Von Simone Kraft
Sie boomt wieder, die Innenstadt. Das moderne Experiment der „Funktionstrennung“ ist, nun ja, missglückt. Wer es sich leisten kann, lebt zentral, wo Wohnen, Arbeiten, Konsum und Freizeit an einem Ort passieren können. Ein stetig wachsender Bedarf, den es zu decken gilt: Die Zentren müssen noch aktiver, interessanter, dichter – kurz: urbaner – werden. Nur wie?
Shoppen im Schachbrett
Ansätze für neue multifunktionale Quartiere finden sich in Mannheim und Stuttgart. „Q 6 Q 7 in Mannheim zeigt, wie sich Städte neu erfinden“, so Dieter Blocher, dessen Büro blocher partners den Komplex entworfen hat. „Wir haben einen Hybrid entwickelt, der unterschiedliche Bedürfnisse verbindet: Gastronomie, Handel, Freizeitangebote, Wohnen, Dienstleistungen und ein Hotel. Das multifunktionale Quartier trägt zur Attraktivitätssteigerung der City bei und schafft zudem eine urbane Qualität rund um einen Shared Space.”
Entstanden sind auf zwei Stadtquadraten zwei durchdacht geplante siebenstöckige Baukörper, die sich dank differenzierter Fassadengestaltung in die urbane Straßenzeile einfügen. Über der Tiefgarage befinden sich diverse Dienstleistungen sowie der Hotel- und der Wohnkomplex, beide um einen Hof gruppiert – eine verblüffende Oase mitten im Zentrum. Für Besucher am direktesten erlebbar wird das Q 6 Q 7 aber durch die Mall und den Foodcourt.
Hier gelingt den Architekten eine Veränderung zum Gewohnten: Die Ladengeschäfte öffnen sich nicht nur nach innen, sondern auch nach außen, statt eines Haupteingangs gibt es verschiedene Wege durch das Areal. Durch das Innere führen keine geraden „Laden-Bahnen“, die optisch überfordern, sondern S-förmig geschwungene Wege, die den Raum überschaubarer strukturieren.
Zwischen den Baukörpern öffnet sich ein Platz mit Cafés und Restaurants, überspannt von einem Glasdach und einer transparenten Brücke. Hier vor allem gelingt, was Blocher verspricht: eine neue Stadtqualität, ein öffentlicher Raum in einer Flanierzone, die nicht nach Ladenschluss ausstirbt. Hierher geht man nicht nur zum Einkaufen, das Quartier – zuvor ein toter Punkt in der Stadt – ist belebt und gut besucht (die Oberklassegeschäfte in der Mall dagegen weniger). Die Ausstattung der Bauten sowie die Geschäfte sind hochklassig, ein Bewirtungskonzept im Foodcourt hat gar einen Stern erhalten – insgesamt kein Ort für das breite Massenpublikum.
Man merkt dem Projekt die aufmerksame Gestaltung an – blocher partners, gemeinsam mit der angegliederten Kommunikationsagentur typenraum, haben von Konzeptentwicklung über Realisierung bis zum intuitiven Leitsystem daran mitgewirkt. Allerdings ist dieser öffentliche Raum ein Stück weit privat. Die Zuständigkeiten sind komplex vertraglich geregelt: „Formal unterliegen alle Bauteile, zum Beispiel Geländer, dem Hausrecht des Centermanagements. Der Raum selbst ist öffentliche Fläche, die als Fußgängerzone der Sondernutzungssatzung und Gestaltungsrichtlinie Innenstadt für den öffentlichen Raum unterliegt. Sonderregelungen sind für Reinigung und Unterhalt getroffen, um hier dem Wunsch des Betreibers zu entsprechen“, heißt es aus der Stadtverwaltung Mannheim – „ein Grenzgang für den öffentlichen Raum in klassischer Interpretation“, so die Stadt.
Multifunktionales Luxusquartier
Einer ähnlichen Situation begegnet man im Dorotheen Quartier in Stuttgart. Auch hier wurde ein ehemals „toter“ Winkel der Stadt bebaut, das Zentrum um eine neue Zone erweitert. Waren es in Mannheim ein Parkhaus und ein alter Baumarkt, so befand sich in Stuttgart das stark gesicherte baden-württembergische Innenministerium an dieser Stelle. Nach dessen Umzug engagierte sich die benachbarte Warenhauskette Breuninger, der spätere Bauherr, für die Aufwertung des frei werdenden Geländes.
Entstanden ist ein neues multifunktionales Luxusquartier von Behnisch Architekten, das sich aus drei Blöcken zusammenfügt und Einzelhandel, Gastronomie, Wohnungen und Büros verbindet. Die Bauten wurden mit vielen Bezügen entworfen – Fassaden- und Dachgestaltung nehmen ebenso Rücksicht auf die vorgefundene Situation wie die auf dem historischen Stadtgrundriss basierende Anordnung der Baukörper. Die Geschäftszone ist keine Mall, sondern eine klassische Flaniermeile.
Auch hier sind es die Zwischenräume, die das Areal urban machen. „Wir haben Sichtachsen geschaffen, vom Quartier zur Hauptstraße ebenso wie zwischen den Baukörpern, die bewusst ähnlich, aber nicht gleich aussehen, wie Teile einer Familie“, berichtet Stefan Rappold, Partner bei Behnisch Architekten. „Wichtig war uns, dass das Gesamtergebnis den neuen Stadtraum belebt und aktiviert.“ Wie in einer Altstadt sind die Wege nicht geometrisch angelegt, sondern werden schmaler und breiter. Der Außenraum ist durchkomponiert vom Straßenbelag bis zur Beleuchtung. Und es scheint zu funktionieren. Das Viertel sowie die angrenzenden Bereiche sind deutlich stärker belebt als zuvor. Aber auch hier ist der öffentliche Raum, geregelt in einem komplizierten vertraglichen Konstrukt, ein Zwitter zwischen öffentlich und privat. Auf Nachfrage versichert der Stuttgarter Bürgermeister für Städtebau und Umwelt, Peter Pätzold, die öffentlichen Flächen seien „fast alle in städtischer Hand“. Was das genau bedeutet, ist – wie auch in anderen Städten – mit Verweis auf den Datenschutz nicht öffentlich einsehbar.
Wem gehört der öffentliche Raum?
Das hinterlässt ein, wie der Schwabe sagen würde, „Geschmäckle“. Auf der einen Seite steht der Wunsch nach Belebung und Ausweitung der urbanen Zentren, auf der anderen die mögliche Umwandlung von öffentlichem Raum in privatisierte Bereiche. Der Beigeschmack entsteht nicht durch architektonische, auch nicht durch stadtplanerische Fragen – für beide Städte ist die Veränderung der Quartiere ein Gewinn (für die Investoren selbstverständlich auch), zuvor wenig zugängliche Bereiche sind reizvoller geworden. Was allerdings, wenn noch mehr öffentliche Stadträume in dieser Weise entstünden? Wäre irgendwann das Zentrum dann doch, unmerklich, privat?
Mehr Informationen und Artikel zum Thema „urban“ finden Sie in unserem Schwerpunkt urban
War dieser Artikel hilfreich?
Weitere Artikel zu: