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Zur Stadt geöffnet

Die Kirche im Dorf lassen: Zwei preisgekrönte Umbauten von Kirchen der 1960er-Jahre zeigen, wie Gemeinden und Baukultur gewinnen können

01.12.20166 Min. Kommentar schreiben
Bochum: In der neuen Friedenskapelle sitzen die Gläubigen einander gegenüber.
Bochum: In der neuen Friedenskapelle sitzen die Gläubigen einander gegenüber.

Text: Stefan Kreitewolf

Bochum, Stadtteil Stahlhausen, Ende Oktober 2016. Graue Wolken gehen über in graue Dächer grauer Mietskasernen über grauen Straßen. Mittendrin erhebt sich ein zumindest teilweise weißes Gebäude: das „Q1– Eins im Quartier – Haus für Kultur, Religion und Soziales im Westend“.

Der Flur ist auf Begegnung angelegt.
Der Flur ist auf Begegnung angelegt.

Das Stadtteilzentrum, eine ehemalige Kirche, ist der Lichtblick im sonst so kargen Stahlhausen. „Das Q1 hat hier viel verändert“, sagt der evangelische Gemeindepfarrer Holger Nollmann. Und es hat viel Anerkennung gefunden – nicht zuletzt beim Gewinn des Gewinner des Wettbewerbs „Kirchengebäude und ihre Zukunft – Sanierung, Umbau, Umnutzung“ der Wüstenrot-Stiftung.

Von außen erinnert das Q1 an die industrielle Geschichte des Stadtteils.
Von außen erinnert das Q1 an die industrielle Geschichte des Stadtteils.

Geblieben, wie er war, ist der offene Kirchturm aus zwei schräg gestellten Sichtbetonscheiben. In der Spitze hängt die Glockenstube. Das ist seit dem Wiederaufbau bis 1969 durch Walter Arns, Louis Buderus senior und Arnold Rupprecht so. Dreißig Jahre später musste das eigenständige Gemeindehaus aufgegeben werden. Das Architekturbüro soan, geführt von Gido Hülsmann und Dirk Boländer, verlegte in einer ersten Baumaßnahme im Jahr 2000 den Gemeinderaum aus dem verpachteten Gemeindehaus unter die Empore der Kirche und trennte ihn zum Gottesdienstraum mit Glaselementen und Paravents aus Edelstahlgewebe ab.

2010 trug auch dieses Konzept nicht mehr. In dieser Situation bot der Stadtumbau im Bochumer Westend die Chance, durch eine inhaltliche Neuausrichtung die Schließung oder gar den Abbruch der Kirche zu vermeiden. Die evangelische Gemeinde verständigte sich mit dem „IFAK – Verein für multikulturelle Kinder- und Jugendhilfe“. Gemeinsam übernahmen sie die Trägerschaft für ein interreligiöses Stadtteilzentrum. Wiederum bauten soan Architekten die Kirche um. „Bund, Land und Stadt investierten 1,8 Millionen Euro“, berichtet Pfarrer Nollmann.

Architekt Dirk Boländer erklärt die neue Nutzung: „Die Friedenskapelle mit ihrer christlich geprägten Gestaltung steht nun als Raum der Stille mit Platz für 20 bis 60 Personen allen Religionen offen. Im restlichen früheren Kirchensaal und in einem Neubautrakt wurden Gruppenräume, Büros und eine Cafeteria eingerichtet.“ Die Kirche ist nicht entwidmet; der „Raum der Stille“ dient Gottesdiensten und dem Austausch über spirituelle Fragen – nicht nur unter Christen. Dieser Raum bildet weiterhin den Kern der Anlage. In dem hellen und modern ausgestatteten Raum sitzt man einander gegenüber wie an einem Tisch. Pfarrer Nollmann ergänzt: „Außerdem finden Sprach- und Integrationskurse, Hausaufgabenhilfen und vieles mehr statt.“

Der eingeschossige Anbau ist winkelförmig um die Kirche gelegt und zur Straße hin großflächig verglast. Dahinter ist die äußere Erscheinung der Friedenskirche erhalten geblieben. Die variantenreichen Räume bieten Platz für zwei bis 200 Personen. Der Raum der 1990er-Jahre unter der Empore blieb erhalten; der ehemalige Kirchenraum ist nun Bürgersaal.

Der Hof dient als Freifläche für Veranstaltungen; an seinem hinteren Ende ist im ehemaligen Küsterhaus ein Jugendtreff eingerichtet worden – bewusst mit einem gewissen Abstand zum Haupthaus. Das Erscheinungsbild des Stadtteilzentrums erinnert an die Industriegeschichte des Stadtteils Stahlhausen – dunkle ­Fassadenklinker, geschliffene Estrichböden, Sichtbeton-Decken. Die Architektur des Q1 sei gezielt auf Begegnung und Dialog ausgelegt, sagt der Pfarrer. Mit seinem Erscheinungsbild nehme das Stadtteilzentrum Bezug auf die industrielle Geschichte Stahlhausens – dunkle Fassadenklinker, geschliffene Estrichböden, Sichtbeton-Decken und Reminiszenzen an Zechenhallen und Stahlwerke in der Fassade aus Glas und Metall. Pfarrer Nollmann: „Im Q1 begegnen sich heute Christen und Muslime – wie damals unter Tage oder an den Hochöfen.“

Olpe: In der Außenansicht zeigt sich die neue Kirche transparent.
Olpe: In der Außenansicht zeigt sich die neue Kirche transparent.

