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[ Interview ]

„Ich muss wissen, wie die Erbauer gedacht haben“

Wenn ein altes Haus an seinem Standort keine Zukunft hat, kann man es mit weinendem Auge abreißen – oder Stück für Stück an einen neuen Ort versetzen. Bernd Jäger und seine Brüder haben sich darauf spezialisiert.

Bernd Jäger: Geschäftsführer der JaKo Baudenkmalpflege GmbH, Präsident der Bundesvereinigung „Restaurator im Handwerk“ und Mitglied im Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz.

Interview: Brigitte Schultz

Herr Jäger, mit Ihrem Betrieb haben Sie inzwischen über 100 historische Gebäude „transloziert“, also an einen anderen Standort versetzt. Wie wird man Spezialist dafür?

Das kann man nicht planen. Meine zwei Brüder und ich sind da reingewachsen. In den Achtzigern suchte ein benachbartes Freilichtmuseum jemanden, der eine neue Technik aus Amerika anwendet. Dort versetzte man schon komplette Wände statt einzelner Bauteile. Unser Vater war als Zimmerermeister im Denkmalschutz aktiv und bereit, das zu versuchen. So hat er das Translozierungssystem, wie man es heute aus Freilichtmuseen kennt, mit aufgebaut.

Arbeiten Sie heute noch nach dem System Ihres Vaters?

Wir haben das sukzessive weiterentwickelt. Inzwischen beschäftigen wir neben Handwerkern auch Ingenieure und Architekten. So können wir von der Planung über die denkmalp‡flegerische wissenschaftliche Betreuung bis zur Ausführung alles anbieten.

Wie muss man sich so eine Translozierung konkret vorstellen? Versetzen Sie das Haus inzwischen an einem Stück?

Das ist eine Frage der Logistik. Wir haben schon einige Häuser am Stück versetzt, etwa ein Quelle-Fertighaus in ein Museum (siehe dazu auch Damals im Fertighaus“). Gerade kam eine Anfrage aus Hamburg für einen Leuchtturm. Da könnte die Höhe ein Problem sein. Aber wir versuchen immer, möglichst wenig zu schneiden.

Ein Haus zieht um: Die Gebäude werden in Einzelteile zerlegt und am neuen Standort wieder aufgebaut.

Und wenn Sie schneiden müssen?

Beim Fachwerk liegen die Schnittstellen durch die Verzapfung der einzelnen Hölzer fest. Schwieriger ist Mauerwerk. Da de–finieren wir Schnittkanten und schneiden die Wand vertikal und horizontal mit einer speziellen Sägetechnik. Ich verliere dann die Stärke des Sägeblatts an Material.

Wie gehen Sie mit der Statik um?

Wir trennen ein Gebäude zum Beispiel nie am Eck, weil die Ecke für die Tragfähigkeit enorm wichtig ist. Neben der Statik ist aber auch die wissenschaftliche Komponente relevant. Wenn an einer Wand ein Fresko ist, schneide ich das natürlich nicht durch.

Die Gebäude werden auseinandergeschnitten, verpackt und in eine der JaKo-Hallen transportiert.
So sieht der Transport dann aus.

Und wie kommen die Nahtstellen wieder zusammen?

In die Schnittkanten wird über die ganze Wandhöhe ein Keil eingeschnitten, der mit Stahlbeton verfüllt wird. Das ist nachher von außen nicht sichtbar.

Bauen Sie die Gebäude immer nahtlos ab und sofort woanders wieder auf?

Nein. Wenn wir nicht nur versetzen, sondern auch restaurieren, haben wir ein spezielles System entwickelt: Wir bauen das Haus in einer unserer Hallen „1:1„ wieder auf und restaurieren es dort. Wenn alles – bis vielleicht auf den Feinputz – fertig ist, wird es wieder zerlegt und an ein, zwei Tagen an seinem neuen Standort wieder aufgebaut.

Die Gebäude werden zunächst in der Werkshalle wieder aufgebaut und restauriert.

Warum bauen Sie es in der Halle wieder auf, anstatt gleich am neuen Standort?

