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Innovativer Plattenbau

Ein Mannheimer Projekt zeigt die vielfältigen Gestaltungspotenziale heutiger Betonfertigteil-Fassaden.

01.12.20166 Min. Kommentar schreiben
Moderner Plattenbau: Das Eastsite VIII
Moderner Plattenbau: Das Eastsite VIII

Text: Alexander Grünewald

Öde, eintönig, billig – daran denken mit Blick auf ost-, aber auch westdeutsche Plattenbausiedlungen noch immer viele, wenn es um das Bauen mit Betonfertigteilen geht. Heute eröffnet die Bauweise jedoch ganz andere technische Möglichkeiten und animiert somit auch zum gestalterischen Experimentieren. Fischer Architekten aus Mannheim praktizieren dies bereits seit Jahren. Das Büro erhielt 2001 von der Stadt Mannheim den Auftrag, einen städtebaulichen Rahmenplan für ein neues Gewerbegebiet am City-Airport zu erstellen. Im weiteren Verlauf konnten die Architekten im Vorfeld des als „Eastsite“ bezeichneten Gebietes im Auftrag unterschiedlicher Bauherren zehn Gebäude errichten, bei denen sie Betonsandwich-Konstruktionen einsetzten. Damit entwickelte sich dieser Raum zu einem spannenden Versuchsfeld, das die Möglichkeiten des zeitgemäßen Plattenbaus auslotet.

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Die Gebäudehülle besteht aus 148 Betonsandwich-Elementen.

Betonsandwich-Elemente sind mehrschichtige, vorgefertigte Fassadenplatten, die aus einer Trag-, einer Wärmedämm- und einer Vorsatzschicht bestehen. Anders als bei vorgehängten Fassadenelementen, die nachträglich angebracht werden müssen, wird die Vorsatzschale hier gleich mitproduziert. Ein Element mit beispielsweise einer 14 Zentimeter dicken Innenschale, einer 10-Zentimeter-Dämmung und einer sechs Zentimeter dicken Vorsatzschale kann einen U-Wert von 0,27 W/m2K problemlos erreichen. Für den exakten Gesamt-U-Wert muss die Wirkung aller Platten der Fassade sowie der Fugen und des Ankersystems berücksichtigt werden. Zur Berechnung des U-Wertes der Gesamtfassade stehen auf www.fdb-fertigteilbau.de ein Berechnungsprogramm sowie ein Handbuch zum Download bereit.

Die neue 3-Schichten-Platte

Das aktuellste Mannheimer Objekt in Betonsandwich-Bauweise ist das im Juli dieses Jahres fertiggestellte Eastsite VIII. Das neue Sandwichsystem wurde gemeinsam mit dem  Glasfasergewebe-Hersteller solidian entwickelt. Die Dreßler Bau GmbH, die schon die Ensemble Eastsite I bis VII ausgeführt hat, produzierte die Betonelemente im eigenen Fertigteilwerk. Insgesamt wurden bei Haus Nummer acht genau 148 Elemente verbaut. Ihre Basis bilden drei bis zu 3,70 Meter hohe und 4,20 Meter breite, buchstabenförmige Grundtypen: ein T, ein I und ein umgedrehtes L. Christoph Suttrop, Vertriebsingenieur bei der Dreßler Bau GmbH: „Das Eastsite VIII ist ein absolutes Novum, und die Realisierung war nur möglich, weil Architekten, Fertigteilwerk, Betontechnologen und Bauphysik eng zusammengearbeitet und vorgeplant haben.“

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Die Vorsatzschale ist aus glasfaserbewehrtem Textilbeton mit einer anthrazitgrauen, gesäuerten Oberfläche.

Die Vorsatzschale besteht hier komplett aus glasfaserbewehrtem Textilbeton, der mit Glasfaserschubgittern an der Tragschale befestigt wurde. Diese Fertigungstechnik ermöglicht eine extrem dünne und wärmebrückenfreie Vorsatzschale mit einer Dicke von lediglich 30 Millimetern. Genutzt wurde ein Beton mit Festigkeitsklasse C50/60, der sonst nur beim Bau weit gespannter Brückenbauwerke oder hoch belasteter Hallendachträger aus Spannbeton eingesetzt wird. Die Verwendung des Textilbetons führte außerdem im Vergleich zu Stahlbeton zu einer Materialeinsparung von 70 Prozent; auch die Kosten für Produktion, Transport und Kranarbeiten ließen sich deutlich reduzieren. Dominik Wirtgen, Architekt und Büroleiter bei Fischer Architekten: „Für den Bauherrn ergibt sich zusätzlich noch ein Flächengewinn zwischen sieben und neun Zentimetern pro laufenden Meter. Das summierte sich beim Eastsite VIII insgesamt auf rund 30  Quadratmeter.“ Inklusive der Vorsatzschale ist das Sandwich-Element 41 Zentimeter dick; davon beanspruchen die Dämmung 16 und die tragende Schale 22 Zentimeter.

