Text: Christoph Gunßer
Ein leer gefegter Wohnungsmarkt, horrende Baulandpreise – Unterkünfte für anerkannte Flüchtlinge zu schaffen, schien in München unmöglich. Da die Stadt soziale Gettos am Stadtrand vermeiden will, suchte sie im eigenen Besitz nach bebaubaren Restächen in Quartieren, für die sie rasch Baurecht schaffen kann. Ihre Grünflächen verteidigten Anwohner aber hartnäckig gegen die Nachverdichtung. So nahm die Stadtverwaltung schließlich Parkplätze ins Visier.
Anfang 2016 erklärte Oberbürgermeister Dieter Reiter mit einem Sofortprogramm den „Wohnungsbau für alle“ zur Chefsache und beauftragte den Münchener Architekten und Bauko-Professor Florian Nagler mit einer Machbarkeitsstudie für den Parkplatz auf städtischem Grund am Dantebad im Stadtteil Gern. Der Architekt war mit der Aufgabenstellung vertraut, hatte er doch für den Unternehmer Ernst Böhm bereits Testentwürfe für aufgeständerte Wohnbauten über Parkplätzen angefertigt, die seither auf ihre Erprobung warteten.
Mit Unterstützung des Oberbürgermeisters nahm die Idee nun Fahrt auf: Sechs Wochen nach Beginn der Machbarkeitsstudie war die Bauvoranfrage eingereicht, und sofort nach dem Stadtratsbeschluss startete die kommunale Gewofag die Ausschreibung – hier kam als GU die Firma des Unternehmers Ernst Böhm zum Zuge. Von der Einreichung der Unterlagen bis zur Erteilung der Baugenehmigung vergingen gerade einmal zwei Wochen; bis zur Schlüsselübergabe im Dezember brauchte das „Turboprojekt“ dann nur sechs Monate.
Konstruieren nach Stellplatz-Logik
Auf das 4.200 Quadratmeter große Areal wurde ein rund 110 Meter langer und zwölf Meter tiefer Baukörper gesetzt, geradlinig und schnörkellos – „Kranbahnarchitektur“ nannte man das früher. Städtebaulich macht das an dieser Stelle durchaus Sinn, denn auch die Nachbarbebauung aus den 1920er-Jahren besteht aus langen, linearen Raumkanten. 107 der zuvor 111 Parkbuchten konnten erhalten werden. Über den Stellplätzen erhebt sich der viergeschossige Holzhybridbau in kompromissloser Einfachheit. Wohnungstüren reihen sich an vier Laubengängen aneinander. Die Parkplätze prägen das Gebäuderaster: Ein Stützenpaar rahmt jeweils drei Stellplätze in der Länge, zwei in der Breite ein. Dieses Raster zogen die Architekten hoch: Nun ging es darum, „wie wir mit den Wohnungen zurechtkommen“, so Projektleiter Tobias Pretscher. Jeweils zwei bis drei Wohnungen passen in das Raster – es gibt 86 Wohnungen mit 24-31 Quadratmetern und 14 Wohnungen mit 50 Quadratmetern. Die mittlere Wohnung springt jeweils zum Laubengang hin zurück, sodass ein geschützter Vorraum entsteht. Die Grundrisse sind dreizonig organisiert, mit Küchen zum Laubengang, innen liegendem Bad und einem Wohn-/Schlafraum gen Süden.
Der aufgeständerte Stadtbaustein berührt den Grund nur mit zwei Treppenhäusern und den Kopfbauten, in denen wohlgeformte Gemeinschaftsräume (im Süden) sowie Nebenräume untergebracht sind. Sogar die Rundung des „Groundscrapers“ folgt dabei der Stellplatz-Logik, indem sie den Wendekreis der Autos nachzeichnet.
Rohbau gleich Ausbau
Der Neubau wurde schnell und quasi industriell gefertigt – was durchaus an Verfahren der Sechzigerjahre erinnert. Das Erdgeschoss ist konstruktiv als „Tisch“ ausgebildet. Es setzt sich aus Stahlbetonstützen und verfüllten Fertigteilen zusammen. Auch die Laubengänge fügte man aus Betonelementen, da hier eine F90-Konstruktion nötig war. Der Rohbau dauerte zweieinhalb Monate.
