Von Diana Fischer
Der Ruf nach „nachhaltigen“ Gebäuden wird immer lauter – Hilfestellungen zur Umsetzung dieser Forderung in öffentlichen Ausschreibungen gibt es hingegen kaum. Für ausschreibende Architekten bedeutet dies oftmals eine große Unsicherheit bei der rechtssicheren Formulierung von umweltbezogenen Anforderungen an Gebäude und Bauprodukte. Im Vordergrund steht dabei die Frage, welche Umwelteigenschaften und Nachweise bei der umweltorientierten Vergabe öffentlicher Aufträge, dem sogenannten „Green Public Procurement“ (GPP), verlangt werden dürfen, ohne gegen die allgemeinen Vergabegrundsätze der Nichtdiskriminierung, Gleichbehandlung und Transparenz zu verstoßen.
Die Einbeziehung von umwelt- und gesundheitsrelevanten Aspekten in den Vergabeprozess ist schon lange möglich. Allerdings waren rechtliche Fragen, insbesondere bei Bauaufträgen oberhalb der EU-Schwellenwerte, nicht abschließend geklärt. Dies hatte zur Folge, dass bei Bauaufträgen in der Regel der Beschaffungspreis als einziges Kriterium herangezogen wurde und auch heute noch wird.
Die EU hat diese Problematik erkannt und die Berücksichtigung von Umwelt- und Sozialstandards bei der umfassenden Novellierung des Vergaberechts 2014 vereinfacht. Zudem können die durch ein Bauvorhaben verursachten Lebenszykluskosten seit der Vergaberechtsnovellierung, die seit dem Frühjahr 2016 in deutsches Recht umgesetzt wurde, stärker berücksichtigt werden. Dies ermöglicht der öffentlichen Hand, ihrer Vorbildfunktion gerecht zu werden und eine führende Rolle bei der Verringerung von Umweltbelastungen einzunehmen.
Bislang gibt es kaum rechtliche Anforderungen, Kriterien in Bezug auf die Umweltfreundlichkeit von Bauprodukten und Gebäuden in öffentlichen Ausschreibungen zu formulieren. Einzig das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) schreibt in § 45 vor, dass Behörden des Bundes und ähnliche Stellen bei Bauvorhaben prüfen müssen, ob und in welchem Umfang Produkte eingesetzt werden können, die zu weniger und schadstoffärmeren Abfällen führen, aus recycelten Abfällen bzw. wiederverwendeten Materialien bestehen sowie wiederverwendbar oder gut verwertbar sind. Darüber hinaus ist es den ausschreibenden Stellen freigestellt, in Bezug zum Auftragsgegenstand stehende Umweltkriterien festzulegen.
Definition von Anforderungen an Gebäude und Bauprodukte
Vor der Einbindung der Umweltanforderungen in Ausschreibungen müssen diese zunächst von der Vergabestelle definiert werden. Da das umweltgerechte bzw. nachhaltige Bauen ein relativ neues Themenfeld ist und das Vergaberecht die Berücksichtigung derartiger Kriterien erst seit Kurzem aktiv fördert, gibt es noch nicht viele Standard-Texte, derer sich Ausschreibende bedienen können.
Als erste Hilfestellung stehen Ausschreibenden allerdings einige Informationsquellen zur Verfügung. Beispielhaft zu nennen sind hier die Webseite www.beschaffung-info.de des Umweltbundesamtes, die Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung www.nachhaltige-beschaffung.info, die Plattform WECOBIS, die Vergabekriterien verschiedener Umweltzeichen sowie die GPP-Kriterien der Europäischen Kommission (die GPP-Kriterien finden Sie hier). Auch die Umwelt-Produktdeklarationen des Instituts Bauen und Umwelt e.V. (www.ibu-epd.com) enthalten Hinweise, welche Umwelteigenschaften von bestimmten Produkten verlangt werden können. Auf Basis dieser Quellen können Ausschreibende die für ihr jeweiliges Projekt relevanten Kriterien individuell festlegen.
Die ausgewählten Spezifikationen können sich auf sämtliche Phasen des Lebenszyklus, von der Rohstoffgewinnung und -verarbeitung über die Nutzung bis zur Entsorgung, beziehen. Sie müssen sich dabei auch nicht zwangsläufig auf die materiellen bzw. sichtbaren Eigenschaften eines Bauwerkes oder Produktes auswirken oder dem Ausschreibenden einen wirtschaftlichen Vorteil bringen. Wichtig ist jedoch, dass die Anforderungen mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen, objektiv überprüfbar, transparent bzw. öffentlich zugänglich und diskriminierungsfrei sind und den freien Warenverkehr innerhalb der EU nicht behindern. Nicht zulässig wäre beispielsweise die Forderung regional hergestellter Baustoffe.
