Von Stefan Kreitewolf
Im Norden Teherans laufen zehn deutsche Architekten einen steilen Hang hinauf. Kein Schatten, kein Gehweg, kein genauer Plan – doch weder Schweiß noch Hitze machen ihnen etwas aus. Denn die Architekten haben ein Ziel: Kiemen. Oder vielmehr: eine Fassade, deren Fenster kiemenartig in einen Naturstein-Kubus geschnitten wurden. „Hier müsste es jetzt irgendwo sein“, sagt der deutsche Architekt Christoph Woop, der für Hadi Teherani Architects seit einem Jahr in Teheran lebt und arbeitet. Er ist der inoffizielle Führer einer kleinen Gruppe von Architekten, die sich Ende Juni mit dem Netzwerk Architekturexport (NAX) der Bundesarchitektenkammer auf Workshop-Reise in den Iran aufmachte.
Mitten in weltpolitisch schwierigen Zeiten schickt das NAX deutsche Architekten auf die Reise in den international geächteten Staat im Mittleren Osten. Warum? „Der Kontakt zum Iran besteht seit 2015, wir waren seither bereits zweimal im Land und sind immer mit offenen Armen empfangen worden“, sagt Claudia Sanders vom NAX. Sie werbe mit ihrem Team schließlich auf der ganzen Welt für deutsche Architekten: „Da machen wir beim Iran keine Ausnahme.“ Ziel sei es, gemeinsame Projekte zu realisieren. „Green Iran lautet das Motto der Reise“, erläutert Sanders. An zwei Tagen diskutierten Architekten und Ingenieure aus Deutschland und dem Iran gemeinsam Konzepte und Möglichkeiten für ressourceneffizientes Bauen.
„Internationale Spitzenklasse“
„Ha, da ist es“, sagt Woop und freut sich. In einer Sackgasse am Hang, kurz vor einem militärischen Sperrgebiet gelegen, verbirgt sich das „Kiemenhaus“, wie es die deutschen Architekten nennen. Offiziell heißt das vom Teheraner Büro Ryra Studios geplante Gebäude „Rowzan Residence“. „So etwas habe ich im Iran nicht erwartet. Das ist wirklich internationale Spitzenklasse“, schwärmt der Münchener Architekt Falk von Tettenborn. Anuschah Behzadi, der Architekturbüros in Leipzig, Berlin und Teheran betreibt, ergänzt: „Das Beste daran ist, dass hier auf die klimatischen Bedingungen des Irans geachtet wurde.“ Denn während in Deutschland Licht und Transparenz im Mittelpunkt stünden, gehe es im Iran um Schatten und Schutz. „Persische Fenster waren immer eher Stilmittel als Funktion“, sagt Behzadi. Der Architekt habe versucht, diesen Ansatz mit dem Bau wiederzubeleben.
„Aber so was hätte natürlich niemals in Deutschland gebaut werden können“, sagt Behzadi. Viel zu geschlossen sei die Fassade für das mitteleuropäische Auge. Als im Iran tätiger Architekt muss er es wissen. Denn er kennt beide Seiten. Für das Auswärtige Amt ertüchtigte er die Residenz des Botschafters in Teheran gegen Erdbeben und arbeitet gerade an einem Projekt zur Auslagerung der Visastelle der deutschen Botschaft in Teheran. „Bei solchen Projekten ist es natürlich eine Gratwanderung zwischen deutschen Wünschen, Umwelteinflüssen und iranischen Verhältnissen“, sagt er – und spricht damit einen Schwerpunkt des Workshops an. Im Fokus stand nämlich, „wie energieeffizientes Bauen in der besonderen klimatischen und kulturellen Umgebung Irans realisiert werden kann“, erläutert NAX-Projektkoordinatorin Sanders. Ziel des Workshops sei es außerdem, aufzuzeigen, „mit welchen Herausforderungen Architekten und Ingenieure beim ressourceneffizienten Bauen im Iran konfrontiert sind und wie deutsche Fachplaner und Experten den Iran bei der Umsetzung ressourceneffizienter Strategien unterstützen können“. Sanders fügt hinzu: „Und natürlich durfte schöne Architektur nicht fehlen.“ Also weiter zum Park Center, einem Bürohochhaus im Teheraner Stadtteil Niavaran, das aus verschiedenen Kuben besteht und bereits 2008 gebaut wurde. „Das könnte so auch in Berlin, Madrid oder London stehen“, sagt Woop.
Schnell möchte er weiter, zum Ava-Center, einem neuen Einkaufszentrum mit eindrucksvoller Fassadengestaltung. Auf den untersten drei unterirdischen und den obersten sieben der insgesamt 16 Etagen hohen Shopping-Mall befinden sich Parkplätze. Das Architekturbüro Fluid Motion Architects macht seinem Namen alle Ehre. „Die Glasfront fließt ineinander und sorgt für den Eindruck einer flüssigen Fassade“, versucht sich Behzadi begeistert an einer Erklärung. An ihm vorbei strömen Menschenmassen in Richtung Parkhaus. Dort zeigt zwischen Autos, Zufahrten und Zickzack-Betonstützen eine Ausstellung junge iranische Kunst. Alles erscheint etwas zu professionell, um improvisiert zu sein.