Die Wohnungen wuchsen darüber binnen acht Wochen im Taktverfahren: Rohbau und Ausbau sind teilweise identisch – die Brettstapeldecken blieben sichtbar – oder folgten nahtlos aufeinander. Fast zehn Meter lange Fassadenabschnitte, aber auch die identischen, voll installierten Bäder und die Treppenläufe kamen vorgefertigt auf die Baustelle und mussten nur noch zusammengefügt werden. Die Baukosten betrugen 2.004 Euro pro Quadratmeter Wohnäche brutto in den Kostengruppen 3 und 4, für die Phasen 1-7 waren es 2.734 Euro, was für den kargen Standard nicht spektakulär günstig, aber einem Pilotprojekt angemessen ist. Die Architekten konnten sogar Holzfenster durchsetzen.
Vom Feindbild zum Vorbild
Das Raumprogramm sah zunächst ausschließlich Kleinstwohnungen für anerkannte Asylbewerber vor. Unter dem Druck der Anwohner, die ein Getto alleinstehender fremder Männer fürchteten, änderte die Stadt den Wohnungsschlüssel und die Belegungsplanung: Eine Hälfte der Wohnungen wird nun an soziale Härtefälle vergeben. Diese Mieter wurden durch eine Belegungskommission handverlesen – es handelt sich überwiegend um Frauen; aber auch Familien fanden eine Unterkunft. Offenbar gefielen die Minimalgrundrisse nicht jedem – selbst Alleinstehende hätten nämlich Anrecht auf 43 Quadratmeter. Je nach Förderstufe beträgt die Kaltmiete 5,75 bis 9,40 Euro/m².
Bislang ist es im Gebäude fast zu ruhig: Die Gemeinschaftsräume werden noch kaum genutzt. Man lebt trotz der Enge introvertiert. Eine Aneignung könnte der strenge, robuste Bau durchaus vertragen. Vielleicht trauen sich die Bewohner noch nicht so recht aus der Deckung. Denn „Wohnen für alle“ war im Vorfeld umstritten. „Hier wird München jetzt zugebaut“, schrieb zum Beispiel das Boulevardblatt „Merkur“. Nun, da das „Stelzenhaus“ fertig und auch baulich akzeptiert ist, reklamieren viele die Vaterschaft für das Projekt und fordern mehr derartige Planungen.
Mehr Stelzenhäuser vor Aldi und Co!
Auch die großen Parkplatzächen vor Discountern und Schulen böten Platz für neuen Wohnraum. Von Aldi heißt es dazu, man sei grundsätzlich offen für Wohnungen über dem Parkplatz: „Wir beschäftigen uns aktuell intensiv damit. Die Mehrheit unserer Filialen liegt aber in Gewerbegebieten, in denen der Bau von Wohnanlagen nicht gestattet ist.“
Es fehlen indes nicht nur Wohnungen. Auch Büros, Ateliers, Galerien, sogar Spielplätze und Grünanlagen ließen sich aufgeständert errichten. Auch Parkhäuser wurden schon mit anderen Nutzungen überbaut. Doch in München gibt es noch kein Folgeprojekt: Die restlichen 3.000 Wohnungen „für alle“ werden bodenständig geplant – und sind entsprechend umstritten.
Der Weg des geringsten Widerstandes führt aber wohl unweigerlich auf Parkplätze, nicht nur in München: Schätzungen zufolge gibt es in Westeuropa etwa 300 Millionen öffentliche Parkplätze, davon liegen über 80 Prozent im öffentlichen Raum. Dass man diese durchaus zugunsten anderer Nutzungen reduzieren könnte, ist ein ironischer Seitenstrang der Geschichte des Pilotprojekts am Dantebad. Um dieses zu ermöglichen, reduzierte die Stadt den Stellplatzschlüssel des Projekts von bisher üblichen 1,0 auf 0,2 pro Wohnung – was in so gut erschlossenen Lagen generell sinnvoll wäre. Kaum jemand braucht in München eben unbedingt ein Auto.
Christoph Gunßer ist freier Fachautor. Er lebt in Bartenstein (Baden-Württemberg).
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