Text: Stefan Kreitewolf
„Wohoooo“, „Bravo“, schallt es durch das künftige Baukunstarchiv Nordrhein-Westfalen in Dortmund. Der Beifall ist laut, der Jubel durchdringend. Und genau darauf kommt es an. Denn: Applaus entscheidet – beim zweiten Urban Slam der nordrhein-westfälischen Architektenkammer in Dortmund. Die Idee hinter dem Slam: Architektur muss junge Menschen begeistern. Es darf um die Ecke gedacht werden. Wichtig ist allein, das Thema des Abends – „Stadt – Flucht – Migration“ – im Auge zu behalten.
Vorbild des Abends sind Poetry-Slams (deutsch: Dichterwettstreit), bei denen selbst geschriebene Texte innerhalb einer bestimmten Zeit einem Publikum vorgetragen werden. Beim Urban Slam präsentieren junge Architekten und Stadtplaner sowie Studierende, die kurz vor dem Start ins Berufsleben stehen, ihre Planungsideen, Forschungsinteressen und Konzepte. Und das in Kurzvorträgen von maximal zehn Minuten. Mit dem neuen Format soll ein junges, Architektur-affines Publikum angesprochen werden. Das hat funktioniert. In den Reihen: Studenten mit Jutebeuteln und Nasen-Piercings neben Anzugträgern und Feierabendflaneuren. Flaschenbier statt Schampus, elektronische Musik statt distinguierten Jazz: „Die Mischung ist entscheidend“, freut sich Christof Rose, Pressesprecher der Kammer, die mit Unterstützung der Landesinitiative StadtBauKultur NRW im Jahr 2015 den kurzweiligen Slam ins Leben gerufen hat. Fünf Slammer traten damals gegeneinander an. Erlaubt waren alle Darstellungsformen – vom Textvortrag über PowerPoint-Präsentationen bis zu Gesang oder szenischen Darbietungen.
Damals wie jetzt die Hauptsache: Das Publikum – das mit 200 Gästen zahlreich nach Dortmund gekommen ist und zum Teil stehen muss, weil alle Sitzplätze besetzt sind – wird unterhalten. „Etablierte Strukturen spielen bei dem Event keine Rolle“, erläutert Rose im Vorfeld. „Der Urban Slam soll damit einen Beitrag zur baukulturellen Debatte in NRW liefern“, sagt Kammer-Vizepräsident Michael Arns, der den Vorträgen begeistert lauscht. Schließlich machten gerade junge Köpfe „das Undenkbare realisierbar“.
Städtebau wie ein Gitarrensolo
Dass Architektur auch RocknRoll sein kann, beweist Professor Christian Moczala von der FH Dortmund. Er liefert in seinem Impulsvortrag vor dem eigentlichen Slam ein flammendes Plädoyer für die architektonische Integration von Neuankömmlingen und Flüchtlingen. „Durch sie erhalten wir wieder die
Chance auf Visionen.“ Mit einem Schneidegerät, das er sich wie eine E-Gitarre um den Hals gehängt hat, produziert Moczala kleine Styroporfiguren, die er live on stage als Modellentwürfe zusammenwürfelt. Immer wieder stellt er dabei die drängendsten Fragen zur aktuellen Situation: „Was ist für die Erstaufnahme zu tun? Wie kann der notwendige Wohnraum für Männer und Frauen, die dauerhaft als Zuwanderer bei uns bleiben, zeitnah bereitgestellt werden?“ Die Beantwortung dieser Frage überlässt er gezielt den Slammern und verabschiedet sich mit einem Gitarrensolo, das er am Schneidegerät imitiert und das aus den Boxen schallt.