Zur Bewehrung der Vorsatzschalen können statt Glasfasern auch Carbongarne zu einem textilen Gelege verarbeitet werden. Aktuell wird dazu noch intensiv geforscht. So startete Anfang 2014 etwa das interdisziplinäre Projekt C³ (Carbon Concrete Composite, Carbon-Beton-Verbund), eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Gemeinschaftsinitiative mit 130 Partnern aus den Bereichen Forschung, Industrie und Verbände. Andere Institutionen, wie das DZT Deutsches Zentrum für Textilbeton der TU Dresden oder das Kompetenzzentrum Textilbeton der RWTH Aachen, forschen ebenfalls in diese Richtung. Von den Ergebnissen erhofft man sich ebenso wie beim Glasfaserbeton vor allem erhebliche Materialeinsparungen und eine längere Lebensdauer der Betonelemente.

Eastsite VII
Eastsite VII

Sichtbeton in verschiedenen Varianten

Die Fassade prägen hier an Leiterplatinen erinnernde Piktogramme, die die digitalisierte Arbeitswelt symbolisieren sollen.
Die Fassade prägen hier an Leiterplatinen erinnernde Piktogramme, die die digitalisierte Arbeitswelt symbolisieren sollen.

Die ganz unterschiedlichen Fassaden des Eastsite-Quartiers machen die gestalterische Vielfalt möglicher Oberflächen der Vorsatzschale besonders deutlich. Beim Eastsite VIII ziert die Elemente ein in Anthrazitgrau gehaltener und gesäuerter Beton. Beim 2015 fertiggestellten Eastsite VII setzten die Architekten dagegen einen ganz anderen Akzent: Gemeinsam mit der Künstlerin Margret Eicher entwarfen sie eine weiße Sichtbetonfassade, deren an Leiterplatinen erinnernde Piktogramme die Außenhülle des Neubaus prägen. Das plastische Bildwerk erstreckt sich großformatig über die gesamte Fassade und soll die digitalisierte Arbeitswelt repräsentieren. Dafür wurden bei der Produktion der Fertigteile individuell hergestellte und wiederverwertbare Matrizen in den Beton eingelegt. Wegen der schwierigen Geometrie mussten die Eck­elemente der Fassade mehrfach statisch und baukonstruktiv neu durchdacht werden. Um die hohe Qualität der Oberflächen zu gewährleisten, erforderten sowohl die Matrizen als auch die Wahl der Schalungen und Trennmittel einen sorgfältigen ­Versuchsvorlauf.

Ob Rippen, Wellen oder Ornamente: Matrizen bieten ein hohes Gestaltungspotenzial...
Ob Rippen, Wellen oder Ornamente: Matrizen bieten ein hohes Gestaltungspotenzial…

Auf der Fassade der Eingangszone des Eastsite VII sind zwei ineinander verschlungene Ringer dargestellt, die einen fairen, aber harten Wettkampf symbolisieren sollen. Realisiert wurde das sechs mal acht Meter große Bild mittels Fotobeton. Hierbei wird das gewünschte Motiv in eine gerasterte Hell-Dunkel-Vorlage umgewandelt und mit einem Fotobetonlack, der sich auf den schwarzen Stellen des Rasters befindet, auf eine Trägerfolie gedruckt. Die Trägerfolie wird auf den Beton aufgebracht und ein Kontaktverzögerer im Lack verhindert das Aushärten des Betons – den Schattierungen des Fotos entsprechend. Danach wird die Trägerfolie entfernt; der Fotobetonlack und die obersten Schichten des Betons werden mit Wasser ausgewaschen. Die freigelegten Konturen und die reliefartige Oberfläche erzeugen dann das Bild.

... und können bis zu 100 Mal wiederverwendet werden.
… und können bis zu 100 Mal wiederverwendet werden.

Weitere Möglichkeiten für die Gestaltung

Die Piktogramme an den Eastsite-VII-Fassaden sind nur eine von vielen Oberflächenstrukturen und -formen, die sich mithilfe von Matrizen realisieren lassen. Möglich sind ebenso geometrische Figuren mit 3D-Effekten und tiefen Schattenwürfen, Wandreliefs mit floralen Motiven, orientalische Muster und Rauten, Rippen- und Wellenformen oder Schriftzeichen. Sogar filigrane Zeichnungen und andere Individualfiguren sind in der Sichtbetonfassade machbar. Bis 100 Mal sollen nach Herstellerangaben die Matrizen

dabei wiederverwendet werden können. Eine weitere Gestaltungsoption eröffnet der Einsatz unterschiedlicher Gesteinskörnungen aus Naturstein sowie von Sanden. Außerdem ist eine mechanische und chemische Behandlung möglich: Ausgehärtete Betonelemente werden etwa durch Strahlen mit Sand oder Glasperlen, Schleifen, Bossieren, Stocken, Polieren, Wachsen, Lackieren, Auswaschen oder Säuern nachträglich bearbeitet.

Dipl.-Ing. Alexander Grünewald ist Bau­berater beim InformationsZentrum Beton in Ostfildern.

Weiterführende ­Informationen
Merkblätter Nr. 1–8: Sichtbetonflächen von Fertigteilen aus Beton und Stahlbeton, FDB Fachvereinigung Deutscher Betonfertigteilbau e.V., www.fdb-fertigteilbau.de

C3 Carbon Concrete Composite, www.bauen-neu-denken.de

DZT Deutsches Zentrum Textilbeton, www.textilbetonzentrum.de

Kompetenzzentrum Textilbeton, www.textilbeton-aachen.de

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