Text: Eric Zimmermann
Eine Landschaftsarchitektin wurde als angestellte Sachbearbeiterin bei einem Landkreis in der Abteilung „Umwelt“, Sachgebiet „Wasserwirtschaft“ eingestellt. Zwei Monate später beantragte sie die Befreiung von der Pflichtmitgliedschaft in der Deutschen Rentenversicherung (DRV) zur Absicherung für die Altersversorgung beim Versorgungswerk. Die DRV lehnte die Befreiung ab und ebenso das Sozialgericht Dortmund. Dessen Begründung: Befreit werde nur, wer für seine Tätigkeit zwingend Kammermitglied sein müsse – und das sei bei der Sachbearbeiterin für Wasserwirtschaft nicht der Fall.
Doch das sieht das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen anders: Am 11. Juli 2016 (Az. L 3 R 877/13) entschied es zugunsten der Landschaftsarchitektin. Denn diese übe Tätigkeiten aus, die typisch für eine Landschaftsarchitektin seien. Nur das sei entscheidend – und nicht die Tatsache, dass im konkreten Fall die Tätigkeiten auch von einem Nicht-Landschaftsarchitekten ausgeübt werden könnten. Damit entschied das LSG – soweit ersichtlich – als erstes Gericht der zweiten Instanz über das Befreiungsrecht der Architekten. Diese insbesondere für Angestellte positive Entscheidung ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Zwar ließ das LSG keine Revision zu, doch könnte die DRV eine sogenannte Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundessozialgericht noch einlegen.
Das LSG stellt fest, dass es auf die Klassifikation konkret der Tätigkeit ankomme, für die eine Befreiung beantragt wird. Ausführlich geht es auf die gesetzgeberische Vorgabe ein, dass die Mitgliedschaft in einem Versorgungswerk „wegen“ einer Beschäftigung bestehen muss. Das LSG beruft sich dabei auch auf einen Fachaufsatz des Münchener Rechtsprofessors Richard Giesen (NZA 2014, 1297 ff.) und führt aus, dass ein Versicherter „nie wegen irgendeiner Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung ist“. Der Versicherte ist Mitglied des Versorgungswerkes, weil er Kammermitglied ist. Die Kammermitgliedschaft beruht wiederum auch nicht auf einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit, sondern laut Urteil des LSG „darauf, dass eine bestimmte Qualifikation erzielt wurde“. In die Architektenliste wird danach unter anderem derjenige eingetragen, der ein Studium mit einer mindestens vierjährigen Regelstudienzeit „für“ eine in den Architekten- und Baukammerngesetzen genannte Berufsaufgabe an einer deutschen Hochschule mit Erfolg abgeschlossen und danach in der jeweiligen Fachrichtung eine praktische Tätigkeit ausgeübt hat. Dem Wort „für“ kommt hier eine besondere Bedeutung zu: Voraussetzung des Listeneintrags ist demnach, dass eine Qualifikation „für“ eine Berufsaufgabe abgeschlossen wurde. Für die Befreiung kommt es also darauf an, ob die Klägerin, die die notwendige Qualifikation besitzt, bei ihrer beruflichen Tätigkeit die Berufsaufgaben einer Landschaftsarchitektin ausübt. Diese Berufsaufgaben, stellte das Gericht klar, finden sich im vorliegenden Fall in § 1 des Baukammerngesetzes von Nordrhein-Westfalen.
Das LSG nahm dabei insbesondere Bezug auf die Aufgabengebiete, die in der Stellenbeschreibung aufgeführt sind. Gesucht wurde dort ein Diplom-Ingenieur in der Fachrichtung Wasserwirtschaft, Landschaftspflege, Landschaftsarchitektur oder mit einer gleichwertigen Ausbildung. Der Sachgebietsleiter des Landkreises erklärte vor Gericht, dass er auch einen Landschaftsökologen eingestellt hätte. Entscheidend sei die persönliche Befähigung auf das Aufgabengebiet gewesen. Wesentlich wären folglich, so das Gericht, die Fähigkeiten der Bewerber für den beschriebenen Aufgabenbereich gewesen, nicht eine formale Qualifikation. Die Aufgabengebiete der Stelle gehören zu den Berufsaufgaben einer Landschaftsarchitektin, die von ihr auch genau ausgeübt werden sollen und ausgeübt werden.
Das Gericht stellte dann klar: „Dass die Eintragung in die Liste der Landschaftsarchitekten nicht Voraussetzung für die Ausübung der Tätigkeit der Klägerin ist und der Kollege der Klägerin, ein Wasserbau-Ingenieur, mit im Wesentlichen gleichen Aufgaben betraut ist, steht vorstehendem Ergebnis nicht entgegen.“ Denn: „Entscheidend ist, dass es sich bei der tatsächlich verrichteten Beschäftigung um die Erledigung typischer Aufgaben einer Landschaftsarchitektin nach Maßgabe des Baukammerngesetzes handelt.“ Natürlich gebe es Überschneidungen in der Aufgaben- und Tätigkeitsbeschreibung von Diplom-Ingenieuren für Landschaftsarchitektur, Landespflege oder Landschaftsplanung und Landschaftsarchitekten, doch ändere dies nichts daran, dass die Landschaftsarchitektin konkret Berufsaufgaben einer Landschaftsarchitektin ausübe.