Bei der Definition der Umweltkriterien sind die Gebäude- und Produktebene zu unterscheiden. Letztendlich kommt es bei der Bewertung eines Gebäudes immer auf das Gesamtkonzept an, denn nur eine gute Kombination der Baustoffe kann zu einer hohen Gebäudequalität führen. Andererseits ist es sinnvoll, auch auf Produktebene schon Anforderungen zu stellen, die die Einhaltung der Kriterien auf Gebäudeebene unterstützen.
Auf Gebäudeebene bieten sich zum Beispiel nachstehende Kriterien an:
- Übererfüllung der Anforderungen aus der Energieeinsparverordnung (EnEV)
- Deutliche Unterschreitung der Grenzwerte für die Innenraumluftqualität
- Erstellung eines Konzeptes für die Bewirtschaftung der Bau- bzw. Abbruchabfälle
- Durchführung von Gebäude-Ökobilanzen während der Planungsphase
Auf Produktebene könnten beispielsweise folgende unterstützende Anforderungen definiert werden:
- Maximalgehalt an flüchtigen organischen Verbindungen (VOC) und Formaldehyd
- Freiheit von besonders besorgniserregenden Stoffen (SVHC) gemäß REACH-Verordnung
- Freiheit von Bioziden, Fungiziden, Insektiziden, Flammschutzmitteln, Weichmachern usw.
- Verwendung von Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft
- mindestens 60 Masse-% Recyclinganteil und/oder Einsatz recyclingfähiger Produkte
- Vorlage verifizierter Ökobilanz-Daten, z.B. in Form von Umwelt-Produktdeklaration nach DIN EN 15804 (siehe Abschnitt „Nachweis der Einhaltung von Umweltanforderungen“)
Einbindung von Typ-I-Umweltzeichen
In verschiedenen Literaturquellen wird eine Forderung von Typ-I-Umweltzeichen, zum Beispiel dem Blauen Engel, als Nachweis der Einhaltung bestimmter Umweltkriterien empfohlen. Die Möglichkeit, Umwelteigenschaften durch Label nachzuweisen, wird auch durch das neue Vergaberecht unterstützt. Eine direkte Forderung von „gelabelten“ Produkten ist jedoch aus rechtlichen Gründen nicht zulässig. Zu bedenken ist zudem, dass Ausschreibende auch bei der Nennung von Umweltzeichen als mögliche Nachweise prüfen müssen, ob diese Umweltzeichen die nachstehenden Kriterien erfüllen:
- Die Kriterien zur Erlangung der Umweltzeichen müssen wissenschaftlich begründet, transparent und unabhängig in einem offenen Verfahren erarbeitet sowie allgemein zugänglich sein.
- Der Ausschreibende muss prüfen, ob alle Kriterien des Labels einen Bezug zum Auftragsgegenstand haben. Sonst darf er sich nur auf jene Kriterien beziehen, die diese Anforderung erfüllen.
- Nicht jedes Produkt kann mit einem Umweltzeichen ausgezeichnet werden, da die Zeichengeber festlegen, für welche Produktgruppen sie Anforderungen definieren. Zudem ist es Baustoff-Herstellern aufgrund des hohen Aufwandes nicht möglich, ein Produkt mit allen möglicherweise relevanten Typ-I-Umweltzeichen auszeichnen zu lassen.
- Aus einem Label geht nicht hervor, wie „gut“ ein Produkt genau ist und wie weit die Gesamtziele auf Bauwerksebene durch seinen Einsatz unterstützt werden. Insbesondere bei Emissionen kann es sinnvoll sein, die genauen Werte zu kennen und nicht nur zu wissen, dass diese unterhalb der Grenzwerte für die Labelvergabe liegen.
Weiterhin ist zu beachten, dass es öffentlichen Beschaffungsstellen aufgrund des Nichtdiskriminierungs-Grundsatzes nicht gestattet ist, gelabelte Produkte oder sogar namentlich vorgegebene Produkte explizit zu verlangen. Daher müssen Ausschreibende in jedem Fall die erwarteten Umwelteigenschaften der Produkte selber definieren. Dabei können sie sich selbstverständlich an Typ-I-Umweltzeichen orientieren, aber auch andere Quellen, beispielsweise Umwelt-Produktdeklarationen, als Inspiration heranziehen. Die gewählten Kriterien sind anschließend in den Ausschreibungsunterlagen nachvollziehbar und vollständig aufzuführen, sodass Bieter mit möglichst wenig Aufwand geeignete Produkte finden und ihre Angebote entsprechend kalkulieren können. Auch eine Verstreuung der für einen Bieter notwendigen Informationen innerhalb der Vergabeunterlagen ist dabei zu vermeiden.
Verortung von Umweltanforderungen
Umweltanforderungen können an verschiedenen Stellen in den Ausschreibungsunterlagen eingebunden werden. Dabei legen die Vergabestellen schon mit der Wahl der Verankerung fest, ob sie die Kriterien als Grundanforderung formulieren oder als Zusatzkriterium positiv bewerten wollen.
