schafft ein Gebäude schwungvoll das, was ringsum fehlt: Raum. Luftige Laubengänge umrunden den grünen Hof, dessen Mitte ein Gemeinschaftshaus einnimmt. „Zieht da eine Sekte ein?“, fragen Ahnungslose. Nein.
Es ist das jüngste, das fünfte Wohnprojekt des Dortmunder Vereins W.I.R. Das Kürzel steht für „Wohnen innovativ realisieren“. Das ist nicht übertrieben, und die Vorgängerprojekte wurden denn auch von Preisen regelrecht überhäuft. Was die Projekte WohnreWIR, Wir auf Tremonia, Wir wohnen anders und Wir auf Phoenix verbindet, ist das selbstbestimmte, generationenübergreifende soziale Miteinander – und eine passgenaue Architektur. Alle sind Baugruppenprojekte, teils auf Miet-, teils auf Eigentumsbasis. Und das bringen sie baulich auch zum Ausdruck: Es sind kleine Dörfer in der Stadt, mit viel Platz und großzügigen Gemeinschaftseinrichtungen.
Soziale Wohnprojekte als Speer spitzen der Stadtentwicklung
„Die Stadt war sehr stolz auf unsere Wohnprojekte und wollte uns auch hier als Zugpferd“, erzählt Norbert Post von Post + Welters Architekten und Stadtplaner aus Dortmund mit Blick auf das prominente Projekt am Phoenix-See. Post hat drei der fünf WIR-Projekte mit den Bewohnern geplant. Er nimmt wahr, dass Baugemeinschaften inzwischen als Pioniere gelten, die nicht zuletzt schwierige Lagen „erobern“ und reif machen für die weitere Entwicklung. Das schätzen auch kommerzielle Deve-loper wie Aurelis, weiß Post. Er plant inzwischen fast nur noch für Baugemeinschaften und ist neuerdings Vorsitzender ihres Bundesverbands.
Weil Baugemeinschaften beliebt sind, weil sie mit kreativen Bewohnern und nicht zuletzt mit außergewöhnlicher Architektur punkten, machen Städte und auch private Developer vermehrt Zugeständnisse, um Wohnprojekte mit ins Boot zu holen. Zugleich erschwert es aber der starke Anstieg der Bau- und noch mehr der Bodenpreise vielen sozialen Initiativen, am Markt geeignete Grundstücke zu finden und zu sichern. Doch das betrifft vor allem stark wachsende Ballungsräume und kleinere Städte mit knappem Baugrund, wo Baugemeinschaften vor Jahren noch boomten. Regionen wie das Ruhrgebiet dagegen bieten ihnen noch Raum.
Zusammenhalt in der Zwischenstadt
Den Dortmunder Planern hilft, dass der Markt im mittleren und nördlichen Ruhrgebiet noch immer relativ entspannt ist. Zwischen Dortmund und Duisburg gelingt es nach wie vor besonders oft, gemeinschaftlich innovativ zu bauen; seltener ist der Typ der „Baugruppe light“ die mehr pragmatische Kosten-Nutzen-Erwägungen als soziale Ziele hat. Gut möglich, dass die extrovertierte Mentalität an Rhein und Ruhr sozialen Projekten gegenüber besonders aufgeschlossen ist. Zudem begünstigt die polyzentrische Struktur des Ruhrgebiets, Inbegriff der „Zwischenstadt“ mit ihrem oft gestaltlosen Siedlungsteppich, Enklaven dieser Art. Als fast idealtypisches „Dorf in der Stadt“ gilt das 2010 bis 2012 fertiggestellte Projekt „WIR wohnen anders“ in Dortmund-Brünninghausen. Es entstand auf der Brache eines Kinderheims am Rande eines Grünzugs und bildet ein eigenständiges kleines Wohnquartier. Die bunt zusammengewürfelte Initiativgruppe organisierte sich mit Hilfe von Birgit Pohlmann und Norbert Post und fand im genossenschaftlichen Spar- und Bauverein der Stadt einen Investor, der für die Gruppe das Kernhaus der Anlage nach ihren Vorstellungen errichtete. Die 25 Mietparteien wurden Mitglied der traditionsreichen Genossenschaft, die sich auf diese Weise verjüngte. Die Zusammenarbeit der unkonventionellen Gruppe, an der zu Beginn eine schwul-lesbische Initiative Anteil hatte, mit dem konventionelleren Genossenschafts-Apparat war nicht immer einfach, doch gelang am Ende ein Ensemble, das die Gemeinschaftsidee zum Ausdruck bringt.
Wo man sich über den Weg läuft
Das Gebäude gliedert sich in zwei Laubengangzeilen, die ganz unterschiedliche Wohnungstypen von der Single-Wohnung bis zur Familien-Maisonette bergen, sowie eine Unterkunft für Gäste. Einige der Wohnungen wurden öffentlich gefördert. Die Laubengänge wenden sich über den grünen Innenhof einander zu und treffen sich am zentralen Treppenhaus, das zur Straße eine reizvolle Schwellensituation aufbaut. Hier vorn liegen auch der große Gemeinschaftsraum, die Waschküche und die Heizzentrale, die das gesamte kleine Quartier mit Nahwärme versorgt.
Davon profitieren auch die dreizehn Eigenheime, die sich als Doppel- und Kettenhäuser seitlich an den Hofbau anschließen. Die quaderförmigen Häuser sind in ihrer mehrschichtigen Anlage formal miteinander verwandt gestaltet und bieten Möglichkeiten zum stufenweisen Weiterbau. Die Mischung aus Mietern und Eigentümern bringt zusätzliche soziale Vielfalt ein. Doch kümmern sich unterschiedslos alle um die großzügigen Freibereiche. Das Ensemble wirkt selbst im Winter außerordentlich gepflegt.