Dadurch minimieren wir Kostenrisiken wie das tägliche Auf- und Abplanen auf der Baustelle, aber auch die gesamte Logistik. So können wir präzise kalkulieren und unsere Leistung zu einem festen Preis anbieten. Und wir können auch Gebäude einlagern. Denn es kommt vor, dass ein Gebäude einige Jahre bei uns liegt, bis die Gelder für den Wiederaufbau beschaffŽt sind oder ein geeignetes Grundstück gefunden ist.

Welchen Zustand lagern Sie ein?

Den Ursprungszustand. Die Hallen sind komplett klimatisiert, sodass das Gebäude nicht weiter verfällt. Direkt bevor es an einen neuen Standort kommt, wird es in der Halle aufgebaut und restauriert.

Warum bauen Sie es komplett wieder auf und restaurieren nicht die Einzelteile?

Die Dreidimensionalität ist wichtig. Historische Gebäude haben ja keinen rechten Winkel: Häufi’g sind Wände, Balken und so weiter schief und krumm, das kann ich nur im räumlichen Zusammenhang nachvollziehen. Sonst passt am Ende nichts mehr.

Nutzen Sie digitale Hilfsmittel, um zuordnen zu können, was an welcher Stelle war?

Ja. Vor dem Zerlegen machen wir ein 3•-D-Aufmaß mit dem Laser-Scanner. Aus dem 3•-D-Modell erstellen wir Grundrisse und Ansichten. Alle Trennungen werden in diese Bestandspläne eingezeichnet und archiviert. Alle Gebäudeteile werden katalogisiert. Zu jeder Wandnummer gehört beispielsweise der Ort, wo die Wand stand, und das Gewicht; das ist für den Transport und den Wiederaufbau wichtig.

Wer leistet sich diesen Service?

Großteils Freilichtmuseen. Aber alle paar Jahre versetzen wir auch Häuser für Privatleute. Letztens haben wir in Hamburg eine Gründerzeitfassade abgenommen und werden sie an gleicher Stelle wieder aufbauen, wenn der Neubau dahinter fertig ist.

Warum hat man die Fassade nicht vor Ort gesichert, wenn sie dort bleiben soll?

Das war nicht möglich, weil die Straße als Zufahrt zu einer Botschaft frei bleiben musste. Es hatte aber auch für die Bauarbeiten große Vorteile, dass die Fassade aus dem Weg war. In der engen Baulücke wäre der Neubau hinter der bestehenden Fassade ganz schön kompliziert geworden.

Sie beschäftigen sechs Architekten. Wie sieht deren tägliche Arbeit aus?

Unsere Architekten begleiten sowohl die Translozierung als auch die Restaurierung. Sie bearbeiten sämtliche Leistungsphasen.

Mussten die Kollegen eine spezielle Qualikation im Denkmalschutz mitbringen?

Natürlich ist Erfahrung gut. Aber ganz ehrlich: Fachlich lernt man schnell dazu. Viel wichtiger ist uns das Soziale. Ein Architekt muss ein Kommunikator sein, der alle anderen Spezialisten und natürlich auch die Kunden versteht und zusammenbringt.

Was war denn Ihr herausragendstes Projekt bisher?

Das kann ich so gar nicht sagen. Das hört sich jetzt komisch an, aber jedes aktuelle Projekt ist für uns das bedeutendste. Zum Beispiel hatten wir vor zwei Jahren eine einfache Holzbaracke aus dem Jahr Ž‘Ž’1910. Aber in dieser Baracke hat der Flugzeugkonstrukteur Claude Dornier sein erstes Konstruktionsbüro gehabt, von dort aus wurde die Luft- und Raumfahrttechnik revolutioniert! Wenn einem bewusst wird, was für eine Bedeutung das hatte, ist es wirklich ein Geschenk, ein Teil davon sein zu dürfen, das für die nächste Generation zu erhalten. Aber so geht es mir bei jedem Gebäude. Weil jedes Gebäude seine Geschichten hat.

Versorgt Sie der Denkmalschutz mit diesen Geschichten?

Wir arbeiten eng mit den Denkmalämtern und anderen Behörden zusammen. Aber vieles  finden wir auch selbst heraus. Ich muss wissen, woher das Gebäude kommt, wie die Erbauer und die Nutzer gedacht haben, sonst geht das Flair des Gebäudes bei der Restaurierung verloren.


Mehr Informationen und Artikel zum Thema „Erneuern“ finden Sie in unserem DABthema Erneuern

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