Der öffentliche Raum gilt als Mikrokosmos des Urbanen und als Sinnbild der europäischen Stadt. Entsprechend hoch sind die planerischen und gestalterischen Anforderungen an ihn: Er soll hohe Aufenthaltsqualität besitzen, alsVersammlungsort dienen, sicher sein und Phänomenen wie Gentrifizierung oderKommerzialisierung entgegenwirken; und im Sinne der Ökologie soll er die städtische Resilienz verbessern. Stadtplätze haben heute mehr denn je eine Vielzahl von Aufgaben zu bewältigen. Bahnhofsplätze etwa demonstrieren – ob in Hannover oder München, Bonn oder Frankfurt – wie schwierig es ist, mehrere Funktionen miteinander zu verknüpfen. Oft bringen selbst Neugestaltungen viel frequentierter Räume ein zwiespältiges Ergebnis. Beispielhaft steht hier der Leipziger Platz in Berlin. Im originalen Grundriss wiederaufgebaut, erhielt er Anfang der
2000-er-Jahre auch eine neue Freifläche, die an den Ursprung durch Gartenarchitekt Peter Joseph Lenné erinnern soll – eine von einigen Bäumen bestandene Wiese, die heute jedoch von einer sechsspurigen Verkehrsschneise durchschnitten wird. Sie zeigt: Der Autoverkehr weicht auch auf den Stadtplätzen des Landes nur sehr langsam anderen Prioritäten.
Neue Agoras
Gegenläufige Trends sind derzeit klarer im Ausland erkennbar. Jüngst wurde der Wettbewerb für das Tor zum Brüsseler Europaviertel, den Schumanplatz, entschieden.Nach dem Entwurf der Büros COBE und BRUT soll der dem Autoverkehr vorbehaltene Kreisel in den nächsten zwei Jahren in eine teilweise überdachte, weitgehend Fußgängern vorbehaltene Agora verwandelt werden.
Prominenter Vorläufer und Beispiel für den hiersichtbaren Paradigmenwechsel ist der Pariser Place de la République, der zweitgrößte Platz der Stadt, der vormals ebenfalls ausschließlich vom kreisenden Verkehr dominiert wurde. 2013 wurde er vom Pariser Büro TVK aufwändig erneuert. Der Verkehr beschränkt sich nun auf eine Längsseite des Platzes, so dass ein ausgedehnter, mit der Umgebung verbundener und mit neuem Brunnen und einem Café-Pavillon aufgewerteter Fußgängerbereich entstand.
Überhaupt erweist sich die französische Hauptstadt als erstaunlich fortgeschritten auf dem Weg zur „grünen“ Stadt. Neue Straßenbahnen und zahllose Fahrradstationen gehören schon seit Längerem zum Stadtbild. Nun ist eine weitere Reduktion des Individualverkehrs entlang der Seine geplant sowie eine neue Aufteilung auch von Verkehrsachsen wie der Rue de Rivoli zugunsten von Fahrrädern und 20 Hektar neue Bepflanzung von Mauern und Dächern. Stadtplanerisch zentral ist die Bildung von grünen Verbindungen wie die Verlängerung der zentralen Ost-West-Achse, die als begrünter Streifen über La Défense hinaus bis weit ins Umland führen soll (Jardins de l’Arche). Als Pendant zur großmaßstäblichen Planung werden kleinere Verkehrsstraßen in sogenannte „rues vegetales“ umgewandelt. Diese sollen neben einer zusätzlichen Bepflanzung mit Bäumen ein Kopfsteinpflaster erhalten, das in seinen Fugen Pflanzenwachstum erlaubt. 20 grüne Straßen, pro Arrondissement eine, sind geplant.
Brücken und grüne Schneisen
Vernetzung, Begrünung und nicht zuletzt die Weiterentwicklung der Fahrradmobilität sind auch in Kopenhagen maßgeblich. Rund 40 Prozent der Bewohner der dänischen Hauptstadt radeln bereits zur Arbeit. Breite Radwege und grüne Welle für Radfahrer liefern dafür die richtige Infrastruktur. Neue Fahrradbrücken verbinden Stadtteile: Die 220 Meter lange, sich wie eine Schlange windende Cykelslange und die Cirkelbroen, die der Künstler Olafur Eliasson entworfen hat, sind neue öffentliche Räume, die zu Markenzeichen der Stadt avanciert sind.
Auch in Mailand sind neu gestaltete Plätze und Wege Bausteine eines vernetzten Systems, das per Fuß oder Fahrrad begehbare Bezüge und Sequenzen einschließlich neuer Innenhöfe innerhalb der dicht bebauten Stadt schafft Die seit mehreren Jahren unter der Regie des deutschen Landschaftsarchitekten Andreas Kipar entwickelten grünen Strahlen (raggi verdi) erreichen eine weit ausholende Dimension. Leitidee ist eine „permeable Stadt“, ein Prinzip, das Kipar vor Jahren schon in einem Masterplan für dieRuhrmetropole Essen entwickelt hat. Mittlerweile wurden dort, im Vorfeld von „Essen – Grüne Hauptstadt 2017“ zahlreiche Einzelmaßnahmen umgesetzt, die die Stadt in Form von neuen Wegen dem renaturierten Bereich des Emschertales näherbrachten. Dennoch, so Kipar im Gespräch, gehe es bei diesen und anderen „grünen Schneisen“ nicht darum, vorhandenen und neu aktivierten Verbindungen nur einen grünen Anstrich zu geben. Gerade in den Städten Europas, wo der Wert des Freiraums mit zunehmender Verdichtung steige, müsse ihm grundsätzlich ein größeres Maß an gestalterischer Aufmerksamkeit – auch von Architektenseite – geschenkt werden.
Von der Hochstraße zum Fußgängertal
Größere, in diesem Sinn gestalterisch anspruchsvolle Erneuerungen, die eine klassische
Platzgestaltung miteinschließen, sind selten. Eine Ausnahme könnte in Deutschland Düsseldorf darstellen, das jahrzehntelang über seine Stadtmitte stritt. Erst der Abriss der denkmalgeschützten Hochstraße „Tausendfüßler“ und der Bau einer U-Bahn und eines Autotunnels schufen die Voraussetzung für eine Neuarrondierung des zentralen Bereichs im Umfeld der architektonischen Nachkriegsikonen Dreischeibenhaus (HPP) und Schauspielhaus (Bernhard Pfau).
Einer der Leitgedanken für die Neuplanung war, den benachbarten Hofgarten in die neue Mitte hineinzuziehen. So sieht Christoph Ingenhovens Siegerentwurf des Wettbewerbs, der derzeit umgesetzt wird, eine Landschaft im fast wörtlichen Sinn vor: einTal für Fußgänger mit freier Blickbeziehung, dessen neue Randbebauung in der Form von „Bergen“ erfolgt (Freiraumplanung FSWLA).
Die Visualisierung zeigt eine pyramidale, als Aufenthaltsort konzipierte Schräge mit grünem Belag, gegenüber ein terrassenförmiges, üppig bepflanztes Bürohaus, das fast andie hängenden Gärten der Semiramis erinnert. Auf das Ergebnis kann man gespannt sein. Der Plan mit seinem grünen, Fußgängern vorbehaltenen Korridor demonstriert jedenfalls markant einen aktuellen Trend der Gestaltung öffentlicher Räume.
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