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[ Urlaubsarchitektur ]

Kult aus Beton

Pyramiden am Mittelmeer: Die weiße Stadt La Grande-Motte wird 50 Jahre alt. Katja Gartz hat sie für DABonline besucht.

Von Katja Gartz

Riesige weiße Pyramiden ragen aus dem Sand. Vor ihnen der Hafen mit unzähligen Segelbooten und Yachten, gesäumt von Restaurants und Geschäften. Hinter ihnen großgewachsene Pinienbäume, Parkanlagen und weitere Pyramiden so weit das Auge reicht. Rund 25 Kilometer von Montpellier entfernt an der Mittelmeerküste Okzitaniens, der früheren Region Languedoc-Roussillon, liegen die terrassenförmigen Betonbauten von La Grande-Motte. Die einst umstrittene und heute begehrte weiße Stadt am Meer wird in diesem Jahr 50 Jahre alt. Es war das Werk zweier Visionäre, des Staatspräsidenten Charles de Gaulle und des Architekten Jean Balladur, die mit dem Ferienort den Strandurlaub demokratisierten.

Ihr Planungsbeginn ab 1963 viel in die Blütezeit der sogenannten „Trente Glorieuses“, die 30 Jahre des Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg in den OECD-Ländern und des damit verbundenen Wirtschaftswachstums. Es war auch die Zeit der künstlerischen, wissenschaftlichen und bevorstehenden politischen Veränderungen. Formal, funktional und mit der Geschwindigkeit seiner Entstehung erscheint La Grande-Motte einerseits repräsentativ für diese Zeit, andererseits revolutionär. Im Jahr 1968 entstanden, verkörpert La Grande-Motte für seinen Architekten Jean Balladur die Utopie eines modernen Paradieses, während es für Charles de Gaulle die autoritäre Durchsetzung eines gigantischen Projekts symbolisierte. La Grande-Motte ermöglichte bezahlbaren Urlaub und für eine breite Bevölkerungsschicht.

Vorausgegangen war der Pyramidenstadt am Meer die „Mission Racine“, das Vorhaben 180 Kilometer der Küste für den Tourismus auszubauen. Nachdem die französischen Arbeiter ab 1965 jährlich immer mehr Urlaubstage bekamen, hatte der Staat das Ziel, mehr Feriendestinationen für den Massentourismus zu schaffen. Vor allem sollten die Franzosen ihren Strandurlaub in der eigenen Heimat verbringen.

Das Ministerium für Planung und Konstruktion beauftragte fünf Architekten für die Bebauung der gesamten Region, darunter war für das 400 Hektar große Gelände von La Grande-Motte Jean Balladur vorgesehen. Er wurde 1924 im heutigen Izmir geboren. Zuerst studierte er Philosophie, arbeitete für die Zeitschrift Jean-Paul-Sartres „Les Temps Modernes“. Später studierte er Architektur an der Pariser Ecole des Beaux-Arts und war für Le Corbusier tätig. Im Jahr 1962 wurde er mit der Planung von La Grande-Motte und der Marina-Siedlung Port Camargue beauftragt. In der Folgezeit baute er im Ausland weitere Feriensiedlungen. Rund 30 Jahre seines Lebens widmete er dem Bau und der Planung von La Grande-äMotte.

„Als Jean Balladur an die Küste kommt, dort war damals unberührte Natur mit Lagunen hinter dem Meer, steht er vor der gewaltigen Aufgabe eine Stadt aus dem Nichts zu planen, ohne sich dabei an irgendetwas orientieren zu können.“, berichtet die Stadtplanerin Odile Resème. Sümpfe wurden trockengelegt, Bagger hoben den 17 Hektar großen Hafen aus, Straßen wurden gebaut und Leitungen für Wasser und Elektrizität verlegt. Die erste Pyramide wurde 1964 errichtet. Dahinter folgten gegeneinander versetzte Bauten, die im Schnitt eine Wellenbewegung mit Zwischenräumen zum Meer hin bilden.

Balladur kümmerte sich um die großen Bauvorhaben wie um jedes Detail. So bestimmte er Position und Höhe der Bauten, um die Umgebung vom starken Mistral abzuschirmen wie die Höhe der Gehsteige und die Entwürfe für Straßenlampen. Junge Künstler beauftragte er mit der Anfertigung von Sitzgelegenheiten und Duschen.

Für den Bau der großen Pyramide am Hafen griff Jean Balladur die Form des Hausberges von Montpellier auf, dem Pic Saint-Loup. Inspiration für das gesamte Ensemble waren aber auch die Maya-Bauten Mexikos. Die Pyramiden von Teotihuacon, die Balladur bei einer Mexikoreise entdeckte, faszinierten ihn. Auf ihn wirkten sie, als würden die Mond- und die Sonnenpyramide, die sich dort gegenüberstehen mit den umliegenden Bergen in Dialog treten. „Es schien mir, dass das Profil einer Pyramide eine kontinuierliche Bewegung vom Boden bis zum Dach des Gebäudes ermöglicht“, berichtete Balladur. Deshalb würde sich die Pyramide besser in eine horizontale Landschaft integrieren als beispielsweise ein Turm, der etwas Aggressives an sich habe und mit der Waagerechten des Bodens bricht. „Der andere Vorteil der Pyramide ist der stufenförmige Terrassenbau, das ist für Ferienwohnungen natürlich interessant, schließlich wollen die Urlauber im Sommer mehr Zeit draußen als drinnen verbringen, sie wollen draußen essen und die Sonne genießen“, sagt die Stadtplanerin Odile Resème.