- Ausschreibungstitel
Bereits bei der Wahl des Auftragstitels kann auf die besondere Berücksichtigung umweltfreundlicher Produkteigenschaften hingewiesen werden. Eine Ausschreibung für einen Bodenbelag könnte zum Beispiel benannt werden mit „Beschaffung und Einbau eines emissionsarmen Bodenbelags“.
- Eignungskriterien
Ausschreibungen können Anforderungen an die ausführenden Unternehmen und die Bauausführung enthalten. So dürfen Vergabestellen verlangen, dass Erfahrungen im Bereich des umweltfreundlichen Bauens vorliegen oder Bieter über ein Umweltmanagementsystem verfügen. Erfahrung und Kompetenz können jedoch auch als Zuschlagskriterien positiv bewertet werden (siehe Beispielrechnung für Zuschlagskriterien).
- Leistungsbeschreibung / Technische Spezifikationen
In der Leistungsbeschreibung bzw. den technischen Spezifikationen werden die von allen Bietern zu erfüllenden Mindestanforderungen an die Bauleistung bzw. den Beschaffungsgegenstand beschrieben.
- Zuschlags- bzw. Bewertungskriterien
In den Zuschlagskriterien können zusätzliche Präferenzen formuliert werden. Ihre Erfüllung verschafft den jeweiligen Anbietern einen Vorteil bei der Angebotswertung. Das Verfahren zur Bewertung der Zuschlagskriterien ist in den Vergabeunterlagen zu beschreiben. Dabei wird empfohlen, dass ökologische Aspekte zu mindestens 15 Prozent in die Bewertung eingehen sollten – Ausschreibenden ist es jedoch freigestellt, Umwelteigenschaften auch deutlich stärker zu gewichten.
Auch eine Kombination von technischen Spezifikationen und Zuschlagskriterien ist möglich. Beispielsweise könnte die Leistungsbeschreibung einen Mindest-Recyclinganteil von 50 % fordern und in den Zuschlagskriterien werden für höhere Anteile zusätzliche Punkte vergeben.
Eine Beispielrechnung für Zuschlagskriterien finden Sie hier.
Nachweis der Einhaltung von Umweltanforderungen
Wie beschrieben, erlaubt das aktuelle Vergaberecht unter bestimmten Voraussetzungen das Verlangen von Typ-I-Umweltzeichen als Beleg für die Einhaltung von Umweltkriterien. Der öffentliche Auftraggeber muss aber andere Gütezeichen akzeptieren, die gleichwertige Anforderungen an die Leistung stellen. Hatte ein Unternehmen keine Möglichkeit, das vom öffentlichen Auftraggeber angegebene oder ein gleichwertiges Gütezeichen innerhalb einer einschlägigen Frist zu erlangen, so muss der öffentliche Auftraggeber ggf. auch andere geeignete Belege akzeptieren. Die nachstehend beschriebenen Umwelt-Produktdeklarationen sind in solchen Fällen sehr gut als Grundlage zum Nachweis von Umweltanforderungen geeignet, da sie Umweltinformationen transparent und – dank einer externen Verifizierung – glaubwürdig darstellen.
Umwelt-Produktdeklarationen (Environmental Product Declarations – EPDs) gehören zu den Typ-III-Umweltkennzeichnungen (siehe Info-Kasten „Typen von Umweltkennzeichnungen“). Sie sind keine bewertenden Umweltlabel, sondern stellen Umweltwirkungen von Produkten transparent dar. Damit liefern sie die Basis für weitergehende Berechnungen und Bewertungen, beispielsweise im Rahmen einer Gebäude-Ökobilanz. Darüber hinaus können EPDs zusätzliche umwelt- und gesundheitsrelevanten Produktinformationen enthalten, etwa Angaben zu Emissionen während der Nutzung, Recyclinganteile oder Verwertungsmöglichkeiten nach der Nutzungsphase. Durch ihr einheitliches, übersichtliches Format und die transparente Darstellung aller relevanten Umweltinformationen ersparen EPDs den ausführenden und bewertenden Parteien die Zusammenstellung bzw. Sichtung verschiedenster Dokumente und damit wertvolle Zeit. Aus diesen Gründen werden sie auch in Erwägungsgrund 56 der aktuellen Bauproduktenverordnung (BauPV) als Bewertungsgrundlage von Umwelteigenschaften genannt: „Zur Bewertung der nachhaltigen Nutzung der Ressourcen und zur Beurteilung der Auswirkungen von Bauwerken auf die Umwelt sollten die Umwelterklärungen (Environmental Product Declarations – EPD), soweit verfügbar, herangezogen werden.“
Diana Fischer ist Inhaberin des Ingenieurbüros Fischer in Krefeld.
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