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[ Baurecht ]

Zu dicht, zu laut, zu alt

Unsere Übersicht zeigt, welche aktuellen Urteile zum Bauplanungsrecht für Architekten relevant sind.

Foto: Fotolia
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Text: Hubertus Schulte Beerbühl

Nach Umbau kein landschaftsprägendes Gebäude mehr

Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 5. April 2017, Az.: 2 K 893/15

Im Außenbereich, also außerhalb des Geltungsbereichs eines qualifizierten Bebauungsplans und außerhalb der Zugehörigkeit zu einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil, ermöglicht § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB „die Änderung oder Nutzungsänderung von erhaltenswerten, das Bild der Kulturlandschaft prägenden Gebäuden, auch wenn sie aufgegeben sind, wenn das Vorhaben einer zweckmäßigen Verwendung der Gebäude und der Erhaltung des Gestaltwerts dient“. § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB erlaubt „die Erweiterung eines Wohngebäudes auf bis zu höchstens zwei Wohnungen“ unter den in der Bestimmung genannten Voraussetzungen. Zum Verhältnis beider Regelungen hat das Verwaltungsgericht (VG) Münster entschieden: Auch wenn beide Vorgänge – Änderung nach Nr. 4 und Erweiterung nach Nr. 5 – in dieser Reihenfolge und zeitlich versetzt vorgenommen werden können, ist die Erweiterung nicht genehmigungsfähig, wenn die laut Nr. 4 BauGB entscheidende Bedingung eines kulturlandschaftsprägenden Gebäudes im Nachhinein entfällt, indem das Gebäude in seinem Erscheinungsbild wesentlich verändert wird. Daher hat das VG eine Klage auf Genehmigung zur Erweiterung eines vor zwölf Jahren in ein Wohnhaus umgebauten, einst als erhaltenswert und landschaftstypisch eingestuften Gebäudes abgewiesen. Eine quantitative Erweiterung nach Nr. 5 müsse gewährleisten, dass das Gebäude auch im erweiterten Zustand weiterhin erhaltenswert ist und das Bild der Kulturlandschaft prägt. Eine andere Auslegung würde letztlich zu einer Umgehung der mit Nr. 4 bezweckten Genehmigung eines Gebäudes führen. Es muss also die äußere Erscheinung, die maßgeblich für die Zulassung des Vorhabens war, auch nach einer Erweiterung erhalten bleiben. Im konkreten Fall würde durch die geplante massive Änderung der Dachkonstruktion im Obergeschoss das äußere Erscheinungsbild wesentlich verändert. Dies käme einer qualitativen Änderung gleich, die nicht mehr mit dem typischen Charakter eines in der Kulturlandschaft des Westmünsterlandes bestehenden Kötterhauses zu vereinbaren sei.

Trotz genügend Abstands zu Einsichtnahme

Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 27. März 2017, Az.: 2 Bs 51/17

Oftmals beklagen Nachbarn die Massivität von Neubauten. Oder sie befürchten eine Einsichtnahme oder Verschattung ihres Grundstücks und empfinden das als rücksichtslos
(siehe „Wie viel Rücksicht muss sein?“). Allerdings gilt der Grundsatz, dass ein Projekt nicht rücksichtslos ist, wenn die Abstandsflächen eingehalten werden. Eine Ausnahme machte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Hamburg. Es führte aus, in dem betreffenden Bebauungsplan habe der Plangeber mit der Festsetzung einer zu begrünenden Freifläche im Blockinneren erkennbar einen großzügigen Abstand der Gebäude zueinander und eine aufgelockerte Bebauung gewollt. Dem widerspreche ein fünfgeschossiges, 15 Meter hohes Gebäude mit einer Tiefe von 45 Metern, das eine abriegelnde Wirkung entfalte. Außerdem ermögliche es unzumutbare Einsichtsmöglichkeiten, die nicht dadurch wirksam gemildert würden, dass die Bauherrin zugesagt hatte, die Balkonbrüstungen und Fenster von außen blickdicht auszuführen; denn die Fenster würden jeweils in der oberen Hälfte nach wie vor zahlreiche größere Einsichtsmöglichkeiten eröffnen. Der Nachbar bekam recht und die Genehmigung wurde trotz Einhaltung der Abstandsflächen aufgehoben.