Nach ein paar Jahren Nutzung zeigt sich, dass die Nachfrage nach den wenigen frei werdenden Wohnungen etwas einseitig ist: Vor allem alleinstehende junge oder ältere Frauen suchen die Gemeinschaft – offenbar bei Wohnprojekten ein nicht seltenes Phänomen, das die Mischungsziele zuweilen in Frage stellt. 7,50 Euro pro Quadratmeter Kaltmiete sind für Dortmund relativ viel, doch bietet die Anlage viele Extras, die das Leben leichter machen. Die Besuche von bauwilligen Initiativen sind noch immer zahlreich, und weiterhin wird bereitwillig Kaffee mit Kuchen aufgetischt und ausgiebig erzählt. Rund zehn Jahre gemeinsames Planen, Bauen und Wohnen bieten dafür Stoff genug.
Etwas kleiner, doch gebäudetypologisch verwandt ist die „Casa Nostra“, 2015 im Dortmunder Nachbarstädtchen Schwerte bezogen. Auch hier fügen sich zwei Baukörper über offene Laubengänge zu einem Hof. Baugrund war ein ehemaliger Parkplatz in zentraler Lage. Das neu entstandene „Dorf“ dient auch der kleinteiligen Stadtreparatur.
Hier warb ebenfalls eine generationenübergreifende Kerngruppe unter Leitung von Birgit Pohlmann mehrere Jahre lang um Mitstreiter und Grundstück. Daraus entstand ein auch architektonisch bemerkenswertes Projekt, das als reine Eigentümergemeinschaft großzügiger gestaltet werden konnte als das „Mieterdorf“ in Dortmund.
Von bürgerlicher Reserviertheit oder Abschottung ist indes keine Spur. Gleich am Eingang verbindet der helle Gemeinschaftsraum (mit angegliedertem Gästezimmer) Straße und Hof; man zeigt sich und will in die Stadt ausstrahlen. Mit ihrem Pionierprojekt stieß die Bewohnerschaft in der Kleinstadt nicht nur auf Gegenliebe, doch mittlerweile gibt es sogar schon Nachahmer. Und Kinder und Enkel sausen gern die Laubengänge rauf und runter, um zum Beispiel Papierflieger zu starten.
Noch feiner ist die Adresse, die Post + Welters zuletzt für eine private Eigentümer-Baugemeinschaft im noblen Dortmunder Kaiserviertel schufen. Die Gruppe aus sechs Parteien bewarb sich um den aufgelassenen Spielplatz mit einem ehrgeizigen architektonischen Konzept – und kam zum Zuge. Das kompakte, etwa würfelförmige Haus mit Staffelgeschoss erfüllt den Energie Plus-Standard. Eine gewisse Vielfalt strahlen die unterschiedlichen Fensterformate zwar aus. Gemeinsamkeit gibt es hier indes nur gelegentlich im Garten hinterm Haus. Für großstädtische Lagen ist dies ein inzwischen eher typisches Baugruppenprojekt.
Echte soziale Netzwerke
Birgit Pohlmann, die Projektmoderatorin und treibende Kraft hinter allen diesen Projekten, hat derzeit eine ganze Reihe weiterer Wohnprojekte in der Region am Laufen. Wie Norbert Post sieht sie den Anteil gemeinschaftlicher Wohnprojekte mittelfristig bei rund fünf Prozent des Marktes. „Die Wohnform ist nichts für jeden. Man muss bereit sein, sich zusammenzuraufen“, meint Post. Die wichtigsten Zielgruppen sind einerseits junge Familien, die gegenseitige Unterstützung organisieren wollen, um nicht abzudriften ins „Nur-Eltern-Sein“; andererseits rüstige Senioren, die aktiv bleiben wollen, eine Aufgabe suchen.
Lassen sich auch Flüchtlinge in Wohnprojekte einbeziehen? Da sind beide eher skeptisch. Norbert Post, der für die IBA Emscherpark eine Siedlung in Gruppenselbsthilfe entwickelt hat, meint, man dürfe die Projekte nicht mit Ansprüchen überfrachten. Als Mieter geförderter Sozialwohnungen wie in „Wir wohnen anders“ könnten Flüchtlinge selbstverständlich mitwirken, ergänzt Pohlmann und verweist für sie auf kostengünstigere Umnutzungsprojekte, die es in der Region auch gibt. Soziale Homogenität ist auch ein Merkmal vieler Baugruppen.
Individuell und wirtschaftlich krisenfester sind die gemeinschaftlichen Wohnprojekte dabei allemal. Das spüren viele Interessenten instinktiv. Die informellen Netzwerke, welche die offenen, anpassungsfähigen Architekturen ermöglichen, sind zweifellos auf viele Eventualitäten besser vorbereitet als die anonymen Standard-Angebote. Inzwischen versuchen auch Bauträger im Gemeinschaftsmarkt zu wildern – eigentlich ein Widerspruch, da die Gruppen gerade deren Margen und Kosten sparen wollen- Daher sehen Pohlmann und Post das gelassen. Das Vokabular zu übernehmen, bedeute noch nicht, dieselbe Arbeit zu leisten.
Christoph Gunßer ist freier Fachautor in Bartenstein (Baden-Württemberg).
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