Von Christoph Gunßer
Es ist nicht sinnvoll, Neubaugebiete auszuweisen“, sagt Christoph Ewers, Bürgermeister von Burbach. Er ist seit 2003 im Amt – trotz oder gerade wegen der restriktiven Flächenpolitik, die die rund 15.000 Einwohner zählende Gemeinde betreibt. Der gelernte Forstwirt denkt nachhaltig und will keine Ortskerne, die schleichend verwaisen, während auf der grünen Wiese der Bau-Bär tobt. In Burbach ist man überzeugt: Dieser „Donut-Effekt“ muss nicht sein.
Seit 2009 hat die Gemeinde ein eigenes Förderprogramm für den Kauf und die Sanierung von Häusern im Ort. Auch ließ sie früh ein Baulückenkataster erstellen (was ihr inzwischen viele nachmachen), um das Nachverdichtungs-Potenzial zu ermitteln. Vor Kurzem legte sie mit dem Programm „Lebenswerte Dörfer“ nach, in enger Zusammenarbeit mit den fünf örtlichen Architekten – Interessenten werden von ihnen kostenlos beraten. „Uns ist auch unsere Baukultur wichtig“, betont der Bürgermeister. „Um- wie Neubauten müssen ins Ortsbild passen.“ Diesem Zweck dient zudem die anschauliche Baufibel „Dorflesung“, die die ortstypischen spitzen Dachformen und kleinteiligen Schindelfassaden erläutert und zeitgemäße Lösungen vorstellt.
Auch den großflächigen Einzelhandel brachte man dazu, im Innenbereich zu investieren. Ein Markt-Neubau neben der Grundschule wurde gar mit einer Turnhalle überbaut, neben die noch ein Teil des Schulhofs passte. Für eine Ladenpassage im Zentrum verband man mehrere, teils leer stehende Häuser mit lichten Zubauten. Einem Discounter räumte man unlängst ein Areal direkt am Bahnhof frei. Inzwischen gibt es einen entsprechenden Erlass, der die Einzelhandelsentwicklung sinnvoll steuern will, auf Landesebene. Burbach zählt hier also zu den Pionieren.
Abschied vom Flächenfraß
Die neue Linie der Verwaltung begann Anfang der Nullerjahre mit einem neuen Flächennutzungsplan. Planungsamtsleiter und Wirtschaftsförderer Christian Feigs, kommunikationsbegabter Rheinländer und damals frisch von der Hochschule, ging angesichts der demografischen Lage der Gemeinde und ihrer noch weithin unverbauten Landschaft völlig d’accord mit der Nachhaltigkeitsidee des Bürgermeisters. Gemeinsam fuhren sie auf die acht Dörfer der Gemeinde und überzeugten die örtlichen Gremien samt den „Ortsfürsten“, vom Ausweisen neuer Baugebiete Abstand zu nehmen. Dabei half es, dass in der hügeligen Waldregion seit Langem kaum landwirtschaftliche Flächen als Reserven für eine solche „fünfte Fruchtfolge“ zur Verfügung stehen – etwa die Hälfte des Gemeindegebiets ist sogar in irgendeiner Form unter Schutz gestellt.
m F-Plan von 2006 gibt es also keine Speckgürtel um den Hauptort und die verstreuten Ortsteile; es wurden sogar, von Wirtschaftsvertretern anfangs belächelt, vormals geplante Gewerbeflächen entwidmet. Dazu muss gesagt werden, dass Burbach das zweithöchste Gewerbesteuer-Aufkommen pro Kopf in Nordrhein-Westfalen aufweist. Verkehrsgünstig an der Sauerland-Linie im Dreiländer-eck mit Rheinland-Pfalz und Hessen gelegen, beherbergt es traditionell große Firmen der Metall- und Rüstungsindustrie, die bislang für zuverlässige Einnahmen sorgen. Neben einem etablierten, gut eingewachsenen Industriepark konnten zuletzt aufgelassene Militärgelände neu genutzt werden. Ein interkommunales und ein interregionales Gewerbegebiet sind außerhalb im Entstehen.
Die solide Finanzlage erlaubt es der Gemeinde, gezielt Liegenschaften zu kaufen, um den Stadtumbauprozess zu steuern und wertvolle Altsubstanz für öffentliche Aufgaben umzubauen. So wird derzeit die Alte Vogtei, ein stattliches barockes Fachwerkhaus im Ortskern, nach einer Planerwerkstatt mit drei Büros für rund vier Millionen Euro zu einem Bürger- und Informationszentrum umgebaut (Architekt: Sven Geiss, Wuppertal). Im Ortsteil Würgendorf wurde jüngst das historische Heimhof-Theater renoviert, das quasi „in der Mitte von nirgendwo“ ein vielfältiges Kulturprogramm bietet. Für eine ansehnliche ehemalige Fabrikantenvilla im Bauhaus-Stil sucht man momentan eine öffentliche Nutzung.