Den Anfang für die Slammer macht mit Martin Bachem ein bereits etablierter junger Architekt aus Köln. Er widersetzt sich mit seinem städtebaulichen Entwurf „Stadtplastik“ der Auffassung von Architektur als Resultat funktionaler Zwänge. „Form ergibt sich aus funktionalen Parametern? Das ist falsch!“ Bachem versucht, zum Kern des Problems vorzudringen: „Am Anfang steht die Stadt als plastische Skulptur, eine Stadtplastik“, sagt er und will „an die monumentalen Utopien der Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts“ anknüpfen. Konkret heißt das: Bachem will 236 Hochhäuser bauen, die Wohn- und Arbeitsraum für 80.000 Menschen in der Kölner Innenstadt bieten. Mit dem radikalen Konzept hat Bachem eine breite Öffentlichkeit erreicht. Überregionale Medien bezeichneten sein Projekt bereits als „Manhattan am Rhein“. Die Idee polarisiert. Das Publikum quittiert seine Entwürfe mit aufgeregtem Tuscheln.
Der zweite Slam-Beitrag kommt von drei Studierenden der TH Köln. Andree Agapov (31), Julia Pütz (25) und Björn Schwabe (26) sind mit Abstand die jüngsten Teilnehmer des Abends. Ihr Thema: die „FAIRnetzte Stadt – Fair-Trade wirkt Flüchtlingsflut entgegen“. Sie wollen mit Fair-Trade-Produkten Flüchtlinge integrieren. Als Pilotprojekt dient ihnen ein Zeltdorf für Flüchtlinge in Essen, wo sie Feldforschung betrieben. Dort soll mithilfe von Gemeinschaftsgärten, einer interkulturellen Küche und Fassaden- sowie Leerstandsanierungen die Eigeninitiative der Neuankömmlinge gefördert werden. „Flüchtlinge können dadurch selbst Wohnraum generieren und einen selbstbestimmten Ausweg aus dem Zeltdorf finden“, erläutert Pütz. Ihr Masterplan: Im zweiten und dritten Entwicklungsschritt entwickeln sich die Projekte zum Selbstläufer; der Stadtteil wird zur Ankunftsstadt, also zum Sprungbrett ins neue Leben, und setzt eine Fair-Trade-Bewegung in Gang. Sie soll Fluchtursachen bereits in den Herkunftsländern eindämmen. Weil Agapov, Schwabe und Pütz aktuell auf den letzten Metern ihres Studiums und im Prüfungsstress sind, wird das Projekt aber wohl nicht realisiert werden.
„Wir sind keine Konkurrenten“
Nach dem Exkurs in die Ankunftsstadt steht ein kämpferisches „Manifest für die Zusammenstadt“ auf dem Programm. Isabel Finkenberger, eine junge Architektin aus Köln, zieht das Tempo deutlich an und versucht mit eindringlichen Worten, knappen Sätzen und plakativen Vergleichen die Dringlichkeit des Themas „Stadt –
Flucht – Migration“ herauszustellen. Wieder einmal seien wir an einem Punkt angelangt, an dem wir akuten Problemen hinterherhetzten. „Wir brauchen neue, große Ideen gesellschaftlicher Lebensräume, in denen alle – Alteingesessene und neu Zugezogene – ihren Platz und Anerkennung finden“, fordert Finkenberger mit gereckter Faust. Das fange schließlich beim Wohnen an. „Gekommen um zu bleiben“, sei keine Debatte über Flüchtlinge, sondern über „grundsätzliche Fragen des Zusammenlebens – und nach unserer urbanen Umwelt“. Ihre Botschaft lautet: „Wir sind keine Konkurrenten.“ Finkenberger schließt deswegen mit der Forderung: „Wir benötigen dringend Benimmunterricht für unsere Gesellschaft.“ Leider bleiben ihre Ansätze undeutlich. Konkrete Lösungsvorschläge, wie ein Umdenken erreicht werden könnte, liefert sie nicht.