„Wassermanagement ungenügend“
Außerhalb Teherans sieht es ganz anders aus. 17 Kilometer entfernt von der iranischen Hauptstadt, in Pardis, liegt das Paradies nicht nur einige Buchstaben, sondern Welten entfernt. In der seelenlosen Satellitenstadt am Rande der Wüste offenbart sich ein Kulturschock. Weder die abgewetzten Ledersessel noch die sandfarbenen Plattenbauten oder die allgegenwärtigen Porträts der beiden mächtigsten Ajatollahs (Ruhollah Chomeini und Ali Chamenei) tragen Schuld daran. Es ist die Attitüde gegenüber natürlichen Ressourcen. Denn während Teheran bereits mit einer sich verschlimmernden Wasserknappheit zu kämpfen hat, beantwortet der iranische Wassermanager der Trabantenstadt die Frage nach der Herkunft des Wassers für die Siedlung mit einem sorglosen: „Aus Teheran: Wir haben Anrecht auf das Wasser, also bekommen wir es auch.“
Erwin Nolde schüttelt den Kopf. Der Ingenieur ist als Wasserexperte bei der NAX-Reise dabei und realisierte bereits Grauwasserrecycling- und Wärmerückgewinnungsanlagen in Deutschland, aber auch in Jordanien und Marokko. „Das Wassermanagement ist ungenügend“, sagt er. Die Rechnung sei einfach: „Wenn die Hauptstadt kein Wasser mehr hat, wird auch Pardis kein Wasser mehr haben.“ Der örtliche Wassermanager sagt dazu: nichts. Es ist dieser Starrsinn, der die deutschen Architekten veranlasst, am nächsten Tag noch einmal mit ihren iranischen Kollegen über das Thema zu sprechen. Das Interesse ist groß, konkrete Projekte sind allerdings rar. Siamak Rashidi, ebenfalls Deutsch-Iraner und Reiseteilnehmer, versucht sich an einer Erläuterung: „Es ist manchmal schwer nachzuvollziehen, wie die Dinge im Iran laufen. Und an der ein oder anderen Stelle sollten Architekten von außerhalb des Landes mehr Geduld haben.“ Es bedürfe einer gewissen Zeit, bis sich iranische Architekten und Bauherren auf neue Konzepte einließen. Prinzipiell sei aber die Bereitschaft da, neue Wege zu gehen – „insbesondere bei Technik und Know-how aus Deutschland“.
Neue Wege gehen: Das ist für viele Architekten auch der Grund für ihre Reise in den Iran. Während einige deutsch-iranische Architekten bereits im Land der Mullahs tätig sind, ist es für andere völlig neu. Eike Becker, Architekt aus Berlin, hat mit sich gerungen, ob er die Reise in den Iran überhaupt antreten soll. „Die politischen Verhältnisse und die daraus resultierenden inneren und äußeren Konflikte haben mich zögern lassen“, sagt er. Die aktuelle Situation hält er für inakzeptabel. Von Tettenborn ist derselben Meinung. Der Münchener kennt das Arbeiten im Ausland. Er war in Italien, Spanien, der Dominikanischen Republik, Haiti und Russland tätig. „Das menschenverachtende Regime ist furchtbar, gleichzeitig sind die Menschen vor Ort sehr freundlich und man fühlt sich sicher“, sagt er.
Währungsverfall und Proteste
Ganz unrecht haben beide nicht. Denn seit dem Rückzug der USA aus dem Atomabkommen verschlechtert sich die ökonomische Situation im Iran zusehends. Die US-Sanktionen wurden wieder in Kraft gesetzt. Als Folge sollen seit Jahresbeginn 30 Milliarden Dollar ins Ausland abgeflossen sein. Das heizt den Währungsverfall an. Innerhalb einer Woche verringerte sich der Wert der nationalen Währung um 50 Prozent. Zu Beginn der NAX-Reise legen Streiks den Großen Basar von Teheran sowie Märkte in zahlreichen anderen Städten lahm. Händler rufen regimekritische Parolen. Polizei und Militär schießen mit Tränengasgranaten in die protestierende Menge. Das alles geschieht nur zehn Kilometer entfernt vom Hotel der NAX-Delegation. Die Reiseteilnehmer hören Sirenen und sehen kilometerlange Militärkonvois durch die Stadt rasen. Zwischen schwer bewaffneten Elitepolizisten shoppen Frauen mit merkwürdig starren Gesichtszügen Chanel-Handtaschen und Swarovski-Klunker.
„Es sind diese in Teheran so offensichtlichen Konflikte und Parallelwelten, die gerade jetzt diese Reise in den Iran so richtig erscheinen lassen“, sagt Becker. Zum Abschied bläst Teheran den Reiseteilnehmern eine Hitze ins Gesicht, die bei offener Fahrt im Auto einem Heißluftfön gleicht. Neben der Hitze sind es vor allem die unbeweglichen Blechlawinen, die sich als kilometerlange Staus durch die Stadt schieben – immer vorbei an nonstop laufenden Sprinkleranlagen. Becker resümiert: „Trotz vieler unbeantworteter Fragen bin ich erleichtert, diese jahrtausendealte Stadt und die Menschen hier und heute erlebt zu haben. Nur so ist es möglich, mehr über das Land und die schwierige gesellschaftliche Situation zu erfahren. Der medial vermittelte Blick aus der Distanz kann die Erlebnisse vor Ort nicht ersetzen“, sagt er. Ob er selbst bald mit seinem Büro im Iran tätig sein wird? Ein ausgeschriebenes Projekt interessiert ihn. Möglicherweise bewirbt er sich darauf. „Vieles erscheint hier schwerer als anderswo“, schiebt er vielsagend hinterher.
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