Dabei bezieht man stets Vereine, Firmen und Ehrenamtliche intensiv ein. Zu allen Zukunftsthemen gibt es im Rathaus Arbeitsgruppen und Aktionen, die auf die Bürger zugehen: „Dein Dorf macht was! Mach mit!“ lautet die Devise für ein Burbacher „Wir-Gefühl“. Dafür hat man sich sogar schon vom österreichischen „Landluft“-Experten Roland Gruber beraten lassen. Kontinuität und eine offene „Gesprächskultur“, so Feigs, fördern den Erfolg.
Beteiligung lernen
Auch die Schulen sind Teil der Bürgerbeteiligung: Für Erdkunde oder Biologie bietet die Verwaltung Projekte vor Ort an: „Unterrichtsmaterial aus Burbach für Burbach“. Kein abstraktes, sondern konkretes Lernen im Ort, damit die Schüler eine Bindung entwickeln. Für den Politikunterricht werden Lehreinheiten im Rathaus angeboten. Planungsamtschef Christian Feigs schreibt nebenbei Kinderbücher, in denen es auch um Nachhaltigkeit und die Qualitäten des Landlebens geht: „Burbach: Erlebnis Dorf am Rothaarsteig“ heißt sein jüngstes Werk. Regelmäßig kommt der 47-jährige zum Vorlesen in die Schule.
Leider liegen die weiterführenden Schulen isoliert auf dem „Bildungshügel“ – ein Erbe verfehlter Funktionstrennung, das schwer zu integrieren ist. Traditionell liegen die Siedlungen ohnehin weit auseinander; auch der Hauptort besteht fast nur aus Einzelhäusern, sodass die Verkehrsentwicklung trotz „Bürgerbus“-Ansätzen kaum nachhaltig genannt werden kann – umso sinnvoller ist die Nachverdichtungs-Strategie zur Stadt der kurzen – oder zumindest kürzeren – Wege. Als vom Bund geförderte „Klimaschutzgemeinde“ rüstet das waldreiche Burbach immerhin verstärkt auf regenerative Energien um.
Der hilfreiche fremde Blick
Seit über zwanzig Jahren arbeitet die Gemeinde bei der ortsräumlichen Zukunftsentwicklung mit der Architekturabteilung der Universität Siegen zusammen. Es gibt Entwurfsprojekte zum Bauen im Bestand, Studierende entwickeln über mehrere Jahre Dorfentwicklungspläne für alle Ortsteile. Der „fremde Blick“ hilft, das tendenziell eigenbrötlerische Element der Provinz aufzulockern. Auch der „zugereiste“ Planungsamtsleiter bestätigt: Hier habe eine Öffnung stattgefunden. Zudem spielt der Tourismus eine wachsende Rolle im Ort: Der 2001 eröffnete „Rothaarsteig“ führt quer durchs Gemeindegebiet, die zentrale Anlaufstelle für den Fernwanderweg wird gerade in Burbach eingerichtet.
Die Architektur der Neubauten in Burbach und den Dörfern ist eher unscheinbar, von solider Qualität, doch „Leuchtturmprojekte sind so gut wie keine vorhanden“, urteilte das BBSR in der Auswertung seiner Förderung im Rahmen des Zukunftsinvestitionsprogramms: „Es besticht vor allem der baukulturelle Prozess, weniger die konkreten Bauprojekte.“
Dass durch die Beschränkung der Bauflächen die Hauspreise im Bestand übermäßig gestiegen seien, weil gewissermaßen ohne das Ventil der Neubaugebiete mehr „Druck im Kessel“ entsteht, kann Planungsamtsleiter Feigs nicht bestätigen. Jedenfalls gibt es jetzt kein Leerstandsproblem mehr in der Gemeinde. Notiz am Rande: Das eigene Ortskern-Förderprogramm ist eigentlich lächerlich klein; 50.000 Euro jährlich gibt die Gemeinde dafür aus. Jeder Förder-Euro löst aber nachweislich Investitionen von 35 Euro aus, die zu 80 Prozent an örtliche Handwerker gehen. Wenn das keine effektive Wirtschaftsförderung ist! Ganz kostenlos bekommt die kleine Gemeinde dazu aber viel Publicity in Fachkreisen – für ihren Mut, konsequent neue Wege aus der Flächenfraß-Misere zu suchen.
Burbach ist (fast) überall
Laut einer Umfrage für den Baukulturbericht 2016/17 gehen nur 51 Prozent zum Einkaufen hauptsächlich in ihr Ortszentrum. Nur 36 Prozent zieht es meist dort hin, um andere zu treffen. „Donut“-Orte mit Leerstand in der Mitte sind offensichtlich zentrale Probleme der derzeitigen Planungspraxis.
Selbst wenn eine polyzentrische Siedlungsentwicklung in mobilen Zeiten längst Realität ist, zeigt das Beispiel Burbach, dass sich angeblich selbstläufige Entwicklungen durchaus im Sinne von Umwelt- und Lebensqualität lenken lassen, wenn Planer und Politiker beharrlich und innovativ sind, sich etablierten Interessengruppen widersetzen – und die Bürger einbeziehen.
Das Umdenken mancherorts schlägt sich allerdings noch nicht groß in Zahlen nieder: Ihr Ziel, den Flächenverbrauch bis 2020 auf 30 Hektar täglich zurückzuführen, wird die Bundesregierung weit verfehlen.
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