Nicht notwendige Stellplätze wegen Lärmbelästigung abgelehnt

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 23. Februar 2017, Az.: 3 S 149/17

Einige Landesbauordnungen enthalten die ausdrückliche Bestimmung, dass Garagen und Stellplatze nur so ausgeführt werden dürfen, dass ihre Benutzung die Gesundheit nicht schädigt und Lärm oder Gerüche das Arbeiten und Wohnen, die Ruhe und die Erholung in der Umgebung nicht über das zumutbare Maß hinaus stören (so beispielsweise die Landesbauordnung Nordrhein-Westfalen). Andere Bauordnungen (etwa die Bayerische) kennen eine solche spezielle Regelung nicht; dort ist das allgemeine Rücksichtnahmegebot Maßstab. In allen Fällen ist fraglich, nach welchen Kriterien die Frage der Zumutbarkeit zu entscheiden ist. Während in manchen Bundesländern von den obersten Verwaltungsgerichten die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) herangezogen wird, lehnen andere Gerichte deren Anwendung ab und entscheiden von Fall zu Fall nach Kriterien wie der konkreten räumlichen Lage. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof differenziert nun danach, ob es sich um notwendige Stellplätze handelt oder nicht. Für notwendige Stellplätze verweist er darauf, dass nach § 12 Abs. 1 Baunutzungsverordnung Stellplätze und Garagen, von besonders schweren Fahrzeugen abgesehen, in allen Baugebieten zulässig sind. Es sei grundsätzlich davon auszugehen, dass Garagen und Stellplätze, deren Zahl dem Bedarf entspricht, auch in einem von Wohnbebauung geprägten Bereich keine erheblichen, unzumutbaren Störungen hervorrufen. Daher finde die TA Lärm in der Regel keine Anwendung. Umfasse allerdings die Baugenehmigung weitere, nicht notwendige Stellplätze, so sei die Frage nach der Zumutbarkeit auch unter Berücksichtigung der TA Lärm mit ihren Immissionsrichtwerten (Nr. 6.1), dem Spitzenpegelkriterium (Nr. 6.3) und der von ihr definierten Vorbelastung (Nr. 2.4) zu beurteilen. Die für die Bewohner vorgesehenen notwendigen Stellplätze waren nach den genannten Kriterien zumutbar, weil sie abseits der störungsempfindlichen Räume des Nachbargrundstücks angelegt werden sollten. Die weiteren Parkplätze waren es hingegen nicht, da davon ausgegangen werden könne, dass die Nutzung dieser Stellplätze eine Überschreitung des nächtlichen Spitzenpegels von 60 dB(A) am Nachbarhaus zur Folge haben werde. Die Nachbarn hatten mit ihrer Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung Erfolg.

Realitätsfern gewordene Bebauungspläne nicht zu beachten

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschlüsse vom 15. Februar 2017, Az.: 1 CS 16.2396, und 23. Februar 2017, Az.: 2 ZB 15.2597