Christian Honstein, Student der TU Dortmund, sorgt mit einem gemächlichen, aber rhetorisch pointierten Vortrag für Entschleunigung. Er nähert sich dem Thema des Abends mit einem konkreten Projekt, den Wiescherhöfen in Hamm, und präsentiert seinen Entwurf zum Studentenwettbewerb „Neues Wohnen am alten Bergwerk Ost“. Er wolle „Räume bilden und die Stadt weiterdenken“. Dazu hat er verschiedene Wohntypologien für Migranten und Nicht-Migranten konzipiert. Die kleinteilige Wohnbebauung liefert den genauen Kontrast zur Idee aus dem ersten Slam-Beitrag von Martin Bachem. „Ich habe versucht, einfache Häuser zu bauen“, erläutert Honstein. Sein Ziel sei es, „Wohnraum für jedermann und -frau zu schaffen“.
Von Shishabars und Dönerbuden
Anna Weber geht dorthin, wo Architektur nicht erwartet wird. Die junge Wissenschaftlerin der RWTH Aachen forscht zum Thema „Architektur von Migranten“. Sie beschäftigt sich mit kulturellen Transfers durch Architektur. Ihren Slam-Vortrag eröffnet Weber mit einem selbst verfassten Gedicht.
„Wie kommt das Neue in die Architektur, und wie verbindet es sich mit dem, was bereits da ist, zu etwas Drittem?“, fragt sie. Weber versucht das Thema anhand der „Thaiwiese“ im Berliner Preußenpark zu erläutern, die ursprünglich als Picknick entstand und mittlerweile zum Open-Air-Restaurant mutiert ist. „Thailändische Frauen haben den Food Market aus ihrer Heimat in die deutsche Hauptstadt importiert und den bestehenden Preußenpark verändert“, erklärt die Forscherin. Das gehe nur mit klaren Strukturen und genauen Handlungsabläufen. Um diese Regeln klar darzustellen, präsentiert sie die „Thaiwiese“ als Brettspiel und begeistert damit das klatschende Publikum. Weber endet mit einem Gedicht. Das Publikum stimmt ein. 200 Stimmen reimen „Afroshop und Shi-shabar“ auf „Karaokebar und Banja“ – zweifelsohne; das rhetorische Highlight des Abends. Am Ende kürt das Publikum per Applaus-Intensität die Siegerin. Folgerichtig gewinnt Anna Weber den Urban Slam mit deutlichem Vorsprung. Kammer-Vizepräsident Arns ist sich sicher: „Egal, wer gewonnen hat, heute gab es keine Verlierer.“ Das Format „Urban Slam“ soll weiter durch Nordrhein-Westfalen touren.
Die Slammer von Dortmund
Martin Bachem: Der Kölner, Jahrgang 1977, studierte an der Kunstakademie Düsseldorf. Sein Thema: Stadtplastik. Bachem forderte nichts weniger als eine Radikalisierung im deutschen Städtebau.
Andree Agapov, Julia Pütz, Björn Schwabe: Die drei Slammer traten als Forschungsteam der TH Köln auf und stellten das Thema „FAIRnetzte Stadt – Fair-Trade wirkt Flüchtlingsflut entgegen“ vor.
Isabel Finkenberger: Die Kölner Architektin sang in ihrem Beitrag eine Ode an „die Zusammenstadt“. Sie forderte „neue, große Ideen gesellschaftlicher Lebens- und Verhandlungsräume, in denen alle ihren Platz finden“.<
Christian Honstein: Er präsentierte seinen Entwurf „Neues Wohnen am alten Bergwerk Ost“ in Hamm-Wiescherhöfen. Mit seiner kleinteiligen Wohnbebauung baut der 28-Jährige die vorgefundene Stadt einfach weiter.
Anna Weber: Die Wissenschaftlerin von der RWTH Aachen beschäftigte sich mit kulturellen Transfers durch Architektur. Wie kommen sie zustande, welche Rolle spielen Selektion, Erfindung und Zufall? Mit ihren originellen Antworten gewann Weber den zweiten Urban Slam der AKNW.
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