Wohin entwickelt sich der EU-Binnenmarkt für Architekten? Das von der Europäischen Kommission im Januar vorgelegte „Dienstleistungspaket“ bietet viel Zündstoff. Für den Berufsstand hätte es große Auswirkungen: Den Mitgliedstaaten soll vorgeschrieben werden, wie sie zu prüfen haben, ob eine Berufsregulierung verhältnismäßig ist. Ferner will die Kommission die Möglichkeit haben, an sie gemeldete neue Gesetze, die Zugang und Ausübung des Berufs regeln, ohne Zustimmung des Mitgliedstaats auszusetzen. So würde die nationale Gesetzgebungshoheit beschnitten.
Eine neue „Dienstleistungskarte“ – ein elektronisches Genehmigungsverfahren – soll die grenzüberschreitende Tätigkeit von Dienstleistern wie Architekten erleichtern. Was aus Sicht deutscher Architekten, die gerne im Ausland tätig sind, erst mal gut klingen mag, hat einen großen Nachteil: Deutschland verlöre im gleichen Zug die Möglichkeit, die eigenen Anforderungen an die Qualikation hier arbeitender Architekten oder an den Verbraucherschutz durchzusetzen. Knappe Fristen würden die Kontrolle der „Karte“ erschweren. Widerspräche die zuständige Behörde, voraussichtlich die Kammer, nicht innerhalb weniger Wochen, würde dem Antragsteller unabhängig von seiner Qualikation automatisch genehmigt, in Deutschland Architektenleistungen zu erbringen. Diese faktische Einführung des Herkunftslandprinzips durch die Hintertür lehnt die BAK ab. Die qualitätssichernden Aufgaben der Kammern wären damit ausgehöhlt.
Über die Gesetzesvorschläge wurde daher Mitte September beim Europaseminar der BAK in Berlin aus verschiedenen Perspektiven lebhaft diskutiert. Zu den rund 50 Teilnehmern gehörten neben BAK-Gremienvertretern auch Repräsentanten von Mitgliedsorganisationen des europäischen Dachverbands Architects’ Council of Europe sowie anderer berufspolitischer Verbände. „Der Berufsstand sieht die Initiativen des Dienstleistungspakets wegen der Eingriffe in nationale Gesetzgebungskompetenzen und das Kammerwesen sehr kritisch“, so Ralf Niebergall, BAK-Vizepräsident für Europa und Internationales. „Qualitätssicherung und Verbraucherschutz sind nicht verhandelbar.“ Der Berufsstand beanstandet besonders die eindimensional wirtschaftliche Betrachtung und die einseitigen Deregulierungsziele der Kommission, die meint, so das Wachstum anzukurbeln und Arbeitsplätze zu schaffen – und unter anderem das Kammerwesen und die Honorarordnung als „ungerechtfertigte Regulierung“ angreift.
Falsche Schlussfolgerungen
Zurzeit werden die Details des Dienstleistungspakets im Ministerrat und im Europäischen Parlament in Brüssel beraten. Zwei der Gesetzesvorschläge, die die Meldepficht für neue Gesetze sowie die Verhältnismäßigkeitsprüfung betreffen, konnten zuvor deutlich abgeschwächt werden. Entsprechend unterstrich die Vertreterin des Ministeriums für Wirtschaft und Energie, Kirstin Pukall, im Europaseminar, Deutschland habe seine Anliegen – und somit auch die der Architekten – großteils erfolgreich eingebracht. Da auch andere Mitgliedstaaten die Vorschläge aufgrund der geplanten schweren Eingriffe in die Souveränität und Gesetzgebungshoheit als ungeeignet kritisieren, hatten auch Bundesrat und Bundestag Subsidiaritätsrügen ausgesprochen. Die nun im Ministerrat erreichte Position kommt den Bedenken entgegen, indem sie die Rechte der Mitgliedstaaten und ihrer Behörden wie der Kammern stärkt. Wenn nun das EU-Parlament seine Position gefunden hat, können Rat, Parlament und Kommission die sogenannten Trilog-Verhandlungen beginnen, in denen der endgültige Kompromiss festgelegt wird. Bei dem Vorschlag zur Dienstleistungskarte sei allerdings nicht mit einer schnellen Einigung zu rechnen, so Pukall. Die 48 Seiten Fragen der Mitgliedstaaten an die Kommission dazu wurden noch nicht befriedigend beantwortet.
Für die EU-Kommission unterstrich Patrick Lobis, Referent in der Kommissionsvertretung in Berlin, das Thema sei oftmals sehr technisch, aber ihr liege viel daran, alle Betroffenen einzubinden. Er zitierte den früheren Kommissionspräsidenten Jacques Delors: „Niemand verliebt sich in einen Binnenmarkt.“ Ian Pritchard, Generalsekretär des Architects’ Council of Europe, wies hingegen auf die Schwierigkeit hin, dass die nationalen Systeme für Architekten unterschiedlich seien, die Kommission aber einen Indikator anwende, der die Unterschiede nicht ausreichend berücksichtige. Dies führe zu falschen Ergebnissen und falschen Schlussfolgerungen. Um hier klarer zu sehen, hat das in den Verhandlungen um das Dienstleistungspaket federführende Wirtschaftsministerium seit Anfang des Jahres mehrere Anhörungen und Gespräche mit den betroffenen Verbänden durchgeführt. In der aktuellen Diskussion in Berlin wurde deutlich, dass die berufspolitische Beratung und Interessenvertretung vom Ministerium sehr ernst genommen wird und eine wichtige Rolle bei der Festlegung der deutschen Position im Rat spielt.
Brigitta Bartsch leitet das Verbindungsbüro der BAK in Brüssel.
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