Eigentlich sind Bebauungspläne und deren Festsetzungen von jedermann zu beachten. Sie beanspruchen aufgrund ihrer Beschlussfassung in einer Satzung (in manchen Bundesländern in einer Rechtsverordnung) als Rechtsnormen Gültigkeit für jeden, der sie anwenden will oder muss. Ein Bebauungsplan verliert seine Wirksamkeit aber, wenn er funktionslos wird. Das ist laut Rechtsprechung der Fall, wenn eine Verwirklichung des Bebauungsplans auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen erscheint und niemand darauf vertrauen kann, dass die Festsetzung noch Gültigkeit hat. Dies ist für jede Festsetzung gesondert zu prüfen. Eine Planungskonzeption, die einer Festsetzung zugrunde liegt, wird allerdings nicht schon dann sinnlos, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann, sondern erst, wenn die tatsächlichen Verhältnisse vom Planinhalt so massiv und so offenkundig abweichen, dass der Bebauungsplan insoweit seine städtebauliche Gestaltungsfunktion unmöglich zu erfüllen vermag. Solche Ausnahmefälle lagen in zwei Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vor. In dem einen Fall wurde aus einem Vergleich zwischen dem Baulinienplan mit der tatsächlichen Situation deutlich, dass sämtliche Gebäude auf den nördlich und nordöstlich von der Straße gelegenen Grundstücken überwiegend massiv die vorgegebenen Baugrenzen überschritten. Ebenso wenig hielten die meisten Baukörper im Bereich nördlich einer anderen Straße die Baugrenzen ein. In Anbetracht der Anzahl und des Umfangs der Abweichungen sei die Verwirklichung der städtebaulichen Gestaltungsfunktion auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen. In dem anderen Fall war 1952 eine Baulinie zurückversetzt worden, um für den Neubau eines Bahnhofs eine Straße verbreitern zu können. Der Bahnhof wurde 1960 gebaut, die Straße jedoch bis heute nicht verbreitert. Offensichtlich sei das damalige Ziel auch wegen vorhandener Bestandsgebäude in absehbarer Zeit nicht mehr zu verwirklichen. In beiden Fällen waren die Festsetzungen nicht mehr zu beachten.

Befreiung vom Bebauungsplan darf dessen Zielen nicht widersprechen

Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 2. Dezember 2016, Az.: 1 LA 77/16

Widerspricht ein Bauvorhaben einer Festsetzung in einem Bebauungsplan, wird schnell der Wunsch nach einer Befreiung geäußert. Diese ist jedoch an strenge Voraussetzungen geknüpft – unter anderem darf die Befreiung nicht den Grundzügen der Planung entgegenstehen. Mit einer Befreiung soll nur der planerische Wille ergänzt werden. Hat eine Gemeinde ihren Willen in einer konkreten Weise manifestiert und beispielsweise entschieden, dass ein bestimmtes Grundstück nicht bebaubar sein soll, darf dies nicht durch eine Befreiung konterkariert werden. In dem entschiedenen Fall kam das OVG zu der Überzeugung, dass der Gemeinderat bewusst bestimmten Grundstücken Baulandqualität verschaffen wollte, anderen – unter anderem dem des Klägers – hingegen nicht. Im Bauleitverfahren hatte die Gemeinde eine entsprechende Anregung des Klägers ausdrücklich abgelehnt. Unter Berufung auf eine ältere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat das OVG entschieden, dass, verallgemeinernd ausgedrückt, eine Festsetzung, die „im Angesicht des Falles“ getroffen sei, eine entsprechende Befreiung ausschließe.

Dr. Hubertus Schulte Beerbühl ist Richter am Verwaltungsgericht Münster und Autor eines Lehrbuchs zum Öffentlichen Baunachbarrecht und zum Baurecht NRW.


NOCH MEHR URTEILE

Im zweiten Teil unserer Übersicht finden Sie online weitere aktuelle Urteils besprechungen:
• zu Kindergärten in Wohngebieten mit wenigen Kindern
• zur Unzulässigkeit einer Dachterrasse auf einem zulässigen Anbau
• zum Maß der baulichen Nutzung und zur Ermittlung von Bauhöhen
• zur legalen Überschreitung von Geruchs-Richtwerten bei Mastställen
• zur Unzulässigkeit einer Wohngruppe in einem Wohngebiet wegen einer 50 Jahre alten Baunutzungsverordnung

Die Beiträge finden Sie hier


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