Doch anfangs war der Ferienort vor den Toren von Montpellier heftig umstritten. Für viele war es eine hässliche Betonwüste am Meer. Pyramiden in dieser Region, das war für viele Menschen absurd, das konnte nur auf dem Reißbrett funktionieren. Doch wer durch La Grande-Motte spaziert, findet die Gebäude meist nicht so schockierend. „Die Pyramiden, die in unserer Vorstellung so imposant, so aggressiv oder wie Hindernisse erscheinen, sind genau das Gegenteil“ , sagt Jérome Arnaud, der Leiter des Tourismusbüros. Durch ihre versetzte Anordnung seien sie sehr diskret. Filigrane Veranden und Balkone verleihen den Hotel- und Appartmentgebäuden Leichtigkeit.

Jean Balladur spielte mit der Symbolik der Sonne, mit Zeichen und Symbolen der präkolumbianischen Zivilisation wie der Pop-Kultur der 1960er-Jahre und versteckte überall gigantische Tiere, beispielsweise Schnecken und Elefanten. Eine Brücke wurde so konzipiert, dass am Tag der Sommersonnenwende die Sonnenstrahlen über ein elliptisches Loch auf der Mitte der Brücke einen perfekten Sonnenkreis projizieren.

Beton war das perfekte Material, um den Ideen Balladurs Formen zu geben, zudem einfach in der Verarbeitung und erschwinglich. Vor jeder Pyramide befindet sich eine durchlöcherte Betonverkleidung mit netzartiger Struktur. „Jede dieser Öffnungen hat sehr geometrische Motive, die die Pyramiden charakterisieren und sie individuell von einander abgrenzen“, sagt Odile Resème. Die Netzstruktur der großen Pyramiden habe sie immer an Bikinis erinnert, an Ober- und Unterteile. Einen exklusiven Blick gibt es nicht, alle Gebäude sind zum Meer hin ausgerichtet.

Die ganze Anlage hat Balladur autofrei mit 25 Kilometer langen Fahrrad- und Fußgängerwegen konzipiert. Sein Ziel war auch, dass die Architektur im Laufe der Zeit immer stärker eine Einheit mit Bäumen und Grünflächen bildet. Fußgängern und Radfahrern den Vorzug zu geben, war zu damaliger Zeit visionär wie revolutionär.

Seit 1974 ist La Grand-Motte eine eigenständige Gemeinde mit inzwischen knapp 10.000 permanenten Bewohnern und entsprechender Infrastruktur. Doch das Leben hier hat seinen Preis. „Die Immobilienpreise schwanken zwischen 3.500 Euro pro Quadratmeter für die kleinsten Objekte, renovierte und größere Wohnungen kosten zwischen 5.000 und 8.000 Euro, Luxuswohnungen rund 9.500 Euro pro Quadratmeter“, berichtet Ricardo Felices, der ehemalige Direktor des Kongresszentrums, der seit 1997 in La Grande-Motte wohnt. Nach Felices müsse dringend die Gebäudeisolierung verbessert werden, auch gebe es zu viele kleine Wohnungen und zu wenige Zwei- und Dreizimmerwohnungen, was der Nachfrage nicht gerecht werde.

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Heute zeichnet La Grande-Motte neben dem Meer und dem mediterranen Klima die einheitliche Architektursprache und die Grünanlagen auf rund 280 Hektar mit 20 Kilometern Baumalleen aus. Zusammen mit den markanten Bauten und den öffentlichen Räumen ist ein Gesamtkunstwerk entstanden, das 2010 mit dem Label „Patrimoine du XXe siècle“ als architektonisches Erbe des 20. Jahrhunderts ausgezeichnet wurde.

Ricardo Felices möchte seinen Wohnort in nicht missen: „Man entdeckt immer neue Details. Mir gefällt die Vielseitigkeit der Urbanisation, man langweilt sich nie.“ Zu seinen Lieblingsorten zählt die „Promenade de Vents“ mit ihren Skulpturen. Die Wahrnehmung sieht Felices immer noch differenziert, entweder lieben die Menschen La Grande-Motte oder sie lehnen die Stadt ab. Aber die Touristen, denen es hier gefällt, würden oft zu Stammgästen. Der Ort gefalle besonders der Generation 40 plus. Ziel der Gemeinde ist allerdings, mehr junge Familien als ständige Bewohner zu gewinnen und die Anzahl der Bohner auf 15.000 zu erhöhen, um die Infrastruktur rentabel zu machen.

Heute kommen nicht mehr nur Urlauber, sondern Architekturfans aus der ganzen Welt. La Grande-Motte hat einen Kultstatus erreicht und feiert in diesem Jahr sein 50-jähriges Jubiläum.

Katja Gartz ist Architekturjournalistin in Berlin.

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