Mehr Rechtssicherheit
Die Entscheidung ist richtig und konsequent. Wenn die Berufsaufgaben einer Landschaftsarchitektin in den jeweiligen Architekten- oder Baukammerngesetzen definiert sind und eine Landschaftsarchitektin diese auch konkret bei ihrer Arbeit erfüllt, dann übt sie die Tätigkeit der Landschaftsarchitektin aus. Ob nun ein Dritter, der nicht Landschaftsarchitekt ist, die gleichen Aufgaben verrichten könnte, ändert nichts daran, dass es sich um Berufsaufgaben einer Landschaftsarchitektin handelt. Es kann nicht zu ihren Lasten gehen, wenn diese Aufgaben auch von einem Nicht-Landschaftsarchitekten ebenso ausgeübt werden oder in einer Stellenanzeige für diese Tätigkeiten auch Nicht-Landschaftsarchitekten gesucht werden. Würde es tatsächlich auf die Tätigkeit als Landschaftsarchitekt Auswirkungen haben, dass Nicht-Landschaftsarchitekten Aufgaben eines Landschaftsarchitekten erledigen, würden die Berufsaufgaben der Architekten zur Makulatur ohne Relevanz und Aussagekraft.
Das LSG Nordrhein-Westfalen zitierte in seinem Urteil auch eine aktuelle Entscheidung des hessischen Landessozialgerichts. Dieses entschied am 28. April 2016 (Az. L 1 KR 347/15, nicht rechtskräftig) über das Befreiungsrecht bei Apothekern, dass bei einer Prüfung der tatsächlich ausgeübten Berufsaufgaben nicht nur die aktuellen kammerrechtlichen Normen, sondern sogar geplante Neuregelungen mit zu berücksichtigen sind. Bei seiner Bewertung stellte also das LSG Hessen auch auf zukünftige Neuregelungen ab, in denen weitere geplante berufliche Aufgaben aufgeführt werden. Insofern wird deutlich, dass die Berufsaufgaben, die von der DRV zu prüfen sind, keine statisch-unausweitbare Festlegung sind und nicht der Grundsatz gilt „Einmal festgelegt – für immer festgelegt“. Beachtung hinsichtlich der Ausübung der Berufsaufgaben findet bei der Bewertung vielmehr auch die technische, fachliche und innovative Dynamik, die bei Aufgaben- und Tätigkeitsfeldern von Berufen besteht und die zu Änderungen, Ergänzungen und Erweiterungen der Berufsaufgaben in den kammerrechtlichen Normen führen kann.
Für die Praxis besonders wertvoll sind die Ausführungen des LSG bezüglich der Stellenausschreibung. Auch wenn sich die Stellenanzeige zunächst nicht allein an Landschaftsarchitekten wandte, sondern zudem an Dritte, war für das Gericht allein maßgeblich und beachtlich, dass die Landschaftsarchitektin die berufsbezogenen Tätigkeiten tatsächlich ausübt. Ähnlich dürften Tätigkeitsangaben im Arbeitsvertrag bewertet werden. Hilfreich ist es freilich, wenn bereits dort konkret Berufsaufgaben des Architekten aufgeführt werden. Bindend sind sie aber nicht, da es allein darauf ankommt, was konkret ausgeübt wird.
Antragsteller sollten in ihrem Befreiungsantrag an die DRV ihre tatsächliche Beschäftigung und Tätigkeit so ausführlich es geht beschreiben und anhand der in den Architekten- und Baukammerngesetzen aufgeführten Berufsaufgaben gegenüberstellen. Entscheidend ist, was konkret, individuell und tatsächlich ausgeübt wird. Aus diesem Grund gibt die Entscheidung des LSG sowohl den befreiungsantragstellenden Architekten wie auch der DRV eine genaue Prüfungsanleitung an die Hand, wann ein Befreiungstatbestand gegeben ist. Im Ergebnis gilt: Wer von der DRV befreit werden will, muss als Architekt auch tätig sein. Wer aber als Architekt tätig ist, muss auch befreit werden.
Die Überprüfbarkeit der Bescheide wird mit der Anleitung des LSG einfacher, transparenter und nachvollziehbarer. Architektenkammern und Versorgungswerke beraten insbesondere angestellte Architekten zu denrechtlichen Vorgaben zur Befreiung. In der Bundesarchitektenkammer gibt es eine eigene Projektgruppe „Befreiungsrecht“, die vom nordrhein-westfälischen Kammerpräsidenten Ernst Uhing geleitet wird und die politisch sowie rechtlich die Thematik auf Bundesebene betreut. Eric Zimmermann ist Justiziar der Architektenkammer Baden-Württemberg.
Aufpassen beim Jobwechsel
Was ist beim Stellenwechsel zu beachten? Wenn Sie Ihre Stelle wechseln, sollten Sie bereits bei der Stellenanzeige darauf achten, ob explizit nach einer Architektin oder einem Architekten gesucht wird. Ist das nicht der Fall, können Sie sich im Bewerbungsgespräch danach erkundigen, ob hier Architektentätigkeiten ausgeübt werden und wie ein Verbleib im Versorgungswerk vom zukünftigen Arbeitgeber angesehen wird. Der Arbeitgeber kann Sie dadurch unterstützen, indem er Sie bereits im Arbeitsvertrag als Architektin/Architekt einstellt und dort die Arbeitsfelder anhand der Berufsaufgaben des Architekten- oder Baukammerngesetzes Ihres Bundeslandes aufführt. Ansonsten kann er auch eine detaillierte Stellenbeschreibung vornehmen, die auf die Ausübung der Berufsaufgaben eingeht. Es empfiehlt sich, frühzeitig die Rechtsberatung der Architektenkammern und Versorgungswerke in Anspruch zu nehmen.
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