Unterteilung in Olpe

Die Schrumpfung der Gemeinde bedrohte auch die katholische Heilig-Geist-Kirche von Olpe-Rüblinghausen im Sauerland. „Wir wollten sie aber nicht verkaufen oder abreißen“, sagt Pfarrer Clemens Steiling. Er ­befürchtete durch den Verkauf einen Identitätsverlust für die Gemeinde. So ließ er bauen. Die Gläubigen ­bekamen für 3,4 Millionen Euro eine umgebaute und erneuerte Kirche, geplant von Schilling Architekten aus Köln. Auch hierfür gab es den Preis der Wüstenrot-­Stiftung.

Das spiegelt sich auch im offenen Innenraum wider.
Das spiegelt sich auch im offenen Innenraum wider.

Die 1967 vom Dortmunder Architekten Theo Schwill erbaute Kirche bot Platz für etwa 450 Besucher. Nach dem Umbau ist sie in mehrere Räume unterteilt: Eine Eingangshalle über mehrere Ebenen, Gemeinderäume in den unteren Geschossen und den Kirchraum mit 150 Plätzen darüber.

Bisher war die Kirche klassisch frontal zum Altar hin ausgerichtet.
Bisher war die Kirche klassisch frontal zum Altar hin ausgerichtet.

Dessen hallenartige Struktur aus den 1960er-Jahren ist erhalten geblieben, aber die liturgische Ausstattung wurde neu angeordnet: Der Altar ist in die Mitte des Raumes gerückt und die Kirchenbänke und Stühle sind um ihn herum gruppiert. Der Umbau war auch technisch nötig, wie Michael Ohm verdeutlicht, der von Beruf Architekt ist, im Kirchenvorstand sitzt und das Projekt begleitete: „Die 1967 gebaute Kirche hatte erheblichen Renovierungsbedarf, und die immensen Energiekosten hätten der Gemeinde die Haare vom Kopf gefressen.“ Michael Zinnkann von Schilling Architekten, der das Projekt als Bauleiter betreute, ergänzt: Pro Jahr sei eine enorme Menge an Heizöl nötig gewesen. „Nach dem Umbau sind die Unterhaltskosten weitaus geringer“, sagt Zinnkann. Er ließ eine moderne Fußbodenheizung verbauen und sorgte auch gestalterisch für Veränderung.

Kirchenerhalt als Identitätsfrage

„Das Konzept einer offenen Kirche war dabei Programm – sichtbar im Inneren wie nach außen“, erläutert Zinnkann. Das ehemalige Pfarrzentrum, das zuvor die Kirche und den Turm teils umschloss, wurde zurückgebaut. So entstand ein Freiraum, der von allen Ebenen aus direkt zugänglich ist und auf Straßenniveau einen zentralen Vorplatz mit frei stehendem Kirchturm bildet. „Die neue Eingangshalle verbindet terrassenartig die unterschiedlichen Ebenen des Gebäudes“, sagt Zinnkann.

Schon bei Betreten der Eingangshalle vom neu geschaffenen Vorplatz aus schaut der Besucher direkt in die am Hang gelegene Kirche hinein. Über die Treppe oder mit dem Aufzug gelangt er hinab zu den Gemeinderäumen. „Dort findet man nun den passenden räumlichen Rahmen für Gemeindeveranstaltungen, Ausstellungen oder auch einfach das Glas Sekt nach einem Trauungsgottesdienst. Zudem bietet sich von hier ein toller Ausblick in die Landschaft“, erläutert der Architekt.

Die Kirche öffne sich so dem Besucher und lade zum Verweilen ein. Pfarrer Steiling pflichtet Zinnkann bei: „So, wie sich die Gemeinde in ihrem Selbstverständnis neu orientiert hat, so öffnet sich auch das Kirchengebäude zur Stadt hin.“ Die neue Raumgestaltung führt diesen offenen Charakter von bodentiefen Fenstern bis zum zentral angeordneten Altar auf einer Insel aus Eichenholzbohlen fort.

Bleibt die Frage, warum sich das Erzbistum Paderborn angesichts des demografischen Wandels und zurückgehender Katholiken-Zahlen eine solch kostspielige Renovierung leistet. „Das ist wichtig für die Identität der Gemeinden. Kirchen sind für uns sehr wichtig – das gilt mit Einschränkung auch für die in den Dörfern“, erklärt Pfarrer Steiling. Kurz: Das Erzbistum will die Kirche im Ort lassen.

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